III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Markgrafschaftslandtag, der von den adlichen Rittern und den vier Sechs- städten beschickt wurde. Drei Jahre darauf wurde, nach lebhaftem Kampfe zwischen Ritterschaft und Städten, beschlossen, daß die Rittergutsbesitzer, welche die Ahnenprobe nicht bestehen konnten, insgesammt vierzig gewählte Vertreter in den Landtag senden sollten. Die Prälaten, Grafen und Herren waren jedoch schlechterdings nicht zu bewegen, sich mit der Ritterschaft zu einem Stande zu vereinigen; sie meinten schon ein großes Opfer zu bringen, indem sie die Universität Leipzig in ihre Mitte aufnahmen. Als die Stände den Wunsch aussprachen, eine kurze Uebersicht über die Aus- gaben und Einnahmen zu erhalten, konnte der greise König sich nicht ent- schließen, dieser Beschwerde "abhelfliche Maße zu ertheilen". Die Gewäh- rung der Bitte war auch nicht nöthig, da doch Niemand den heillosen Dualismus des Finanzwesens aufheben wollte und im Uebrigen Alles ehrlich zuging.
Die beantragte Veröffentlichung eines Theiles der Landtagsverhand- lungen verwarf der König ebenfalls, denn das unverbrüchliche Amtsge- heimniß galt für eine Säule des altsächsischen Staates; überdies war die Oeffentlichkeit der Landtage eben jetzt in Wien wie in Frankfurt als dema- gogisch verrufen. Einem Leipziger Gelehrten, der im Nürnberger Corre- spondenten Einiges aus den Verhandlungen der Stände erzählt hatte, wurde das Allerhöchste "Mißbelieben" nachdrücklich ausgesprochen. Um doch etwas zu thun, ließ der König in der Gesetzsammlung einen kurzen Landtagsbericht veröffentlichen, der aber mit den Schnirkeln und Schnör- keln des sächsischen Kanzleistils so reichlich ausgestattet war, daß Niemand ihn lesen konnte. Uebrigens würden die Leser auch die unverkürzte Mit- theilung dieser Ständeverhandlungen schwerlich vertragen haben. Im Jahre 1820 ließen sich die getreuen Stände also vernehmen: "Dankbar priesen sie seitdem die Vorsehung an jenem gleichwichtigen Tage, in wel- chem das Vorbild der Regenten sowie der Inbegriff aller häuslichen Tu- genden sich in dem Glanz eines vollendeten halben Jahrhunderts ver- herrlichte. Mit nicht minder treu devotester Theilnahme vernahmen sie die Kunde der fröhlichen Ereignisse, die während dieser Zeit in Allerhöchst- dero Königlichem Hause stattfanden, insbesondere der beglückenden Bande, die es von Neuem an das erhabenste Kaiserhaus knüpfen. Noch in heu- tiger Morgenstunde betraten sie die heilige Stätte, Dankopfer darbringend dem Allerhöchsten, der E. K. Majestät zum Segen und zur Freude des ganzen Landes in erwünschtem Wohlergehen erhielt, der Allerhöchstdenen- selben die Kraft verlieh, sich den mühevollen Regierungssorgen auch wäh- rend dieses Zeitraumes mit der gewohnten beispiellosen Anstrengung und Thätigkeit widmen zu können, und in tiefster Ehrfurcht" -- und so weiter noch einige Aktenseiten lang.*) Und wie mühsam kamen diese unschätz-
*) Adresse des Landtags 1820.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Markgrafſchaftslandtag, der von den adlichen Rittern und den vier Sechs- ſtädten beſchickt wurde. Drei Jahre darauf wurde, nach lebhaftem Kampfe zwiſchen Ritterſchaft und Städten, beſchloſſen, daß die Rittergutsbeſitzer, welche die Ahnenprobe nicht beſtehen konnten, insgeſammt vierzig gewählte Vertreter in den Landtag ſenden ſollten. Die Prälaten, Grafen und Herren waren jedoch ſchlechterdings nicht zu bewegen, ſich mit der Ritterſchaft zu einem Stande zu vereinigen; ſie meinten ſchon ein großes Opfer zu bringen, indem ſie die Univerſität Leipzig in ihre Mitte aufnahmen. Als die Stände den Wunſch ausſprachen, eine kurze Ueberſicht über die Aus- gaben und Einnahmen zu erhalten, konnte der greiſe König ſich nicht ent- ſchließen, dieſer Beſchwerde „abhelfliche Maße zu ertheilen“. Die Gewäh- rung der Bitte war auch nicht nöthig, da doch Niemand den heilloſen Dualismus des Finanzweſens aufheben wollte und im Uebrigen Alles ehrlich zuging.
Die beantragte Veröffentlichung eines Theiles der Landtagsverhand- lungen verwarf der König ebenfalls, denn das unverbrüchliche Amtsge- heimniß galt für eine Säule des altſächſiſchen Staates; überdies war die Oeffentlichkeit der Landtage eben jetzt in Wien wie in Frankfurt als dema- gogiſch verrufen. Einem Leipziger Gelehrten, der im Nürnberger Corre- ſpondenten Einiges aus den Verhandlungen der Stände erzählt hatte, wurde das Allerhöchſte „Mißbelieben“ nachdrücklich ausgeſprochen. Um doch etwas zu thun, ließ der König in der Geſetzſammlung einen kurzen Landtagsbericht veröffentlichen, der aber mit den Schnirkeln und Schnör- keln des ſächſiſchen Kanzleiſtils ſo reichlich ausgeſtattet war, daß Niemand ihn leſen konnte. Uebrigens würden die Leſer auch die unverkürzte Mit- theilung dieſer Ständeverhandlungen ſchwerlich vertragen haben. Im Jahre 1820 ließen ſich die getreuen Stände alſo vernehmen: „Dankbar prieſen ſie ſeitdem die Vorſehung an jenem gleichwichtigen Tage, in wel- chem das Vorbild der Regenten ſowie der Inbegriff aller häuslichen Tu- genden ſich in dem Glanz eines vollendeten halben Jahrhunderts ver- herrlichte. Mit nicht minder treu devoteſter Theilnahme vernahmen ſie die Kunde der fröhlichen Ereigniſſe, die während dieſer Zeit in Allerhöchſt- dero Königlichem Hauſe ſtattfanden, insbeſondere der beglückenden Bande, die es von Neuem an das erhabenſte Kaiſerhaus knüpfen. Noch in heu- tiger Morgenſtunde betraten ſie die heilige Stätte, Dankopfer darbringend dem Allerhöchſten, der E. K. Majeſtät zum Segen und zur Freude des ganzen Landes in erwünſchtem Wohlergehen erhielt, der Allerhöchſtdenen- ſelben die Kraft verlieh, ſich den mühevollen Regierungsſorgen auch wäh- rend dieſes Zeitraumes mit der gewohnten beiſpielloſen Anſtrengung und Thätigkeit widmen zu können, und in tiefſter Ehrfurcht“ — und ſo weiter noch einige Aktenſeiten lang.*) Und wie mühſam kamen dieſe unſchätz-
*) Adreſſe des Landtags 1820.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0528"n="512"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.</fw><lb/>
Markgrafſchaftslandtag, der von den adlichen Rittern und den vier Sechs-<lb/>ſtädten beſchickt wurde. Drei Jahre darauf wurde, nach lebhaftem Kampfe<lb/>
zwiſchen Ritterſchaft und Städten, beſchloſſen, daß die Rittergutsbeſitzer,<lb/>
welche die Ahnenprobe nicht beſtehen konnten, insgeſammt vierzig gewählte<lb/>
Vertreter in den Landtag ſenden ſollten. Die Prälaten, Grafen und Herren<lb/>
waren jedoch ſchlechterdings nicht zu bewegen, ſich mit der Ritterſchaft zu<lb/>
einem Stande zu vereinigen; ſie meinten ſchon ein großes Opfer zu<lb/>
bringen, indem ſie die Univerſität Leipzig in ihre Mitte aufnahmen. Als<lb/>
die Stände den Wunſch ausſprachen, eine kurze Ueberſicht über die Aus-<lb/>
gaben und Einnahmen zu erhalten, konnte der greiſe König ſich nicht ent-<lb/>ſchließen, dieſer Beſchwerde „abhelfliche Maße zu ertheilen“. Die Gewäh-<lb/>
rung der Bitte war auch nicht nöthig, da doch Niemand den heilloſen<lb/>
Dualismus des Finanzweſens aufheben wollte und im Uebrigen Alles<lb/>
ehrlich zuging.</p><lb/><p>Die beantragte Veröffentlichung eines Theiles der Landtagsverhand-<lb/>
lungen verwarf der König ebenfalls, denn das unverbrüchliche Amtsge-<lb/>
heimniß galt für eine Säule des altſächſiſchen Staates; überdies war die<lb/>
Oeffentlichkeit der Landtage eben jetzt in Wien wie in Frankfurt als dema-<lb/>
gogiſch verrufen. Einem Leipziger Gelehrten, der im Nürnberger Corre-<lb/>ſpondenten Einiges aus den Verhandlungen der Stände erzählt hatte,<lb/>
wurde das Allerhöchſte „Mißbelieben“ nachdrücklich ausgeſprochen. Um<lb/>
doch etwas zu thun, ließ der König in der Geſetzſammlung einen kurzen<lb/>
Landtagsbericht veröffentlichen, der aber mit den Schnirkeln und Schnör-<lb/>
keln des ſächſiſchen Kanzleiſtils ſo reichlich ausgeſtattet war, daß Niemand<lb/>
ihn leſen konnte. Uebrigens würden die Leſer auch die unverkürzte Mit-<lb/>
theilung dieſer Ständeverhandlungen ſchwerlich vertragen haben. Im<lb/>
Jahre 1820 ließen ſich die getreuen Stände alſo vernehmen: „Dankbar<lb/>
prieſen ſie ſeitdem die Vorſehung an jenem gleichwichtigen Tage, in wel-<lb/>
chem das Vorbild der Regenten ſowie der Inbegriff aller häuslichen Tu-<lb/>
genden ſich in dem Glanz eines vollendeten halben Jahrhunderts ver-<lb/>
herrlichte. Mit nicht minder treu devoteſter Theilnahme vernahmen ſie<lb/>
die Kunde der fröhlichen Ereigniſſe, die während dieſer Zeit in Allerhöchſt-<lb/>
dero Königlichem Hauſe ſtattfanden, insbeſondere der beglückenden Bande,<lb/>
die es von Neuem an das erhabenſte Kaiſerhaus knüpfen. Noch in heu-<lb/>
tiger Morgenſtunde betraten ſie die heilige Stätte, Dankopfer darbringend<lb/>
dem Allerhöchſten, der E. K. Majeſtät zum Segen und zur Freude des<lb/>
ganzen Landes in erwünſchtem Wohlergehen erhielt, der Allerhöchſtdenen-<lb/>ſelben die Kraft verlieh, ſich den mühevollen Regierungsſorgen auch wäh-<lb/>
rend dieſes Zeitraumes mit der gewohnten beiſpielloſen Anſtrengung und<lb/>
Thätigkeit widmen zu können, und in tiefſter Ehrfurcht“— und ſo weiter<lb/>
noch einige Aktenſeiten lang.<noteplace="foot"n="*)">Adreſſe des Landtags 1820.</note> Und wie mühſam kamen dieſe unſchätz-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[512/0528]
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Markgrafſchaftslandtag, der von den adlichen Rittern und den vier Sechs-
ſtädten beſchickt wurde. Drei Jahre darauf wurde, nach lebhaftem Kampfe
zwiſchen Ritterſchaft und Städten, beſchloſſen, daß die Rittergutsbeſitzer,
welche die Ahnenprobe nicht beſtehen konnten, insgeſammt vierzig gewählte
Vertreter in den Landtag ſenden ſollten. Die Prälaten, Grafen und Herren
waren jedoch ſchlechterdings nicht zu bewegen, ſich mit der Ritterſchaft zu
einem Stande zu vereinigen; ſie meinten ſchon ein großes Opfer zu
bringen, indem ſie die Univerſität Leipzig in ihre Mitte aufnahmen. Als
die Stände den Wunſch ausſprachen, eine kurze Ueberſicht über die Aus-
gaben und Einnahmen zu erhalten, konnte der greiſe König ſich nicht ent-
ſchließen, dieſer Beſchwerde „abhelfliche Maße zu ertheilen“. Die Gewäh-
rung der Bitte war auch nicht nöthig, da doch Niemand den heilloſen
Dualismus des Finanzweſens aufheben wollte und im Uebrigen Alles
ehrlich zuging.
Die beantragte Veröffentlichung eines Theiles der Landtagsverhand-
lungen verwarf der König ebenfalls, denn das unverbrüchliche Amtsge-
heimniß galt für eine Säule des altſächſiſchen Staates; überdies war die
Oeffentlichkeit der Landtage eben jetzt in Wien wie in Frankfurt als dema-
gogiſch verrufen. Einem Leipziger Gelehrten, der im Nürnberger Corre-
ſpondenten Einiges aus den Verhandlungen der Stände erzählt hatte,
wurde das Allerhöchſte „Mißbelieben“ nachdrücklich ausgeſprochen. Um
doch etwas zu thun, ließ der König in der Geſetzſammlung einen kurzen
Landtagsbericht veröffentlichen, der aber mit den Schnirkeln und Schnör-
keln des ſächſiſchen Kanzleiſtils ſo reichlich ausgeſtattet war, daß Niemand
ihn leſen konnte. Uebrigens würden die Leſer auch die unverkürzte Mit-
theilung dieſer Ständeverhandlungen ſchwerlich vertragen haben. Im
Jahre 1820 ließen ſich die getreuen Stände alſo vernehmen: „Dankbar
prieſen ſie ſeitdem die Vorſehung an jenem gleichwichtigen Tage, in wel-
chem das Vorbild der Regenten ſowie der Inbegriff aller häuslichen Tu-
genden ſich in dem Glanz eines vollendeten halben Jahrhunderts ver-
herrlichte. Mit nicht minder treu devoteſter Theilnahme vernahmen ſie
die Kunde der fröhlichen Ereigniſſe, die während dieſer Zeit in Allerhöchſt-
dero Königlichem Hauſe ſtattfanden, insbeſondere der beglückenden Bande,
die es von Neuem an das erhabenſte Kaiſerhaus knüpfen. Noch in heu-
tiger Morgenſtunde betraten ſie die heilige Stätte, Dankopfer darbringend
dem Allerhöchſten, der E. K. Majeſtät zum Segen und zur Freude des
ganzen Landes in erwünſchtem Wohlergehen erhielt, der Allerhöchſtdenen-
ſelben die Kraft verlieh, ſich den mühevollen Regierungsſorgen auch wäh-
rend dieſes Zeitraumes mit der gewohnten beiſpielloſen Anſtrengung und
Thätigkeit widmen zu können, und in tiefſter Ehrfurcht“ — und ſo weiter
noch einige Aktenſeiten lang. *) Und wie mühſam kamen dieſe unſchätz-
*) Adreſſe des Landtags 1820.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/528>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.