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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Wiederherstellung Hannovers.
empfand man lebhaft den scharfen Gegensatz der Staatsgedanken: die alt-
ständische Behäbigkeit verwünschte das gemeine Recht der modernen Mon-
archie als "militärischen Despotismus". Als der junge Hardenberg im
Calenberger Landtage mit den Vorurtheilen seiner Standesgenossen ver-
geblich gekämpft und dann im Staatsdienste die Gebrechen dieses Gemein-
wesens näher kennen gelernt hatte, sprach er dem Könige Georg III. frei-
müthig aus, eine Reform sei hier nur möglich durch das persönliche Ein-
greifen des anwesenden Monarchen.

Der Rath ward mißachtet, und als Hannover bald darauf -- wieder
um Englands willen -- von Bonaparte's Truppen angegriffen wurde,
da war das Adelsregiment abermals nur darauf bedacht Ombrage zu ver-
meiden und überlieferte das tapfere Land ohne Schwertstreich dem Feinde.
Aber in der glorreichen Deutschen Legion lebten Hannovers Heer und
Staat fort, denn kein Staat ist vernichtet so lange er sich noch schlägt;
und mit besserem Rechte als der Kurfürst von Hessen konnten die Welfen
nach ihrer Wiederherstellung behaupten, daß die Fremdherrschaft hier nur
ein rechtswidriger Zwischenzustand gewesen sei. Die Befreiung des Landes
erfolgte allein durch die Heere der Verbündeten; dagegen hielt sich Han-
nover sehr rühmlich in dem Feldzuge von 1815, und mit stolzer Zuver-
sicht blickten die Althannoveraner in die Zukunft ihres neuen Königreichs.
Nüchterne Beobachter konnten freilich nicht verkennen, daß sich der ver-
größerte Welfenstaat, gleich dem anderen Staatsgebilde der englischen
Diplomatie, dem Königreich der Vereinigten Niederlande, auf der Land-
karte weit kräftiger ausnahm als in der Wirklichkeit. Die Hoffnung des
Londoner Hofes, in diesen beiden Tochterstaaten den englischen Interessen
ein weites Machtgebiet auf dem Festlande zu sichern, erwies sich bald als
ein Irrthum, da Holland selbstgenügsam seines eigenen Weges ging. Das
Königreich Hannover war, trotz der langen Grenzlinie gegen Holland, ein
deutscher Kleinstaat wie andere auch, und trotz seiner 700 Geviertmeilen
volkswirthschaftlich ungleich schwächer als das kleine Königreich Sachsen,
da der weite Raum nur von 1,4 Mill. Menschen bewohnt wurde, zwei
Fünftel des Bodens als Heide, Moor und Gemeinweide unbebaut lagen.

Die altwelfischen Gebiete empfingen durch Hildesheim und Goslar
die längst ersehnte Abrundung, obwohl das Göttinger Land noch immer
durch einen braunschweigischen Streifen davon geschieden blieb. Aber neben
dieser leidlich geschlossenen Masse lag völlig abgetrennt die neu erworbene
Westhälfte des Königreichs, das friesisch-westphälische Land an der Ems
und Hase, das durch Verkehr und Geschichte auf das preußische West-
phalen angewiesen, mit dem Welfenlande nur auf der Landkarte durch
den schmalen Sumpfstrich am Dümmersee scheinbar verbunden war. Keiner
der neuen Landestheile trat gern unter das welfische Scepter. In Hil-
desheim stand die kurze Zeit des preußischen Regiments, das so kräftig
und maßvoll mit der Erbschaft des Krummstabs aufgeräumt hatte, bei

Wiederherſtellung Hannovers.
empfand man lebhaft den ſcharfen Gegenſatz der Staatsgedanken: die alt-
ſtändiſche Behäbigkeit verwünſchte das gemeine Recht der modernen Mon-
archie als „militäriſchen Despotismus“. Als der junge Hardenberg im
Calenberger Landtage mit den Vorurtheilen ſeiner Standesgenoſſen ver-
geblich gekämpft und dann im Staatsdienſte die Gebrechen dieſes Gemein-
weſens näher kennen gelernt hatte, ſprach er dem Könige Georg III. frei-
müthig aus, eine Reform ſei hier nur möglich durch das perſönliche Ein-
greifen des anweſenden Monarchen.

Der Rath ward mißachtet, und als Hannover bald darauf — wieder
um Englands willen — von Bonaparte’s Truppen angegriffen wurde,
da war das Adelsregiment abermals nur darauf bedacht Ombrage zu ver-
meiden und überlieferte das tapfere Land ohne Schwertſtreich dem Feinde.
Aber in der glorreichen Deutſchen Legion lebten Hannovers Heer und
Staat fort, denn kein Staat iſt vernichtet ſo lange er ſich noch ſchlägt;
und mit beſſerem Rechte als der Kurfürſt von Heſſen konnten die Welfen
nach ihrer Wiederherſtellung behaupten, daß die Fremdherrſchaft hier nur
ein rechtswidriger Zwiſchenzuſtand geweſen ſei. Die Befreiung des Landes
erfolgte allein durch die Heere der Verbündeten; dagegen hielt ſich Han-
nover ſehr rühmlich in dem Feldzuge von 1815, und mit ſtolzer Zuver-
ſicht blickten die Althannoveraner in die Zukunft ihres neuen Königreichs.
Nüchterne Beobachter konnten freilich nicht verkennen, daß ſich der ver-
größerte Welfenſtaat, gleich dem anderen Staatsgebilde der engliſchen
Diplomatie, dem Königreich der Vereinigten Niederlande, auf der Land-
karte weit kräftiger ausnahm als in der Wirklichkeit. Die Hoffnung des
Londoner Hofes, in dieſen beiden Tochterſtaaten den engliſchen Intereſſen
ein weites Machtgebiet auf dem Feſtlande zu ſichern, erwies ſich bald als
ein Irrthum, da Holland ſelbſtgenügſam ſeines eigenen Weges ging. Das
Königreich Hannover war, trotz der langen Grenzlinie gegen Holland, ein
deutſcher Kleinſtaat wie andere auch, und trotz ſeiner 700 Geviertmeilen
volkswirthſchaftlich ungleich ſchwächer als das kleine Königreich Sachſen,
da der weite Raum nur von 1,4 Mill. Menſchen bewohnt wurde, zwei
Fünftel des Bodens als Heide, Moor und Gemeinweide unbebaut lagen.

Die altwelfiſchen Gebiete empfingen durch Hildesheim und Goslar
die längſt erſehnte Abrundung, obwohl das Göttinger Land noch immer
durch einen braunſchweigiſchen Streifen davon geſchieden blieb. Aber neben
dieſer leidlich geſchloſſenen Maſſe lag völlig abgetrennt die neu erworbene
Weſthälfte des Königreichs, das frieſiſch-weſtphäliſche Land an der Ems
und Haſe, das durch Verkehr und Geſchichte auf das preußiſche Weſt-
phalen angewieſen, mit dem Welfenlande nur auf der Landkarte durch
den ſchmalen Sumpfſtrich am Dümmerſee ſcheinbar verbunden war. Keiner
der neuen Landestheile trat gern unter das welfiſche Scepter. In Hil-
desheim ſtand die kurze Zeit des preußiſchen Regiments, das ſo kräftig
und maßvoll mit der Erbſchaft des Krummſtabs aufgeräumt hatte, bei

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[541/0557] Wiederherſtellung Hannovers. empfand man lebhaft den ſcharfen Gegenſatz der Staatsgedanken: die alt- ſtändiſche Behäbigkeit verwünſchte das gemeine Recht der modernen Mon- archie als „militäriſchen Despotismus“. Als der junge Hardenberg im Calenberger Landtage mit den Vorurtheilen ſeiner Standesgenoſſen ver- geblich gekämpft und dann im Staatsdienſte die Gebrechen dieſes Gemein- weſens näher kennen gelernt hatte, ſprach er dem Könige Georg III. frei- müthig aus, eine Reform ſei hier nur möglich durch das perſönliche Ein- greifen des anweſenden Monarchen. Der Rath ward mißachtet, und als Hannover bald darauf — wieder um Englands willen — von Bonaparte’s Truppen angegriffen wurde, da war das Adelsregiment abermals nur darauf bedacht Ombrage zu ver- meiden und überlieferte das tapfere Land ohne Schwertſtreich dem Feinde. Aber in der glorreichen Deutſchen Legion lebten Hannovers Heer und Staat fort, denn kein Staat iſt vernichtet ſo lange er ſich noch ſchlägt; und mit beſſerem Rechte als der Kurfürſt von Heſſen konnten die Welfen nach ihrer Wiederherſtellung behaupten, daß die Fremdherrſchaft hier nur ein rechtswidriger Zwiſchenzuſtand geweſen ſei. Die Befreiung des Landes erfolgte allein durch die Heere der Verbündeten; dagegen hielt ſich Han- nover ſehr rühmlich in dem Feldzuge von 1815, und mit ſtolzer Zuver- ſicht blickten die Althannoveraner in die Zukunft ihres neuen Königreichs. Nüchterne Beobachter konnten freilich nicht verkennen, daß ſich der ver- größerte Welfenſtaat, gleich dem anderen Staatsgebilde der engliſchen Diplomatie, dem Königreich der Vereinigten Niederlande, auf der Land- karte weit kräftiger ausnahm als in der Wirklichkeit. Die Hoffnung des Londoner Hofes, in dieſen beiden Tochterſtaaten den engliſchen Intereſſen ein weites Machtgebiet auf dem Feſtlande zu ſichern, erwies ſich bald als ein Irrthum, da Holland ſelbſtgenügſam ſeines eigenen Weges ging. Das Königreich Hannover war, trotz der langen Grenzlinie gegen Holland, ein deutſcher Kleinſtaat wie andere auch, und trotz ſeiner 700 Geviertmeilen volkswirthſchaftlich ungleich ſchwächer als das kleine Königreich Sachſen, da der weite Raum nur von 1,4 Mill. Menſchen bewohnt wurde, zwei Fünftel des Bodens als Heide, Moor und Gemeinweide unbebaut lagen. Die altwelfiſchen Gebiete empfingen durch Hildesheim und Goslar die längſt erſehnte Abrundung, obwohl das Göttinger Land noch immer durch einen braunſchweigiſchen Streifen davon geſchieden blieb. Aber neben dieſer leidlich geſchloſſenen Maſſe lag völlig abgetrennt die neu erworbene Weſthälfte des Königreichs, das frieſiſch-weſtphäliſche Land an der Ems und Haſe, das durch Verkehr und Geſchichte auf das preußiſche Weſt- phalen angewieſen, mit dem Welfenlande nur auf der Landkarte durch den ſchmalen Sumpfſtrich am Dümmerſee ſcheinbar verbunden war. Keiner der neuen Landestheile trat gern unter das welfiſche Scepter. In Hil- desheim ſtand die kurze Zeit des preußiſchen Regiments, das ſo kräftig und maßvoll mit der Erbſchaft des Krummſtabs aufgeräumt hatte, bei

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/557>, abgerufen am 22.11.2024.