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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Hof. Einsiedel.
gerie sehen, so mußten die Elephanten und die Schlangen zu ihm in den
Schloßhof kommen. Wie erstaunten die Dresdener, als König Max
Joseph, auf Besuch bei ihrem Hofe, vergnüglich nach seiner Münchener
Gewohnheit in der Stadt umherschlenderte und sogar mit Bürgers-
leuten redete: der sächsische König sprach mit Keinem der nicht Obersten-
rang hatte.

Wohl Niemand mochte über den Druck dieses höfischen Zwanges so
herzlich seufzen, wie die begabten Kinder des Prinzen Max. Da war
Prinz Friedrich August, die Hoffnung des Landes, ein liebenswürdiger
junger Herr, der geistreiche Gespräche liebte und sogar für die Ideen des
Liberalismus Verständniß zeigte; er verkehrte viel mit Wangenheim, als
dieser nach seiner Entlassung in Dresden lebte, und der allezeit hoffnungs-
volle Triaspolitiker erwartete schon zuversichtlich, dereinst an die Spitze
des sächsischen Ministeriums berufen zu werden.*) Der jüngere Bruder
Prinz Johann schwärmte für Dante und schilderte das Unglück Italiens
zuweilen in Versen, welche im Munde eines so nahen Verwandten des
Erzhauses fast frevelhaft klangen:

Freche Sklaven der Tyrannen spielen
Mit der Stolzen, die das Meer bezwang,
Feigheit flieht wo einst die Fabier fielen,
Schmeichler faseln wo ein Dante sang.**)

Die Schwester Prinzessin Amalie schrieb kleine Schauspiele, mit beschei-
denem Talent, aber mit warmer natürlicher Empfindung und überraschen-
der Kenntniß des bürgerlichen Kleinlebens.

Neben dem Könige, vor dem Alles in scheuer Ehrfurcht erstarb, durfte
der freiere Ton dieses jungen Hofes freilich nicht laut werden. Nach
unten hin drückte der Vorstand des Geheimen Cabinets, der leitende Mi-
nister Graf Einsiedel, ein hagerer, steifer, wortkarger Mann, des Monar-
chen unterwürfiger Diener, trotz seiner jungen Jahre schon ganz einge-
froren im kursächsischen Hof- und Adelsbrauche. Die Fanatiker des Par-
ticularismus betrachteten ihn anfangs mit Argwohn, weil er in der preu-
ßischen Lausitz begütert und also "Vasall" des Landesfeindes war.***) In
Wahrheit hörte der Gesichtskreis seines politischen Denkens genau an der
Stelle auf, wo die grünweißen Grenzpfähle standen; die übrige Welt da
draußen kannte er kaum -- sein preußisches Eisenwerk Lauchhammer aus-
genommen -- und wollte sie auch nicht kennen. Kurz vor der Rückkehr des
Königs war dessen langjähriger Günstling Graf Marcolini gestorben, der im
Lande allgemein verhaßte "Contino", ein Italiener von der frivolen altbour-
bonischen Art, dem mindestens das eine Verdienst gebührte, daß er seinen
königlichen Freund etwas aufgeheitert und der Macht der Beichtväter die

*) Wangenheim an Hartmann, 20. Febr. 1824, 23. Sept. 1827.
**) Wangenheim an Hartmann, 4. Jan. 1824.
***) Bericht des Hofraths Heun, 23. Juli 1817.

Der Hof. Einſiedel.
gerie ſehen, ſo mußten die Elephanten und die Schlangen zu ihm in den
Schloßhof kommen. Wie erſtaunten die Dresdener, als König Max
Joſeph, auf Beſuch bei ihrem Hofe, vergnüglich nach ſeiner Münchener
Gewohnheit in der Stadt umherſchlenderte und ſogar mit Bürgers-
leuten redete: der ſächſiſche König ſprach mit Keinem der nicht Oberſten-
rang hatte.

Wohl Niemand mochte über den Druck dieſes höfiſchen Zwanges ſo
herzlich ſeufzen, wie die begabten Kinder des Prinzen Max. Da war
Prinz Friedrich Auguſt, die Hoffnung des Landes, ein liebenswürdiger
junger Herr, der geiſtreiche Geſpräche liebte und ſogar für die Ideen des
Liberalismus Verſtändniß zeigte; er verkehrte viel mit Wangenheim, als
dieſer nach ſeiner Entlaſſung in Dresden lebte, und der allezeit hoffnungs-
volle Triaspolitiker erwartete ſchon zuverſichtlich, dereinſt an die Spitze
des ſächſiſchen Miniſteriums berufen zu werden.*) Der jüngere Bruder
Prinz Johann ſchwärmte für Dante und ſchilderte das Unglück Italiens
zuweilen in Verſen, welche im Munde eines ſo nahen Verwandten des
Erzhauſes faſt frevelhaft klangen:

Freche Sklaven der Tyrannen ſpielen
Mit der Stolzen, die das Meer bezwang,
Feigheit flieht wo einſt die Fabier fielen,
Schmeichler faſeln wo ein Dante ſang.**)

Die Schweſter Prinzeſſin Amalie ſchrieb kleine Schauſpiele, mit beſchei-
denem Talent, aber mit warmer natürlicher Empfindung und überraſchen-
der Kenntniß des bürgerlichen Kleinlebens.

Neben dem Könige, vor dem Alles in ſcheuer Ehrfurcht erſtarb, durfte
der freiere Ton dieſes jungen Hofes freilich nicht laut werden. Nach
unten hin drückte der Vorſtand des Geheimen Cabinets, der leitende Mi-
niſter Graf Einſiedel, ein hagerer, ſteifer, wortkarger Mann, des Monar-
chen unterwürfiger Diener, trotz ſeiner jungen Jahre ſchon ganz einge-
froren im kurſächſiſchen Hof- und Adelsbrauche. Die Fanatiker des Par-
ticularismus betrachteten ihn anfangs mit Argwohn, weil er in der preu-
ßiſchen Lauſitz begütert und alſo „Vaſall“ des Landesfeindes war.***) In
Wahrheit hörte der Geſichtskreis ſeines politiſchen Denkens genau an der
Stelle auf, wo die grünweißen Grenzpfähle ſtanden; die übrige Welt da
draußen kannte er kaum — ſein preußiſches Eiſenwerk Lauchhammer aus-
genommen — und wollte ſie auch nicht kennen. Kurz vor der Rückkehr des
Königs war deſſen langjähriger Günſtling Graf Marcolini geſtorben, der im
Lande allgemein verhaßte „Contino“, ein Italiener von der frivolen altbour-
boniſchen Art, dem mindeſtens das eine Verdienſt gebührte, daß er ſeinen
königlichen Freund etwas aufgeheitert und der Macht der Beichtväter die

*) Wangenheim an Hartmann, 20. Febr. 1824, 23. Sept. 1827.
**) Wangenheim an Hartmann, 4. Jan. 1824.
***) Bericht des Hofraths Heun, 23. Juli 1817.
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[507/0523] Der Hof. Einſiedel. gerie ſehen, ſo mußten die Elephanten und die Schlangen zu ihm in den Schloßhof kommen. Wie erſtaunten die Dresdener, als König Max Joſeph, auf Beſuch bei ihrem Hofe, vergnüglich nach ſeiner Münchener Gewohnheit in der Stadt umherſchlenderte und ſogar mit Bürgers- leuten redete: der ſächſiſche König ſprach mit Keinem der nicht Oberſten- rang hatte. Wohl Niemand mochte über den Druck dieſes höfiſchen Zwanges ſo herzlich ſeufzen, wie die begabten Kinder des Prinzen Max. Da war Prinz Friedrich Auguſt, die Hoffnung des Landes, ein liebenswürdiger junger Herr, der geiſtreiche Geſpräche liebte und ſogar für die Ideen des Liberalismus Verſtändniß zeigte; er verkehrte viel mit Wangenheim, als dieſer nach ſeiner Entlaſſung in Dresden lebte, und der allezeit hoffnungs- volle Triaspolitiker erwartete ſchon zuverſichtlich, dereinſt an die Spitze des ſächſiſchen Miniſteriums berufen zu werden. *) Der jüngere Bruder Prinz Johann ſchwärmte für Dante und ſchilderte das Unglück Italiens zuweilen in Verſen, welche im Munde eines ſo nahen Verwandten des Erzhauſes faſt frevelhaft klangen: Freche Sklaven der Tyrannen ſpielen Mit der Stolzen, die das Meer bezwang, Feigheit flieht wo einſt die Fabier fielen, Schmeichler faſeln wo ein Dante ſang. **) Die Schweſter Prinzeſſin Amalie ſchrieb kleine Schauſpiele, mit beſchei- denem Talent, aber mit warmer natürlicher Empfindung und überraſchen- der Kenntniß des bürgerlichen Kleinlebens. Neben dem Könige, vor dem Alles in ſcheuer Ehrfurcht erſtarb, durfte der freiere Ton dieſes jungen Hofes freilich nicht laut werden. Nach unten hin drückte der Vorſtand des Geheimen Cabinets, der leitende Mi- niſter Graf Einſiedel, ein hagerer, ſteifer, wortkarger Mann, des Monar- chen unterwürfiger Diener, trotz ſeiner jungen Jahre ſchon ganz einge- froren im kurſächſiſchen Hof- und Adelsbrauche. Die Fanatiker des Par- ticularismus betrachteten ihn anfangs mit Argwohn, weil er in der preu- ßiſchen Lauſitz begütert und alſo „Vaſall“ des Landesfeindes war. ***) In Wahrheit hörte der Geſichtskreis ſeines politiſchen Denkens genau an der Stelle auf, wo die grünweißen Grenzpfähle ſtanden; die übrige Welt da draußen kannte er kaum — ſein preußiſches Eiſenwerk Lauchhammer aus- genommen — und wollte ſie auch nicht kennen. Kurz vor der Rückkehr des Königs war deſſen langjähriger Günſtling Graf Marcolini geſtorben, der im Lande allgemein verhaßte „Contino“, ein Italiener von der frivolen altbour- boniſchen Art, dem mindeſtens das eine Verdienſt gebührte, daß er ſeinen königlichen Freund etwas aufgeheitert und der Macht der Beichtväter die *) Wangenheim an Hartmann, 20. Febr. 1824, 23. Sept. 1827. **) Wangenheim an Hartmann, 4. Jan. 1824. ***) Bericht des Hofraths Heun, 23. Juli 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/523>, abgerufen am 22.11.2024.