väterlich über das Wohl des deutschen Vaterlandes geäußert hatte, meinte jetzt trocken: das Wiener Protokoll "sei eigentlich nur bestimmt die Ver- anlassung zur weiteren Entwickelung der darin ausgesprochenen Grund- sätze zu geben"; man brauche also nicht förmlich darüber abzustimmen, sondern solle nur sogleich die vorbehaltene Berathung am Bundestage beginnen. Dies geschah denn auch. In einem salbungsvollen Präsidial- vortrage feierte Buol die Reize des freien Getreidehandels; seine Worte waren aber so allgemein gehalten, daß selbst der harmlose Goltz sofort bemerkte, Oesterreich hege Hintergedanken.*) Darauf berieth der Bundes- tag mit gewohnter Emsigkeit weiter, und nach einem Vierteljahre (5. Okt.) beschloß er, zunächst Nachrichten über den Stand der Gesetzgebung in den Einzelstaaten einzuholen. Der freie Getreidehandel verschwand in jenem geheimnißvollen Schlunde, in dessen Tiefen die ewig unvollendeten Bun- desbeschlüsse gebettet lagen. Das waren Oesterreichs Liebesdienste zum Besten der deutschen Verkehrsfreiheit. --
Der Verlauf der Conferenzen selbst bestätigte durchweg was Bern- storff vorhergesagt: daß ein Bund ohne politische Einheit keine gemein- same Handelspolitik treiben könne. Angesichts dieser Erfahrungen begannen einige der süddeutschen Staatsmänner sich doch endlich mit den Rath- schlägen Bernstorff's zu befreunden. Eingepreßt zwischen den Mauthlinien Frankreichs, Oesterreichs, Preußens vermochte die Volkswirthschaft des Oberlandes kaum mehr zu athmen, zumal da noch keiner der süddeutschen Staaten, außer Baiern, ein geordnetes Zollwesen besaß. Die Frage ließ sich nicht mehr abweisen, ob man nicht zunächst versuchen solle, diese zer- stückelten Gebiete in einem handelspolitischen Sonderbunde zu vereinigen, also genau dasselbe zu thun, was man soeben dem preußischen Staate als Bundesfriedensbruch vorgeworfen hatte. Den ersten Anstoß zu sol- chen Plänen gab der wackere du Thil; noch späterhin pflegte der Darm- städter Hof sich dieses Verdienstes gern zu rühmen.**) Aber erst durch Berstett's rührige Thätigkeit gewann der Gedanke Leben. Der Badener hegte, wie du Thil, die ehrliche Hoffnung, daß aus diesem Sonderbunde "nach und nach ein Ganzes" hervorgehen werde; indeß dachte er auch an Retorsionen gegen die preußischen Zölle und gab eine kurz abweisende Antwort, als Bernstorff ihm versicherte, mit einem süddeutschen Zollver- eine werde Preußen gern Handelsverträge abschließen. Auch Marschall ließ sich auf den Plan nur ein, weil er erwartete, daß Süddeutschland nunmehr mit vereinter Kraft den Zollkrieg gegen Preußen eröffnen werde. Württemberg endlich spielte mit Triasplänen und hoffte den politischen Bund des constitutionellen "reinen Deutschlands" aus dem Handelsvereine hervorgehen zu sehen -- ein Gedanke, der weder in München noch in Darmstadt Anklang fand.
*) Goltz's Bericht, 20., 27. Juni 1820.
**) Staats-Rath v. Hofmann an den Meininger Präsidenten Krafft, Darmstadt, 20. März 1828.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
väterlich über das Wohl des deutſchen Vaterlandes geäußert hatte, meinte jetzt trocken: das Wiener Protokoll „ſei eigentlich nur beſtimmt die Ver- anlaſſung zur weiteren Entwickelung der darin ausgeſprochenen Grund- ſätze zu geben“; man brauche alſo nicht förmlich darüber abzuſtimmen, ſondern ſolle nur ſogleich die vorbehaltene Berathung am Bundestage beginnen. Dies geſchah denn auch. In einem ſalbungsvollen Präſidial- vortrage feierte Buol die Reize des freien Getreidehandels; ſeine Worte waren aber ſo allgemein gehalten, daß ſelbſt der harmloſe Goltz ſofort bemerkte, Oeſterreich hege Hintergedanken.*) Darauf berieth der Bundes- tag mit gewohnter Emſigkeit weiter, und nach einem Vierteljahre (5. Okt.) beſchloß er, zunächſt Nachrichten über den Stand der Geſetzgebung in den Einzelſtaaten einzuholen. Der freie Getreidehandel verſchwand in jenem geheimnißvollen Schlunde, in deſſen Tiefen die ewig unvollendeten Bun- desbeſchlüſſe gebettet lagen. Das waren Oeſterreichs Liebesdienſte zum Beſten der deutſchen Verkehrsfreiheit. —
Der Verlauf der Conferenzen ſelbſt beſtätigte durchweg was Bern- ſtorff vorhergeſagt: daß ein Bund ohne politiſche Einheit keine gemein- ſame Handelspolitik treiben könne. Angeſichts dieſer Erfahrungen begannen einige der ſüddeutſchen Staatsmänner ſich doch endlich mit den Rath- ſchlägen Bernſtorff’s zu befreunden. Eingepreßt zwiſchen den Mauthlinien Frankreichs, Oeſterreichs, Preußens vermochte die Volkswirthſchaft des Oberlandes kaum mehr zu athmen, zumal da noch keiner der ſüddeutſchen Staaten, außer Baiern, ein geordnetes Zollweſen beſaß. Die Frage ließ ſich nicht mehr abweiſen, ob man nicht zunächſt verſuchen ſolle, dieſe zer- ſtückelten Gebiete in einem handelspolitiſchen Sonderbunde zu vereinigen, alſo genau daſſelbe zu thun, was man ſoeben dem preußiſchen Staate als Bundesfriedensbruch vorgeworfen hatte. Den erſten Anſtoß zu ſol- chen Plänen gab der wackere du Thil; noch ſpäterhin pflegte der Darm- ſtädter Hof ſich dieſes Verdienſtes gern zu rühmen.**) Aber erſt durch Berſtett’s rührige Thätigkeit gewann der Gedanke Leben. Der Badener hegte, wie du Thil, die ehrliche Hoffnung, daß aus dieſem Sonderbunde „nach und nach ein Ganzes“ hervorgehen werde; indeß dachte er auch an Retorſionen gegen die preußiſchen Zölle und gab eine kurz abweiſende Antwort, als Bernſtorff ihm verſicherte, mit einem ſüddeutſchen Zollver- eine werde Preußen gern Handelsverträge abſchließen. Auch Marſchall ließ ſich auf den Plan nur ein, weil er erwartete, daß Süddeutſchland nunmehr mit vereinter Kraft den Zollkrieg gegen Preußen eröffnen werde. Württemberg endlich ſpielte mit Triasplänen und hoffte den politiſchen Bund des conſtitutionellen „reinen Deutſchlands“ aus dem Handelsvereine hervorgehen zu ſehen — ein Gedanke, der weder in München noch in Darmſtadt Anklang fand.
*) Goltz’s Bericht, 20., 27. Juni 1820.
**) Staats-Rath v. Hofmann an den Meininger Präſidenten Krafft, Darmſtadt, 20. März 1828.
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jetzt trocken: das Wiener Protokoll „ſei eigentlich nur beſtimmt die Ver-
anlaſſung zur weiteren Entwickelung der darin ausgeſprochenen Grund-
ſätze zu geben“; man brauche alſo nicht förmlich darüber abzuſtimmen,
ſondern ſolle nur ſogleich die vorbehaltene Berathung am Bundestage
beginnen. Dies geſchah denn auch. In einem ſalbungsvollen Präſidial-
vortrage feierte Buol die Reize des freien Getreidehandels; ſeine Worte
waren aber ſo allgemein gehalten, daß ſelbſt der harmloſe Goltz ſofort
bemerkte, Oeſterreich hege Hintergedanken. *) Darauf berieth der Bundes-
tag mit gewohnter Emſigkeit weiter, und nach einem Vierteljahre (5. Okt.)
beſchloß er, zunächſt Nachrichten über den Stand der Geſetzgebung in den
Einzelſtaaten einzuholen. Der freie Getreidehandel verſchwand in jenem
geheimnißvollen Schlunde, in deſſen Tiefen die ewig unvollendeten Bun-
desbeſchlüſſe gebettet lagen. Das waren Oeſterreichs Liebesdienſte zum
Beſten der deutſchen Verkehrsfreiheit. —
Der Verlauf der Conferenzen ſelbſt beſtätigte durchweg was Bern-
ſtorff vorhergeſagt: daß ein Bund ohne politiſche Einheit keine gemein-
ſame Handelspolitik treiben könne. Angeſichts dieſer Erfahrungen begannen
einige der ſüddeutſchen Staatsmänner ſich doch endlich mit den Rath-
ſchlägen Bernſtorff’s zu befreunden. Eingepreßt zwiſchen den Mauthlinien
Frankreichs, Oeſterreichs, Preußens vermochte die Volkswirthſchaft des
Oberlandes kaum mehr zu athmen, zumal da noch keiner der ſüddeutſchen
Staaten, außer Baiern, ein geordnetes Zollweſen beſaß. Die Frage ließ
ſich nicht mehr abweiſen, ob man nicht zunächſt verſuchen ſolle, dieſe zer-
ſtückelten Gebiete in einem handelspolitiſchen Sonderbunde zu vereinigen,
alſo genau daſſelbe zu thun, was man ſoeben dem preußiſchen Staate
als Bundesfriedensbruch vorgeworfen hatte. Den erſten Anſtoß zu ſol-
chen Plänen gab der wackere du Thil; noch ſpäterhin pflegte der Darm-
ſtädter Hof ſich dieſes Verdienſtes gern zu rühmen. **) Aber erſt durch
Berſtett’s rührige Thätigkeit gewann der Gedanke Leben. Der Badener
hegte, wie du Thil, die ehrliche Hoffnung, daß aus dieſem Sonderbunde
„nach und nach ein Ganzes“ hervorgehen werde; indeß dachte er auch an
Retorſionen gegen die preußiſchen Zölle und gab eine kurz abweiſende
Antwort, als Bernſtorff ihm verſicherte, mit einem ſüddeutſchen Zollver-
eine werde Preußen gern Handelsverträge abſchließen. Auch Marſchall
ließ ſich auf den Plan nur ein, weil er erwartete, daß Süddeutſchland
nunmehr mit vereinter Kraft den Zollkrieg gegen Preußen eröffnen werde.
Württemberg endlich ſpielte mit Triasplänen und hoffte den politiſchen
Bund des conſtitutionellen „reinen Deutſchlands“ aus dem Handelsvereine
hervorgehen zu ſehen — ein Gedanke, der weder in München noch in
Darmſtadt Anklang fand.
*) Goltz’s Bericht, 20., 27. Juni 1820.
**) Staats-Rath v. Hofmann an den
Meininger Präſidenten Krafft, Darmſtadt, 20. März 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/54>, abgerufen am 16.02.2025.
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