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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
lichen Nebenbuhler, der die schwere Hand der Hohenzollern so oft gefühlt
hatte und jetzt in ihnen nur die lachenden Erben seiner eigenen Macht
sah. Wie viel schneller, stätiger, reicher als in dem unwirthlichen Bran-
denburg hatten sich hier in den lieblichen Berglanden an der Elbe und
Mulde einst die Anfänge deutschen Lebens entfaltet. Zur Zeit, da die
ersten Askanier dort noch mit den Wenden rangen, war in der Mark
Meißen nach minder furchtbaren Kämpfen die Eroberung längst vollendet
und aus der Vermischung der thüringischen und fränkischen Einwanderer
mit der wenig gelichteten Masse der Urbewohner schon ein neuer ober-
deutscher Stamm hervorgegangen, der deutsche Kraft mit slawischer Be-
weglichkeit glücklich verband -- ein rühriges Geschlecht von erstaunlich viel-
seitiger Anlage, reich begabt für Kunst und Forschung, kriegstüchtig, unter-
nehmend in der Wirthschaft, harmlos genügsam und doch nach Mark-
mannenart stolz gegenüber den verachteten "Stockwenden und Stockböhmen".
Schon in den Tagen Friedrich's des Rothbarts erklangen im Erzgebirge
die Bergreihen und das herzhafte Glückauf der schürfenden Knappen,
ihres Freiberger Rechtes froh blühten die betriebsamen Bergstädte auf,
und am Ausgang des Mittelalters war bereits das ganze rauhe Wald-
gebirge dicht besiedelt bis hinauf zu seiner "wilden Ecke" bei Annaberg.
Dem Segen ihrer Berge dankte die Mark Meißen in den Zeiten der
Naturalwirthschaft ihren rasch anwachsenden Wohlstand; mochten die
Markgrafen auf einem lustigen Reichstage zuweilen einen Kux verkuxen,
das Volk ward durch die Versuchungen der unsicheren Ausbeute des Berg-
baus von seinem beharrlichen Fleiße nicht abgebracht.

Eine glänzende politische Zukunft schien sich der jungen Kolonie auf-
zuthun, als das Haus Wettin die Landgrafschaft Thüringen erwarb und
dann -- um die nämliche Zeit da die Hohenzollern in die Marken ein-
zogen -- auch den Kurhut des zertrümmerten alten sächsischen Herzog-
thums gewann. Fortan führten die Meißner, obgleich in ihren Adern
nur wenige Tropfen sächsischen Blutes flossen, den glorreichen Namen des
waffengewaltigsten der deutschen Stämme, den einzigen der alten Stam-
mesnamen, der außer dem bairischen noch im Reichsrechte fortbestand,
und hielten das alte Fünfbalkenschild der Askanier mit dem grünen Rau-
tenkranze darüber so hoch in Ehren, als hätte es ihnen immer angehört.
Ihre Fürsten trugen stolz die Schwerter des heiligen Reiches, und der
Prachtbau ihrer Albrechtsburg bekundete, daß sie keinem anderen deutschen
Fürstengeschlechte nachzustehen gedachten. Doch den weiten Blick, den
hohen Sinn des Herrschers besaßen sie nicht. Die alte deutsche Fürsten-
sünde des häuslichen Unfriedens ward den Wettinern noch verderblicher
als den Wittelsbachern. Schon oft hatten thörichte Theilungen und er-
bitterte Bruderkriege diesen werdenden Staat in seinem Wachsthum auf-
gehalten, und nun da das kühne Werk Heinrich's des Erlauchten und
Friedrich's des Streitbaren der Vollendung nahe schien, da endlich ein-

III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
lichen Nebenbuhler, der die ſchwere Hand der Hohenzollern ſo oft gefühlt
hatte und jetzt in ihnen nur die lachenden Erben ſeiner eigenen Macht
ſah. Wie viel ſchneller, ſtätiger, reicher als in dem unwirthlichen Bran-
denburg hatten ſich hier in den lieblichen Berglanden an der Elbe und
Mulde einſt die Anfänge deutſchen Lebens entfaltet. Zur Zeit, da die
erſten Askanier dort noch mit den Wenden rangen, war in der Mark
Meißen nach minder furchtbaren Kämpfen die Eroberung längſt vollendet
und aus der Vermiſchung der thüringiſchen und fränkiſchen Einwanderer
mit der wenig gelichteten Maſſe der Urbewohner ſchon ein neuer ober-
deutſcher Stamm hervorgegangen, der deutſche Kraft mit ſlawiſcher Be-
weglichkeit glücklich verband — ein rühriges Geſchlecht von erſtaunlich viel-
ſeitiger Anlage, reich begabt für Kunſt und Forſchung, kriegstüchtig, unter-
nehmend in der Wirthſchaft, harmlos genügſam und doch nach Mark-
mannenart ſtolz gegenüber den verachteten „Stockwenden und Stockböhmen“.
Schon in den Tagen Friedrich’s des Rothbarts erklangen im Erzgebirge
die Bergreihen und das herzhafte Glückauf der ſchürfenden Knappen,
ihres Freiberger Rechtes froh blühten die betriebſamen Bergſtädte auf,
und am Ausgang des Mittelalters war bereits das ganze rauhe Wald-
gebirge dicht beſiedelt bis hinauf zu ſeiner „wilden Ecke“ bei Annaberg.
Dem Segen ihrer Berge dankte die Mark Meißen in den Zeiten der
Naturalwirthſchaft ihren raſch anwachſenden Wohlſtand; mochten die
Markgrafen auf einem luſtigen Reichstage zuweilen einen Kux verkuxen,
das Volk ward durch die Verſuchungen der unſicheren Ausbeute des Berg-
baus von ſeinem beharrlichen Fleiße nicht abgebracht.

Eine glänzende politiſche Zukunft ſchien ſich der jungen Kolonie auf-
zuthun, als das Haus Wettin die Landgrafſchaft Thüringen erwarb und
dann — um die nämliche Zeit da die Hohenzollern in die Marken ein-
zogen — auch den Kurhut des zertrümmerten alten ſächſiſchen Herzog-
thums gewann. Fortan führten die Meißner, obgleich in ihren Adern
nur wenige Tropfen ſächſiſchen Blutes floſſen, den glorreichen Namen des
waffengewaltigſten der deutſchen Stämme, den einzigen der alten Stam-
mesnamen, der außer dem bairiſchen noch im Reichsrechte fortbeſtand,
und hielten das alte Fünfbalkenſchild der Askanier mit dem grünen Rau-
tenkranze darüber ſo hoch in Ehren, als hätte es ihnen immer angehört.
Ihre Fürſten trugen ſtolz die Schwerter des heiligen Reiches, und der
Prachtbau ihrer Albrechtsburg bekundete, daß ſie keinem anderen deutſchen
Fürſtengeſchlechte nachzuſtehen gedachten. Doch den weiten Blick, den
hohen Sinn des Herrſchers beſaßen ſie nicht. Die alte deutſche Fürſten-
ſünde des häuslichen Unfriedens ward den Wettinern noch verderblicher
als den Wittelsbachern. Schon oft hatten thörichte Theilungen und er-
bitterte Bruderkriege dieſen werdenden Staat in ſeinem Wachsthum auf-
gehalten, und nun da das kühne Werk Heinrich’s des Erlauchten und
Friedrich’s des Streitbaren der Vollendung nahe ſchien, da endlich ein-

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[488/0504] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. lichen Nebenbuhler, der die ſchwere Hand der Hohenzollern ſo oft gefühlt hatte und jetzt in ihnen nur die lachenden Erben ſeiner eigenen Macht ſah. Wie viel ſchneller, ſtätiger, reicher als in dem unwirthlichen Bran- denburg hatten ſich hier in den lieblichen Berglanden an der Elbe und Mulde einſt die Anfänge deutſchen Lebens entfaltet. Zur Zeit, da die erſten Askanier dort noch mit den Wenden rangen, war in der Mark Meißen nach minder furchtbaren Kämpfen die Eroberung längſt vollendet und aus der Vermiſchung der thüringiſchen und fränkiſchen Einwanderer mit der wenig gelichteten Maſſe der Urbewohner ſchon ein neuer ober- deutſcher Stamm hervorgegangen, der deutſche Kraft mit ſlawiſcher Be- weglichkeit glücklich verband — ein rühriges Geſchlecht von erſtaunlich viel- ſeitiger Anlage, reich begabt für Kunſt und Forſchung, kriegstüchtig, unter- nehmend in der Wirthſchaft, harmlos genügſam und doch nach Mark- mannenart ſtolz gegenüber den verachteten „Stockwenden und Stockböhmen“. Schon in den Tagen Friedrich’s des Rothbarts erklangen im Erzgebirge die Bergreihen und das herzhafte Glückauf der ſchürfenden Knappen, ihres Freiberger Rechtes froh blühten die betriebſamen Bergſtädte auf, und am Ausgang des Mittelalters war bereits das ganze rauhe Wald- gebirge dicht beſiedelt bis hinauf zu ſeiner „wilden Ecke“ bei Annaberg. Dem Segen ihrer Berge dankte die Mark Meißen in den Zeiten der Naturalwirthſchaft ihren raſch anwachſenden Wohlſtand; mochten die Markgrafen auf einem luſtigen Reichstage zuweilen einen Kux verkuxen, das Volk ward durch die Verſuchungen der unſicheren Ausbeute des Berg- baus von ſeinem beharrlichen Fleiße nicht abgebracht. Eine glänzende politiſche Zukunft ſchien ſich der jungen Kolonie auf- zuthun, als das Haus Wettin die Landgrafſchaft Thüringen erwarb und dann — um die nämliche Zeit da die Hohenzollern in die Marken ein- zogen — auch den Kurhut des zertrümmerten alten ſächſiſchen Herzog- thums gewann. Fortan führten die Meißner, obgleich in ihren Adern nur wenige Tropfen ſächſiſchen Blutes floſſen, den glorreichen Namen des waffengewaltigſten der deutſchen Stämme, den einzigen der alten Stam- mesnamen, der außer dem bairiſchen noch im Reichsrechte fortbeſtand, und hielten das alte Fünfbalkenſchild der Askanier mit dem grünen Rau- tenkranze darüber ſo hoch in Ehren, als hätte es ihnen immer angehört. Ihre Fürſten trugen ſtolz die Schwerter des heiligen Reiches, und der Prachtbau ihrer Albrechtsburg bekundete, daß ſie keinem anderen deutſchen Fürſtengeſchlechte nachzuſtehen gedachten. Doch den weiten Blick, den hohen Sinn des Herrſchers beſaßen ſie nicht. Die alte deutſche Fürſten- ſünde des häuslichen Unfriedens ward den Wettinern noch verderblicher als den Wittelsbachern. Schon oft hatten thörichte Theilungen und er- bitterte Bruderkriege dieſen werdenden Staat in ſeinem Wachsthum auf- gehalten, und nun da das kühne Werk Heinrich’s des Erlauchten und Friedrich’s des Streitbaren der Vollendung nahe ſchien, da endlich ein-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/504>, abgerufen am 22.11.2024.