hatte; ohne die Ideale seiner Jugend zu verleugnen, ergab er sich doch mit einem seufzenden "Jeja" in Verhältnisse, die sich so leicht nicht ändern ließen.
Was vermochte diese bürgerliche Geduld gegen den dreist zugreifenden Muth der Junker, die noch immer nicht anders dachten wie jener alte Bülow, dessen Grab in Doberan die Inschrift trug: "ik bin en mecklen- borgisch Edelmann, wat geit di Düwel min Supen an?" Rostock, die stolze Greifenstadt, die noch eigene Münzen schlug und das Recht der Begna- digung übte, ging auf den Landtagen meist mit dem Adel Hand in Hand, weil sie also ihre eigenen Privilegien sicherte. Auch der einflußreiche, un- gemein tüchtige Advocatenstand fand seine Rechnung bei dem Privilegien- wust dieses Streitländchens. Denn ganz wie einst in Polen galt hier das Sprichwort, ein Edelmann ohne Proceß sei wie ein Hund ohne Schwanz. Ohne einen Rechtsbeistand ließ sich kaum das kleinste Geschäft abschließen, und wie viele Sporteln fielen dann noch ab, wenn der Advocat zugleich die Patrimonialgerichtsbarkeit seiner adlichen Clienten besorgte. Im Jahre 1850 lebten in Mecklenburg-Schwerin 296 Advocaten; je 1700 Menschen etwa, die Säuglinge mit eingeschlossen, mußten einen Rechts- anwalt auskömmlich ernähren -- eine Ziffer, die auch nur im Königreich Sachsen ihresgleichen fand.
Mit den wirthschaftlichen Kräften des Großgrundbesitzes konnte sich das Bürgerthum auch nicht messen. In den Landstädten handtirte der Handwerker, durch Zunft- und Bannrechte wohl geschützt, gemächlich nach der Väter Weise. Der Fürstenhof, das Schwarze Kloster und die anderen Prachtbauten des alten Wismar lagen verwahrlost in verödeten Gassen, und obwohl Rostock die größte Handelsflotte der Ostsee besaß, so blieb sein deutsches Handelsgebiet doch nur klein, da die Zölle und die sprich- wörtliche Erbärmlichkeit der Straßen den Verkehr mit dem Binnenlande erschwerten. Ein mecklenburgischer Weg war nie schrecklicher, als wenn ihn die Nachbarn auf Befehl der ständischen Behörden soeben "gebetert" hatten. Die erste Steinstraße, ein Stück der großen Hamburg-Berliner Chaussee, wurde erst 1826 durch eine englische Gesellschaft erbaut. Also von ihrem Hinterlande fast abgeschnitten, fühlten sich die Rostocker Rheder ganz als hanseatische Weltbürger und ließen viele ihre Schiffe, unter der Führung der wetterfesten Capitäne aus dem Fischlande, jahrelang zwischen den Häfen Ostindiens oder Chinas segeln. Die seemännische Tüchtigkeit des Küstenvolks bereicherte wohl einzelne große Firmen, dem Verkehre des Landes brachte sie wenig Vortheil.
Nicht einmal einer überlegenen Bildung durfte das Bürgerthum sich rühmen. Die bürgerlichen Ritter wetteiferten meist mit dem Adel in plumpem Uebermuth; die alten, die sich gern als "Fetthämmel" in Ro- stock zur Ruhe setzten, blieben jedem neuen Gedanken unzugänglich, nur einzelne der jüngeren, die noch nichts galten, waren von den liberalen Ideen erfüllt. Die Landesuniversität Rostock hatte von jeher unter den
Mecklenburgiſche Adelsherrſchaft.
hatte; ohne die Ideale ſeiner Jugend zu verleugnen, ergab er ſich doch mit einem ſeufzenden „Jeja“ in Verhältniſſe, die ſich ſo leicht nicht ändern ließen.
Was vermochte dieſe bürgerliche Geduld gegen den dreiſt zugreifenden Muth der Junker, die noch immer nicht anders dachten wie jener alte Bülow, deſſen Grab in Doberan die Inſchrift trug: „ik bin en mecklen- borgiſch Edelmann, wat geit di Düwel min Supen an?“ Roſtock, die ſtolze Greifenſtadt, die noch eigene Münzen ſchlug und das Recht der Begna- digung übte, ging auf den Landtagen meiſt mit dem Adel Hand in Hand, weil ſie alſo ihre eigenen Privilegien ſicherte. Auch der einflußreiche, un- gemein tüchtige Advocatenſtand fand ſeine Rechnung bei dem Privilegien- wuſt dieſes Streitländchens. Denn ganz wie einſt in Polen galt hier das Sprichwort, ein Edelmann ohne Proceß ſei wie ein Hund ohne Schwanz. Ohne einen Rechtsbeiſtand ließ ſich kaum das kleinſte Geſchäft abſchließen, und wie viele Sporteln fielen dann noch ab, wenn der Advocat zugleich die Patrimonialgerichtsbarkeit ſeiner adlichen Clienten beſorgte. Im Jahre 1850 lebten in Mecklenburg-Schwerin 296 Advocaten; je 1700 Menſchen etwa, die Säuglinge mit eingeſchloſſen, mußten einen Rechts- anwalt auskömmlich ernähren — eine Ziffer, die auch nur im Königreich Sachſen ihresgleichen fand.
Mit den wirthſchaftlichen Kräften des Großgrundbeſitzes konnte ſich das Bürgerthum auch nicht meſſen. In den Landſtädten handtirte der Handwerker, durch Zunft- und Bannrechte wohl geſchützt, gemächlich nach der Väter Weiſe. Der Fürſtenhof, das Schwarze Kloſter und die anderen Prachtbauten des alten Wismar lagen verwahrloſt in verödeten Gaſſen, und obwohl Roſtock die größte Handelsflotte der Oſtſee beſaß, ſo blieb ſein deutſches Handelsgebiet doch nur klein, da die Zölle und die ſprich- wörtliche Erbärmlichkeit der Straßen den Verkehr mit dem Binnenlande erſchwerten. Ein mecklenburgiſcher Weg war nie ſchrecklicher, als wenn ihn die Nachbarn auf Befehl der ſtändiſchen Behörden ſoeben „gebetert“ hatten. Die erſte Steinſtraße, ein Stück der großen Hamburg-Berliner Chauſſee, wurde erſt 1826 durch eine engliſche Geſellſchaft erbaut. Alſo von ihrem Hinterlande faſt abgeſchnitten, fühlten ſich die Roſtocker Rheder ganz als hanſeatiſche Weltbürger und ließen viele ihre Schiffe, unter der Führung der wetterfeſten Capitäne aus dem Fiſchlande, jahrelang zwiſchen den Häfen Oſtindiens oder Chinas ſegeln. Die ſeemänniſche Tüchtigkeit des Küſtenvolks bereicherte wohl einzelne große Firmen, dem Verkehre des Landes brachte ſie wenig Vortheil.
Nicht einmal einer überlegenen Bildung durfte das Bürgerthum ſich rühmen. Die bürgerlichen Ritter wetteiferten meiſt mit dem Adel in plumpem Uebermuth; die alten, die ſich gern als „Fetthämmel“ in Ro- ſtock zur Ruhe ſetzten, blieben jedem neuen Gedanken unzugänglich, nur einzelne der jüngeren, die noch nichts galten, waren von den liberalen Ideen erfüllt. Die Landesuniverſität Roſtock hatte von jeher unter den
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Mecklenburgiſche Adelsherrſchaft.
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einem ſeufzenden „Jeja“ in Verhältniſſe, die ſich ſo leicht nicht ändern ließen.
Was vermochte dieſe bürgerliche Geduld gegen den dreiſt zugreifenden
Muth der Junker, die noch immer nicht anders dachten wie jener alte
Bülow, deſſen Grab in Doberan die Inſchrift trug: „ik bin en mecklen-
borgiſch Edelmann, wat geit di Düwel min Supen an?“ Roſtock, die ſtolze
Greifenſtadt, die noch eigene Münzen ſchlug und das Recht der Begna-
digung übte, ging auf den Landtagen meiſt mit dem Adel Hand in Hand,
weil ſie alſo ihre eigenen Privilegien ſicherte. Auch der einflußreiche, un-
gemein tüchtige Advocatenſtand fand ſeine Rechnung bei dem Privilegien-
wuſt dieſes Streitländchens. Denn ganz wie einſt in Polen galt hier
das Sprichwort, ein Edelmann ohne Proceß ſei wie ein Hund ohne
Schwanz. Ohne einen Rechtsbeiſtand ließ ſich kaum das kleinſte Geſchäft
abſchließen, und wie viele Sporteln fielen dann noch ab, wenn der Advocat
zugleich die Patrimonialgerichtsbarkeit ſeiner adlichen Clienten beſorgte.
Im Jahre 1850 lebten in Mecklenburg-Schwerin 296 Advocaten; je 1700
Menſchen etwa, die Säuglinge mit eingeſchloſſen, mußten einen Rechts-
anwalt auskömmlich ernähren — eine Ziffer, die auch nur im Königreich
Sachſen ihresgleichen fand.
Mit den wirthſchaftlichen Kräften des Großgrundbeſitzes konnte ſich
das Bürgerthum auch nicht meſſen. In den Landſtädten handtirte der
Handwerker, durch Zunft- und Bannrechte wohl geſchützt, gemächlich nach
der Väter Weiſe. Der Fürſtenhof, das Schwarze Kloſter und die anderen
Prachtbauten des alten Wismar lagen verwahrloſt in verödeten Gaſſen,
und obwohl Roſtock die größte Handelsflotte der Oſtſee beſaß, ſo blieb
ſein deutſches Handelsgebiet doch nur klein, da die Zölle und die ſprich-
wörtliche Erbärmlichkeit der Straßen den Verkehr mit dem Binnenlande
erſchwerten. Ein mecklenburgiſcher Weg war nie ſchrecklicher, als wenn
ihn die Nachbarn auf Befehl der ſtändiſchen Behörden ſoeben „gebetert“
hatten. Die erſte Steinſtraße, ein Stück der großen Hamburg-Berliner
Chauſſee, wurde erſt 1826 durch eine engliſche Geſellſchaft erbaut. Alſo
von ihrem Hinterlande faſt abgeſchnitten, fühlten ſich die Roſtocker Rheder
ganz als hanſeatiſche Weltbürger und ließen viele ihre Schiffe, unter der
Führung der wetterfeſten Capitäne aus dem Fiſchlande, jahrelang zwiſchen
den Häfen Oſtindiens oder Chinas ſegeln. Die ſeemänniſche Tüchtigkeit
des Küſtenvolks bereicherte wohl einzelne große Firmen, dem Verkehre des
Landes brachte ſie wenig Vortheil.
Nicht einmal einer überlegenen Bildung durfte das Bürgerthum
ſich rühmen. Die bürgerlichen Ritter wetteiferten meiſt mit dem Adel in
plumpem Uebermuth; die alten, die ſich gern als „Fetthämmel“ in Ro-
ſtock zur Ruhe ſetzten, blieben jedem neuen Gedanken unzugänglich, nur
einzelne der jüngeren, die noch nichts galten, waren von den liberalen
Ideen erfüllt. Die Landesuniverſität Roſtock hatte von jeher unter den
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/589>, abgerufen am 22.11.2024.
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