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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Beuth und die Gewerbeschulen.
neuen Kartoffelbrennereien, die seit 1820 aufkamen und nach einigen
Jahren unglücklicher Versuche endlich die alte Getreidebrennerei vollständig
verdrängten.

In diesen ersten Entwicklungsjahren des deutschen Großgewerbes war
die Wirksamkeit der technischen Lehranstalten stärker als heutzutage, wo
die industriellen Bildungsmittel gleichsam auf der Straße liegen. Das
neue von Beuth unmittelbar geleitete Berliner Gewerbe-Institut wurde
eine Pflanzschule von tüchtigen Baumeistern, Ingenieuren, Fabrikanten.
Dort lehrte der Schwabe Mauch, der geschmackvolle Zeichner, der auch
an dem Prachtwerke Beuth's und Schinkel's, den "Vorbildern für Fabri-
kanten und Handwerker", fleißig mithalf. In demselben Jahre, da dies
Institut eröffnet wurde (1821) stiftete Beuth den Verein zur Beförderung
des Gewerbfleißes, der bald in Breslau und anderen Industrieplätzen
Nachahmung fand. Mit allen Großindustriellen des Landes stand der
rastlose Dränger und Treiber in freundlichem Verkehr; sie alle, der Stein-
gutfabrikant Bachmann in Mettlach an der Saar so gut wie die Direction
der Königshütte in Oberschlesien, empfingen von ihm Rathschläge, Nach-
richten, Modelle, und nie war er froher, als wenn er durch einen tech-
nischen Fortschritt zugleich die Veredlung des Geschmacks fördern konnte.

Beuth wußte längst, daß der classische Unterricht der Gymnasien
nicht mehr genügte um die künftigen Gewerbtreibenden für die so mächtig
gesteigerten Aufgaben des modernen Verkehrs auszurüsten. Auch die
mannichfachen Vorbildungsanstalten für technische Berufe, die schon seit
dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unter verschiedenen Namen be-
standen, reichten nicht mehr aus. Seit dem Jahre 1824 etwa ward dem
Mangel abgeholfen durch die Einrichtung von Gewerbeschulen, die von der
classischen Bildung ganz absahen und den Unterricht auf Mathematik,
Naturwissenschaft, Zeichnen, moderne Sprachen beschränkten. Das Unter-
richtsministerium zeigte sich diesen, von Motz eifrig beförderten Unterneh-
mungen sehr ungünstig. Süvern und die anderen philologisch geschulten
Räthe Altenstein's wollten sich nicht trennen von dem Idealbilde der Ein-
heitsschule, das in der Mannichfaltigkeit der modernen Volkswirthschaft
weder erreichbar noch nöthig ist, da die großen gemeinsamen Interessen der
bürgerlichen Gesellschaft die Stände doch immer wieder zusammenführen.
Die Magistrate der großen Städte aber konnten sich den gebieterischen
Anforderungen des praktischen Lebens nicht entziehen. Voran ging Berlin.
Dort bewirkte Bürgermeister Bärensprung (1824), nicht ohne despotische
Eigenmächtigkeit, die Eröffnung einer Gewerbeschule, die unter der Leitung
des wackeren Polyhistors Klöden kräftig gedieh und verwandten Anstalten
in Breslau, Stettin, Elberfeld zum Vorbilde diente. Bald war keine
Provinz mehr ohne Gewerb- und Realschulen; in Oberschlesien wurden
auf Beuth's Andringen ihrer drei zu gleicher Zeit eröffnet. So entstand
eine neue Form deutscher Bildung, minder geistvoll als die classische, aber

30*

Beuth und die Gewerbeſchulen.
neuen Kartoffelbrennereien, die ſeit 1820 aufkamen und nach einigen
Jahren unglücklicher Verſuche endlich die alte Getreidebrennerei vollſtändig
verdrängten.

In dieſen erſten Entwicklungsjahren des deutſchen Großgewerbes war
die Wirkſamkeit der techniſchen Lehranſtalten ſtärker als heutzutage, wo
die induſtriellen Bildungsmittel gleichſam auf der Straße liegen. Das
neue von Beuth unmittelbar geleitete Berliner Gewerbe-Inſtitut wurde
eine Pflanzſchule von tüchtigen Baumeiſtern, Ingenieuren, Fabrikanten.
Dort lehrte der Schwabe Mauch, der geſchmackvolle Zeichner, der auch
an dem Prachtwerke Beuth’s und Schinkel’s, den „Vorbildern für Fabri-
kanten und Handwerker“, fleißig mithalf. In demſelben Jahre, da dies
Inſtitut eröffnet wurde (1821) ſtiftete Beuth den Verein zur Beförderung
des Gewerbfleißes, der bald in Breslau und anderen Induſtrieplätzen
Nachahmung fand. Mit allen Großinduſtriellen des Landes ſtand der
raſtloſe Dränger und Treiber in freundlichem Verkehr; ſie alle, der Stein-
gutfabrikant Bachmann in Mettlach an der Saar ſo gut wie die Direction
der Königshütte in Oberſchleſien, empfingen von ihm Rathſchläge, Nach-
richten, Modelle, und nie war er froher, als wenn er durch einen tech-
niſchen Fortſchritt zugleich die Veredlung des Geſchmacks fördern konnte.

Beuth wußte längſt, daß der claſſiſche Unterricht der Gymnaſien
nicht mehr genügte um die künftigen Gewerbtreibenden für die ſo mächtig
geſteigerten Aufgaben des modernen Verkehrs auszurüſten. Auch die
mannichfachen Vorbildungsanſtalten für techniſche Berufe, die ſchon ſeit
dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unter verſchiedenen Namen be-
ſtanden, reichten nicht mehr aus. Seit dem Jahre 1824 etwa ward dem
Mangel abgeholfen durch die Einrichtung von Gewerbeſchulen, die von der
claſſiſchen Bildung ganz abſahen und den Unterricht auf Mathematik,
Naturwiſſenſchaft, Zeichnen, moderne Sprachen beſchränkten. Das Unter-
richtsminiſterium zeigte ſich dieſen, von Motz eifrig beförderten Unterneh-
mungen ſehr ungünſtig. Süvern und die anderen philologiſch geſchulten
Räthe Altenſtein’s wollten ſich nicht trennen von dem Idealbilde der Ein-
heitsſchule, das in der Mannichfaltigkeit der modernen Volkswirthſchaft
weder erreichbar noch nöthig iſt, da die großen gemeinſamen Intereſſen der
bürgerlichen Geſellſchaft die Stände doch immer wieder zuſammenführen.
Die Magiſtrate der großen Städte aber konnten ſich den gebieteriſchen
Anforderungen des praktiſchen Lebens nicht entziehen. Voran ging Berlin.
Dort bewirkte Bürgermeiſter Bärenſprung (1824), nicht ohne despotiſche
Eigenmächtigkeit, die Eröffnung einer Gewerbeſchule, die unter der Leitung
des wackeren Polyhiſtors Klöden kräftig gedieh und verwandten Anſtalten
in Breslau, Stettin, Elberfeld zum Vorbilde diente. Bald war keine
Provinz mehr ohne Gewerb- und Realſchulen; in Oberſchleſien wurden
auf Beuth’s Andringen ihrer drei zu gleicher Zeit eröffnet. So entſtand
eine neue Form deutſcher Bildung, minder geiſtvoll als die claſſiſche, aber

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[467/0483] Beuth und die Gewerbeſchulen. neuen Kartoffelbrennereien, die ſeit 1820 aufkamen und nach einigen Jahren unglücklicher Verſuche endlich die alte Getreidebrennerei vollſtändig verdrängten. In dieſen erſten Entwicklungsjahren des deutſchen Großgewerbes war die Wirkſamkeit der techniſchen Lehranſtalten ſtärker als heutzutage, wo die induſtriellen Bildungsmittel gleichſam auf der Straße liegen. Das neue von Beuth unmittelbar geleitete Berliner Gewerbe-Inſtitut wurde eine Pflanzſchule von tüchtigen Baumeiſtern, Ingenieuren, Fabrikanten. Dort lehrte der Schwabe Mauch, der geſchmackvolle Zeichner, der auch an dem Prachtwerke Beuth’s und Schinkel’s, den „Vorbildern für Fabri- kanten und Handwerker“, fleißig mithalf. In demſelben Jahre, da dies Inſtitut eröffnet wurde (1821) ſtiftete Beuth den Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes, der bald in Breslau und anderen Induſtrieplätzen Nachahmung fand. Mit allen Großinduſtriellen des Landes ſtand der raſtloſe Dränger und Treiber in freundlichem Verkehr; ſie alle, der Stein- gutfabrikant Bachmann in Mettlach an der Saar ſo gut wie die Direction der Königshütte in Oberſchleſien, empfingen von ihm Rathſchläge, Nach- richten, Modelle, und nie war er froher, als wenn er durch einen tech- niſchen Fortſchritt zugleich die Veredlung des Geſchmacks fördern konnte. Beuth wußte längſt, daß der claſſiſche Unterricht der Gymnaſien nicht mehr genügte um die künftigen Gewerbtreibenden für die ſo mächtig geſteigerten Aufgaben des modernen Verkehrs auszurüſten. Auch die mannichfachen Vorbildungsanſtalten für techniſche Berufe, die ſchon ſeit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unter verſchiedenen Namen be- ſtanden, reichten nicht mehr aus. Seit dem Jahre 1824 etwa ward dem Mangel abgeholfen durch die Einrichtung von Gewerbeſchulen, die von der claſſiſchen Bildung ganz abſahen und den Unterricht auf Mathematik, Naturwiſſenſchaft, Zeichnen, moderne Sprachen beſchränkten. Das Unter- richtsminiſterium zeigte ſich dieſen, von Motz eifrig beförderten Unterneh- mungen ſehr ungünſtig. Süvern und die anderen philologiſch geſchulten Räthe Altenſtein’s wollten ſich nicht trennen von dem Idealbilde der Ein- heitsſchule, das in der Mannichfaltigkeit der modernen Volkswirthſchaft weder erreichbar noch nöthig iſt, da die großen gemeinſamen Intereſſen der bürgerlichen Geſellſchaft die Stände doch immer wieder zuſammenführen. Die Magiſtrate der großen Städte aber konnten ſich den gebieteriſchen Anforderungen des praktiſchen Lebens nicht entziehen. Voran ging Berlin. Dort bewirkte Bürgermeiſter Bärenſprung (1824), nicht ohne despotiſche Eigenmächtigkeit, die Eröffnung einer Gewerbeſchule, die unter der Leitung des wackeren Polyhiſtors Klöden kräftig gedieh und verwandten Anſtalten in Breslau, Stettin, Elberfeld zum Vorbilde diente. Bald war keine Provinz mehr ohne Gewerb- und Realſchulen; in Oberſchleſien wurden auf Beuth’s Andringen ihrer drei zu gleicher Zeit eröffnet. So entſtand eine neue Form deutſcher Bildung, minder geiſtvoll als die claſſiſche, aber 30*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/483>, abgerufen am 22.11.2024.