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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
muß den gierigen nordischen Adler fürchten und ihm baldigst Einhalt thun.
Frankreich, Baiern, der Papst, die in Oesterreich mächtigen Geistlichen,
alle kleineren deutschen Fürsten, die in Sachsen ihre Existenz gefährdet
sehen, werden für uns sprechen und die Flamme des Krieges zwischen den
beiden Nebenbuhlern der Oberherrschaft in Deutschland bald anfachen!"
Das Volk hielt die Hoffnung auf die Wiedervereinigung der albertinischen
Lande fast ebenso hartnäckig fest, wie einst die Ernestiner auf die Rück-
gabe des verlorenen Kurhuts gewartet hatten. Die Kinder in den Schulen
sangen das trutzige Liedlein: "Die Preußen haben uns 's Land gestohlen,
wir werden's uns schon wieder holen; Geduld, Geduld, Geduld!"

Obwohl der König in seiner strengen Rechtlichkeit den geschlossenen
Friedensvertrag unbedingt achtete, so war es doch nur eine nothwendige
Folge des Geschehenen, daß er eine nähere Verbindung mit Preußen jetzt
für ganz unmöglich hielt. Als sein natürlicher Verbündeter erschien ihm
fortan Oesterreich, obgleich der Kaiserstaat bei jeder Hungersnoth im Erz-
gebirge regelmäßig seine Grenzen schloß und sich auch sonst keineswegs als
gefälliger Nachbar erwies. Der stille Groll gegen Preußen trat nur darum
nicht auffällig hervor, weil die beiden deutschen Großmächte jetzt verbündet
waren, und weil Friedrich August sich wieder ausschließlich den Pflichten
der Landesverwaltung widmete. Die große Politik lag nicht in seinem
Gesichtskreise, indeß fühlte er sich stets geschmeichelt, wenn ihm die Ge-
sandten der Großmächte etwas von den Wirren draußen in der Welt er-
zählten.*) Am Bundestage stimmte der sächsische Gesandte gehorsam mit
Oesterreich und ließ im Uebrigen so wenig von sich hören, daß Metternich
zuweilen freundlich mahnte, der Dresdener Hof möge seine treffliche Ge-
sinnung doch etwas lebhafter bethätigen. Also wirkte die Landestheilung
noch lange unheilvoll auf die sächsische Politik zurück. Sie nährte im Volke
einen kleinlichen particularistischen Aerger, der den deutschen Nationalstolz
ganz überwucherte; sie erschwerte dem Hofe wie dem Volke, die großen
wirthschaftlichen Interessen, welche diesen Staat mit Preußen verbanden,
rechtzeitig zu erkennen.

Allerdings hatte das Land unersetzliche Einbußen erlitten. Verloren
war außer den schönen thüringischen Stiftslanden und dem größten Theile
der Lausitzen auch der Stolz Obersachsens, der Kurkreis; ein gerechtes
Geschick brachte die Heimath der Reformation wieder unter ein treues
protestantisches Herrscherhaus. Und wie viele köstliche geistige Kräfte kamen
dem Staate allein mit den beiden Gelehrtenschulen Pforta und Roßleben
abhanden. Die Armee verlor in Aster ihren begabtesten Offizier, das Be-
amtenthum in Streckfuß, Schönberg, Ferber und dem Vater Theodor
Körner's grade die freimüthigen Männer, welche die Gebrechen des alten
Adelsregiments längst durchschaut und gerügt hatten. Jedoch die schönere

*) Jordan's Bericht, 2. Nov. 1826.

III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
muß den gierigen nordiſchen Adler fürchten und ihm baldigſt Einhalt thun.
Frankreich, Baiern, der Papſt, die in Oeſterreich mächtigen Geiſtlichen,
alle kleineren deutſchen Fürſten, die in Sachſen ihre Exiſtenz gefährdet
ſehen, werden für uns ſprechen und die Flamme des Krieges zwiſchen den
beiden Nebenbuhlern der Oberherrſchaft in Deutſchland bald anfachen!“
Das Volk hielt die Hoffnung auf die Wiedervereinigung der albertiniſchen
Lande faſt ebenſo hartnäckig feſt, wie einſt die Erneſtiner auf die Rück-
gabe des verlorenen Kurhuts gewartet hatten. Die Kinder in den Schulen
ſangen das trutzige Liedlein: „Die Preußen haben uns ’s Land geſtohlen,
wir werden’s uns ſchon wieder holen; Geduld, Geduld, Geduld!“

Obwohl der König in ſeiner ſtrengen Rechtlichkeit den geſchloſſenen
Friedensvertrag unbedingt achtete, ſo war es doch nur eine nothwendige
Folge des Geſchehenen, daß er eine nähere Verbindung mit Preußen jetzt
für ganz unmöglich hielt. Als ſein natürlicher Verbündeter erſchien ihm
fortan Oeſterreich, obgleich der Kaiſerſtaat bei jeder Hungersnoth im Erz-
gebirge regelmäßig ſeine Grenzen ſchloß und ſich auch ſonſt keineswegs als
gefälliger Nachbar erwies. Der ſtille Groll gegen Preußen trat nur darum
nicht auffällig hervor, weil die beiden deutſchen Großmächte jetzt verbündet
waren, und weil Friedrich Auguſt ſich wieder ausſchließlich den Pflichten
der Landesverwaltung widmete. Die große Politik lag nicht in ſeinem
Geſichtskreiſe, indeß fühlte er ſich ſtets geſchmeichelt, wenn ihm die Ge-
ſandten der Großmächte etwas von den Wirren draußen in der Welt er-
zählten.*) Am Bundestage ſtimmte der ſächſiſche Geſandte gehorſam mit
Oeſterreich und ließ im Uebrigen ſo wenig von ſich hören, daß Metternich
zuweilen freundlich mahnte, der Dresdener Hof möge ſeine treffliche Ge-
ſinnung doch etwas lebhafter bethätigen. Alſo wirkte die Landestheilung
noch lange unheilvoll auf die ſächſiſche Politik zurück. Sie nährte im Volke
einen kleinlichen particulariſtiſchen Aerger, der den deutſchen Nationalſtolz
ganz überwucherte; ſie erſchwerte dem Hofe wie dem Volke, die großen
wirthſchaftlichen Intereſſen, welche dieſen Staat mit Preußen verbanden,
rechtzeitig zu erkennen.

Allerdings hatte das Land unerſetzliche Einbußen erlitten. Verloren
war außer den ſchönen thüringiſchen Stiftslanden und dem größten Theile
der Lauſitzen auch der Stolz Oberſachſens, der Kurkreis; ein gerechtes
Geſchick brachte die Heimath der Reformation wieder unter ein treues
proteſtantiſches Herrſcherhaus. Und wie viele köſtliche geiſtige Kräfte kamen
dem Staate allein mit den beiden Gelehrtenſchulen Pforta und Roßleben
abhanden. Die Armee verlor in Aſter ihren begabteſten Offizier, das Be-
amtenthum in Streckfuß, Schönberg, Ferber und dem Vater Theodor
Körner’s grade die freimüthigen Männer, welche die Gebrechen des alten
Adelsregiments längſt durchſchaut und gerügt hatten. Jedoch die ſchönere

*) Jordan’s Bericht, 2. Nov. 1826.
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[502/0518] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. muß den gierigen nordiſchen Adler fürchten und ihm baldigſt Einhalt thun. Frankreich, Baiern, der Papſt, die in Oeſterreich mächtigen Geiſtlichen, alle kleineren deutſchen Fürſten, die in Sachſen ihre Exiſtenz gefährdet ſehen, werden für uns ſprechen und die Flamme des Krieges zwiſchen den beiden Nebenbuhlern der Oberherrſchaft in Deutſchland bald anfachen!“ Das Volk hielt die Hoffnung auf die Wiedervereinigung der albertiniſchen Lande faſt ebenſo hartnäckig feſt, wie einſt die Erneſtiner auf die Rück- gabe des verlorenen Kurhuts gewartet hatten. Die Kinder in den Schulen ſangen das trutzige Liedlein: „Die Preußen haben uns ’s Land geſtohlen, wir werden’s uns ſchon wieder holen; Geduld, Geduld, Geduld!“ Obwohl der König in ſeiner ſtrengen Rechtlichkeit den geſchloſſenen Friedensvertrag unbedingt achtete, ſo war es doch nur eine nothwendige Folge des Geſchehenen, daß er eine nähere Verbindung mit Preußen jetzt für ganz unmöglich hielt. Als ſein natürlicher Verbündeter erſchien ihm fortan Oeſterreich, obgleich der Kaiſerſtaat bei jeder Hungersnoth im Erz- gebirge regelmäßig ſeine Grenzen ſchloß und ſich auch ſonſt keineswegs als gefälliger Nachbar erwies. Der ſtille Groll gegen Preußen trat nur darum nicht auffällig hervor, weil die beiden deutſchen Großmächte jetzt verbündet waren, und weil Friedrich Auguſt ſich wieder ausſchließlich den Pflichten der Landesverwaltung widmete. Die große Politik lag nicht in ſeinem Geſichtskreiſe, indeß fühlte er ſich ſtets geſchmeichelt, wenn ihm die Ge- ſandten der Großmächte etwas von den Wirren draußen in der Welt er- zählten. *) Am Bundestage ſtimmte der ſächſiſche Geſandte gehorſam mit Oeſterreich und ließ im Uebrigen ſo wenig von ſich hören, daß Metternich zuweilen freundlich mahnte, der Dresdener Hof möge ſeine treffliche Ge- ſinnung doch etwas lebhafter bethätigen. Alſo wirkte die Landestheilung noch lange unheilvoll auf die ſächſiſche Politik zurück. Sie nährte im Volke einen kleinlichen particulariſtiſchen Aerger, der den deutſchen Nationalſtolz ganz überwucherte; ſie erſchwerte dem Hofe wie dem Volke, die großen wirthſchaftlichen Intereſſen, welche dieſen Staat mit Preußen verbanden, rechtzeitig zu erkennen. Allerdings hatte das Land unerſetzliche Einbußen erlitten. Verloren war außer den ſchönen thüringiſchen Stiftslanden und dem größten Theile der Lauſitzen auch der Stolz Oberſachſens, der Kurkreis; ein gerechtes Geſchick brachte die Heimath der Reformation wieder unter ein treues proteſtantiſches Herrſcherhaus. Und wie viele köſtliche geiſtige Kräfte kamen dem Staate allein mit den beiden Gelehrtenſchulen Pforta und Roßleben abhanden. Die Armee verlor in Aſter ihren begabteſten Offizier, das Be- amtenthum in Streckfuß, Schönberg, Ferber und dem Vater Theodor Körner’s grade die freimüthigen Männer, welche die Gebrechen des alten Adelsregiments längſt durchſchaut und gerügt hatten. Jedoch die ſchönere *) Jordan’s Bericht, 2. Nov. 1826.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/518>, abgerufen am 22.11.2024.