III. 7. Altständisches Stilleben in Norddeutschland.
theil."*) Nach der alten Gewohnheit der Despoten kühlte er seinen Muth zunächst an dem Adel und den höheren Ständen; die Masse des Volks wurde nicht gedrückt, die Steuerlast nicht verstärkt. Jedoch die abstoßende Persönlichkeit des Herzogs, der niemals durch einen Zug der Großmuth für seine Narrheit entschädigte, und das freche Gesindel im Schlosse er- bitterten auch den geringen Mann. Kopfschüttelnd sah der ehrbare Bürger dem tollen Wesen zu und glaubte die wunderbarsten Gerüchte, denn dieser Fürst forderte die mythenbildende Kraft des Volksgeistes geradezu heraus. Schon im Februar 1830 schilderte der Abgesandte der Landstände am Bundestage den Zustand als völlig unhaltbar.**) Trat aber hier ein Umschwung ein, so mußte sich aller Groll unfehlbar gegen den Fürsten selber richten, und dann konnte, da der englisch-hannoversche Hof noch immer unversöhnt blieb, leicht ein Sturz erfolgen, wie ihn die geduldige deutsche Kleinstaatenwelt noch nie erlebt hatte. --
In keinem dieser Kleinstaaten war die Gewalt des Landesherrn durch die Macht der Stände völlig vernichtet worden; ein kräftiger Fürst ver- mochte hier überall noch Unheil oder Segen zu stiften. Allein in Meck- lenburg stand die ständische Oligarchie so fest, daß auf die Persönlichkeit der Landesherren wenig oder nichts mehr ankam. In siebenhundert Jahren bekamen diese Gebiete nur zweimal die starke Hand eines Monarchen zu fühlen: als Wallenstein den Herzogshut der Obotriten an sich riß und in seiner stürmischen Weise gleich damit begann, Kepler nach Rostock zu berufen, den Schweriner See durch einen Kanal mit der Bucht von Wis- mar zu verbinden; und wieder als Friedrich der Große im siebenjährigen Kriege das reiche Land unbarmherzig "wie einen Mehlsack ausklopfen" ließ. Indeß die Eintagsherrschaft des Friedländers verschwand spurlos, und Friedrich schaltete hier nur als Feind, ohne die Absicht Dauerndes zu schaffen. Die einheimischen Fürsten besaßen selten den Ehrgeiz und nie- mals die Mittel um sich ein monarchisches Ansehen zu erringen.
Ungleich milder als an der Spree und Havel waren einst die deutschen Eroberer hier an der Ostsee aufgetreten. Nicht zum Heile des Landes; denn beim Zusammenstoßen feindlicher Nationen werden Freiheit und Gesittung dann am sichersten für die Zukunft gerettet, wenn das überlegene Volks- thum seine Eigenart mit rücksichtsloser Härte durchsetzt. Das wendische Fürstenhaus der Niklot und Pribislav, das durch den Sieger Heinrich
*) Dies schwarze Buch, dessen Echtheit nicht bestritten werden kann, wurde beim Brande des Braunschweiger Schlosses 1830 aufgefunden und von dem Bevollmächtigten der Stände, Frhr. v. Veltheim nach Berlin gebracht. Einige Abschriften daraus theilte Blittersdorff (Sept. 1830) dem badischen Hofe mit.
**) Blittersdorff's Bericht, 15. Febr. 1830.
III. 7. Altſtändiſches Stilleben in Norddeutſchland.
theil.“*) Nach der alten Gewohnheit der Despoten kühlte er ſeinen Muth zunächſt an dem Adel und den höheren Ständen; die Maſſe des Volks wurde nicht gedrückt, die Steuerlaſt nicht verſtärkt. Jedoch die abſtoßende Perſönlichkeit des Herzogs, der niemals durch einen Zug der Großmuth für ſeine Narrheit entſchädigte, und das freche Geſindel im Schloſſe er- bitterten auch den geringen Mann. Kopfſchüttelnd ſah der ehrbare Bürger dem tollen Weſen zu und glaubte die wunderbarſten Gerüchte, denn dieſer Fürſt forderte die mythenbildende Kraft des Volksgeiſtes geradezu heraus. Schon im Februar 1830 ſchilderte der Abgeſandte der Landſtände am Bundestage den Zuſtand als völlig unhaltbar.**) Trat aber hier ein Umſchwung ein, ſo mußte ſich aller Groll unfehlbar gegen den Fürſten ſelber richten, und dann konnte, da der engliſch-hannoverſche Hof noch immer unverſöhnt blieb, leicht ein Sturz erfolgen, wie ihn die geduldige deutſche Kleinſtaatenwelt noch nie erlebt hatte. —
In keinem dieſer Kleinſtaaten war die Gewalt des Landesherrn durch die Macht der Stände völlig vernichtet worden; ein kräftiger Fürſt ver- mochte hier überall noch Unheil oder Segen zu ſtiften. Allein in Meck- lenburg ſtand die ſtändiſche Oligarchie ſo feſt, daß auf die Perſönlichkeit der Landesherren wenig oder nichts mehr ankam. In ſiebenhundert Jahren bekamen dieſe Gebiete nur zweimal die ſtarke Hand eines Monarchen zu fühlen: als Wallenſtein den Herzogshut der Obotriten an ſich riß und in ſeiner ſtürmiſchen Weiſe gleich damit begann, Kepler nach Roſtock zu berufen, den Schweriner See durch einen Kanal mit der Bucht von Wis- mar zu verbinden; und wieder als Friedrich der Große im ſiebenjährigen Kriege das reiche Land unbarmherzig „wie einen Mehlſack ausklopfen“ ließ. Indeß die Eintagsherrſchaft des Friedländers verſchwand ſpurlos, und Friedrich ſchaltete hier nur als Feind, ohne die Abſicht Dauerndes zu ſchaffen. Die einheimiſchen Fürſten beſaßen ſelten den Ehrgeiz und nie- mals die Mittel um ſich ein monarchiſches Anſehen zu erringen.
Ungleich milder als an der Spree und Havel waren einſt die deutſchen Eroberer hier an der Oſtſee aufgetreten. Nicht zum Heile des Landes; denn beim Zuſammenſtoßen feindlicher Nationen werden Freiheit und Geſittung dann am ſicherſten für die Zukunft gerettet, wenn das überlegene Volks- thum ſeine Eigenart mit rückſichtsloſer Härte durchſetzt. Das wendiſche Fürſtenhaus der Niklot und Pribislav, das durch den Sieger Heinrich
*) Dies ſchwarze Buch, deſſen Echtheit nicht beſtritten werden kann, wurde beim Brande des Braunſchweiger Schloſſes 1830 aufgefunden und von dem Bevollmächtigten der Stände, Frhr. v. Veltheim nach Berlin gebracht. Einige Abſchriften daraus theilte Blittersdorff (Sept. 1830) dem badiſchen Hofe mit.
**) Blittersdorff’s Bericht, 15. Febr. 1830.
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III. 7. Altſtändiſches Stilleben in Norddeutſchland.
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zunächſt an dem Adel und den höheren Ständen; die Maſſe des Volks
wurde nicht gedrückt, die Steuerlaſt nicht verſtärkt. Jedoch die abſtoßende
Perſönlichkeit des Herzogs, der niemals durch einen Zug der Großmuth
für ſeine Narrheit entſchädigte, und das freche Geſindel im Schloſſe er-
bitterten auch den geringen Mann. Kopfſchüttelnd ſah der ehrbare Bürger
dem tollen Weſen zu und glaubte die wunderbarſten Gerüchte, denn dieſer
Fürſt forderte die mythenbildende Kraft des Volksgeiſtes geradezu heraus.
Schon im Februar 1830 ſchilderte der Abgeſandte der Landſtände am
Bundestage den Zuſtand als völlig unhaltbar. **) Trat aber hier ein
Umſchwung ein, ſo mußte ſich aller Groll unfehlbar gegen den Fürſten
ſelber richten, und dann konnte, da der engliſch-hannoverſche Hof noch
immer unverſöhnt blieb, leicht ein Sturz erfolgen, wie ihn die geduldige
deutſche Kleinſtaatenwelt noch nie erlebt hatte. —
In keinem dieſer Kleinſtaaten war die Gewalt des Landesherrn durch
die Macht der Stände völlig vernichtet worden; ein kräftiger Fürſt ver-
mochte hier überall noch Unheil oder Segen zu ſtiften. Allein in Meck-
lenburg ſtand die ſtändiſche Oligarchie ſo feſt, daß auf die Perſönlichkeit
der Landesherren wenig oder nichts mehr ankam. In ſiebenhundert Jahren
bekamen dieſe Gebiete nur zweimal die ſtarke Hand eines Monarchen zu
fühlen: als Wallenſtein den Herzogshut der Obotriten an ſich riß und
in ſeiner ſtürmiſchen Weiſe gleich damit begann, Kepler nach Roſtock zu
berufen, den Schweriner See durch einen Kanal mit der Bucht von Wis-
mar zu verbinden; und wieder als Friedrich der Große im ſiebenjährigen
Kriege das reiche Land unbarmherzig „wie einen Mehlſack ausklopfen“ ließ.
Indeß die Eintagsherrſchaft des Friedländers verſchwand ſpurlos, und
Friedrich ſchaltete hier nur als Feind, ohne die Abſicht Dauerndes zu
ſchaffen. Die einheimiſchen Fürſten beſaßen ſelten den Ehrgeiz und nie-
mals die Mittel um ſich ein monarchiſches Anſehen zu erringen.
Ungleich milder als an der Spree und Havel waren einſt die deutſchen
Eroberer hier an der Oſtſee aufgetreten. Nicht zum Heile des Landes; denn
beim Zuſammenſtoßen feindlicher Nationen werden Freiheit und Geſittung
dann am ſicherſten für die Zukunft gerettet, wenn das überlegene Volks-
thum ſeine Eigenart mit rückſichtsloſer Härte durchſetzt. Das wendiſche
Fürſtenhaus der Niklot und Pribislav, das durch den Sieger Heinrich
*) Dies ſchwarze Buch, deſſen Echtheit nicht beſtritten werden kann, wurde beim
Brande des Braunſchweiger Schloſſes 1830 aufgefunden und von dem Bevollmächtigten
der Stände, Frhr. v. Veltheim nach Berlin gebracht. Einige Abſchriften daraus theilte
Blittersdorff (Sept. 1830) dem badiſchen Hofe mit.
**) Blittersdorff’s Bericht, 15. Febr. 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/582>, abgerufen am 14.06.2024.
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