zur Abbitte zu nöthigen? Diese Formbedenken wußte Metternich, der Gönner des jungen Welfen, gewandt zu benutzen; so weit es die Rück- sicht auf Preußen nur irgend erlaubte, nahm er Partei für den Braun- schweiger und suchte die Entscheidung des Bundestags hinauszuschieben oder zu vereiteln. Als Wit v. Dörring jetzt, während die Klage noch schwebte, eine neue Schmähschrift veröffentlichte und Herzog Karl jede Mitwissenschaft ableugnete, da stellte sich Metternich als ob er der dreisten Unwahrheit Glauben schenke; der preußische Gesandte mußte ihm erst nachweisen, daß Wit offenbar geheime Papiere des Herzogs benutzt hatte und in einzelnen Sätzen die bekannten bubenhaften Witze des Welfen wörtlich wiederkehrten.*) Auch Reinhard und Anstett arbeiteten am Bun- destage insgeheim für den Braunschweiger, vermuthlich weil sie das Er- starken der Bundesgewalt fürchteten.
Der entschiedenste Gegner des Herzogs war die Krone Preußen, die neuerdings mit England-Hannover sehr freundlich stand. Der junge Fürst hatte am Berliner Hofe allgemein mißfallen. Stein fand ihn un- sittlich, dünkelvoll, frech und leer; die Generale verziehen ihm nicht, daß er sich gegen die alten Ueberlieferungen seines Hauses ganz an Oester- reich anschloß und, unzweifelhaft auf Metternich's Rath, nicht um eine Stelle im preußischen Heere nachsuchte. König Friedrich Wilhelm empfand den Abscheu des ernsten Mannes gegen ein kindisches Treiben, das zu- gleich den Frieden im Deutschen Bunde und das Verfassungsrecht in Braunschweig gefährdete. Sein Unwille stieg, als die unermüdlichen braun- schweigischen Pamphletisten die welfische Winkeltyrannei sogar durch dema- gogische Schlagwörter zu beschönigen suchten: nur darum, hieß es jetzt, wolle Herzog Karl die neue Landschaftsordnung nicht beschwören, weil sie das Volk zu Gunsten des Adels übervortheile! In einem väterlichen Briefe ermahnte Friedrich Wilhelm den Herzog (December 1827), seine "unverdienten Vorwürfe" zurückzunehmen. Umsonst. Auch andere Ver- mittlungsversuche, welche Bernstorff im Verein mit Metternich unter- nahm, scheiterten an dem Starrsinn des Herzogs und der Unzuverlässigkeit Oesterreichs.
Nunmehr hielt der König für unerläßlich, daß der Bundestag sein Ansehen gebrauche. Zeigte der Bund diesmal Ernst, so konnte Herzog Karl vielleicht vor weiteren Thorheiten behütet werden; jedenfalls ward dem Volke bewiesen, daß in Deutschland noch eine letzte Schranke fürst- licher Willkür bestehe. Der König betrachtete die Beilegung dieses Handels als eine Ehrensache des deutschen Fürstenstandes. Als sein Gesandter in London die naheliegende Frage aufwarf, ob man nicht den häus- lichen Streit der Welfen benutzen solle um durch eine sanfte Drohung auf Hannovers Zollpolitik zu drücken, da erwiderte Bernstorff sehr ernst:
*) Maltzahn's Berichte, 9., 13. Febr. 1828.
36*
Herzog Karl und die Großmächte.
zur Abbitte zu nöthigen? Dieſe Formbedenken wußte Metternich, der Gönner des jungen Welfen, gewandt zu benutzen; ſo weit es die Rück- ſicht auf Preußen nur irgend erlaubte, nahm er Partei für den Braun- ſchweiger und ſuchte die Entſcheidung des Bundestags hinauszuſchieben oder zu vereiteln. Als Wit v. Dörring jetzt, während die Klage noch ſchwebte, eine neue Schmähſchrift veröffentlichte und Herzog Karl jede Mitwiſſenſchaft ableugnete, da ſtellte ſich Metternich als ob er der dreiſten Unwahrheit Glauben ſchenke; der preußiſche Geſandte mußte ihm erſt nachweiſen, daß Wit offenbar geheime Papiere des Herzogs benutzt hatte und in einzelnen Sätzen die bekannten bubenhaften Witze des Welfen wörtlich wiederkehrten.*) Auch Reinhard und Anſtett arbeiteten am Bun- destage insgeheim für den Braunſchweiger, vermuthlich weil ſie das Er- ſtarken der Bundesgewalt fürchteten.
Der entſchiedenſte Gegner des Herzogs war die Krone Preußen, die neuerdings mit England-Hannover ſehr freundlich ſtand. Der junge Fürſt hatte am Berliner Hofe allgemein mißfallen. Stein fand ihn un- ſittlich, dünkelvoll, frech und leer; die Generale verziehen ihm nicht, daß er ſich gegen die alten Ueberlieferungen ſeines Hauſes ganz an Oeſter- reich anſchloß und, unzweifelhaft auf Metternich’s Rath, nicht um eine Stelle im preußiſchen Heere nachſuchte. König Friedrich Wilhelm empfand den Abſcheu des ernſten Mannes gegen ein kindiſches Treiben, das zu- gleich den Frieden im Deutſchen Bunde und das Verfaſſungsrecht in Braunſchweig gefährdete. Sein Unwille ſtieg, als die unermüdlichen braun- ſchweigiſchen Pamphletiſten die welfiſche Winkeltyrannei ſogar durch dema- gogiſche Schlagwörter zu beſchönigen ſuchten: nur darum, hieß es jetzt, wolle Herzog Karl die neue Landſchaftsordnung nicht beſchwören, weil ſie das Volk zu Gunſten des Adels übervortheile! In einem väterlichen Briefe ermahnte Friedrich Wilhelm den Herzog (December 1827), ſeine „unverdienten Vorwürfe“ zurückzunehmen. Umſonſt. Auch andere Ver- mittlungsverſuche, welche Bernſtorff im Verein mit Metternich unter- nahm, ſcheiterten an dem Starrſinn des Herzogs und der Unzuverläſſigkeit Oeſterreichs.
Nunmehr hielt der König für unerläßlich, daß der Bundestag ſein Anſehen gebrauche. Zeigte der Bund diesmal Ernſt, ſo konnte Herzog Karl vielleicht vor weiteren Thorheiten behütet werden; jedenfalls ward dem Volke bewieſen, daß in Deutſchland noch eine letzte Schranke fürſt- licher Willkür beſtehe. Der König betrachtete die Beilegung dieſes Handels als eine Ehrenſache des deutſchen Fürſtenſtandes. Als ſein Geſandter in London die naheliegende Frage aufwarf, ob man nicht den häus- lichen Streit der Welfen benutzen ſolle um durch eine ſanfte Drohung auf Hannovers Zollpolitik zu drücken, da erwiderte Bernſtorff ſehr ernſt:
*) Maltzahn’s Berichte, 9., 13. Febr. 1828.
36*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0579"n="563"/><fwplace="top"type="header">Herzog Karl und die Großmächte.</fw><lb/>
zur Abbitte zu nöthigen? Dieſe Formbedenken wußte Metternich, der<lb/>
Gönner des jungen Welfen, gewandt zu benutzen; ſo weit es die Rück-<lb/>ſicht auf Preußen nur irgend erlaubte, nahm er Partei für den Braun-<lb/>ſchweiger und ſuchte die Entſcheidung des Bundestags hinauszuſchieben<lb/>
oder zu vereiteln. Als Wit v. Dörring jetzt, während die Klage noch<lb/>ſchwebte, eine neue Schmähſchrift veröffentlichte und Herzog Karl jede<lb/>
Mitwiſſenſchaft ableugnete, da ſtellte ſich Metternich als ob er der dreiſten<lb/>
Unwahrheit Glauben ſchenke; der preußiſche Geſandte mußte ihm erſt<lb/>
nachweiſen, daß Wit offenbar geheime Papiere des Herzogs benutzt hatte<lb/>
und in einzelnen Sätzen die bekannten bubenhaften Witze des Welfen<lb/>
wörtlich wiederkehrten.<noteplace="foot"n="*)">Maltzahn’s Berichte, 9., 13. Febr. 1828.</note> Auch Reinhard und Anſtett arbeiteten am Bun-<lb/>
destage insgeheim für den Braunſchweiger, vermuthlich weil ſie das Er-<lb/>ſtarken der Bundesgewalt fürchteten.</p><lb/><p>Der entſchiedenſte Gegner des Herzogs war die Krone Preußen, die<lb/>
neuerdings mit England-Hannover ſehr freundlich ſtand. Der junge<lb/>
Fürſt hatte am Berliner Hofe allgemein mißfallen. Stein fand ihn un-<lb/>ſittlich, dünkelvoll, frech und leer; die Generale verziehen ihm nicht, daß<lb/>
er ſich gegen die alten Ueberlieferungen ſeines Hauſes ganz an Oeſter-<lb/>
reich anſchloß und, unzweifelhaft auf Metternich’s Rath, nicht um eine<lb/>
Stelle im preußiſchen Heere nachſuchte. König Friedrich Wilhelm empfand<lb/>
den Abſcheu des ernſten Mannes gegen ein kindiſches Treiben, das zu-<lb/>
gleich den Frieden im Deutſchen Bunde und das Verfaſſungsrecht in<lb/>
Braunſchweig gefährdete. Sein Unwille ſtieg, als die unermüdlichen braun-<lb/>ſchweigiſchen Pamphletiſten die welfiſche Winkeltyrannei ſogar durch dema-<lb/>
gogiſche Schlagwörter zu beſchönigen ſuchten: nur darum, hieß es jetzt,<lb/>
wolle Herzog Karl die neue Landſchaftsordnung nicht beſchwören, weil ſie<lb/>
das Volk zu Gunſten des Adels übervortheile! In einem väterlichen<lb/>
Briefe ermahnte Friedrich Wilhelm den Herzog (December 1827), ſeine<lb/>„unverdienten Vorwürfe“ zurückzunehmen. Umſonſt. Auch andere Ver-<lb/>
mittlungsverſuche, welche Bernſtorff im Verein mit Metternich unter-<lb/>
nahm, ſcheiterten an dem Starrſinn des Herzogs und der Unzuverläſſigkeit<lb/>
Oeſterreichs.</p><lb/><p>Nunmehr hielt der König für unerläßlich, daß der Bundestag ſein<lb/>
Anſehen gebrauche. Zeigte der Bund diesmal Ernſt, ſo konnte Herzog<lb/>
Karl vielleicht vor weiteren Thorheiten behütet werden; jedenfalls ward<lb/>
dem Volke bewieſen, daß in Deutſchland noch eine letzte Schranke fürſt-<lb/>
licher Willkür beſtehe. Der König betrachtete die Beilegung dieſes Handels<lb/>
als eine Ehrenſache des deutſchen Fürſtenſtandes. Als ſein Geſandter<lb/>
in London die naheliegende Frage aufwarf, ob man nicht den häus-<lb/>
lichen Streit der Welfen benutzen ſolle um durch eine ſanfte Drohung<lb/>
auf Hannovers Zollpolitik zu drücken, da erwiderte Bernſtorff ſehr ernſt:<lb/><fwplace="bottom"type="sig">36*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[563/0579]
Herzog Karl und die Großmächte.
zur Abbitte zu nöthigen? Dieſe Formbedenken wußte Metternich, der
Gönner des jungen Welfen, gewandt zu benutzen; ſo weit es die Rück-
ſicht auf Preußen nur irgend erlaubte, nahm er Partei für den Braun-
ſchweiger und ſuchte die Entſcheidung des Bundestags hinauszuſchieben
oder zu vereiteln. Als Wit v. Dörring jetzt, während die Klage noch
ſchwebte, eine neue Schmähſchrift veröffentlichte und Herzog Karl jede
Mitwiſſenſchaft ableugnete, da ſtellte ſich Metternich als ob er der dreiſten
Unwahrheit Glauben ſchenke; der preußiſche Geſandte mußte ihm erſt
nachweiſen, daß Wit offenbar geheime Papiere des Herzogs benutzt hatte
und in einzelnen Sätzen die bekannten bubenhaften Witze des Welfen
wörtlich wiederkehrten. *) Auch Reinhard und Anſtett arbeiteten am Bun-
destage insgeheim für den Braunſchweiger, vermuthlich weil ſie das Er-
ſtarken der Bundesgewalt fürchteten.
Der entſchiedenſte Gegner des Herzogs war die Krone Preußen, die
neuerdings mit England-Hannover ſehr freundlich ſtand. Der junge
Fürſt hatte am Berliner Hofe allgemein mißfallen. Stein fand ihn un-
ſittlich, dünkelvoll, frech und leer; die Generale verziehen ihm nicht, daß
er ſich gegen die alten Ueberlieferungen ſeines Hauſes ganz an Oeſter-
reich anſchloß und, unzweifelhaft auf Metternich’s Rath, nicht um eine
Stelle im preußiſchen Heere nachſuchte. König Friedrich Wilhelm empfand
den Abſcheu des ernſten Mannes gegen ein kindiſches Treiben, das zu-
gleich den Frieden im Deutſchen Bunde und das Verfaſſungsrecht in
Braunſchweig gefährdete. Sein Unwille ſtieg, als die unermüdlichen braun-
ſchweigiſchen Pamphletiſten die welfiſche Winkeltyrannei ſogar durch dema-
gogiſche Schlagwörter zu beſchönigen ſuchten: nur darum, hieß es jetzt,
wolle Herzog Karl die neue Landſchaftsordnung nicht beſchwören, weil ſie
das Volk zu Gunſten des Adels übervortheile! In einem väterlichen
Briefe ermahnte Friedrich Wilhelm den Herzog (December 1827), ſeine
„unverdienten Vorwürfe“ zurückzunehmen. Umſonſt. Auch andere Ver-
mittlungsverſuche, welche Bernſtorff im Verein mit Metternich unter-
nahm, ſcheiterten an dem Starrſinn des Herzogs und der Unzuverläſſigkeit
Oeſterreichs.
Nunmehr hielt der König für unerläßlich, daß der Bundestag ſein
Anſehen gebrauche. Zeigte der Bund diesmal Ernſt, ſo konnte Herzog
Karl vielleicht vor weiteren Thorheiten behütet werden; jedenfalls ward
dem Volke bewieſen, daß in Deutſchland noch eine letzte Schranke fürſt-
licher Willkür beſtehe. Der König betrachtete die Beilegung dieſes Handels
als eine Ehrenſache des deutſchen Fürſtenſtandes. Als ſein Geſandter
in London die naheliegende Frage aufwarf, ob man nicht den häus-
lichen Streit der Welfen benutzen ſolle um durch eine ſanfte Drohung
auf Hannovers Zollpolitik zu drücken, da erwiderte Bernſtorff ſehr ernſt:
*) Maltzahn’s Berichte, 9., 13. Febr. 1828.
36*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/579>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.