münzen eigensinnig festhielt, obgleich die leichteren preußischen Thaler längst das gesammte Land überschwemmt hatten. Die Industrie des Erzgebirges sah sich bald großentheils, die der Lausitz fast ausschließlich auf den Schmuggel nach Oesterreich angewiesen, und die Geschäftsleute der alten Schule fanden diesen Schleichhandel segensreich. Wer aber die Verwilde- rung des Volkes an der Grenze beobachtete, mußte doch bedenklich werden und besorgt fragen: ob man so weiter leben könne, abgetrennt von der See und dem nordischen Markte?
Gleich allen Institutionen dieses Staates war auch der Landtag, wie er gern von sich rühmte, "schon aus dem Geiste der biederen Vorzeit ent- sprossen." "Höchstdero getreue Stände, an Prälaten, Grafen und Herren, denen von der Ritterschaft und Städten" -- so lautete der amtliche Titel -- waren freilich arg zusammengeschmolzen. Der erste Stand zählte seit der Theilung nur noch drei Köpfe. Im Stande der Ritterschaft erschienen alle Rittergutsbesitzer, die acht Ahnen aufweisen konnten; nur den katho- lischen Adelsfamilien aus Polen, Italien, Irland, welche seit dem Ueber- tritte der Dynastie an den Hof gekommen, wurde die deutsche Ahnen- probe erlassen. Die Folge war, daß reichlich drei Viertel der Ritterguts- besitzer nicht mehr den Landtag besuchen durften; im Leipziger Kreise, wo die Kaufherren der Meßstadt zahlreiche Güter angekauft hatten, waren von 217 Rittergütern nur noch 14 landtagsfähig. Die Vertreter der Städte ernannte der Stadtrath allein, die Bauernschaft war gänzlich aus- geschlossen. Der Landtag durfte über Gesetzvorschläge nur berathen, besaß aber ein so wohlgesichertes Steuerbewilligungsrecht, daß er jede ernstliche Reform zu vereiteln vermochte; selbst August der Starke hatte nur selten gewagt eine unbewilligte Auflage auszuschreiben und lieber Land und Leute an die Nachbarfürsten verkauft um die Kosten seines Hofhalts zu bestreiten. In dem Labyrinthe dieser ständischen Steuerverwaltung wußten sich nur vereinzelte Kenner zurechtzufinden. Die Grundsteuern, von denen die Ritterhufen natürlich frei waren, wurden in Groschenschocken erhoben, nach Katastern aus dem siebzehnten Jahrhundert; da aber inzwischen die nor- dischen, die schlesischen und die napoleonischen Kriege über die obersächsische Schlachtenebene dahingestürmt waren, so hatte sich Manches geändert, und man fand neben den "gangbaren" auch viele "moderirte, decremente, caduke und ermangelnde" Schocke.
Der ganze Zustand war so ungeheuerlich, daß die Krone selber in zwei Fällen eine kleine Aenderung nicht von der Hand weisen konnte. Die seit Jahrzehnten vergeblich erstrebte ständische Union der Erblande mit den kleinen Nebenlanden ließ sich nicht länger mehr abwehren, da seit der Landestheilung nur noch ein Stück der Oberlausitz sowie einige Fetzen der Stiftslande Naumburg und Merseburg bei dem Königreiche verblieben. Diese Trümmerstücke wurden jetzt endlich (1817) in den Landtag der Erb- lande eingefügt; indeß behielt die Lausitz noch immer ihren besonderen
Der Landtag.
münzen eigenſinnig feſthielt, obgleich die leichteren preußiſchen Thaler längſt das geſammte Land überſchwemmt hatten. Die Induſtrie des Erzgebirges ſah ſich bald großentheils, die der Lauſitz faſt ausſchließlich auf den Schmuggel nach Oeſterreich angewieſen, und die Geſchäftsleute der alten Schule fanden dieſen Schleichhandel ſegensreich. Wer aber die Verwilde- rung des Volkes an der Grenze beobachtete, mußte doch bedenklich werden und beſorgt fragen: ob man ſo weiter leben könne, abgetrennt von der See und dem nordiſchen Markte?
Gleich allen Inſtitutionen dieſes Staates war auch der Landtag, wie er gern von ſich rühmte, „ſchon aus dem Geiſte der biederen Vorzeit ent- ſproſſen.“ „Höchſtdero getreue Stände, an Prälaten, Grafen und Herren, denen von der Ritterſchaft und Städten“ — ſo lautete der amtliche Titel — waren freilich arg zuſammengeſchmolzen. Der erſte Stand zählte ſeit der Theilung nur noch drei Köpfe. Im Stande der Ritterſchaft erſchienen alle Rittergutsbeſitzer, die acht Ahnen aufweiſen konnten; nur den katho- liſchen Adelsfamilien aus Polen, Italien, Irland, welche ſeit dem Ueber- tritte der Dynaſtie an den Hof gekommen, wurde die deutſche Ahnen- probe erlaſſen. Die Folge war, daß reichlich drei Viertel der Ritterguts- beſitzer nicht mehr den Landtag beſuchen durften; im Leipziger Kreiſe, wo die Kaufherren der Meßſtadt zahlreiche Güter angekauft hatten, waren von 217 Rittergütern nur noch 14 landtagsfähig. Die Vertreter der Städte ernannte der Stadtrath allein, die Bauernſchaft war gänzlich aus- geſchloſſen. Der Landtag durfte über Geſetzvorſchläge nur berathen, beſaß aber ein ſo wohlgeſichertes Steuerbewilligungsrecht, daß er jede ernſtliche Reform zu vereiteln vermochte; ſelbſt Auguſt der Starke hatte nur ſelten gewagt eine unbewilligte Auflage auszuſchreiben und lieber Land und Leute an die Nachbarfürſten verkauft um die Koſten ſeines Hofhalts zu beſtreiten. In dem Labyrinthe dieſer ſtändiſchen Steuerverwaltung wußten ſich nur vereinzelte Kenner zurechtzufinden. Die Grundſteuern, von denen die Ritterhufen natürlich frei waren, wurden in Groſchenſchocken erhoben, nach Kataſtern aus dem ſiebzehnten Jahrhundert; da aber inzwiſchen die nor- diſchen, die ſchleſiſchen und die napoleoniſchen Kriege über die oberſächſiſche Schlachtenebene dahingeſtürmt waren, ſo hatte ſich Manches geändert, und man fand neben den „gangbaren“ auch viele „moderirte, decremente, caduke und ermangelnde“ Schocke.
Der ganze Zuſtand war ſo ungeheuerlich, daß die Krone ſelber in zwei Fällen eine kleine Aenderung nicht von der Hand weiſen konnte. Die ſeit Jahrzehnten vergeblich erſtrebte ſtändiſche Union der Erblande mit den kleinen Nebenlanden ließ ſich nicht länger mehr abwehren, da ſeit der Landestheilung nur noch ein Stück der Oberlauſitz ſowie einige Fetzen der Stiftslande Naumburg und Merſeburg bei dem Königreiche verblieben. Dieſe Trümmerſtücke wurden jetzt endlich (1817) in den Landtag der Erb- lande eingefügt; indeß behielt die Lauſitz noch immer ihren beſonderen
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[511/0527]
Der Landtag.
münzen eigenſinnig feſthielt, obgleich die leichteren preußiſchen Thaler längſt
das geſammte Land überſchwemmt hatten. Die Induſtrie des Erzgebirges
ſah ſich bald großentheils, die der Lauſitz faſt ausſchließlich auf den
Schmuggel nach Oeſterreich angewieſen, und die Geſchäftsleute der alten
Schule fanden dieſen Schleichhandel ſegensreich. Wer aber die Verwilde-
rung des Volkes an der Grenze beobachtete, mußte doch bedenklich werden
und beſorgt fragen: ob man ſo weiter leben könne, abgetrennt von der
See und dem nordiſchen Markte?
Gleich allen Inſtitutionen dieſes Staates war auch der Landtag, wie
er gern von ſich rühmte, „ſchon aus dem Geiſte der biederen Vorzeit ent-
ſproſſen.“ „Höchſtdero getreue Stände, an Prälaten, Grafen und Herren,
denen von der Ritterſchaft und Städten“ — ſo lautete der amtliche Titel
— waren freilich arg zuſammengeſchmolzen. Der erſte Stand zählte ſeit
der Theilung nur noch drei Köpfe. Im Stande der Ritterſchaft erſchienen
alle Rittergutsbeſitzer, die acht Ahnen aufweiſen konnten; nur den katho-
liſchen Adelsfamilien aus Polen, Italien, Irland, welche ſeit dem Ueber-
tritte der Dynaſtie an den Hof gekommen, wurde die deutſche Ahnen-
probe erlaſſen. Die Folge war, daß reichlich drei Viertel der Ritterguts-
beſitzer nicht mehr den Landtag beſuchen durften; im Leipziger Kreiſe, wo
die Kaufherren der Meßſtadt zahlreiche Güter angekauft hatten, waren
von 217 Rittergütern nur noch 14 landtagsfähig. Die Vertreter der
Städte ernannte der Stadtrath allein, die Bauernſchaft war gänzlich aus-
geſchloſſen. Der Landtag durfte über Geſetzvorſchläge nur berathen, beſaß
aber ein ſo wohlgeſichertes Steuerbewilligungsrecht, daß er jede ernſtliche
Reform zu vereiteln vermochte; ſelbſt Auguſt der Starke hatte nur ſelten
gewagt eine unbewilligte Auflage auszuſchreiben und lieber Land und Leute
an die Nachbarfürſten verkauft um die Koſten ſeines Hofhalts zu beſtreiten.
In dem Labyrinthe dieſer ſtändiſchen Steuerverwaltung wußten ſich nur
vereinzelte Kenner zurechtzufinden. Die Grundſteuern, von denen die
Ritterhufen natürlich frei waren, wurden in Groſchenſchocken erhoben, nach
Kataſtern aus dem ſiebzehnten Jahrhundert; da aber inzwiſchen die nor-
diſchen, die ſchleſiſchen und die napoleoniſchen Kriege über die oberſächſiſche
Schlachtenebene dahingeſtürmt waren, ſo hatte ſich Manches geändert, und
man fand neben den „gangbaren“ auch viele „moderirte, decremente,
caduke und ermangelnde“ Schocke.
Der ganze Zuſtand war ſo ungeheuerlich, daß die Krone ſelber in
zwei Fällen eine kleine Aenderung nicht von der Hand weiſen konnte. Die
ſeit Jahrzehnten vergeblich erſtrebte ſtändiſche Union der Erblande mit den
kleinen Nebenlanden ließ ſich nicht länger mehr abwehren, da ſeit der
Landestheilung nur noch ein Stück der Oberlauſitz ſowie einige Fetzen der
Stiftslande Naumburg und Merſeburg bei dem Königreiche verblieben.
Dieſe Trümmerſtücke wurden jetzt endlich (1817) in den Landtag der Erb-
lande eingefügt; indeß behielt die Lauſitz noch immer ihren beſonderen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/527>, abgerufen am 22.11.2024.
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