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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Karl von Braunschweig.

So gewissenhaft der braunschweigische Geheime Rath die politischen
Geschäfte der Regentschaft besorgte, ebenso gleichgiltig vernachlässigte König
Georg die persönlichen Pflichten seiner Vormundschaft. Der frühe Tod
der Mutter und das abenteuerliche Schicksal des Vaters hatten den beiden
Prinzen längst allen Frieden der Kindheit verkümmert; auf unsteten Wan-
derfahrten in Deutschland, Schweden, England waren sie nirgends recht
heimisch geworden. Herzog Friedrich Wilhelm mochte dies fühlen; in
seinem Testamente bestimmte er, daß seine Söhne in Zukunft unter der
Aufsicht ihrer Großmutter, der ehrwürdigen Markgräfin Amalie von Baden
erzogen werden sollten. Der Vormund aber mißachtete diese Vorschrift,
vermuthlich weil er die jungen Welfen ganz in welfischen Händen be-
halten wollte. So fiel denn niemals ein Strahl weiblicher Güte in die
dunkle Jugend des Herzogs Karl; seine Base, die Prinzessin Johann von
Sachsen und deren Schwägerin die gute Prinzessin Amalie waren wohl
die beiden einzigen edlen Frauen, die ihm jemals nahe traten, und auch
sie erst als sein Charakter schon verhärtet war. Auf Befehl des Vor-
munds wurde er von dem Hofrath Eigner und dem Kammerherrn v. Lin-
singen sehr streng erzogen. Seine eigenen, von Unwahrheit überströmenden
Erzählungen verdienen keinen Glauben; Niemand kann mit Sicherheit
sagen, was Alles verfehlt wurde bei der Behandlung des unbändigen
jungen Fürsten, der neben dem Hochmuth und Eigensinn des Welfenblutes
von früh auf liederliche Neigungen und eine unbezwingliche Vorliebe für
schlechte Gesellschaft zeigte. Gewiß ist nur, daß der Herzog seine beiden
Erzieher tödlich haßte und in dem kleinen Kriege, den er täglich wider
sie führte, seine natürliche Bosheit zur abgefeimten Tücke ausbildete; ebenso
gewiß, daß er auf seinen fürstlichen Beruf nur sehr mangelhaft vorbe-
reitet, weder militärisch geschult, noch über die Zustände und das Recht
seines Landes unterrichtet wurde. Nach englischer Ansicht schien ein solcher
Unterricht überflüssig, da dort alle Institutionen darauf berechnet sind, daß
der König niemals selbst regiere. König Georg verbarg es kaum, daß ihm
diese deutschen Mündel lästig fielen; genug wenn sie Ruhe hielten. Waren
sie doch die Neffen seiner Gemahlin, und diese namenlos gehaßte Frau be-
kämpfte ihren Gemahl noch über das Grab hinaus; ihr Sarg trug die
Inschrift "hier ruht Karoline von Braunschweig, die mißhandelte Königin
von England" und wurde auf ihren Befehl aus der feindlichen Insel in
die braunschweigische Welfengruft übergeführt.

Nicht eigentlich durch böse Absicht, wohl aber durch die frivole Träg-
heit des lieblosen Vormunds wurde die Erziehung des jungen Herzogs
arg verwahrlost -- wenn anders dieser unglückliche Charakter zu erziehen
war. Der Zwang und die Langeweile brachten ihn auf, mit brennen-
der Ungeduld zählte er die Stunden bis zu dem Tage der Befreiung. Da
beging König Georg noch einen letzten, unbegreiflichen Mißgriff. Nach
einem alten Familienvertrage, dem Pactum Henrico-Wilhelminum vom

Karl von Braunſchweig.

So gewiſſenhaft der braunſchweigiſche Geheime Rath die politiſchen
Geſchäfte der Regentſchaft beſorgte, ebenſo gleichgiltig vernachläſſigte König
Georg die perſönlichen Pflichten ſeiner Vormundſchaft. Der frühe Tod
der Mutter und das abenteuerliche Schickſal des Vaters hatten den beiden
Prinzen längſt allen Frieden der Kindheit verkümmert; auf unſteten Wan-
derfahrten in Deutſchland, Schweden, England waren ſie nirgends recht
heimiſch geworden. Herzog Friedrich Wilhelm mochte dies fühlen; in
ſeinem Teſtamente beſtimmte er, daß ſeine Söhne in Zukunft unter der
Aufſicht ihrer Großmutter, der ehrwürdigen Markgräfin Amalie von Baden
erzogen werden ſollten. Der Vormund aber mißachtete dieſe Vorſchrift,
vermuthlich weil er die jungen Welfen ganz in welfiſchen Händen be-
halten wollte. So fiel denn niemals ein Strahl weiblicher Güte in die
dunkle Jugend des Herzogs Karl; ſeine Baſe, die Prinzeſſin Johann von
Sachſen und deren Schwägerin die gute Prinzeſſin Amalie waren wohl
die beiden einzigen edlen Frauen, die ihm jemals nahe traten, und auch
ſie erſt als ſein Charakter ſchon verhärtet war. Auf Befehl des Vor-
munds wurde er von dem Hofrath Eigner und dem Kammerherrn v. Lin-
ſingen ſehr ſtreng erzogen. Seine eigenen, von Unwahrheit überſtrömenden
Erzählungen verdienen keinen Glauben; Niemand kann mit Sicherheit
ſagen, was Alles verfehlt wurde bei der Behandlung des unbändigen
jungen Fürſten, der neben dem Hochmuth und Eigenſinn des Welfenblutes
von früh auf liederliche Neigungen und eine unbezwingliche Vorliebe für
ſchlechte Geſellſchaft zeigte. Gewiß iſt nur, daß der Herzog ſeine beiden
Erzieher tödlich haßte und in dem kleinen Kriege, den er täglich wider
ſie führte, ſeine natürliche Bosheit zur abgefeimten Tücke ausbildete; ebenſo
gewiß, daß er auf ſeinen fürſtlichen Beruf nur ſehr mangelhaft vorbe-
reitet, weder militäriſch geſchult, noch über die Zuſtände und das Recht
ſeines Landes unterrichtet wurde. Nach engliſcher Anſicht ſchien ein ſolcher
Unterricht überflüſſig, da dort alle Inſtitutionen darauf berechnet ſind, daß
der König niemals ſelbſt regiere. König Georg verbarg es kaum, daß ihm
dieſe deutſchen Mündel läſtig fielen; genug wenn ſie Ruhe hielten. Waren
ſie doch die Neffen ſeiner Gemahlin, und dieſe namenlos gehaßte Frau be-
kämpfte ihren Gemahl noch über das Grab hinaus; ihr Sarg trug die
Inſchrift „hier ruht Karoline von Braunſchweig, die mißhandelte Königin
von England“ und wurde auf ihren Befehl aus der feindlichen Inſel in
die braunſchweigiſche Welfengruft übergeführt.

Nicht eigentlich durch böſe Abſicht, wohl aber durch die frivole Träg-
heit des liebloſen Vormunds wurde die Erziehung des jungen Herzogs
arg verwahrloſt — wenn anders dieſer unglückliche Charakter zu erziehen
war. Der Zwang und die Langeweile brachten ihn auf, mit brennen-
der Ungeduld zählte er die Stunden bis zu dem Tage der Befreiung. Da
beging König Georg noch einen letzten, unbegreiflichen Mißgriff. Nach
einem alten Familienvertrage, dem Pactum Henrico-Wilhelminum vom

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[559/0575] Karl von Braunſchweig. So gewiſſenhaft der braunſchweigiſche Geheime Rath die politiſchen Geſchäfte der Regentſchaft beſorgte, ebenſo gleichgiltig vernachläſſigte König Georg die perſönlichen Pflichten ſeiner Vormundſchaft. Der frühe Tod der Mutter und das abenteuerliche Schickſal des Vaters hatten den beiden Prinzen längſt allen Frieden der Kindheit verkümmert; auf unſteten Wan- derfahrten in Deutſchland, Schweden, England waren ſie nirgends recht heimiſch geworden. Herzog Friedrich Wilhelm mochte dies fühlen; in ſeinem Teſtamente beſtimmte er, daß ſeine Söhne in Zukunft unter der Aufſicht ihrer Großmutter, der ehrwürdigen Markgräfin Amalie von Baden erzogen werden ſollten. Der Vormund aber mißachtete dieſe Vorſchrift, vermuthlich weil er die jungen Welfen ganz in welfiſchen Händen be- halten wollte. So fiel denn niemals ein Strahl weiblicher Güte in die dunkle Jugend des Herzogs Karl; ſeine Baſe, die Prinzeſſin Johann von Sachſen und deren Schwägerin die gute Prinzeſſin Amalie waren wohl die beiden einzigen edlen Frauen, die ihm jemals nahe traten, und auch ſie erſt als ſein Charakter ſchon verhärtet war. Auf Befehl des Vor- munds wurde er von dem Hofrath Eigner und dem Kammerherrn v. Lin- ſingen ſehr ſtreng erzogen. Seine eigenen, von Unwahrheit überſtrömenden Erzählungen verdienen keinen Glauben; Niemand kann mit Sicherheit ſagen, was Alles verfehlt wurde bei der Behandlung des unbändigen jungen Fürſten, der neben dem Hochmuth und Eigenſinn des Welfenblutes von früh auf liederliche Neigungen und eine unbezwingliche Vorliebe für ſchlechte Geſellſchaft zeigte. Gewiß iſt nur, daß der Herzog ſeine beiden Erzieher tödlich haßte und in dem kleinen Kriege, den er täglich wider ſie führte, ſeine natürliche Bosheit zur abgefeimten Tücke ausbildete; ebenſo gewiß, daß er auf ſeinen fürſtlichen Beruf nur ſehr mangelhaft vorbe- reitet, weder militäriſch geſchult, noch über die Zuſtände und das Recht ſeines Landes unterrichtet wurde. Nach engliſcher Anſicht ſchien ein ſolcher Unterricht überflüſſig, da dort alle Inſtitutionen darauf berechnet ſind, daß der König niemals ſelbſt regiere. König Georg verbarg es kaum, daß ihm dieſe deutſchen Mündel läſtig fielen; genug wenn ſie Ruhe hielten. Waren ſie doch die Neffen ſeiner Gemahlin, und dieſe namenlos gehaßte Frau be- kämpfte ihren Gemahl noch über das Grab hinaus; ihr Sarg trug die Inſchrift „hier ruht Karoline von Braunſchweig, die mißhandelte Königin von England“ und wurde auf ihren Befehl aus der feindlichen Inſel in die braunſchweigiſche Welfengruft übergeführt. Nicht eigentlich durch böſe Abſicht, wohl aber durch die frivole Träg- heit des liebloſen Vormunds wurde die Erziehung des jungen Herzogs arg verwahrloſt — wenn anders dieſer unglückliche Charakter zu erziehen war. Der Zwang und die Langeweile brachten ihn auf, mit brennen- der Ungeduld zählte er die Stunden bis zu dem Tage der Befreiung. Da beging König Georg noch einen letzten, unbegreiflichen Mißgriff. Nach einem alten Familienvertrage, dem Pactum Henrico-Wilhelminum vom

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/575>, abgerufen am 22.11.2024.