noch einer besonderen Prüfung und Genehmigung vor. Er beabsichtigte durch diesen Staatsstreich zugleich seinen Oheim öffentlich zu beschimpfen und die erneuerte Landschaftsordnung umzustoßen. Sein Unrecht war unzweifelhaft. Denn nach deutschem Staatsrecht darf die Regentschaft nicht als eine privatrechtliche Vormundschaft aufgefaßt werden; dem Re- genten des unsterblichen Staates gebühren alle Befugnisse des Staats- oberhauptes, auch das Recht gesetzmäßiger Verfassungsveränderung. Auch gegen die Verlängerung der Regentschaft konnte Herzog Karl, wenn ihm sein Fürstenwort heilig war, jetzt nicht mehr Einspruch erheben, nachdem er ihr selber zugestimmt hatte.
Mittlerweile wurde Schmidt-Phiseldeck von den Geschäften entbunden, im Gehalte verkürzt, durch Anfragen, Vorwürfe, Drohungen dermaßen mißhandelt, daß er seine Entlassung forderte. Sie ward ihm versprochen, aber trotz wiederholter Mahnungen nicht gewährt. Der geängstete Mann fürchtete das Aergste und entfloh nach Hannover, wo er, gemäß einer früheren Zusage, einen Platz im Geheimen Rathe erhielt. Die vom Her- zog nachgesendeten Steckbriefe wies man in Preußen und Hannover als offenbar willkürlich zurück. Nunmehr ward das braunschweigische Ge- heimrathscollegium mit willfährigen Männern ganz neu besetzt; ein vor- maliger Schreiber, Bitter erhielt die Leitung des Finanzwesens. Im her- zoglichen Cabinet, wo fortan der Schwerpunkt der Geschäfte lag, tauchten unheimliche Gestalten auf: so Wit v. Dörring, der Verräther der Dema- gogen, und Dr. Klindworth, ein geheimer Agent, der während eines halben Jahrhunderts von der Gräfin Lichtenau und dem Fürsten Wittgenstein, nachher von Metternich, Guizot, Wilhelm von Württemberg, Manteuffel zu Späherdiensten verwendet wurde und sich zumeist in der einträglichen Rolle des Doppelspions wohlgefiel; auch die verrufene Gräfin Görtz-Wris- berg hatte die Hände mit im Spiele. Mit Hilfe dieser Menschen ließ Herzog Karl eine Reihe unsauberer Libelle anfertigen, welche den König, Münster, Schmidt-Phiseldeck, alle Räthe der Regentschaft mit Schmähun- gen überschütteten und dem Vormund namentlich vorwarfen, er sei darauf ausgegangen, durch seine tyrannische Erziehung die Willenskraft des jungen Herzogs zu ertöden.
Der hochmüthige englische Hof wurde durch die Angriffe des Braun- schweigers aufs Aeußerste gereizt. Die politischen Beschwerden des Her- zogs ließen sich leicht widerlegen, aber der Vorwurf der verfehlten Er- ziehung war nicht grundlos, wie seltsam er sich auch im Munde des Erzogenen selber ausnahm. Weil König Georg dies empfand, verlor er alle Haltung und ließ sich von dem alten Hasse gegen die Sippe seiner Ge- mahlin gänzlich übermannen. In seinem Auftrage schrieb Münster eine "Widerlegung der ehrenrührigen Beschuldigungen des Herzogs von Braun- schweig", ein Libell, dessen maßlose Sprache den Braunschweigischen Brand- schriften nichts nachgab. Der Graf scheute sich nicht dem jungen Welfen
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 36
K. Georg IV. und Herzog Karl.
noch einer beſonderen Prüfung und Genehmigung vor. Er beabſichtigte durch dieſen Staatsſtreich zugleich ſeinen Oheim öffentlich zu beſchimpfen und die erneuerte Landſchaftsordnung umzuſtoßen. Sein Unrecht war unzweifelhaft. Denn nach deutſchem Staatsrecht darf die Regentſchaft nicht als eine privatrechtliche Vormundſchaft aufgefaßt werden; dem Re- genten des unſterblichen Staates gebühren alle Befugniſſe des Staats- oberhauptes, auch das Recht geſetzmäßiger Verfaſſungsveränderung. Auch gegen die Verlängerung der Regentſchaft konnte Herzog Karl, wenn ihm ſein Fürſtenwort heilig war, jetzt nicht mehr Einſpruch erheben, nachdem er ihr ſelber zugeſtimmt hatte.
Mittlerweile wurde Schmidt-Phiſeldeck von den Geſchäften entbunden, im Gehalte verkürzt, durch Anfragen, Vorwürfe, Drohungen dermaßen mißhandelt, daß er ſeine Entlaſſung forderte. Sie ward ihm verſprochen, aber trotz wiederholter Mahnungen nicht gewährt. Der geängſtete Mann fürchtete das Aergſte und entfloh nach Hannover, wo er, gemäß einer früheren Zuſage, einen Platz im Geheimen Rathe erhielt. Die vom Her- zog nachgeſendeten Steckbriefe wies man in Preußen und Hannover als offenbar willkürlich zurück. Nunmehr ward das braunſchweigiſche Ge- heimrathscollegium mit willfährigen Männern ganz neu beſetzt; ein vor- maliger Schreiber, Bitter erhielt die Leitung des Finanzweſens. Im her- zoglichen Cabinet, wo fortan der Schwerpunkt der Geſchäfte lag, tauchten unheimliche Geſtalten auf: ſo Wit v. Dörring, der Verräther der Dema- gogen, und Dr. Klindworth, ein geheimer Agent, der während eines halben Jahrhunderts von der Gräfin Lichtenau und dem Fürſten Wittgenſtein, nachher von Metternich, Guizot, Wilhelm von Württemberg, Manteuffel zu Späherdienſten verwendet wurde und ſich zumeiſt in der einträglichen Rolle des Doppelſpions wohlgefiel; auch die verrufene Gräfin Görtz-Wris- berg hatte die Hände mit im Spiele. Mit Hilfe dieſer Menſchen ließ Herzog Karl eine Reihe unſauberer Libelle anfertigen, welche den König, Münſter, Schmidt-Phiſeldeck, alle Räthe der Regentſchaft mit Schmähun- gen überſchütteten und dem Vormund namentlich vorwarfen, er ſei darauf ausgegangen, durch ſeine tyranniſche Erziehung die Willenskraft des jungen Herzogs zu ertöden.
Der hochmüthige engliſche Hof wurde durch die Angriffe des Braun- ſchweigers aufs Aeußerſte gereizt. Die politiſchen Beſchwerden des Her- zogs ließen ſich leicht widerlegen, aber der Vorwurf der verfehlten Er- ziehung war nicht grundlos, wie ſeltſam er ſich auch im Munde des Erzogenen ſelber ausnahm. Weil König Georg dies empfand, verlor er alle Haltung und ließ ſich von dem alten Haſſe gegen die Sippe ſeiner Ge- mahlin gänzlich übermannen. In ſeinem Auftrage ſchrieb Münſter eine „Widerlegung der ehrenrührigen Beſchuldigungen des Herzogs von Braun- ſchweig“, ein Libell, deſſen maßloſe Sprache den Braunſchweigiſchen Brand- ſchriften nichts nachgab. Der Graf ſcheute ſich nicht dem jungen Welfen
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 36
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K. Georg IV. und Herzog Karl.
noch einer beſonderen Prüfung und Genehmigung vor. Er beabſichtigte
durch dieſen Staatsſtreich zugleich ſeinen Oheim öffentlich zu beſchimpfen
und die erneuerte Landſchaftsordnung umzuſtoßen. Sein Unrecht war
unzweifelhaft. Denn nach deutſchem Staatsrecht darf die Regentſchaft
nicht als eine privatrechtliche Vormundſchaft aufgefaßt werden; dem Re-
genten des unſterblichen Staates gebühren alle Befugniſſe des Staats-
oberhauptes, auch das Recht geſetzmäßiger Verfaſſungsveränderung. Auch
gegen die Verlängerung der Regentſchaft konnte Herzog Karl, wenn ihm
ſein Fürſtenwort heilig war, jetzt nicht mehr Einſpruch erheben, nachdem
er ihr ſelber zugeſtimmt hatte.
Mittlerweile wurde Schmidt-Phiſeldeck von den Geſchäften entbunden,
im Gehalte verkürzt, durch Anfragen, Vorwürfe, Drohungen dermaßen
mißhandelt, daß er ſeine Entlaſſung forderte. Sie ward ihm verſprochen,
aber trotz wiederholter Mahnungen nicht gewährt. Der geängſtete Mann
fürchtete das Aergſte und entfloh nach Hannover, wo er, gemäß einer
früheren Zuſage, einen Platz im Geheimen Rathe erhielt. Die vom Her-
zog nachgeſendeten Steckbriefe wies man in Preußen und Hannover als
offenbar willkürlich zurück. Nunmehr ward das braunſchweigiſche Ge-
heimrathscollegium mit willfährigen Männern ganz neu beſetzt; ein vor-
maliger Schreiber, Bitter erhielt die Leitung des Finanzweſens. Im her-
zoglichen Cabinet, wo fortan der Schwerpunkt der Geſchäfte lag, tauchten
unheimliche Geſtalten auf: ſo Wit v. Dörring, der Verräther der Dema-
gogen, und Dr. Klindworth, ein geheimer Agent, der während eines halben
Jahrhunderts von der Gräfin Lichtenau und dem Fürſten Wittgenſtein,
nachher von Metternich, Guizot, Wilhelm von Württemberg, Manteuffel
zu Späherdienſten verwendet wurde und ſich zumeiſt in der einträglichen
Rolle des Doppelſpions wohlgefiel; auch die verrufene Gräfin Görtz-Wris-
berg hatte die Hände mit im Spiele. Mit Hilfe dieſer Menſchen ließ
Herzog Karl eine Reihe unſauberer Libelle anfertigen, welche den König,
Münſter, Schmidt-Phiſeldeck, alle Räthe der Regentſchaft mit Schmähun-
gen überſchütteten und dem Vormund namentlich vorwarfen, er ſei darauf
ausgegangen, durch ſeine tyranniſche Erziehung die Willenskraft des jungen
Herzogs zu ertöden.
Der hochmüthige engliſche Hof wurde durch die Angriffe des Braun-
ſchweigers aufs Aeußerſte gereizt. Die politiſchen Beſchwerden des Her-
zogs ließen ſich leicht widerlegen, aber der Vorwurf der verfehlten Er-
ziehung war nicht grundlos, wie ſeltſam er ſich auch im Munde des
Erzogenen ſelber ausnahm. Weil König Georg dies empfand, verlor er
alle Haltung und ließ ſich von dem alten Haſſe gegen die Sippe ſeiner Ge-
mahlin gänzlich übermannen. In ſeinem Auftrage ſchrieb Münſter eine
„Widerlegung der ehrenrührigen Beſchuldigungen des Herzogs von Braun-
ſchweig“, ein Libell, deſſen maßloſe Sprache den Braunſchweigiſchen Brand-
ſchriften nichts nachgab. Der Graf ſcheute ſich nicht dem jungen Welfen
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 36
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/577>, abgerufen am 22.11.2024.
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