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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Friedrich August I.
archie unter den Zeterrufen seiner Landsleute. Die kursächsische Diplo-
matie stand überall im Rufe ränkesüchtiger Falschheit, im Beamtenthum
nahmen Gunstbettelei, Nachlässigkeit, Bestechlichkeit überhand, und auch
für das Volk, das sich in seinem häuslichen Leben so rechtschaffen er-
hielt, ward die elende politische Geschichte des Landes wahrlich keine Schule
des Bürgersinnes. Zu oft war Kursachsen der Kriegsschauplatz aller
Völker gewesen; zu oft hatte man den angestammten König fliehen, die
Schätze des Grünen Gewölbes in den Kasematten des Königsteins ver-
schwinden, den Feind jahrelang als Herrn im Lande hausen sehen. Ueberall
hieß es: mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land.
Die unterthänige Liebe der Deutschen für ihre Landesherrschaft mußte
hier, wo so wenig zu lieben war, in niedrige Schmeichelei ausarten. Der
tugendhafte Pelikan, der über dem Portale des Dresdener Schlosses seine
Jungen von seinem Blute trinken läßt, konnte selbst ergebenen Unterthanen
unmöglich als ein getreues Sinnbild für die Regierung des starken August
erscheinen; und wenn das Kenotaph dieses Königs in der Warschauer Ka-
puzinerkirche die Inschrift erhielt: morte quis fortior? gloria et amor --
wenn die Stadt Leipzig seinen Nachfolger feierlich als den "Wiederher-
steller der öffentlichen Heiterkeit" begrüßte -- wenn die Lehrer den Schul-
kindern von dem vierzehn Ellen langen Prachtkuchen des Mühlberger Lust-
lagers oder von den 835 Schnupftabaksdosen des Grafen Brühl mit Stolz
wie von vaterländischen Großthaten erzählten, so sprach aus dem Allen
ein Bedientensinn, der schon den Zeitgenossen auffiel. --

Mit der kurzen wohlthätigen Herrschaft Friedrich Christian's und der
langen Regierung seines Nachfolgers Friedrich August kam endlich eine
bessere Zeit. In vielen der kleinen deutschen Staaten gelangten gegen
den Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts einsichtsvolle, langlebige Fürsten
ans Ruder, die mit den Ueberlieferungen des höfischen Absolutismus
brachen und, von ihrem Hause und Volke wie Heilige verehrt, ihrem
Staate auf lange hinaus die Richtung gaben: so in Baden Karl Friedrich,
in Weimar Karl August, in Darmstadt Ludwig I., in Schwerin Friedrich
Franz, in Dessau Leopold Friedrich Franz. Auch Friedrich August ge-
hörte zu dieser Generation wohlwollender Landesväter, die sich bewußt oder
unbewußt an dem Vorbilde Friedrich's des Großen geschult hatte. Streng
gerecht, gewissenhaft, arbeitsam brachte er seinen heimgesuchten Unterthanen
wieder den Segen einer sorgsamen Landesherrschaft, der ihnen seit den
Zeiten des Kurfürsten August gefehlt hatte. Er machte der Schwelgerei
des Hofes ein Ende, stellte die gelockerte Zucht im Beamtenthum wieder
her, ordnete die Finanzen so gründlich, daß nachher selbst durch die Stürme
des napoleonischen Zeitalters der Staatscredit nicht auf die Dauer er-
schüttert werden konnte, berief tüchtige Männer in die Geschäfte, vor Allen
seinen Lehrer Gutschmid -- seit unvordenklicher Zeit den ersten Bürger-
lichen, der in dem Vetterschaftswesen dieser Adelsherrschaft durch wirkliches

Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 32

Friedrich Auguſt I.
archie unter den Zeterrufen ſeiner Landsleute. Die kurſächſiſche Diplo-
matie ſtand überall im Rufe ränkeſüchtiger Falſchheit, im Beamtenthum
nahmen Gunſtbettelei, Nachläſſigkeit, Beſtechlichkeit überhand, und auch
für das Volk, das ſich in ſeinem häuslichen Leben ſo rechtſchaffen er-
hielt, ward die elende politiſche Geſchichte des Landes wahrlich keine Schule
des Bürgerſinnes. Zu oft war Kurſachſen der Kriegsſchauplatz aller
Völker geweſen; zu oft hatte man den angeſtammten König fliehen, die
Schätze des Grünen Gewölbes in den Kaſematten des Königſteins ver-
ſchwinden, den Feind jahrelang als Herrn im Lande hauſen ſehen. Ueberall
hieß es: mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land.
Die unterthänige Liebe der Deutſchen für ihre Landesherrſchaft mußte
hier, wo ſo wenig zu lieben war, in niedrige Schmeichelei ausarten. Der
tugendhafte Pelikan, der über dem Portale des Dresdener Schloſſes ſeine
Jungen von ſeinem Blute trinken läßt, konnte ſelbſt ergebenen Unterthanen
unmöglich als ein getreues Sinnbild für die Regierung des ſtarken Auguſt
erſcheinen; und wenn das Kenotaph dieſes Königs in der Warſchauer Ka-
puzinerkirche die Inſchrift erhielt: morte quis fortior? gloria et amor
wenn die Stadt Leipzig ſeinen Nachfolger feierlich als den „Wiederher-
ſteller der öffentlichen Heiterkeit“ begrüßte — wenn die Lehrer den Schul-
kindern von dem vierzehn Ellen langen Prachtkuchen des Mühlberger Luſt-
lagers oder von den 835 Schnupftabaksdoſen des Grafen Brühl mit Stolz
wie von vaterländiſchen Großthaten erzählten, ſo ſprach aus dem Allen
ein Bedientenſinn, der ſchon den Zeitgenoſſen auffiel. —

Mit der kurzen wohlthätigen Herrſchaft Friedrich Chriſtian’s und der
langen Regierung ſeines Nachfolgers Friedrich Auguſt kam endlich eine
beſſere Zeit. In vielen der kleinen deutſchen Staaten gelangten gegen
den Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts einſichtsvolle, langlebige Fürſten
ans Ruder, die mit den Ueberlieferungen des höfiſchen Abſolutismus
brachen und, von ihrem Hauſe und Volke wie Heilige verehrt, ihrem
Staate auf lange hinaus die Richtung gaben: ſo in Baden Karl Friedrich,
in Weimar Karl Auguſt, in Darmſtadt Ludwig I., in Schwerin Friedrich
Franz, in Deſſau Leopold Friedrich Franz. Auch Friedrich Auguſt ge-
hörte zu dieſer Generation wohlwollender Landesväter, die ſich bewußt oder
unbewußt an dem Vorbilde Friedrich’s des Großen geſchult hatte. Streng
gerecht, gewiſſenhaft, arbeitſam brachte er ſeinen heimgeſuchten Unterthanen
wieder den Segen einer ſorgſamen Landesherrſchaft, der ihnen ſeit den
Zeiten des Kurfürſten Auguſt gefehlt hatte. Er machte der Schwelgerei
des Hofes ein Ende, ſtellte die gelockerte Zucht im Beamtenthum wieder
her, ordnete die Finanzen ſo gründlich, daß nachher ſelbſt durch die Stürme
des napoleoniſchen Zeitalters der Staatscredit nicht auf die Dauer er-
ſchüttert werden konnte, berief tüchtige Männer in die Geſchäfte, vor Allen
ſeinen Lehrer Gutſchmid — ſeit unvordenklicher Zeit den erſten Bürger-
lichen, der in dem Vetterſchaftsweſen dieſer Adelsherrſchaft durch wirkliches

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 32
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[497/0513] Friedrich Auguſt I. archie unter den Zeterrufen ſeiner Landsleute. Die kurſächſiſche Diplo- matie ſtand überall im Rufe ränkeſüchtiger Falſchheit, im Beamtenthum nahmen Gunſtbettelei, Nachläſſigkeit, Beſtechlichkeit überhand, und auch für das Volk, das ſich in ſeinem häuslichen Leben ſo rechtſchaffen er- hielt, ward die elende politiſche Geſchichte des Landes wahrlich keine Schule des Bürgerſinnes. Zu oft war Kurſachſen der Kriegsſchauplatz aller Völker geweſen; zu oft hatte man den angeſtammten König fliehen, die Schätze des Grünen Gewölbes in den Kaſematten des Königſteins ver- ſchwinden, den Feind jahrelang als Herrn im Lande hauſen ſehen. Ueberall hieß es: mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land. Die unterthänige Liebe der Deutſchen für ihre Landesherrſchaft mußte hier, wo ſo wenig zu lieben war, in niedrige Schmeichelei ausarten. Der tugendhafte Pelikan, der über dem Portale des Dresdener Schloſſes ſeine Jungen von ſeinem Blute trinken läßt, konnte ſelbſt ergebenen Unterthanen unmöglich als ein getreues Sinnbild für die Regierung des ſtarken Auguſt erſcheinen; und wenn das Kenotaph dieſes Königs in der Warſchauer Ka- puzinerkirche die Inſchrift erhielt: morte quis fortior? gloria et amor — wenn die Stadt Leipzig ſeinen Nachfolger feierlich als den „Wiederher- ſteller der öffentlichen Heiterkeit“ begrüßte — wenn die Lehrer den Schul- kindern von dem vierzehn Ellen langen Prachtkuchen des Mühlberger Luſt- lagers oder von den 835 Schnupftabaksdoſen des Grafen Brühl mit Stolz wie von vaterländiſchen Großthaten erzählten, ſo ſprach aus dem Allen ein Bedientenſinn, der ſchon den Zeitgenoſſen auffiel. — Mit der kurzen wohlthätigen Herrſchaft Friedrich Chriſtian’s und der langen Regierung ſeines Nachfolgers Friedrich Auguſt kam endlich eine beſſere Zeit. In vielen der kleinen deutſchen Staaten gelangten gegen den Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts einſichtsvolle, langlebige Fürſten ans Ruder, die mit den Ueberlieferungen des höfiſchen Abſolutismus brachen und, von ihrem Hauſe und Volke wie Heilige verehrt, ihrem Staate auf lange hinaus die Richtung gaben: ſo in Baden Karl Friedrich, in Weimar Karl Auguſt, in Darmſtadt Ludwig I., in Schwerin Friedrich Franz, in Deſſau Leopold Friedrich Franz. Auch Friedrich Auguſt ge- hörte zu dieſer Generation wohlwollender Landesväter, die ſich bewußt oder unbewußt an dem Vorbilde Friedrich’s des Großen geſchult hatte. Streng gerecht, gewiſſenhaft, arbeitſam brachte er ſeinen heimgeſuchten Unterthanen wieder den Segen einer ſorgſamen Landesherrſchaft, der ihnen ſeit den Zeiten des Kurfürſten Auguſt gefehlt hatte. Er machte der Schwelgerei des Hofes ein Ende, ſtellte die gelockerte Zucht im Beamtenthum wieder her, ordnete die Finanzen ſo gründlich, daß nachher ſelbſt durch die Stürme des napoleoniſchen Zeitalters der Staatscredit nicht auf die Dauer er- ſchüttert werden konnte, berief tüchtige Männer in die Geſchäfte, vor Allen ſeinen Lehrer Gutſchmid — ſeit unvordenklicher Zeit den erſten Bürger- lichen, der in dem Vetterſchaftsweſen dieſer Adelsherrſchaft durch wirkliches Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 32

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/513>, abgerufen am 22.11.2024.