III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Der greise Herr meinte alle Wünsche seines dankbaren Volkes zu erfüllen, als er mit gewohnter Arbeitsamkeit und Geschäftskenntniß die alte Ord- nung völlig unverändert herstellte, das verrostete Uhrwerk noch einmal aufzog. Nun ging der Pendel wieder gemächlich hin und her, so stätig, so eintönig, daß der preußische Gesandte immer nur über Eines berichten konnte: über "den hier fortdauernden Mangel an Ereignissen von größerem Interesse."*) Unter allen Berichten der preußischen Diplomatie waren die Dresdener die leersten.
Sofort nach der Heimkehr stellte der König die alte steife Hofetikette wieder her, die einst den Berlinern, als er dort in Kriegsgefangenschaft weilte, so viel Anlaß zu schnöden Witzen gegeben hatte. Wie er, durch und durch Gewohnheitsmensch, sein schönes musikalisches Talent noch immer auf dem alten Silbermann'schen Kielflügel übte, als wäre das Piano nicht schon längst erfunden gewesen, so wollte er auch seinen Hof streng auf dem Stande von 1780 erhalten und entschloß sich nur ungern, einige der vermessenen Neuerungen, deren der russische Gouverneur Fürst Repnin sich erdreistet, stillschweigend anzuerkennen. Der hatte die kostbare gelbblaue Schweizergarde aufgelöst, den Großen Garten der öffentlichen Benutzung übergeben, die Brühl'sche Terrasse durch eine Freitreppe mit dem Schloß- platze verbunden. Diese Frevel der Fremdherrschaft ließen sich nicht mehr rückgängig machen. Späterhin wurden sogar einige der Dresdener Kunstsammlungen dem Publicum geöffnet; sie waren bisher als Hofge- heimniß behandelt und, den Eingebornen fast unbekannt, nur von einzelnen Künstlern und von Fremden, gegen das herkömmliche altsächsische Douceur, besucht worden. Im Uebrigen blieb der Hof so unnahbar wie je. Tag für Tag standen bei Tafel zwei Kammerherren hinter dem Könige, hoben ihm erst den linken, dann den rechten Frackschoß in die Höhe und schoben ihm den Stuhl unter; Abend für Abend erschien er mit dem gesammten Hofstaate im Theater, wo Morlachi die italienische Oper leitete. An jedem Wintersonntag nach der Messe harrten die wohlerzogenen Knaben der höheren Stände in den Gängen des Schlosses um den würdevollen Zug der heimkehrenden "Herrschaften" zu bewundern: voran schritt eine Schaar von Läufern, Hoffourieren, Kammerherren und Adjutanten, dann der König in seiner altväterischen Tracht, bezopft und gepudert, die Hände in einen großen Muff vergraben, darauf die fast ebenso alten Prinzen Anton und Max, ebenfalls mit Muffs, den Chapeau-bas unter dem Arme -- ein wundersames Schauspiel, dem nur ein Dresdener Gemüth mit ungetrübter Andacht beiwohnen konnte. Niemals erschien der König zu Fuß in den Straßen; das schöne soeben wiederhergestellte Denkmal seines Ahnherrn Moritz bekam er nie zu Gesicht, weil es in den Anlagen hundert Schritt von der Fahrstraße entfernt stand. Wollte er eine durchreisende Mena-
*) Jordan's Bericht, 12. Juli 1819 ff.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Der greiſe Herr meinte alle Wünſche ſeines dankbaren Volkes zu erfüllen, als er mit gewohnter Arbeitſamkeit und Geſchäftskenntniß die alte Ord- nung völlig unverändert herſtellte, das verroſtete Uhrwerk noch einmal aufzog. Nun ging der Pendel wieder gemächlich hin und her, ſo ſtätig, ſo eintönig, daß der preußiſche Geſandte immer nur über Eines berichten konnte: über „den hier fortdauernden Mangel an Ereigniſſen von größerem Intereſſe.“*) Unter allen Berichten der preußiſchen Diplomatie waren die Dresdener die leerſten.
Sofort nach der Heimkehr ſtellte der König die alte ſteife Hofetikette wieder her, die einſt den Berlinern, als er dort in Kriegsgefangenſchaft weilte, ſo viel Anlaß zu ſchnöden Witzen gegeben hatte. Wie er, durch und durch Gewohnheitsmenſch, ſein ſchönes muſikaliſches Talent noch immer auf dem alten Silbermann’ſchen Kielflügel übte, als wäre das Piano nicht ſchon längſt erfunden geweſen, ſo wollte er auch ſeinen Hof ſtreng auf dem Stande von 1780 erhalten und entſchloß ſich nur ungern, einige der vermeſſenen Neuerungen, deren der ruſſiſche Gouverneur Fürſt Repnin ſich erdreiſtet, ſtillſchweigend anzuerkennen. Der hatte die koſtbare gelbblaue Schweizergarde aufgelöſt, den Großen Garten der öffentlichen Benutzung übergeben, die Brühl’ſche Terraſſe durch eine Freitreppe mit dem Schloß- platze verbunden. Dieſe Frevel der Fremdherrſchaft ließen ſich nicht mehr rückgängig machen. Späterhin wurden ſogar einige der Dresdener Kunſtſammlungen dem Publicum geöffnet; ſie waren bisher als Hofge- heimniß behandelt und, den Eingebornen faſt unbekannt, nur von einzelnen Künſtlern und von Fremden, gegen das herkömmliche altſächſiſche Douceur, beſucht worden. Im Uebrigen blieb der Hof ſo unnahbar wie je. Tag für Tag ſtanden bei Tafel zwei Kammerherren hinter dem Könige, hoben ihm erſt den linken, dann den rechten Frackſchoß in die Höhe und ſchoben ihm den Stuhl unter; Abend für Abend erſchien er mit dem geſammten Hofſtaate im Theater, wo Morlachi die italieniſche Oper leitete. An jedem Winterſonntag nach der Meſſe harrten die wohlerzogenen Knaben der höheren Stände in den Gängen des Schloſſes um den würdevollen Zug der heimkehrenden „Herrſchaften“ zu bewundern: voran ſchritt eine Schaar von Läufern, Hoffourieren, Kammerherren und Adjutanten, dann der König in ſeiner altväteriſchen Tracht, bezopft und gepudert, die Hände in einen großen Muff vergraben, darauf die faſt ebenſo alten Prinzen Anton und Max, ebenfalls mit Muffs, den Chapeau-bas unter dem Arme — ein wunderſames Schauſpiel, dem nur ein Dresdener Gemüth mit ungetrübter Andacht beiwohnen konnte. Niemals erſchien der König zu Fuß in den Straßen; das ſchöne ſoeben wiederhergeſtellte Denkmal ſeines Ahnherrn Moritz bekam er nie zu Geſicht, weil es in den Anlagen hundert Schritt von der Fahrſtraße entfernt ſtand. Wollte er eine durchreiſende Mena-
*) Jordan’s Bericht, 12. Juli 1819 ff.
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Der greiſe Herr meinte alle Wünſche ſeines dankbaren Volkes zu erfüllen,
als er mit gewohnter Arbeitſamkeit und Geſchäftskenntniß die alte Ord-
nung völlig unverändert herſtellte, das verroſtete Uhrwerk noch einmal
aufzog. Nun ging der Pendel wieder gemächlich hin und her, ſo ſtätig,
ſo eintönig, daß der preußiſche Geſandte immer nur über Eines berichten
konnte: über „den hier fortdauernden Mangel an Ereigniſſen von größerem
Intereſſe.“ *) Unter allen Berichten der preußiſchen Diplomatie waren die
Dresdener die leerſten.
Sofort nach der Heimkehr ſtellte der König die alte ſteife Hofetikette
wieder her, die einſt den Berlinern, als er dort in Kriegsgefangenſchaft
weilte, ſo viel Anlaß zu ſchnöden Witzen gegeben hatte. Wie er, durch
und durch Gewohnheitsmenſch, ſein ſchönes muſikaliſches Talent noch immer
auf dem alten Silbermann’ſchen Kielflügel übte, als wäre das Piano nicht
ſchon längſt erfunden geweſen, ſo wollte er auch ſeinen Hof ſtreng auf
dem Stande von 1780 erhalten und entſchloß ſich nur ungern, einige der
vermeſſenen Neuerungen, deren der ruſſiſche Gouverneur Fürſt Repnin ſich
erdreiſtet, ſtillſchweigend anzuerkennen. Der hatte die koſtbare gelbblaue
Schweizergarde aufgelöſt, den Großen Garten der öffentlichen Benutzung
übergeben, die Brühl’ſche Terraſſe durch eine Freitreppe mit dem Schloß-
platze verbunden. Dieſe Frevel der Fremdherrſchaft ließen ſich nicht
mehr rückgängig machen. Späterhin wurden ſogar einige der Dresdener
Kunſtſammlungen dem Publicum geöffnet; ſie waren bisher als Hofge-
heimniß behandelt und, den Eingebornen faſt unbekannt, nur von einzelnen
Künſtlern und von Fremden, gegen das herkömmliche altſächſiſche Douceur,
beſucht worden. Im Uebrigen blieb der Hof ſo unnahbar wie je. Tag
für Tag ſtanden bei Tafel zwei Kammerherren hinter dem Könige, hoben
ihm erſt den linken, dann den rechten Frackſchoß in die Höhe und ſchoben
ihm den Stuhl unter; Abend für Abend erſchien er mit dem geſammten
Hofſtaate im Theater, wo Morlachi die italieniſche Oper leitete. An jedem
Winterſonntag nach der Meſſe harrten die wohlerzogenen Knaben der
höheren Stände in den Gängen des Schloſſes um den würdevollen Zug
der heimkehrenden „Herrſchaften“ zu bewundern: voran ſchritt eine Schaar
von Läufern, Hoffourieren, Kammerherren und Adjutanten, dann der König
in ſeiner altväteriſchen Tracht, bezopft und gepudert, die Hände in einen
großen Muff vergraben, darauf die faſt ebenſo alten Prinzen Anton und
Max, ebenfalls mit Muffs, den Chapeau-bas unter dem Arme — ein
wunderſames Schauſpiel, dem nur ein Dresdener Gemüth mit ungetrübter
Andacht beiwohnen konnte. Niemals erſchien der König zu Fuß in den
Straßen; das ſchöne ſoeben wiederhergeſtellte Denkmal ſeines Ahnherrn
Moritz bekam er nie zu Geſicht, weil es in den Anlagen hundert Schritt
von der Fahrſtraße entfernt ſtand. Wollte er eine durchreiſende Mena-
*) Jordan’s Bericht, 12. Juli 1819 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/522>, abgerufen am 22.11.2024.
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