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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Süddeutsche Zollvereinspläne.

Bei solcher Verschiedenheit der politischen Absichten konnte Berstett nach
langwierigen vertraulichen Berathungen nur einen bescheidenen Erfolg
erreichen. Am 19. Mai verpflichteten sich die beiden süddeutschen König-
reiche, Baden, Darmstadt, Nassau und die thüringischen Staaten, noch
im Laufe des Jahres Bevollmächtigte nach Darmstadt zu senden, welche
dort auf Grund einer unverbindlichen Punktation über die Bildung eines
süddeutschen Zollvereins verhandeln sollten. Mehr wollte der vorsichtige
Zentner, der sein bairisches Zollgesetz behüten mußte, schlechterdings nicht
versprechen. Immerhin war jetzt doch ein Weg betreten, der aus dem
Elend der Binnenmauthen vielleicht hinausführen konnte. Die liberale
Presse begrüßte dankbar die patriotische That ihrer Lieblinge. Der alle-
zeit vertrauensvolle List sah das Ideal der deutschen Zolleinheit bereits
nahezu verwirklicht, und als er bald darauf nach Frankfurt kam, fand
er seinen Gönner Wangenheim in einem Rausche des Entzückens: so trug
das reine Deutschland der gesammten Nation doch endlich die Fackel voran!*)
Minder hoffnungsvoll, aber durchaus wohlwollend beurtheilte Bernstorff
den Entschluß der süddeutschen Höfe. Er versicherte Berstett seiner Zu-
stimmung; denn gelang es den Mittelstaaten ihr zerrüttetes Verkehrsleben
aus eigener Kraft zu ordnen, so blieb für die Zukunft eine Verständigung
mit Preußen möglich. Seinem Könige schrieb er: trotz manchen feind-
seligen politischen und staatswirthschaftlichen Hintergedanken bestehe für
Preußen kein Grund das Unternehmen zu mißbilligen, zumal da das
Gelingen noch sehr fraglich scheine.**)

Der Versuch, das preußische Zollgesetz durch ein Machtgebot des
Bundes zu vernichten, war gescheitert. Doch unterdessen führte der Kö-
thener Herzog seinen Schmuggelkrieg wider die preußischen Mauthen wohl-
gemuth weiter und hemmte dadurch zugleich die Verhandlungen über die
Elbschifffahrt. Wie oft hatten einst die Fremden gespottet über die furiosa
dementia
der Deutschen, die sich ihre herrlichen Ströme durch ihre Zölle
selber versperrten! Erst seit Frankreich das linke Rheinufer an sich riß,
ward dies sprichwörtliche Leiden Deutschlands etwas gelindert. Im Jahre
1804 wurde statt der alten drückenden Rheinzölle das Rhein-Octroi ein-
geführt, das im Wesentlichen nur bestimmt war die Kosten der Strom-
bauten und der Leinpfade zu decken, und diese neue Ordnung bewährte
sich so gut, daß der Wiener Congreß sie auch für die anderen conventio-
nellen Ströme Deutschlands als Regel vorschrieb. Seitdem war die
Weserschifffahrt in der That frei geworden: nach einem langen Streite
mit Bremen ließ sich Oldenburg durch die Vermittlung des Bundestags
bewegen, auf den widerrechtlichen Elsflether Zoll endlich zu verzichten
(Aug. 1819). Schwieriger lagen die Verhältnisse zwischen den zehn Ufer-

*) List an seine Gattin, Frankfurt 22. Aug. 1820.
**) Bernstorff's Berichte, 29. Jan. 1820 ff.
Süddeutſche Zollvereinspläne.

Bei ſolcher Verſchiedenheit der politiſchen Abſichten konnte Berſtett nach
langwierigen vertraulichen Berathungen nur einen beſcheidenen Erfolg
erreichen. Am 19. Mai verpflichteten ſich die beiden ſüddeutſchen König-
reiche, Baden, Darmſtadt, Naſſau und die thüringiſchen Staaten, noch
im Laufe des Jahres Bevollmächtigte nach Darmſtadt zu ſenden, welche
dort auf Grund einer unverbindlichen Punktation über die Bildung eines
ſüddeutſchen Zollvereins verhandeln ſollten. Mehr wollte der vorſichtige
Zentner, der ſein bairiſches Zollgeſetz behüten mußte, ſchlechterdings nicht
verſprechen. Immerhin war jetzt doch ein Weg betreten, der aus dem
Elend der Binnenmauthen vielleicht hinausführen konnte. Die liberale
Preſſe begrüßte dankbar die patriotiſche That ihrer Lieblinge. Der alle-
zeit vertrauensvolle Liſt ſah das Ideal der deutſchen Zolleinheit bereits
nahezu verwirklicht, und als er bald darauf nach Frankfurt kam, fand
er ſeinen Gönner Wangenheim in einem Rauſche des Entzückens: ſo trug
das reine Deutſchland der geſammten Nation doch endlich die Fackel voran!*)
Minder hoffnungsvoll, aber durchaus wohlwollend beurtheilte Bernſtorff
den Entſchluß der ſüddeutſchen Höfe. Er verſicherte Berſtett ſeiner Zu-
ſtimmung; denn gelang es den Mittelſtaaten ihr zerrüttetes Verkehrsleben
aus eigener Kraft zu ordnen, ſo blieb für die Zukunft eine Verſtändigung
mit Preußen möglich. Seinem Könige ſchrieb er: trotz manchen feind-
ſeligen politiſchen und ſtaatswirthſchaftlichen Hintergedanken beſtehe für
Preußen kein Grund das Unternehmen zu mißbilligen, zumal da das
Gelingen noch ſehr fraglich ſcheine.**)

Der Verſuch, das preußiſche Zollgeſetz durch ein Machtgebot des
Bundes zu vernichten, war geſcheitert. Doch unterdeſſen führte der Kö-
thener Herzog ſeinen Schmuggelkrieg wider die preußiſchen Mauthen wohl-
gemuth weiter und hemmte dadurch zugleich die Verhandlungen über die
Elbſchifffahrt. Wie oft hatten einſt die Fremden geſpottet über die furiosa
dementia
der Deutſchen, die ſich ihre herrlichen Ströme durch ihre Zölle
ſelber verſperrten! Erſt ſeit Frankreich das linke Rheinufer an ſich riß,
ward dies ſprichwörtliche Leiden Deutſchlands etwas gelindert. Im Jahre
1804 wurde ſtatt der alten drückenden Rheinzölle das Rhein-Octroi ein-
geführt, das im Weſentlichen nur beſtimmt war die Koſten der Strom-
bauten und der Leinpfade zu decken, und dieſe neue Ordnung bewährte
ſich ſo gut, daß der Wiener Congreß ſie auch für die anderen conventio-
nellen Ströme Deutſchlands als Regel vorſchrieb. Seitdem war die
Weſerſchifffahrt in der That frei geworden: nach einem langen Streite
mit Bremen ließ ſich Oldenburg durch die Vermittlung des Bundestags
bewegen, auf den widerrechtlichen Elsflether Zoll endlich zu verzichten
(Aug. 1819). Schwieriger lagen die Verhältniſſe zwiſchen den zehn Ufer-

*) Liſt an ſeine Gattin, Frankfurt 22. Aug. 1820.
**) Bernſtorff’s Berichte, 29. Jan. 1820 ff.
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[39/0055] Süddeutſche Zollvereinspläne. Bei ſolcher Verſchiedenheit der politiſchen Abſichten konnte Berſtett nach langwierigen vertraulichen Berathungen nur einen beſcheidenen Erfolg erreichen. Am 19. Mai verpflichteten ſich die beiden ſüddeutſchen König- reiche, Baden, Darmſtadt, Naſſau und die thüringiſchen Staaten, noch im Laufe des Jahres Bevollmächtigte nach Darmſtadt zu ſenden, welche dort auf Grund einer unverbindlichen Punktation über die Bildung eines ſüddeutſchen Zollvereins verhandeln ſollten. Mehr wollte der vorſichtige Zentner, der ſein bairiſches Zollgeſetz behüten mußte, ſchlechterdings nicht verſprechen. Immerhin war jetzt doch ein Weg betreten, der aus dem Elend der Binnenmauthen vielleicht hinausführen konnte. Die liberale Preſſe begrüßte dankbar die patriotiſche That ihrer Lieblinge. Der alle- zeit vertrauensvolle Liſt ſah das Ideal der deutſchen Zolleinheit bereits nahezu verwirklicht, und als er bald darauf nach Frankfurt kam, fand er ſeinen Gönner Wangenheim in einem Rauſche des Entzückens: ſo trug das reine Deutſchland der geſammten Nation doch endlich die Fackel voran! *) Minder hoffnungsvoll, aber durchaus wohlwollend beurtheilte Bernſtorff den Entſchluß der ſüddeutſchen Höfe. Er verſicherte Berſtett ſeiner Zu- ſtimmung; denn gelang es den Mittelſtaaten ihr zerrüttetes Verkehrsleben aus eigener Kraft zu ordnen, ſo blieb für die Zukunft eine Verſtändigung mit Preußen möglich. Seinem Könige ſchrieb er: trotz manchen feind- ſeligen politiſchen und ſtaatswirthſchaftlichen Hintergedanken beſtehe für Preußen kein Grund das Unternehmen zu mißbilligen, zumal da das Gelingen noch ſehr fraglich ſcheine. **) Der Verſuch, das preußiſche Zollgeſetz durch ein Machtgebot des Bundes zu vernichten, war geſcheitert. Doch unterdeſſen führte der Kö- thener Herzog ſeinen Schmuggelkrieg wider die preußiſchen Mauthen wohl- gemuth weiter und hemmte dadurch zugleich die Verhandlungen über die Elbſchifffahrt. Wie oft hatten einſt die Fremden geſpottet über die furiosa dementia der Deutſchen, die ſich ihre herrlichen Ströme durch ihre Zölle ſelber verſperrten! Erſt ſeit Frankreich das linke Rheinufer an ſich riß, ward dies ſprichwörtliche Leiden Deutſchlands etwas gelindert. Im Jahre 1804 wurde ſtatt der alten drückenden Rheinzölle das Rhein-Octroi ein- geführt, das im Weſentlichen nur beſtimmt war die Koſten der Strom- bauten und der Leinpfade zu decken, und dieſe neue Ordnung bewährte ſich ſo gut, daß der Wiener Congreß ſie auch für die anderen conventio- nellen Ströme Deutſchlands als Regel vorſchrieb. Seitdem war die Weſerſchifffahrt in der That frei geworden: nach einem langen Streite mit Bremen ließ ſich Oldenburg durch die Vermittlung des Bundestags bewegen, auf den widerrechtlichen Elsflether Zoll endlich zu verzichten (Aug. 1819). Schwieriger lagen die Verhältniſſe zwiſchen den zehn Ufer- *) Liſt an ſeine Gattin, Frankfurt 22. Aug. 1820. **) Bernſtorff’s Berichte, 29. Jan. 1820 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/55>, abgerufen am 24.11.2024.