III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
der alles Gute tödenden Arroganz zu entäußern." So urkräftig und väter- lich nahm sich diese kleine Krone des Erbvergleiches an, der das Ansehen der Landesherren kaum weniger schädigte als die Gemeinfreiheit der Bauern.
Der Trotz der Adelslibertät konnte nur durch die Macht einer starken Krone, wie die preußische war, gebrochen werden, und eine solche Wen- dung war jetzt ganz unmöglich, da das mecklenburgische Haus, früher- hin oftmals mit Preußen verfeindet, seit der Heirath der Königin Luise eine innige Familienfreundschaft mit den Hohenzollern geschlossen hatte. In Berlin wie an allen anderen deutschen Höfen stand die Meinung fest, daß man dies deutsche Abdera sich selber und seinen ständischen Händeln, die doch draußen Niemand schadeten, überlassen müsse. Von dem hei- mischen Bürgerthum konnte der Anstoß zu Neuerungen auch nicht aus- gehen. Das derbe Volk, das dem Fremden so bequem und genußsüchtig erschien, war keineswegs arm an guten Köpfen; eine kerngesunde, aus freiem Gemüthe quellende heitere Laune behauptete hier immer ihr Recht. Wie köstlich hatte einst Joh. Lauremberg in seinen niederdeutschen Scherzge- dichten die schwerfällige Kraft seiner Landsleute zugleich verspottet und verherrlicht:
Bi dem olden will ick bliven, Höger schal min Styll nicht gahn, Als mins Vaders hefft gedahn.
Der wußte, daß in seinem geliebten Reineke Vos eine ganz eigene Macht männlichen Humors lag, welche die Oberdeutschen so nicht kannten; auch Liscow reifte in der Rostocker Luft zum geistreichen Satiriker heran und blieb selbst im feinen Obersachsen der handfeste Mecklenburger. Von den schöpferischen Köpfen unserer großen Literaturepoche gehörte zwar nur einer, Joh. Heinr. Voß, dem mecklenburgischen Lande an; doch die Freude an den Werken der neuen Dichtung war in den guten Bürgerhäusern von Rostock und Wismar sehr lebhaft, selbst einzelne vom Adel, wie Graf Hahn, der Freund Herder's, huldigten den classischen Idealen. Weit stärker noch wirkte die vaterländische Begeisterung der Freiheitskriege auf die Hei- math Blücher's und der Königin Luise; die "Franzosentid" war dem Meck- lenburger der Gräuel aller Gräuel. Das Land brachte willig schwere Opfer, zahlreiche Freiwillige traten ein, namentlich in die Lützower Frei- schaar; auch ein Bürgermädchen zog mit in den Kampf und brachte das eiserne Kreuz heim. Nach dem Frieden standen die gemüthlichen, warm- herzigen Patrioten von der Warnow auf allen deutschen Universitäten in gutem Ansehen; zwei von den drei Stiftern der Burschenschaft und ihr Geschichtsschreiber Haupt waren Mecklenburger. Aber wenn diese liebens- würdigen jungen Leute nachher zurückkehrten in die behagliche Heimath, dann begannen die Dämonen des Landes, der Kartentisch, der Rothwein und die Wittköppe, die Champagnerflaschen, ihren einschläfernden Zauber zu zeigen, und der Mann hielt selten ganz was der Jüngling versprochen
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
der alles Gute tödenden Arroganz zu entäußern.“ So urkräftig und väter- lich nahm ſich dieſe kleine Krone des Erbvergleiches an, der das Anſehen der Landesherren kaum weniger ſchädigte als die Gemeinfreiheit der Bauern.
Der Trotz der Adelslibertät konnte nur durch die Macht einer ſtarken Krone, wie die preußiſche war, gebrochen werden, und eine ſolche Wen- dung war jetzt ganz unmöglich, da das mecklenburgiſche Haus, früher- hin oftmals mit Preußen verfeindet, ſeit der Heirath der Königin Luiſe eine innige Familienfreundſchaft mit den Hohenzollern geſchloſſen hatte. In Berlin wie an allen anderen deutſchen Höfen ſtand die Meinung feſt, daß man dies deutſche Abdera ſich ſelber und ſeinen ſtändiſchen Händeln, die doch draußen Niemand ſchadeten, überlaſſen müſſe. Von dem hei- miſchen Bürgerthum konnte der Anſtoß zu Neuerungen auch nicht aus- gehen. Das derbe Volk, das dem Fremden ſo bequem und genußſüchtig erſchien, war keineswegs arm an guten Köpfen; eine kerngeſunde, aus freiem Gemüthe quellende heitere Laune behauptete hier immer ihr Recht. Wie köſtlich hatte einſt Joh. Lauremberg in ſeinen niederdeutſchen Scherzge- dichten die ſchwerfällige Kraft ſeiner Landsleute zugleich verſpottet und verherrlicht:
Bi dem olden will ick bliven, Höger ſchal min Styll nicht gahn, Als mins Vaders hefft gedahn.
Der wußte, daß in ſeinem geliebten Reineke Vos eine ganz eigene Macht männlichen Humors lag, welche die Oberdeutſchen ſo nicht kannten; auch Liscow reifte in der Roſtocker Luft zum geiſtreichen Satiriker heran und blieb ſelbſt im feinen Oberſachſen der handfeſte Mecklenburger. Von den ſchöpferiſchen Köpfen unſerer großen Literaturepoche gehörte zwar nur einer, Joh. Heinr. Voß, dem mecklenburgiſchen Lande an; doch die Freude an den Werken der neuen Dichtung war in den guten Bürgerhäuſern von Roſtock und Wismar ſehr lebhaft, ſelbſt einzelne vom Adel, wie Graf Hahn, der Freund Herder’s, huldigten den claſſiſchen Idealen. Weit ſtärker noch wirkte die vaterländiſche Begeiſterung der Freiheitskriege auf die Hei- math Blücher’s und der Königin Luiſe; die „Franzoſentid“ war dem Meck- lenburger der Gräuel aller Gräuel. Das Land brachte willig ſchwere Opfer, zahlreiche Freiwillige traten ein, namentlich in die Lützower Frei- ſchaar; auch ein Bürgermädchen zog mit in den Kampf und brachte das eiſerne Kreuz heim. Nach dem Frieden ſtanden die gemüthlichen, warm- herzigen Patrioten von der Warnow auf allen deutſchen Univerſitäten in gutem Anſehen; zwei von den drei Stiftern der Burſchenſchaft und ihr Geſchichtsſchreiber Haupt waren Mecklenburger. Aber wenn dieſe liebens- würdigen jungen Leute nachher zurückkehrten in die behagliche Heimath, dann begannen die Dämonen des Landes, der Kartentiſch, der Rothwein und die Wittköppe, die Champagnerflaſchen, ihren einſchläfernden Zauber zu zeigen, und der Mann hielt ſelten ganz was der Jüngling verſprochen
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
der alles Gute tödenden Arroganz zu entäußern.“ So urkräftig und väter-
lich nahm ſich dieſe kleine Krone des Erbvergleiches an, der das Anſehen
der Landesherren kaum weniger ſchädigte als die Gemeinfreiheit der Bauern.
Der Trotz der Adelslibertät konnte nur durch die Macht einer ſtarken
Krone, wie die preußiſche war, gebrochen werden, und eine ſolche Wen-
dung war jetzt ganz unmöglich, da das mecklenburgiſche Haus, früher-
hin oftmals mit Preußen verfeindet, ſeit der Heirath der Königin Luiſe
eine innige Familienfreundſchaft mit den Hohenzollern geſchloſſen hatte.
In Berlin wie an allen anderen deutſchen Höfen ſtand die Meinung feſt,
daß man dies deutſche Abdera ſich ſelber und ſeinen ſtändiſchen Händeln,
die doch draußen Niemand ſchadeten, überlaſſen müſſe. Von dem hei-
miſchen Bürgerthum konnte der Anſtoß zu Neuerungen auch nicht aus-
gehen. Das derbe Volk, das dem Fremden ſo bequem und genußſüchtig
erſchien, war keineswegs arm an guten Köpfen; eine kerngeſunde, aus freiem
Gemüthe quellende heitere Laune behauptete hier immer ihr Recht. Wie
köſtlich hatte einſt Joh. Lauremberg in ſeinen niederdeutſchen Scherzge-
dichten die ſchwerfällige Kraft ſeiner Landsleute zugleich verſpottet und
verherrlicht:
Bi dem olden will ick bliven,
Höger ſchal min Styll nicht gahn,
Als mins Vaders hefft gedahn.
Der wußte, daß in ſeinem geliebten Reineke Vos eine ganz eigene Macht
männlichen Humors lag, welche die Oberdeutſchen ſo nicht kannten; auch
Liscow reifte in der Roſtocker Luft zum geiſtreichen Satiriker heran und
blieb ſelbſt im feinen Oberſachſen der handfeſte Mecklenburger. Von den
ſchöpferiſchen Köpfen unſerer großen Literaturepoche gehörte zwar nur
einer, Joh. Heinr. Voß, dem mecklenburgiſchen Lande an; doch die Freude
an den Werken der neuen Dichtung war in den guten Bürgerhäuſern
von Roſtock und Wismar ſehr lebhaft, ſelbſt einzelne vom Adel, wie Graf
Hahn, der Freund Herder’s, huldigten den claſſiſchen Idealen. Weit ſtärker
noch wirkte die vaterländiſche Begeiſterung der Freiheitskriege auf die Hei-
math Blücher’s und der Königin Luiſe; die „Franzoſentid“ war dem Meck-
lenburger der Gräuel aller Gräuel. Das Land brachte willig ſchwere
Opfer, zahlreiche Freiwillige traten ein, namentlich in die Lützower Frei-
ſchaar; auch ein Bürgermädchen zog mit in den Kampf und brachte das
eiſerne Kreuz heim. Nach dem Frieden ſtanden die gemüthlichen, warm-
herzigen Patrioten von der Warnow auf allen deutſchen Univerſitäten in
gutem Anſehen; zwei von den drei Stiftern der Burſchenſchaft und ihr
Geſchichtsſchreiber Haupt waren Mecklenburger. Aber wenn dieſe liebens-
würdigen jungen Leute nachher zurückkehrten in die behagliche Heimath,
dann begannen die Dämonen des Landes, der Kartentiſch, der Rothwein
und die Wittköppe, die Champagnerflaſchen, ihren einſchläfernden Zauber
zu zeigen, und der Mann hielt ſelten ganz was der Jüngling verſprochen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/588>, abgerufen am 22.11.2024.
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