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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Großherzoge.
Stände besaßen nach dem Erbvergleiche das "landsittliche Eigenthums-
recht" an ihren leibeigenen Gutsunterthanen, desgleichen die gutsherrliche
Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt, sowie das Präsentationsrecht für die
Justizkanzleien und das neue Parchimer Oberappellationsgericht; sie ver-
walteten durch ihren Engeren Ausschuß in Rostock den Landkasten und
das ständische Schuldenwesen und sendeten auch zu mehreren landesfürst-
lichen Verwaltungsbehörden ihre Commissäre; selbst zur Zahlung der ordent-
lichen Contribution waren sie nur insoweit verpflichtet, als "Ritter- und
Landschaft mit ihren Hintersassen bei dem Ihrigen ruhig wohnen können".
Darum schien dieser Staat zum ewigen Stillstand verurtheilt; jede noch
so bescheidene Reform war ein Eingriff in die wohlerworbenen Rechte der
Stände und mithin unmöglich ohne den freiwillgen Verzicht der Privi-
legirten.

Großherzog Friedrich Franz hatte dies auch längst eingesehen und
auf manche monarchische Pläne seiner Jugend verzichtet. Er wußte, daß
seine Junker ihn nur als den Ersten unter Gleichen betrachteten; wäh-
rend der ständischen Wirren des achtzehnten Jahrhunderts hatten beflissene
Federn der Adelspartei das durchsichtige Märchen aufgebracht, daß Herzog
Pribislav kein Nachkomme der alten Obotritenfürsten gewesen sei, sondern
ein einfacher wendischer Edler. Friedrich Franz begnügte sich, in seinem
Domanium, wo er Herr war, für die Bauern zu sorgen. Zum Landtage
wagte er nur noch selten mit fürstlicher Strenge zu reden, so einmal als
die Stände nahe daran waren ihm die Kosten seines Bundescontingents
zu verweigern.

Noch schwächer war der monarchische Ehrgeiz am Strelitzer Hofe.
Dort regierten nach einander die Großherzoge Karl und Georg, der Vater
und der Bruder der Königin Luise -- Beide sehr wohlmeinende Herren,
aber auch Beide so fest verwachsen mit dem alten Landesbrauche, daß sie
die Lächerlichkeit ihres Schattenfürstenthums gar nicht mehr empfanden.
Der leitende Minister Klein-Mecklenburgs war August v. Oertzen, einer
der tüchtigsten aus diesem obotritischen Geheimenrathsgeschlechte, ehren-
haft, thätig, gescheidt und doch ganz unfähig über den Gesichtskreis seiner
Standesgenossen hinauszublicken. Wie grimmig ging er einem bürger-
lichen Vasallen zu Leibe, der sich unterfangen hatte, dem Großherzoge
Georg zur vollständigen Ausführung des Art. 13 der Bundesakte die Be-
rufung einer allgemeinen Volksvertretung, ja sogar die Abschaffung des
Erbadels anzuempfehlen. Da hieß es in der großherzoglichen Antwort:
Du hast durch Deinen Brief "das Maß gegeben, nicht was von der ehr-
würdigen Verfassung Unseres Landes, wohl aber was von Dir als Vasallen
zu halten sei! Wir geben Dir unsere große und gerechte Unzufriedenheit
zu erkennen, verweisen Dich an Deine Stelle, verbieten Dir andurch ähn-
lichen Vorwitz für die Zukunft aufs Nachdrücklichste, ermahnen Dich aber
zugleich, Deine Ansichten und Meinungen zu läutern, vor Allem aber Dich

Die Großherzoge.
Stände beſaßen nach dem Erbvergleiche das „landſittliche Eigenthums-
recht“ an ihren leibeigenen Gutsunterthanen, desgleichen die gutsherrliche
Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt, ſowie das Präſentationsrecht für die
Juſtizkanzleien und das neue Parchimer Oberappellationsgericht; ſie ver-
walteten durch ihren Engeren Ausſchuß in Roſtock den Landkaſten und
das ſtändiſche Schuldenweſen und ſendeten auch zu mehreren landesfürſt-
lichen Verwaltungsbehörden ihre Commiſſäre; ſelbſt zur Zahlung der ordent-
lichen Contribution waren ſie nur inſoweit verpflichtet, als „Ritter- und
Landſchaft mit ihren Hinterſaſſen bei dem Ihrigen ruhig wohnen können“.
Darum ſchien dieſer Staat zum ewigen Stillſtand verurtheilt; jede noch
ſo beſcheidene Reform war ein Eingriff in die wohlerworbenen Rechte der
Stände und mithin unmöglich ohne den freiwillgen Verzicht der Privi-
legirten.

Großherzog Friedrich Franz hatte dies auch längſt eingeſehen und
auf manche monarchiſche Pläne ſeiner Jugend verzichtet. Er wußte, daß
ſeine Junker ihn nur als den Erſten unter Gleichen betrachteten; wäh-
rend der ſtändiſchen Wirren des achtzehnten Jahrhunderts hatten befliſſene
Federn der Adelspartei das durchſichtige Märchen aufgebracht, daß Herzog
Pribislav kein Nachkomme der alten Obotritenfürſten geweſen ſei, ſondern
ein einfacher wendiſcher Edler. Friedrich Franz begnügte ſich, in ſeinem
Domanium, wo er Herr war, für die Bauern zu ſorgen. Zum Landtage
wagte er nur noch ſelten mit fürſtlicher Strenge zu reden, ſo einmal als
die Stände nahe daran waren ihm die Koſten ſeines Bundescontingents
zu verweigern.

Noch ſchwächer war der monarchiſche Ehrgeiz am Strelitzer Hofe.
Dort regierten nach einander die Großherzoge Karl und Georg, der Vater
und der Bruder der Königin Luiſe — Beide ſehr wohlmeinende Herren,
aber auch Beide ſo feſt verwachſen mit dem alten Landesbrauche, daß ſie
die Lächerlichkeit ihres Schattenfürſtenthums gar nicht mehr empfanden.
Der leitende Miniſter Klein-Mecklenburgs war Auguſt v. Oertzen, einer
der tüchtigſten aus dieſem obotritiſchen Geheimenrathsgeſchlechte, ehren-
haft, thätig, geſcheidt und doch ganz unfähig über den Geſichtskreis ſeiner
Standesgenoſſen hinauszublicken. Wie grimmig ging er einem bürger-
lichen Vaſallen zu Leibe, der ſich unterfangen hatte, dem Großherzoge
Georg zur vollſtändigen Ausführung des Art. 13 der Bundesakte die Be-
rufung einer allgemeinen Volksvertretung, ja ſogar die Abſchaffung des
Erbadels anzuempfehlen. Da hieß es in der großherzoglichen Antwort:
Du haſt durch Deinen Brief „das Maß gegeben, nicht was von der ehr-
würdigen Verfaſſung Unſeres Landes, wohl aber was von Dir als Vaſallen
zu halten ſei! Wir geben Dir unſere große und gerechte Unzufriedenheit
zu erkennen, verweiſen Dich an Deine Stelle, verbieten Dir andurch ähn-
lichen Vorwitz für die Zukunft aufs Nachdrücklichſte, ermahnen Dich aber
zugleich, Deine Anſichten und Meinungen zu läutern, vor Allem aber Dich

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[571/0587] Die Großherzoge. Stände beſaßen nach dem Erbvergleiche das „landſittliche Eigenthums- recht“ an ihren leibeigenen Gutsunterthanen, desgleichen die gutsherrliche Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt, ſowie das Präſentationsrecht für die Juſtizkanzleien und das neue Parchimer Oberappellationsgericht; ſie ver- walteten durch ihren Engeren Ausſchuß in Roſtock den Landkaſten und das ſtändiſche Schuldenweſen und ſendeten auch zu mehreren landesfürſt- lichen Verwaltungsbehörden ihre Commiſſäre; ſelbſt zur Zahlung der ordent- lichen Contribution waren ſie nur inſoweit verpflichtet, als „Ritter- und Landſchaft mit ihren Hinterſaſſen bei dem Ihrigen ruhig wohnen können“. Darum ſchien dieſer Staat zum ewigen Stillſtand verurtheilt; jede noch ſo beſcheidene Reform war ein Eingriff in die wohlerworbenen Rechte der Stände und mithin unmöglich ohne den freiwillgen Verzicht der Privi- legirten. Großherzog Friedrich Franz hatte dies auch längſt eingeſehen und auf manche monarchiſche Pläne ſeiner Jugend verzichtet. Er wußte, daß ſeine Junker ihn nur als den Erſten unter Gleichen betrachteten; wäh- rend der ſtändiſchen Wirren des achtzehnten Jahrhunderts hatten befliſſene Federn der Adelspartei das durchſichtige Märchen aufgebracht, daß Herzog Pribislav kein Nachkomme der alten Obotritenfürſten geweſen ſei, ſondern ein einfacher wendiſcher Edler. Friedrich Franz begnügte ſich, in ſeinem Domanium, wo er Herr war, für die Bauern zu ſorgen. Zum Landtage wagte er nur noch ſelten mit fürſtlicher Strenge zu reden, ſo einmal als die Stände nahe daran waren ihm die Koſten ſeines Bundescontingents zu verweigern. Noch ſchwächer war der monarchiſche Ehrgeiz am Strelitzer Hofe. Dort regierten nach einander die Großherzoge Karl und Georg, der Vater und der Bruder der Königin Luiſe — Beide ſehr wohlmeinende Herren, aber auch Beide ſo feſt verwachſen mit dem alten Landesbrauche, daß ſie die Lächerlichkeit ihres Schattenfürſtenthums gar nicht mehr empfanden. Der leitende Miniſter Klein-Mecklenburgs war Auguſt v. Oertzen, einer der tüchtigſten aus dieſem obotritiſchen Geheimenrathsgeſchlechte, ehren- haft, thätig, geſcheidt und doch ganz unfähig über den Geſichtskreis ſeiner Standesgenoſſen hinauszublicken. Wie grimmig ging er einem bürger- lichen Vaſallen zu Leibe, der ſich unterfangen hatte, dem Großherzoge Georg zur vollſtändigen Ausführung des Art. 13 der Bundesakte die Be- rufung einer allgemeinen Volksvertretung, ja ſogar die Abſchaffung des Erbadels anzuempfehlen. Da hieß es in der großherzoglichen Antwort: Du haſt durch Deinen Brief „das Maß gegeben, nicht was von der ehr- würdigen Verfaſſung Unſeres Landes, wohl aber was von Dir als Vaſallen zu halten ſei! Wir geben Dir unſere große und gerechte Unzufriedenheit zu erkennen, verweiſen Dich an Deine Stelle, verbieten Dir andurch ähn- lichen Vorwitz für die Zukunft aufs Nachdrücklichſte, ermahnen Dich aber zugleich, Deine Anſichten und Meinungen zu läutern, vor Allem aber Dich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/587>, abgerufen am 22.11.2024.