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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
niemals ganz auf; er wußte, daß Smidt in dem Hause Oesterreich den
Hort und Halt des Deutschen Bundes, in Preußen den gefährlichen Feind
seiner geliebten Kleinstaaten sah.

Auf Smidt's Rath entschloß sich der Senat bald nach seiner Wieder-
herstellung zu einigen bedachtsamen Reformen: an der Wahl der Raths-
mitglieder sollte fortan auch die Bürgerschaft theilnehmen, und der Streit
zwischen Lutheranern und Reformirten, der den Frieden der Stadt so
oft gestört hatte, ward durch die Gleichstellung der beiden evangelischen
Bekenntnisse glücklich beendigt. Die Juden wurden freilich streng aus-
geschlossen, und das alte Zunftwesen, das hier ganz entartet und ver-
schnörkelt war, blieb auch unverändert. Indeß die Bürger waren zu-
frieden; sie freuten sich ihres wiedererwachten ernsten kirchlichen Lebens,
ihrer großartigen, ganz freiwilligen Armenpflege und vor Allem des be-
freiten Handels, der hier selbst den Grundbesitz in seine Dienste zog: jeder
Bürger besaß sein eigenes Haus und konnte durch Veräußerung der leicht
verkäuflichen Hypotheken, der Handfesten sein ganzes Capital für Handels-
geschäfte verwenden.

Bremens kriegerische Glanzzeit lag um vier Jahrhunderte zurück, aber
die Zeit seiner Handelsblüthe nahte jetzt erst heran da die Stadt sich mit
ihren militärischen Bundespflichten durch ein Bataillon geworbener Sol-
daten abfand. Gleich nach der Befreiung Nordamerikas hatten die Bremer
Kaufleute, unternehmender als die Hamburger, ein schwunghaftes Geschäft
mit den Häfen der jungen Union begonnen, und obwohl die Stadt im
Jahre 1817 erst durch einen Consul in Nordamerika vertreten war, so
fühlte doch Jedermann, daß die Zukunft des Platzes wesentlich von dem
Gedeihen seines amerikanischen Eigenhandels abhing. Im Tabakhandel
begann Bremen schon viele andere europäische Häfen zu überflügeln, da
die fröhliche Rauchlust der Deutschen beständig wuchs. Das oberländische
Geschäft war freilich als Geschäft zweiter Hand noch wenig angesehen und
gedieh wenig, weil die Binnenmauthen überall hemmten. Die von dem
unternehmenden F. Schröder eingerichtete Fluß-Dampfschifffahrt ging bald
wieder ein; Hannover fand es nicht der Mühe werth, die Brücke von
Hoya, die den Dampfern den Durchgang versperrte, umbauen zu lassen.
Bedenklicher war, daß die großen Schiffe des transatlantischen Verkehrs
nicht mehr bis zu dem allzu weit landeinwärts gelegenen Weserplatze hinauf
gelangen konnten. Wie vormals Schweden und Hannover so führte jetzt
Oldenburg den nachbarlichen Krieg gegen die Hansestadt. Der Großherzog
fühlte sich persönlich beleidigt durch die Aufhebung des Elsflether Zolles,
die ihm Smidt am Bundestage mühsam abgerungen hatte*), und suchte
nunmehr den Seehandel der Weser nach dem oldenburgischen Brake abzu-
leiten, so daß Bremen gar nicht mehr zu den Seeplätzen zählen sollte. Wie

*) S. o. III. 39.

III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
niemals ganz auf; er wußte, daß Smidt in dem Hauſe Oeſterreich den
Hort und Halt des Deutſchen Bundes, in Preußen den gefährlichen Feind
ſeiner geliebten Kleinſtaaten ſah.

Auf Smidt’s Rath entſchloß ſich der Senat bald nach ſeiner Wieder-
herſtellung zu einigen bedachtſamen Reformen: an der Wahl der Raths-
mitglieder ſollte fortan auch die Bürgerſchaft theilnehmen, und der Streit
zwiſchen Lutheranern und Reformirten, der den Frieden der Stadt ſo
oft geſtört hatte, ward durch die Gleichſtellung der beiden evangeliſchen
Bekenntniſſe glücklich beendigt. Die Juden wurden freilich ſtreng aus-
geſchloſſen, und das alte Zunftweſen, das hier ganz entartet und ver-
ſchnörkelt war, blieb auch unverändert. Indeß die Bürger waren zu-
frieden; ſie freuten ſich ihres wiedererwachten ernſten kirchlichen Lebens,
ihrer großartigen, ganz freiwilligen Armenpflege und vor Allem des be-
freiten Handels, der hier ſelbſt den Grundbeſitz in ſeine Dienſte zog: jeder
Bürger beſaß ſein eigenes Haus und konnte durch Veräußerung der leicht
verkäuflichen Hypotheken, der Handfeſten ſein ganzes Capital für Handels-
geſchäfte verwenden.

Bremens kriegeriſche Glanzzeit lag um vier Jahrhunderte zurück, aber
die Zeit ſeiner Handelsblüthe nahte jetzt erſt heran da die Stadt ſich mit
ihren militäriſchen Bundespflichten durch ein Bataillon geworbener Sol-
daten abfand. Gleich nach der Befreiung Nordamerikas hatten die Bremer
Kaufleute, unternehmender als die Hamburger, ein ſchwunghaftes Geſchäft
mit den Häfen der jungen Union begonnen, und obwohl die Stadt im
Jahre 1817 erſt durch einen Conſul in Nordamerika vertreten war, ſo
fühlte doch Jedermann, daß die Zukunft des Platzes weſentlich von dem
Gedeihen ſeines amerikaniſchen Eigenhandels abhing. Im Tabakhandel
begann Bremen ſchon viele andere europäiſche Häfen zu überflügeln, da
die fröhliche Rauchluſt der Deutſchen beſtändig wuchs. Das oberländiſche
Geſchäft war freilich als Geſchäft zweiter Hand noch wenig angeſehen und
gedieh wenig, weil die Binnenmauthen überall hemmten. Die von dem
unternehmenden F. Schröder eingerichtete Fluß-Dampfſchifffahrt ging bald
wieder ein; Hannover fand es nicht der Mühe werth, die Brücke von
Hoya, die den Dampfern den Durchgang verſperrte, umbauen zu laſſen.
Bedenklicher war, daß die großen Schiffe des transatlantiſchen Verkehrs
nicht mehr bis zu dem allzu weit landeinwärts gelegenen Weſerplatze hinauf
gelangen konnten. Wie vormals Schweden und Hannover ſo führte jetzt
Oldenburg den nachbarlichen Krieg gegen die Hanſeſtadt. Der Großherzog
fühlte ſich perſönlich beleidigt durch die Aufhebung des Elsflether Zolles,
die ihm Smidt am Bundestage mühſam abgerungen hatte*), und ſuchte
nunmehr den Seehandel der Weſer nach dem oldenburgiſchen Brake abzu-
leiten, ſo daß Bremen gar nicht mehr zu den Seeplätzen zählen ſollte. Wie

*) S. o. III. 39.
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[580/0596] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. niemals ganz auf; er wußte, daß Smidt in dem Hauſe Oeſterreich den Hort und Halt des Deutſchen Bundes, in Preußen den gefährlichen Feind ſeiner geliebten Kleinſtaaten ſah. Auf Smidt’s Rath entſchloß ſich der Senat bald nach ſeiner Wieder- herſtellung zu einigen bedachtſamen Reformen: an der Wahl der Raths- mitglieder ſollte fortan auch die Bürgerſchaft theilnehmen, und der Streit zwiſchen Lutheranern und Reformirten, der den Frieden der Stadt ſo oft geſtört hatte, ward durch die Gleichſtellung der beiden evangeliſchen Bekenntniſſe glücklich beendigt. Die Juden wurden freilich ſtreng aus- geſchloſſen, und das alte Zunftweſen, das hier ganz entartet und ver- ſchnörkelt war, blieb auch unverändert. Indeß die Bürger waren zu- frieden; ſie freuten ſich ihres wiedererwachten ernſten kirchlichen Lebens, ihrer großartigen, ganz freiwilligen Armenpflege und vor Allem des be- freiten Handels, der hier ſelbſt den Grundbeſitz in ſeine Dienſte zog: jeder Bürger beſaß ſein eigenes Haus und konnte durch Veräußerung der leicht verkäuflichen Hypotheken, der Handfeſten ſein ganzes Capital für Handels- geſchäfte verwenden. Bremens kriegeriſche Glanzzeit lag um vier Jahrhunderte zurück, aber die Zeit ſeiner Handelsblüthe nahte jetzt erſt heran da die Stadt ſich mit ihren militäriſchen Bundespflichten durch ein Bataillon geworbener Sol- daten abfand. Gleich nach der Befreiung Nordamerikas hatten die Bremer Kaufleute, unternehmender als die Hamburger, ein ſchwunghaftes Geſchäft mit den Häfen der jungen Union begonnen, und obwohl die Stadt im Jahre 1817 erſt durch einen Conſul in Nordamerika vertreten war, ſo fühlte doch Jedermann, daß die Zukunft des Platzes weſentlich von dem Gedeihen ſeines amerikaniſchen Eigenhandels abhing. Im Tabakhandel begann Bremen ſchon viele andere europäiſche Häfen zu überflügeln, da die fröhliche Rauchluſt der Deutſchen beſtändig wuchs. Das oberländiſche Geſchäft war freilich als Geſchäft zweiter Hand noch wenig angeſehen und gedieh wenig, weil die Binnenmauthen überall hemmten. Die von dem unternehmenden F. Schröder eingerichtete Fluß-Dampfſchifffahrt ging bald wieder ein; Hannover fand es nicht der Mühe werth, die Brücke von Hoya, die den Dampfern den Durchgang verſperrte, umbauen zu laſſen. Bedenklicher war, daß die großen Schiffe des transatlantiſchen Verkehrs nicht mehr bis zu dem allzu weit landeinwärts gelegenen Weſerplatze hinauf gelangen konnten. Wie vormals Schweden und Hannover ſo führte jetzt Oldenburg den nachbarlichen Krieg gegen die Hanſeſtadt. Der Großherzog fühlte ſich perſönlich beleidigt durch die Aufhebung des Elsflether Zolles, die ihm Smidt am Bundestage mühſam abgerungen hatte *), und ſuchte nunmehr den Seehandel der Weſer nach dem oldenburgiſchen Brake abzu- leiten, ſo daß Bremen gar nicht mehr zu den Seeplätzen zählen ſollte. Wie *) S. o. III. 39.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/596>, abgerufen am 22.11.2024.