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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
mit der Revolution zu drohen: "es scheint, schrieb er höhnisch, der Her-
zog will sich in seiner unglücklichen Laufbahn nicht aufhalten lassen." Auch
mit der Kriegsmacht des Großbritannischen Königs drohte er hochfahrend,
wenn der Deutsche Bund nicht im Stande sei Genugthuung zu schaffen,
und wiederholt versicherte er seinen "Ekel über die schwärzeste Undank-
barkeit" des Braunschweigers. Welch ein Schauspiel! Was mußte die
radikale Jugend, die schon längst an der monarchischen Ordnung zu
zweifeln begann, jetzt empfinden, wenn diese beiden Fürsten -- neben dem
Kurfürsten von Hessen zur Zeit die verächtlichsten Mitglieder des deutschen
hohen Adels -- also vor aller Welt ihre schwarze Wäsche wuschen; wenn
der hochconservative welfische Staatsmann von einem Welfenfürsten öffent-
lich in einem Tone sprach, den sich die Redner des Burschenhauses kaum
erlaubten?

Herzog Karl beantwortete Münster's Schrift durch eine Forderung;
zur Vorübung schoß er täglich stundenlang nach dem Bilde des Feindes.
Als Münster die unmögliche Zumuthung abwies, mußte der Oberhof-
jägermeister des Herzogs, v. Praun, der den hannoverschen Minister nicht
einmal kannte, seinerseits die Herausforderung wiederholen. Das Aerger-
niß ward unerträglich, alle Oppositionsblätter Europas hatten ihre Lust
daran. Schon wurden hannoversche Truppen an der Grenze Braun-
schweigs zusammengezogen, auch der Herzog rüstete, und da König Georg
nicht als Bundesfürst, sondern ganz persönlich beleidigt war, so konnte
der knabenhafte Unfug vielleicht zu einer europäischen Verwicklung führen.
Beide Theile hatten sich unterdessen klagend an den Bundestag gewendet.
Herzog Karl sendete einen Vertrauten, v. Buttlar nach Stuttgart und
suchte auch König Ludwig von Baiern für sich zu gewinnen. Die beiden
liberalen Könige wollten aber mit diesem Handel nichts zu schaffen haben
und riethen dem jungen Welfen zur Nachgiebigkeit.*)

Es ward die höchste Zeit daß der Bund einschritt. Nach der Wiener
Schlußakte war er nicht nur befugt Thätlichkeiten zwischen Bundesgliedern
zu verhindern, sondern auch verpflichtet, einen Bundesstaat, der fremden
Mächten Anlaß zu berechtigten Beschwerden gab, zur Genugthuung zu
nöthigen, und in der politischen Streitfrage, welche den Bundestag allein
beschäftigen konnte, hatte der englische König unbestreitbar Recht. Gleich-
wohl befand sich der Bundestag in peinlicher Lage. Münster sagte in
seiner hochpathetischen Weise: wie die Athener keine Strafe für den Vater-
mord bestimmt hätten, so sei auch die Bundesakte nicht auf einen solchen
Fall berechnet. Und allerdings hatten die Gesetzgeber des Bundes einen
so persönlichen Zank zwischen gekrönten Häuptern nicht für möglich ge-
halten. Wie durfte die Frankfurter Gesandtenconferenz sich herausnehmen,
einem deutschen Souverän persönlich einen Verweis zu ertheilen und ihn

*) Küster's Berichte, 21. Juni, 11., 24. Okt., 6. Nov. 1828.

III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
mit der Revolution zu drohen: „es ſcheint, ſchrieb er höhniſch, der Her-
zog will ſich in ſeiner unglücklichen Laufbahn nicht aufhalten laſſen.“ Auch
mit der Kriegsmacht des Großbritanniſchen Königs drohte er hochfahrend,
wenn der Deutſche Bund nicht im Stande ſei Genugthuung zu ſchaffen,
und wiederholt verſicherte er ſeinen „Ekel über die ſchwärzeſte Undank-
barkeit“ des Braunſchweigers. Welch ein Schauſpiel! Was mußte die
radikale Jugend, die ſchon längſt an der monarchiſchen Ordnung zu
zweifeln begann, jetzt empfinden, wenn dieſe beiden Fürſten — neben dem
Kurfürſten von Heſſen zur Zeit die verächtlichſten Mitglieder des deutſchen
hohen Adels — alſo vor aller Welt ihre ſchwarze Wäſche wuſchen; wenn
der hochconſervative welfiſche Staatsmann von einem Welfenfürſten öffent-
lich in einem Tone ſprach, den ſich die Redner des Burſchenhauſes kaum
erlaubten?

Herzog Karl beantwortete Münſter’s Schrift durch eine Forderung;
zur Vorübung ſchoß er täglich ſtundenlang nach dem Bilde des Feindes.
Als Münſter die unmögliche Zumuthung abwies, mußte der Oberhof-
jägermeiſter des Herzogs, v. Praun, der den hannoverſchen Miniſter nicht
einmal kannte, ſeinerſeits die Herausforderung wiederholen. Das Aerger-
niß ward unerträglich, alle Oppoſitionsblätter Europas hatten ihre Luſt
daran. Schon wurden hannoverſche Truppen an der Grenze Braun-
ſchweigs zuſammengezogen, auch der Herzog rüſtete, und da König Georg
nicht als Bundesfürſt, ſondern ganz perſönlich beleidigt war, ſo konnte
der knabenhafte Unfug vielleicht zu einer europäiſchen Verwicklung führen.
Beide Theile hatten ſich unterdeſſen klagend an den Bundestag gewendet.
Herzog Karl ſendete einen Vertrauten, v. Buttlar nach Stuttgart und
ſuchte auch König Ludwig von Baiern für ſich zu gewinnen. Die beiden
liberalen Könige wollten aber mit dieſem Handel nichts zu ſchaffen haben
und riethen dem jungen Welfen zur Nachgiebigkeit.*)

Es ward die höchſte Zeit daß der Bund einſchritt. Nach der Wiener
Schlußakte war er nicht nur befugt Thätlichkeiten zwiſchen Bundesgliedern
zu verhindern, ſondern auch verpflichtet, einen Bundesſtaat, der fremden
Mächten Anlaß zu berechtigten Beſchwerden gab, zur Genugthuung zu
nöthigen, und in der politiſchen Streitfrage, welche den Bundestag allein
beſchäftigen konnte, hatte der engliſche König unbeſtreitbar Recht. Gleich-
wohl befand ſich der Bundestag in peinlicher Lage. Münſter ſagte in
ſeiner hochpathetiſchen Weiſe: wie die Athener keine Strafe für den Vater-
mord beſtimmt hätten, ſo ſei auch die Bundesakte nicht auf einen ſolchen
Fall berechnet. Und allerdings hatten die Geſetzgeber des Bundes einen
ſo perſönlichen Zank zwiſchen gekrönten Häuptern nicht für möglich ge-
halten. Wie durfte die Frankfurter Geſandtenconferenz ſich herausnehmen,
einem deutſchen Souverän perſönlich einen Verweis zu ertheilen und ihn

*) Küſter’s Berichte, 21. Juni, 11., 24. Okt., 6. Nov. 1828.
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[562/0578] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. mit der Revolution zu drohen: „es ſcheint, ſchrieb er höhniſch, der Her- zog will ſich in ſeiner unglücklichen Laufbahn nicht aufhalten laſſen.“ Auch mit der Kriegsmacht des Großbritanniſchen Königs drohte er hochfahrend, wenn der Deutſche Bund nicht im Stande ſei Genugthuung zu ſchaffen, und wiederholt verſicherte er ſeinen „Ekel über die ſchwärzeſte Undank- barkeit“ des Braunſchweigers. Welch ein Schauſpiel! Was mußte die radikale Jugend, die ſchon längſt an der monarchiſchen Ordnung zu zweifeln begann, jetzt empfinden, wenn dieſe beiden Fürſten — neben dem Kurfürſten von Heſſen zur Zeit die verächtlichſten Mitglieder des deutſchen hohen Adels — alſo vor aller Welt ihre ſchwarze Wäſche wuſchen; wenn der hochconſervative welfiſche Staatsmann von einem Welfenfürſten öffent- lich in einem Tone ſprach, den ſich die Redner des Burſchenhauſes kaum erlaubten? Herzog Karl beantwortete Münſter’s Schrift durch eine Forderung; zur Vorübung ſchoß er täglich ſtundenlang nach dem Bilde des Feindes. Als Münſter die unmögliche Zumuthung abwies, mußte der Oberhof- jägermeiſter des Herzogs, v. Praun, der den hannoverſchen Miniſter nicht einmal kannte, ſeinerſeits die Herausforderung wiederholen. Das Aerger- niß ward unerträglich, alle Oppoſitionsblätter Europas hatten ihre Luſt daran. Schon wurden hannoverſche Truppen an der Grenze Braun- ſchweigs zuſammengezogen, auch der Herzog rüſtete, und da König Georg nicht als Bundesfürſt, ſondern ganz perſönlich beleidigt war, ſo konnte der knabenhafte Unfug vielleicht zu einer europäiſchen Verwicklung führen. Beide Theile hatten ſich unterdeſſen klagend an den Bundestag gewendet. Herzog Karl ſendete einen Vertrauten, v. Buttlar nach Stuttgart und ſuchte auch König Ludwig von Baiern für ſich zu gewinnen. Die beiden liberalen Könige wollten aber mit dieſem Handel nichts zu ſchaffen haben und riethen dem jungen Welfen zur Nachgiebigkeit. *) Es ward die höchſte Zeit daß der Bund einſchritt. Nach der Wiener Schlußakte war er nicht nur befugt Thätlichkeiten zwiſchen Bundesgliedern zu verhindern, ſondern auch verpflichtet, einen Bundesſtaat, der fremden Mächten Anlaß zu berechtigten Beſchwerden gab, zur Genugthuung zu nöthigen, und in der politiſchen Streitfrage, welche den Bundestag allein beſchäftigen konnte, hatte der engliſche König unbeſtreitbar Recht. Gleich- wohl befand ſich der Bundestag in peinlicher Lage. Münſter ſagte in ſeiner hochpathetiſchen Weiſe: wie die Athener keine Strafe für den Vater- mord beſtimmt hätten, ſo ſei auch die Bundesakte nicht auf einen ſolchen Fall berechnet. Und allerdings hatten die Geſetzgeber des Bundes einen ſo perſönlichen Zank zwiſchen gekrönten Häuptern nicht für möglich ge- halten. Wie durfte die Frankfurter Geſandtenconferenz ſich herausnehmen, einem deutſchen Souverän perſönlich einen Verweis zu ertheilen und ihn *) Küſter’s Berichte, 21. Juni, 11., 24. Okt., 6. Nov. 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/578>, abgerufen am 22.11.2024.