III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
1824 entstand, vornehmlich angeregt durch Perthes in Gotha und Fleischer in Leipzig, der Börsenverein der deutschen Buchhändler, und mit ihm eine wohlthätige Centralisation des literarischen Verkehrs, deren kein anderes Land sich rühmen konnte -- ein glänzendes Zeugniß zugleich für die Ge- schäftstüchtigkeit des deutschen Bürgerthums und für die still wirkende Triebkraft des nationalen Gedankens.
Als Meßplatz war Leipzig, obgleich es nicht einmal einen schiffbaren Strom besaß, seit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts allen anderen deutschen Städten vorangekommen: vornehmlich durch die Ueberlegenheit des erzgebirgischen Gewerbfleißes und durch den rührigen Unternehmungs- geist seiner Kaufmannschaft, der von der läßlich bequemen kursächsischen Verwaltung wenig belästigt wurde, während die fridericianische Handels- politik durch ihre wohlgemeinte Bevormundung den Meßhandel von Frank- furt a/O. zu Grunde richtete. Das am Weitesten ostwärts vorgeschobene deutsche Industrieland bildete den natürlichen Markt für die halbgesitteten, den Gewohnheiten des Karavanenhandels noch nicht entwachsenen Völker Osteuropas; und so lange der deutsche Verkehr noch durch die Binnen- mauthen, durch die Anarchie des Maß- und Münzwesens, durch die Zunft- und Bannrechte der Städte unterbunden war, fand auch er noch seinen Vortheil bei der stoßweise wiederkehrenden Handelsfreiheit der Messen. Was die preußische Regierung jetzt noch versuchte um ihre eigenen Meß- plätze Naumburg und Frankfurt a/O. zu heben, war verlorene Arbeit und förderte nur ärgerlichen Nachbarzwist. So oft in Naumburg die Messe eröffnet wurde, that sich in Leipzig eine Winkelmesse auf, von den Behörden unter der Hand geduldet; zur Wiedervergeltung hielten preußische Geschäfts- leute während der Leipziger Messe in Lützen eine Neben-Ledermesse. Aber die Ueberlegenheit Leipzigs war entschieden, und mit dem großstädtischen Verkehre, der sich hier dreimal im Jahre aufstaute, erweiterte sich auch der Gesichtskreis der Bürgerschaft. Wie eine freie Reichsstadt, nicht unbot- mäßig, aber selbständig und mit dem Bewußtsein, daß sie nicht blos dem kleinen Königreiche angehöre, stand Deutschlands zweite Handelsstadt dem Hofe und dem Beamtenthum gegenüber.
Noch wichtiger als Leipzig für den Handel war das kleine Freiberg für den deutschen Bergbau. Hier blühte die erste Bergakademie der Welt, die ihre Schüler bis in die Minen von Mexico und Peru sendete und soeben durch Werner ihren höchsten Ruhm erlangt hatte; denn je kärg- licher die Ausbeute der edlen Metalle im Erzgebirge wurde, um so kunst- voller gestaltete sich der Betrieb. Hier hatten Humboldt und Buch reiche Jugendjahre verlebt, hier hatte Heynitz gewirkt, der Lehrer Stein's, und Novalis das hohe Lied des Bergmanns gedichtet: "wer ist der Herr der Erde? der ihre Tiefen mißt." Dicht nebenan in Tharand leitete der Thüringer Heinrich Cotta die große Forstlehranstalt, die bald für ganz Deutschland ein Muster wurde. Ueberall im Erzgebirge auf und unter
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
1824 entſtand, vornehmlich angeregt durch Perthes in Gotha und Fleiſcher in Leipzig, der Börſenverein der deutſchen Buchhändler, und mit ihm eine wohlthätige Centraliſation des literariſchen Verkehrs, deren kein anderes Land ſich rühmen konnte — ein glänzendes Zeugniß zugleich für die Ge- ſchäftstüchtigkeit des deutſchen Bürgerthums und für die ſtill wirkende Triebkraft des nationalen Gedankens.
Als Meßplatz war Leipzig, obgleich es nicht einmal einen ſchiffbaren Strom beſaß, ſeit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts allen anderen deutſchen Städten vorangekommen: vornehmlich durch die Ueberlegenheit des erzgebirgiſchen Gewerbfleißes und durch den rührigen Unternehmungs- geiſt ſeiner Kaufmannſchaft, der von der läßlich bequemen kurſächſiſchen Verwaltung wenig beläſtigt wurde, während die fridericianiſche Handels- politik durch ihre wohlgemeinte Bevormundung den Meßhandel von Frank- furt a/O. zu Grunde richtete. Das am Weiteſten oſtwärts vorgeſchobene deutſche Induſtrieland bildete den natürlichen Markt für die halbgeſitteten, den Gewohnheiten des Karavanenhandels noch nicht entwachſenen Völker Oſteuropas; und ſo lange der deutſche Verkehr noch durch die Binnen- mauthen, durch die Anarchie des Maß- und Münzweſens, durch die Zunft- und Bannrechte der Städte unterbunden war, fand auch er noch ſeinen Vortheil bei der ſtoßweiſe wiederkehrenden Handelsfreiheit der Meſſen. Was die preußiſche Regierung jetzt noch verſuchte um ihre eigenen Meß- plätze Naumburg und Frankfurt a/O. zu heben, war verlorene Arbeit und förderte nur ärgerlichen Nachbarzwiſt. So oft in Naumburg die Meſſe eröffnet wurde, that ſich in Leipzig eine Winkelmeſſe auf, von den Behörden unter der Hand geduldet; zur Wiedervergeltung hielten preußiſche Geſchäfts- leute während der Leipziger Meſſe in Lützen eine Neben-Ledermeſſe. Aber die Ueberlegenheit Leipzigs war entſchieden, und mit dem großſtädtiſchen Verkehre, der ſich hier dreimal im Jahre aufſtaute, erweiterte ſich auch der Geſichtskreis der Bürgerſchaft. Wie eine freie Reichsſtadt, nicht unbot- mäßig, aber ſelbſtändig und mit dem Bewußtſein, daß ſie nicht blos dem kleinen Königreiche angehöre, ſtand Deutſchlands zweite Handelsſtadt dem Hofe und dem Beamtenthum gegenüber.
Noch wichtiger als Leipzig für den Handel war das kleine Freiberg für den deutſchen Bergbau. Hier blühte die erſte Bergakademie der Welt, die ihre Schüler bis in die Minen von Mexico und Peru ſendete und ſoeben durch Werner ihren höchſten Ruhm erlangt hatte; denn je kärg- licher die Ausbeute der edlen Metalle im Erzgebirge wurde, um ſo kunſt- voller geſtaltete ſich der Betrieb. Hier hatten Humboldt und Buch reiche Jugendjahre verlebt, hier hatte Heynitz gewirkt, der Lehrer Stein’s, und Novalis das hohe Lied des Bergmanns gedichtet: „wer iſt der Herr der Erde? der ihre Tiefen mißt.“ Dicht nebenan in Tharand leitete der Thüringer Heinrich Cotta die große Forſtlehranſtalt, die bald für ganz Deutſchland ein Muſter wurde. Ueberall im Erzgebirge auf und unter
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[504/0520]
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
1824 entſtand, vornehmlich angeregt durch Perthes in Gotha und Fleiſcher
in Leipzig, der Börſenverein der deutſchen Buchhändler, und mit ihm eine
wohlthätige Centraliſation des literariſchen Verkehrs, deren kein anderes
Land ſich rühmen konnte — ein glänzendes Zeugniß zugleich für die Ge-
ſchäftstüchtigkeit des deutſchen Bürgerthums und für die ſtill wirkende
Triebkraft des nationalen Gedankens.
Als Meßplatz war Leipzig, obgleich es nicht einmal einen ſchiffbaren
Strom beſaß, ſeit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts allen anderen
deutſchen Städten vorangekommen: vornehmlich durch die Ueberlegenheit
des erzgebirgiſchen Gewerbfleißes und durch den rührigen Unternehmungs-
geiſt ſeiner Kaufmannſchaft, der von der läßlich bequemen kurſächſiſchen
Verwaltung wenig beläſtigt wurde, während die fridericianiſche Handels-
politik durch ihre wohlgemeinte Bevormundung den Meßhandel von Frank-
furt a/O. zu Grunde richtete. Das am Weiteſten oſtwärts vorgeſchobene
deutſche Induſtrieland bildete den natürlichen Markt für die halbgeſitteten,
den Gewohnheiten des Karavanenhandels noch nicht entwachſenen Völker
Oſteuropas; und ſo lange der deutſche Verkehr noch durch die Binnen-
mauthen, durch die Anarchie des Maß- und Münzweſens, durch die
Zunft- und Bannrechte der Städte unterbunden war, fand auch er noch
ſeinen Vortheil bei der ſtoßweiſe wiederkehrenden Handelsfreiheit der Meſſen.
Was die preußiſche Regierung jetzt noch verſuchte um ihre eigenen Meß-
plätze Naumburg und Frankfurt a/O. zu heben, war verlorene Arbeit und
förderte nur ärgerlichen Nachbarzwiſt. So oft in Naumburg die Meſſe
eröffnet wurde, that ſich in Leipzig eine Winkelmeſſe auf, von den Behörden
unter der Hand geduldet; zur Wiedervergeltung hielten preußiſche Geſchäfts-
leute während der Leipziger Meſſe in Lützen eine Neben-Ledermeſſe. Aber
die Ueberlegenheit Leipzigs war entſchieden, und mit dem großſtädtiſchen
Verkehre, der ſich hier dreimal im Jahre aufſtaute, erweiterte ſich auch
der Geſichtskreis der Bürgerſchaft. Wie eine freie Reichsſtadt, nicht unbot-
mäßig, aber ſelbſtändig und mit dem Bewußtſein, daß ſie nicht blos dem
kleinen Königreiche angehöre, ſtand Deutſchlands zweite Handelsſtadt dem
Hofe und dem Beamtenthum gegenüber.
Noch wichtiger als Leipzig für den Handel war das kleine Freiberg
für den deutſchen Bergbau. Hier blühte die erſte Bergakademie der Welt,
die ihre Schüler bis in die Minen von Mexico und Peru ſendete und
ſoeben durch Werner ihren höchſten Ruhm erlangt hatte; denn je kärg-
licher die Ausbeute der edlen Metalle im Erzgebirge wurde, um ſo kunſt-
voller geſtaltete ſich der Betrieb. Hier hatten Humboldt und Buch reiche
Jugendjahre verlebt, hier hatte Heynitz gewirkt, der Lehrer Stein’s, und
Novalis das hohe Lied des Bergmanns gedichtet: „wer iſt der Herr der
Erde? der ihre Tiefen mißt.“ Dicht nebenan in Tharand leitete der
Thüringer Heinrich Cotta die große Forſtlehranſtalt, die bald für ganz
Deutſchland ein Muſter wurde. Ueberall im Erzgebirge auf und unter
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/520>, abgerufen am 22.11.2024.
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