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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
zehnt nach dem Erlaß des Zollgesetzes konnte Geheimrath Ferber seine
"Beiträge zur Kenntniß der preußischen Monarchie" herausgeben, die auf
allen Gebieten der Erzeugung und Verzehrung ein stetig anhaltendes
Steigen nachwiesen. Die skeptische Statistik unserer Tage ist freilich über
manche rosige Schilderung, welche einst Ferber und nach ihm Dieterici ent-
warfen, längst zur Tagesordnung übergegangen. Die glänzenden Zahlen,
welche die Vermehrung des Consums von Fleisch und Getreide zeigen
sollten, entbehrten offenbar der Beweiskraft, da man den Umfang der
landwirthschaftlichen Production nicht mit voller Sicherheit kannte. Etwas
sicherer ließ sich die anhaltende Besserung an der Consumtion der Colonial-
waaren nachweisen: so wurden an Kaffee im Jahre 1804 nur 0,75 Pfd.,
1822 bereits 1,22 und 1838 schon 2,20 Pfd. auf den Kopf der Bevölke-
rung verzehrt, wobei allerdings die Verringerung des Schmuggels mit in
Anschlag kam. Auch die Verzehrung des Tabaks stieg beträchtlich; seit
1820 etwa begann der leichtfertige "Cigarro" immer zuversichtlicher neben
der ehrenfesten Pfeife aufzutreten. Die Dichtigkeit der Bevölkerung auf der
Geviertmeile wuchs in den Jahren 1816--31 von 2006 auf 2521 Köpfe.

Nach einer annähernd richtigen Schätzung betrug der Gesammt-
werth der Ein-, Aus- und Durchfuhr im Jahre 1796 gegen 105 Mill.
Thaler, im Jahre 1828 die Einfuhr allein 106, die Ausfuhr 85, die
Durchfuhr 104 Mill. Thlr. Die Zahl der Handeltreibenden stieg in den
ersten sechs Jahren nach dem Erscheinen des Zollgesetzes von etwa siebzig
auf zweiundachtzigtausend; die Gewerbesteuer brachte 1824 einen Ertrag
von 1,6 Mill., 1830 schon 2,1 Mill. Thlr. Einzelne große Industrieplätze,
vornehmlich Berlin, Aachen, Elberfeld und Barmen, nahmen einen über-
raschenden Aufschwung, weniger in Folge des Zollschutzes, als vielmehr,
weil ihren Producten ein weites freies Marktgebiet eröffnet war. Die
Einfuhr der zur Verarbeitung bestimmten Baumwollengarne stieg in sieben
Jahren (1823--29) von 51,000 auf fast 112,000 Ctr. Die Summe der
auf den preußischen Messen umgesetzten ausländischen Waaren verdoppelte
sich im Laufe der zwanziger Jahre. Vielverheißend war vor Allem der
Aufschwung des Bergbaus; die Steinkohlenabfuhr bei Ruhrort bewältigte
im Jahre 1831 schon 51/2 Mill. Ctr., mehr denn doppelt so viel als in
dem ersten Friedensjahre. Auch das bisher den Deutschen noch fast unbe-
kannte Gewerbe der Maschinenbauer fing an sich in Preußen einzubürgern.
Um die Mitte der zwanziger Jahre siedelte James Cockerill aus der
Wunderschöpfung seines Vaters, den Werken von Seraing, nach Aachen über
und suchte die Erfindungen der englischen Maschinenfabrikation auf dem
deutschen Markte zu verwerthen. In Berlin beschäftigten die Maschinen-
fabriken von Hummel, Freund, Egells (1830) etwa 500 Arbeiter. Den
besten Kunden für ihre Dampfmaschinen fanden sie vorerst noch an der
königlichen Bergwerks- und Kanalverwaltung; die Privatindustrie bediente
sich des Dampfes fast nur in den Spinnereien, seit Kurzem auch in den

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
zehnt nach dem Erlaß des Zollgeſetzes konnte Geheimrath Ferber ſeine
„Beiträge zur Kenntniß der preußiſchen Monarchie“ herausgeben, die auf
allen Gebieten der Erzeugung und Verzehrung ein ſtetig anhaltendes
Steigen nachwieſen. Die ſkeptiſche Statiſtik unſerer Tage iſt freilich über
manche roſige Schilderung, welche einſt Ferber und nach ihm Dieterici ent-
warfen, längſt zur Tagesordnung übergegangen. Die glänzenden Zahlen,
welche die Vermehrung des Conſums von Fleiſch und Getreide zeigen
ſollten, entbehrten offenbar der Beweiskraft, da man den Umfang der
landwirthſchaftlichen Production nicht mit voller Sicherheit kannte. Etwas
ſicherer ließ ſich die anhaltende Beſſerung an der Conſumtion der Colonial-
waaren nachweiſen: ſo wurden an Kaffee im Jahre 1804 nur 0,75 Pfd.,
1822 bereits 1,22 und 1838 ſchon 2,20 Pfd. auf den Kopf der Bevölke-
rung verzehrt, wobei allerdings die Verringerung des Schmuggels mit in
Anſchlag kam. Auch die Verzehrung des Tabaks ſtieg beträchtlich; ſeit
1820 etwa begann der leichtfertige „Cigarro“ immer zuverſichtlicher neben
der ehrenfeſten Pfeife aufzutreten. Die Dichtigkeit der Bevölkerung auf der
Geviertmeile wuchs in den Jahren 1816—31 von 2006 auf 2521 Köpfe.

Nach einer annähernd richtigen Schätzung betrug der Geſammt-
werth der Ein-, Aus- und Durchfuhr im Jahre 1796 gegen 105 Mill.
Thaler, im Jahre 1828 die Einfuhr allein 106, die Ausfuhr 85, die
Durchfuhr 104 Mill. Thlr. Die Zahl der Handeltreibenden ſtieg in den
erſten ſechs Jahren nach dem Erſcheinen des Zollgeſetzes von etwa ſiebzig
auf zweiundachtzigtauſend; die Gewerbeſteuer brachte 1824 einen Ertrag
von 1,6 Mill., 1830 ſchon 2,1 Mill. Thlr. Einzelne große Induſtrieplätze,
vornehmlich Berlin, Aachen, Elberfeld und Barmen, nahmen einen über-
raſchenden Aufſchwung, weniger in Folge des Zollſchutzes, als vielmehr,
weil ihren Producten ein weites freies Marktgebiet eröffnet war. Die
Einfuhr der zur Verarbeitung beſtimmten Baumwollengarne ſtieg in ſieben
Jahren (1823—29) von 51,000 auf faſt 112,000 Ctr. Die Summe der
auf den preußiſchen Meſſen umgeſetzten ausländiſchen Waaren verdoppelte
ſich im Laufe der zwanziger Jahre. Vielverheißend war vor Allem der
Aufſchwung des Bergbaus; die Steinkohlenabfuhr bei Ruhrort bewältigte
im Jahre 1831 ſchon 5½ Mill. Ctr., mehr denn doppelt ſo viel als in
dem erſten Friedensjahre. Auch das bisher den Deutſchen noch faſt unbe-
kannte Gewerbe der Maſchinenbauer fing an ſich in Preußen einzubürgern.
Um die Mitte der zwanziger Jahre ſiedelte James Cockerill aus der
Wunderſchöpfung ſeines Vaters, den Werken von Seraing, nach Aachen über
und ſuchte die Erfindungen der engliſchen Maſchinenfabrikation auf dem
deutſchen Markte zu verwerthen. In Berlin beſchäftigten die Maſchinen-
fabriken von Hummel, Freund, Egells (1830) etwa 500 Arbeiter. Den
beſten Kunden für ihre Dampfmaſchinen fanden ſie vorerſt noch an der
königlichen Bergwerks- und Kanalverwaltung; die Privatinduſtrie bediente
ſich des Dampfes faſt nur in den Spinnereien, ſeit Kurzem auch in den

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[466/0482] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. zehnt nach dem Erlaß des Zollgeſetzes konnte Geheimrath Ferber ſeine „Beiträge zur Kenntniß der preußiſchen Monarchie“ herausgeben, die auf allen Gebieten der Erzeugung und Verzehrung ein ſtetig anhaltendes Steigen nachwieſen. Die ſkeptiſche Statiſtik unſerer Tage iſt freilich über manche roſige Schilderung, welche einſt Ferber und nach ihm Dieterici ent- warfen, längſt zur Tagesordnung übergegangen. Die glänzenden Zahlen, welche die Vermehrung des Conſums von Fleiſch und Getreide zeigen ſollten, entbehrten offenbar der Beweiskraft, da man den Umfang der landwirthſchaftlichen Production nicht mit voller Sicherheit kannte. Etwas ſicherer ließ ſich die anhaltende Beſſerung an der Conſumtion der Colonial- waaren nachweiſen: ſo wurden an Kaffee im Jahre 1804 nur 0,75 Pfd., 1822 bereits 1,22 und 1838 ſchon 2,20 Pfd. auf den Kopf der Bevölke- rung verzehrt, wobei allerdings die Verringerung des Schmuggels mit in Anſchlag kam. Auch die Verzehrung des Tabaks ſtieg beträchtlich; ſeit 1820 etwa begann der leichtfertige „Cigarro“ immer zuverſichtlicher neben der ehrenfeſten Pfeife aufzutreten. Die Dichtigkeit der Bevölkerung auf der Geviertmeile wuchs in den Jahren 1816—31 von 2006 auf 2521 Köpfe. Nach einer annähernd richtigen Schätzung betrug der Geſammt- werth der Ein-, Aus- und Durchfuhr im Jahre 1796 gegen 105 Mill. Thaler, im Jahre 1828 die Einfuhr allein 106, die Ausfuhr 85, die Durchfuhr 104 Mill. Thlr. Die Zahl der Handeltreibenden ſtieg in den erſten ſechs Jahren nach dem Erſcheinen des Zollgeſetzes von etwa ſiebzig auf zweiundachtzigtauſend; die Gewerbeſteuer brachte 1824 einen Ertrag von 1,6 Mill., 1830 ſchon 2,1 Mill. Thlr. Einzelne große Induſtrieplätze, vornehmlich Berlin, Aachen, Elberfeld und Barmen, nahmen einen über- raſchenden Aufſchwung, weniger in Folge des Zollſchutzes, als vielmehr, weil ihren Producten ein weites freies Marktgebiet eröffnet war. Die Einfuhr der zur Verarbeitung beſtimmten Baumwollengarne ſtieg in ſieben Jahren (1823—29) von 51,000 auf faſt 112,000 Ctr. Die Summe der auf den preußiſchen Meſſen umgeſetzten ausländiſchen Waaren verdoppelte ſich im Laufe der zwanziger Jahre. Vielverheißend war vor Allem der Aufſchwung des Bergbaus; die Steinkohlenabfuhr bei Ruhrort bewältigte im Jahre 1831 ſchon 5½ Mill. Ctr., mehr denn doppelt ſo viel als in dem erſten Friedensjahre. Auch das bisher den Deutſchen noch faſt unbe- kannte Gewerbe der Maſchinenbauer fing an ſich in Preußen einzubürgern. Um die Mitte der zwanziger Jahre ſiedelte James Cockerill aus der Wunderſchöpfung ſeines Vaters, den Werken von Seraing, nach Aachen über und ſuchte die Erfindungen der engliſchen Maſchinenfabrikation auf dem deutſchen Markte zu verwerthen. In Berlin beſchäftigten die Maſchinen- fabriken von Hummel, Freund, Egells (1830) etwa 500 Arbeiter. Den beſten Kunden für ihre Dampfmaſchinen fanden ſie vorerſt noch an der königlichen Bergwerks- und Kanalverwaltung; die Privatinduſtrie bediente ſich des Dampfes faſt nur in den Spinnereien, ſeit Kurzem auch in den

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/482>, abgerufen am 22.11.2024.