selber ein, und die großartige Einfalt dieser althansischen Selbstbesteuerung bewährte sich auch jetzt noch ebenso rühmlich wie vor drei Jahrhunderten als Machiavelli sie staunend lobte. Da nahe Verwandte nicht gleichzeitig im Rathe sitzen durften und das kaufmännische Vermögen sich selten durch viele Geschlechter erhält, so war trotz der aristokratischen Verfassung kein geschlossenes Patriciat entstanden; einzelne reiche Familien, die Meier, Wach- mann, Bentheim genossen wohl hohen Ansehens, aber den unbemittelten Talenten war der Zutritt zum Rathe keineswegs verschlossen.
Zu diesen Emporkömmlingen zählte auch der kluge Staatsmann, der während eines vollen Menschenalters zugleich als Bundesgesandter die auswärtige, als Senator und Bürgermeister die innere Politik der kleinen Republik mit dictatorischer Macht leitete. Johann Smidt war ursprüng- lich Theolog, er hatte in Jena zu Fichte's Füßen gesessen, mit Herbart Freundschaft geschlossen und sich die Weltanschauung unserer classischen Literatur angeeignet; aber seit der junge Prediger in den Senat einge- treten war, lebte er nur noch der Politik, und erlangte durch die Ueber- legenheit seines praktischen Verstandes, seiner Willenskraft, seiner Geschäfts- gewandtheit bald ein unbestrittenes Ansehen, das um so williger ertragen wurde, da er als überzeugter Republikaner seine selbstherrlichen Neigungen und seine Empfindlichkeit gegen den Tadel der Presse immer rechtzeitig bändigte. Vorsichtig, verschwiegen, berechnend, aber durchaus ehrlich, ver- stand der unscheinbare kleine Mann mit dem ernsthaften Schulmeister- gesichte seine Mitbürger ebenso geschickt zu behandeln wie die Frankfurter Diplomaten. Bremer mit Leib und Seele, war er schon als Student mit Anti-Xenien gegen die Dioskuren von Weimar aufgetreten, weil Schiller sich unterstanden hatte der Weser die demüthige Aeußerung in den Mund zu legen: "Leider von mir ist gar nichts zu sagen!" Sein Lebelang blieb ihm der Rathschlag unvergessen, den ihm einst ein alter Baseler Bürger- meister gegeben: wir haben uns immer ein wenig größer gemacht als wir waren und uns gut dabei gestanden. Er überschätzte etwas die politische Bedeutung der Hansestädte und erkannte niemals, wie unhaltbar und ge- fährlich die schrankenlose Souveränität dieser Communen war; doch sah er wohl ein, daß die deutsche Politik seines kleinen Staates vor Allem darnach trachten mußte, niemals unter die Räder zu gerathen und hütete sich daher seine sehr gemäßigten liberalen Ansichten in Frankfurt ohne Noth zu verlautbaren; auch die Triaspläne seines Freundes Wangenheim unterstützte er, obwohl er sie billigte, nur mit Vorsicht. Nur einmal, zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse fiel Bremen bei der Hofburg in Un- gnade; aber der Senat beeilte sich auf das Andringen der Großmächte dem großen Kanzelredner Dräseke wegen einer patriotischen Predigt einen schonenden Verweis zu ertheilen und handhabte die Censur über die Bremer Zeitung so streng, daß man sich in Wien bald wieder beruhigte. Trotz mancher Reibungen gab Metternich den liberalen Bremer Bürgermeister
37*
Bremen. Smidt.
ſelber ein, und die großartige Einfalt dieſer althanſiſchen Selbſtbeſteuerung bewährte ſich auch jetzt noch ebenſo rühmlich wie vor drei Jahrhunderten als Machiavelli ſie ſtaunend lobte. Da nahe Verwandte nicht gleichzeitig im Rathe ſitzen durften und das kaufmänniſche Vermögen ſich ſelten durch viele Geſchlechter erhält, ſo war trotz der ariſtokratiſchen Verfaſſung kein geſchloſſenes Patriciat entſtanden; einzelne reiche Familien, die Meier, Wach- mann, Bentheim genoſſen wohl hohen Anſehens, aber den unbemittelten Talenten war der Zutritt zum Rathe keineswegs verſchloſſen.
Zu dieſen Emporkömmlingen zählte auch der kluge Staatsmann, der während eines vollen Menſchenalters zugleich als Bundesgeſandter die auswärtige, als Senator und Bürgermeiſter die innere Politik der kleinen Republik mit dictatoriſcher Macht leitete. Johann Smidt war urſprüng- lich Theolog, er hatte in Jena zu Fichte’s Füßen geſeſſen, mit Herbart Freundſchaft geſchloſſen und ſich die Weltanſchauung unſerer claſſiſchen Literatur angeeignet; aber ſeit der junge Prediger in den Senat einge- treten war, lebte er nur noch der Politik, und erlangte durch die Ueber- legenheit ſeines praktiſchen Verſtandes, ſeiner Willenskraft, ſeiner Geſchäfts- gewandtheit bald ein unbeſtrittenes Anſehen, das um ſo williger ertragen wurde, da er als überzeugter Republikaner ſeine ſelbſtherrlichen Neigungen und ſeine Empfindlichkeit gegen den Tadel der Preſſe immer rechtzeitig bändigte. Vorſichtig, verſchwiegen, berechnend, aber durchaus ehrlich, ver- ſtand der unſcheinbare kleine Mann mit dem ernſthaften Schulmeiſter- geſichte ſeine Mitbürger ebenſo geſchickt zu behandeln wie die Frankfurter Diplomaten. Bremer mit Leib und Seele, war er ſchon als Student mit Anti-Xenien gegen die Dioskuren von Weimar aufgetreten, weil Schiller ſich unterſtanden hatte der Weſer die demüthige Aeußerung in den Mund zu legen: „Leider von mir iſt gar nichts zu ſagen!“ Sein Lebelang blieb ihm der Rathſchlag unvergeſſen, den ihm einſt ein alter Baſeler Bürger- meiſter gegeben: wir haben uns immer ein wenig größer gemacht als wir waren und uns gut dabei geſtanden. Er überſchätzte etwas die politiſche Bedeutung der Hanſeſtädte und erkannte niemals, wie unhaltbar und ge- fährlich die ſchrankenloſe Souveränität dieſer Communen war; doch ſah er wohl ein, daß die deutſche Politik ſeines kleinen Staates vor Allem darnach trachten mußte, niemals unter die Räder zu gerathen und hütete ſich daher ſeine ſehr gemäßigten liberalen Anſichten in Frankfurt ohne Noth zu verlautbaren; auch die Triaspläne ſeines Freundes Wangenheim unterſtützte er, obwohl er ſie billigte, nur mit Vorſicht. Nur einmal, zur Zeit der Karlsbader Beſchlüſſe fiel Bremen bei der Hofburg in Un- gnade; aber der Senat beeilte ſich auf das Andringen der Großmächte dem großen Kanzelredner Dräſeke wegen einer patriotiſchen Predigt einen ſchonenden Verweis zu ertheilen und handhabte die Cenſur über die Bremer Zeitung ſo ſtreng, daß man ſich in Wien bald wieder beruhigte. Trotz mancher Reibungen gab Metternich den liberalen Bremer Bürgermeiſter
37*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0595"n="579"/><fwplace="top"type="header">Bremen. Smidt.</fw><lb/>ſelber ein, und die großartige Einfalt dieſer althanſiſchen Selbſtbeſteuerung<lb/>
bewährte ſich auch jetzt noch ebenſo rühmlich wie vor drei Jahrhunderten<lb/>
als Machiavelli ſie ſtaunend lobte. Da nahe Verwandte nicht gleichzeitig<lb/>
im Rathe ſitzen durften und das kaufmänniſche Vermögen ſich ſelten durch<lb/>
viele Geſchlechter erhält, ſo war trotz der ariſtokratiſchen Verfaſſung kein<lb/>
geſchloſſenes Patriciat entſtanden; einzelne reiche Familien, die Meier, Wach-<lb/>
mann, Bentheim genoſſen wohl hohen Anſehens, aber den unbemittelten<lb/>
Talenten war der Zutritt zum Rathe keineswegs verſchloſſen.</p><lb/><p>Zu dieſen Emporkömmlingen zählte auch der kluge Staatsmann, der<lb/>
während eines vollen Menſchenalters zugleich als Bundesgeſandter die<lb/>
auswärtige, als Senator und Bürgermeiſter die innere Politik der kleinen<lb/>
Republik mit dictatoriſcher Macht leitete. Johann Smidt war urſprüng-<lb/>
lich Theolog, er hatte in Jena zu Fichte’s Füßen geſeſſen, mit Herbart<lb/>
Freundſchaft geſchloſſen und ſich die Weltanſchauung unſerer claſſiſchen<lb/>
Literatur angeeignet; aber ſeit der junge Prediger in den Senat einge-<lb/>
treten war, lebte er nur noch der Politik, und erlangte durch die Ueber-<lb/>
legenheit ſeines praktiſchen Verſtandes, ſeiner Willenskraft, ſeiner Geſchäfts-<lb/>
gewandtheit bald ein unbeſtrittenes Anſehen, das um ſo williger ertragen<lb/>
wurde, da er als überzeugter Republikaner ſeine ſelbſtherrlichen Neigungen<lb/>
und ſeine Empfindlichkeit gegen den Tadel der Preſſe immer rechtzeitig<lb/>
bändigte. Vorſichtig, verſchwiegen, berechnend, aber durchaus ehrlich, ver-<lb/>ſtand der unſcheinbare kleine Mann mit dem ernſthaften Schulmeiſter-<lb/>
geſichte ſeine Mitbürger ebenſo geſchickt zu behandeln wie die Frankfurter<lb/>
Diplomaten. Bremer mit Leib und Seele, war er ſchon als Student mit<lb/>
Anti-Xenien gegen die Dioskuren von Weimar aufgetreten, weil Schiller<lb/>ſich unterſtanden hatte der Weſer die demüthige Aeußerung in den Mund<lb/>
zu legen: „Leider von mir iſt gar nichts zu ſagen!“ Sein Lebelang blieb<lb/>
ihm der Rathſchlag unvergeſſen, den ihm einſt ein alter Baſeler Bürger-<lb/>
meiſter gegeben: wir haben uns immer ein wenig größer gemacht als wir<lb/>
waren und uns gut dabei geſtanden. Er überſchätzte etwas die politiſche<lb/>
Bedeutung der Hanſeſtädte und erkannte niemals, wie unhaltbar und ge-<lb/>
fährlich die ſchrankenloſe Souveränität dieſer Communen war; doch ſah<lb/>
er wohl ein, daß die deutſche Politik ſeines kleinen Staates vor Allem<lb/>
darnach trachten mußte, niemals unter die Räder zu gerathen und hütete<lb/>ſich daher ſeine ſehr gemäßigten liberalen Anſichten in Frankfurt ohne<lb/>
Noth zu verlautbaren; auch die Triaspläne ſeines Freundes Wangenheim<lb/>
unterſtützte er, obwohl er ſie billigte, nur mit Vorſicht. Nur einmal,<lb/>
zur Zeit der Karlsbader Beſchlüſſe fiel Bremen bei der Hofburg in Un-<lb/>
gnade; aber der Senat beeilte ſich auf das Andringen der Großmächte<lb/>
dem großen Kanzelredner Dräſeke wegen einer patriotiſchen Predigt einen<lb/>ſchonenden Verweis zu ertheilen und handhabte die Cenſur über die Bremer<lb/>
Zeitung ſo ſtreng, daß man ſich in Wien bald wieder beruhigte. Trotz<lb/>
mancher Reibungen gab Metternich den liberalen Bremer Bürgermeiſter<lb/><fwplace="bottom"type="sig">37*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[579/0595]
Bremen. Smidt.
ſelber ein, und die großartige Einfalt dieſer althanſiſchen Selbſtbeſteuerung
bewährte ſich auch jetzt noch ebenſo rühmlich wie vor drei Jahrhunderten
als Machiavelli ſie ſtaunend lobte. Da nahe Verwandte nicht gleichzeitig
im Rathe ſitzen durften und das kaufmänniſche Vermögen ſich ſelten durch
viele Geſchlechter erhält, ſo war trotz der ariſtokratiſchen Verfaſſung kein
geſchloſſenes Patriciat entſtanden; einzelne reiche Familien, die Meier, Wach-
mann, Bentheim genoſſen wohl hohen Anſehens, aber den unbemittelten
Talenten war der Zutritt zum Rathe keineswegs verſchloſſen.
Zu dieſen Emporkömmlingen zählte auch der kluge Staatsmann, der
während eines vollen Menſchenalters zugleich als Bundesgeſandter die
auswärtige, als Senator und Bürgermeiſter die innere Politik der kleinen
Republik mit dictatoriſcher Macht leitete. Johann Smidt war urſprüng-
lich Theolog, er hatte in Jena zu Fichte’s Füßen geſeſſen, mit Herbart
Freundſchaft geſchloſſen und ſich die Weltanſchauung unſerer claſſiſchen
Literatur angeeignet; aber ſeit der junge Prediger in den Senat einge-
treten war, lebte er nur noch der Politik, und erlangte durch die Ueber-
legenheit ſeines praktiſchen Verſtandes, ſeiner Willenskraft, ſeiner Geſchäfts-
gewandtheit bald ein unbeſtrittenes Anſehen, das um ſo williger ertragen
wurde, da er als überzeugter Republikaner ſeine ſelbſtherrlichen Neigungen
und ſeine Empfindlichkeit gegen den Tadel der Preſſe immer rechtzeitig
bändigte. Vorſichtig, verſchwiegen, berechnend, aber durchaus ehrlich, ver-
ſtand der unſcheinbare kleine Mann mit dem ernſthaften Schulmeiſter-
geſichte ſeine Mitbürger ebenſo geſchickt zu behandeln wie die Frankfurter
Diplomaten. Bremer mit Leib und Seele, war er ſchon als Student mit
Anti-Xenien gegen die Dioskuren von Weimar aufgetreten, weil Schiller
ſich unterſtanden hatte der Weſer die demüthige Aeußerung in den Mund
zu legen: „Leider von mir iſt gar nichts zu ſagen!“ Sein Lebelang blieb
ihm der Rathſchlag unvergeſſen, den ihm einſt ein alter Baſeler Bürger-
meiſter gegeben: wir haben uns immer ein wenig größer gemacht als wir
waren und uns gut dabei geſtanden. Er überſchätzte etwas die politiſche
Bedeutung der Hanſeſtädte und erkannte niemals, wie unhaltbar und ge-
fährlich die ſchrankenloſe Souveränität dieſer Communen war; doch ſah
er wohl ein, daß die deutſche Politik ſeines kleinen Staates vor Allem
darnach trachten mußte, niemals unter die Räder zu gerathen und hütete
ſich daher ſeine ſehr gemäßigten liberalen Anſichten in Frankfurt ohne
Noth zu verlautbaren; auch die Triaspläne ſeines Freundes Wangenheim
unterſtützte er, obwohl er ſie billigte, nur mit Vorſicht. Nur einmal,
zur Zeit der Karlsbader Beſchlüſſe fiel Bremen bei der Hofburg in Un-
gnade; aber der Senat beeilte ſich auf das Andringen der Großmächte
dem großen Kanzelredner Dräſeke wegen einer patriotiſchen Predigt einen
ſchonenden Verweis zu ertheilen und handhabte die Cenſur über die Bremer
Zeitung ſo ſtreng, daß man ſich in Wien bald wieder beruhigte. Trotz
mancher Reibungen gab Metternich den liberalen Bremer Bürgermeiſter
37*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/595>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.