III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Nachsicht gegen die öffentliche Unzucht und die Grobheit ihrer bestechlichen Unterbeamten genossen weithin in der Nachbarschaft eines schlimmen Rufes. In ganz Deutschland gab es keinen so ganz unbeschränkten Gewalthaber, wie jenen Senator, der als Proconsul in dem schönen alten Schlosse von Ritzebüttel hauste und die Elbmündung durch eine Batterie unbrauchbarer Kanonen bewachte.
Hamburg war wie Bremen erst durch die Reformation, durch die mächtige Persönlichkeit Johann Bugenhagen's, in die geistige Arbeit der Nation eingeführt worden und hatte dann, durch Hagedorn und Brockes, und wieder durch Klopstock, Reimarus, Lessing, an Deutschlands literari- schem Schaffen rühmlich theilgenommen. Aber diese Tage des geistigen Glanzes kehrten nicht zurück. Die wiederbefreite Stadt ging ganz im Ge- schäft und Vergnügen auf. Den herrlichen Sammlungen, mit denen Senckenberg und Städel ihr Frankfurt schmückten, konnte sie nichts an die Seite stellen. Ihr altes Johanneum blühte, doch das Volksschulwesen lag darnieder, nicht einmal die allgemeine Schulpflicht war eingeführt. Für den Handel freilich sorgte die Republik mit Einsicht. Im Senate saßen neben dem ehrwürdigen blinden alten Bürgermeister Bartels noch viele andere ausgezeichnete Geschäftsmänner, wie Abendroth, Hudtwalker, Sieve- king. Der alte Gemeinsinn der Bürgerschaft bewährte sich wieder in zahl- reichen nützlichen Stiftungen, und mit dem wachsenden Reichthum kehrte auch die alte particularistische Selbstgefälligkeit zurück.
Am lautesten äußerte sich die vaterstädtische Begeisterung bei den Uebungen des "Bürgermilitärs", das aus sieben Linien-Bataillonen, Jägern, Reitern und Artillerie bestand und mit grenzenloser Verachtung auf "die Hanseaten", die armen Teufel des stehenden Heeres hernieder- blickte. Welch ein Fest, wenn am Morgen die Trommler ihr "Kamerad komm" durch die Straßen ertönen ließen und dann der regierende Bür- germeister -- "der hohe Herr" hieß er beim Volke -- mit Dreimaster und Galanteriedegen feierlich angethan, draußen vor den Thoren die große Heerschau über das Bürgerheer abhielt; nach einem ungeheuren Zechge- lage wälzten sich schließlich die Bataillone wieder zur Stadt herein, die meisten Krieger stark angetrunken, manche auch mit einer Marketenderin am Arme, nebenher die Straßenjugend, die nach der Melodie "bringt dat Swin na'n Swinmarkt hen" das stolze Nationallied sang: "De Hambor- gers hebbt den Sieg gewunnen, ho ho, ho ho!" Unbedenklich war es doch nicht, daß in der dritten Stadt des deutschen Bundes das edle Hand- werk der Waffen so undeutsch, so ganz nach der Weise der geldstolzen Pariser Bourgeoisie behandelt wurde: für die Armen der Ernst und die Last der Landesvertheidigung, für die Wohlhabenden die behagliche Spielerei der Nationalgarde!
Von Deutschland war bei diesen Bürgerfesten nie die Rede. Und doch ließ sich nicht verkennen, wie eng der Reichthum des großen Handels-
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Nachſicht gegen die öffentliche Unzucht und die Grobheit ihrer beſtechlichen Unterbeamten genoſſen weithin in der Nachbarſchaft eines ſchlimmen Rufes. In ganz Deutſchland gab es keinen ſo ganz unbeſchränkten Gewalthaber, wie jenen Senator, der als Proconſul in dem ſchönen alten Schloſſe von Ritzebüttel hauſte und die Elbmündung durch eine Batterie unbrauchbarer Kanonen bewachte.
Hamburg war wie Bremen erſt durch die Reformation, durch die mächtige Perſönlichkeit Johann Bugenhagen’s, in die geiſtige Arbeit der Nation eingeführt worden und hatte dann, durch Hagedorn und Brockes, und wieder durch Klopſtock, Reimarus, Leſſing, an Deutſchlands literari- ſchem Schaffen rühmlich theilgenommen. Aber dieſe Tage des geiſtigen Glanzes kehrten nicht zurück. Die wiederbefreite Stadt ging ganz im Ge- ſchäft und Vergnügen auf. Den herrlichen Sammlungen, mit denen Senckenberg und Städel ihr Frankfurt ſchmückten, konnte ſie nichts an die Seite ſtellen. Ihr altes Johanneum blühte, doch das Volksſchulweſen lag darnieder, nicht einmal die allgemeine Schulpflicht war eingeführt. Für den Handel freilich ſorgte die Republik mit Einſicht. Im Senate ſaßen neben dem ehrwürdigen blinden alten Bürgermeiſter Bartels noch viele andere ausgezeichnete Geſchäftsmänner, wie Abendroth, Hudtwalker, Sieve- king. Der alte Gemeinſinn der Bürgerſchaft bewährte ſich wieder in zahl- reichen nützlichen Stiftungen, und mit dem wachſenden Reichthum kehrte auch die alte particulariſtiſche Selbſtgefälligkeit zurück.
Am lauteſten äußerte ſich die vaterſtädtiſche Begeiſterung bei den Uebungen des „Bürgermilitärs“, das aus ſieben Linien-Bataillonen, Jägern, Reitern und Artillerie beſtand und mit grenzenloſer Verachtung auf „die Hanſeaten“, die armen Teufel des ſtehenden Heeres hernieder- blickte. Welch ein Feſt, wenn am Morgen die Trommler ihr „Kamerad komm“ durch die Straßen ertönen ließen und dann der regierende Bür- germeiſter — „der hohe Herr“ hieß er beim Volke — mit Dreimaſter und Galanteriedegen feierlich angethan, draußen vor den Thoren die große Heerſchau über das Bürgerheer abhielt; nach einem ungeheuren Zechge- lage wälzten ſich ſchließlich die Bataillone wieder zur Stadt herein, die meiſten Krieger ſtark angetrunken, manche auch mit einer Marketenderin am Arme, nebenher die Straßenjugend, die nach der Melodie „bringt dat Swin na’n Swinmarkt hen“ das ſtolze Nationallied ſang: „De Hambor- gers hebbt den Sieg gewunnen, ho ho, ho ho!“ Unbedenklich war es doch nicht, daß in der dritten Stadt des deutſchen Bundes das edle Hand- werk der Waffen ſo undeutſch, ſo ganz nach der Weiſe der geldſtolzen Pariſer Bourgeoiſie behandelt wurde: für die Armen der Ernſt und die Laſt der Landesvertheidigung, für die Wohlhabenden die behagliche Spielerei der Nationalgarde!
Von Deutſchland war bei dieſen Bürgerfeſten nie die Rede. Und doch ließ ſich nicht verkennen, wie eng der Reichthum des großen Handels-
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Nachſicht gegen die öffentliche Unzucht und die Grobheit ihrer beſtechlichen
Unterbeamten genoſſen weithin in der Nachbarſchaft eines ſchlimmen Rufes.
In ganz Deutſchland gab es keinen ſo ganz unbeſchränkten Gewalthaber,
wie jenen Senator, der als Proconſul in dem ſchönen alten Schloſſe von
Ritzebüttel hauſte und die Elbmündung durch eine Batterie unbrauchbarer
Kanonen bewachte.
Hamburg war wie Bremen erſt durch die Reformation, durch die
mächtige Perſönlichkeit Johann Bugenhagen’s, in die geiſtige Arbeit der
Nation eingeführt worden und hatte dann, durch Hagedorn und Brockes,
und wieder durch Klopſtock, Reimarus, Leſſing, an Deutſchlands literari-
ſchem Schaffen rühmlich theilgenommen. Aber dieſe Tage des geiſtigen
Glanzes kehrten nicht zurück. Die wiederbefreite Stadt ging ganz im Ge-
ſchäft und Vergnügen auf. Den herrlichen Sammlungen, mit denen
Senckenberg und Städel ihr Frankfurt ſchmückten, konnte ſie nichts an die
Seite ſtellen. Ihr altes Johanneum blühte, doch das Volksſchulweſen lag
darnieder, nicht einmal die allgemeine Schulpflicht war eingeführt. Für
den Handel freilich ſorgte die Republik mit Einſicht. Im Senate ſaßen
neben dem ehrwürdigen blinden alten Bürgermeiſter Bartels noch viele
andere ausgezeichnete Geſchäftsmänner, wie Abendroth, Hudtwalker, Sieve-
king. Der alte Gemeinſinn der Bürgerſchaft bewährte ſich wieder in zahl-
reichen nützlichen Stiftungen, und mit dem wachſenden Reichthum kehrte
auch die alte particulariſtiſche Selbſtgefälligkeit zurück.
Am lauteſten äußerte ſich die vaterſtädtiſche Begeiſterung bei den
Uebungen des „Bürgermilitärs“, das aus ſieben Linien-Bataillonen,
Jägern, Reitern und Artillerie beſtand und mit grenzenloſer Verachtung
auf „die Hanſeaten“, die armen Teufel des ſtehenden Heeres hernieder-
blickte. Welch ein Feſt, wenn am Morgen die Trommler ihr „Kamerad
komm“ durch die Straßen ertönen ließen und dann der regierende Bür-
germeiſter — „der hohe Herr“ hieß er beim Volke — mit Dreimaſter
und Galanteriedegen feierlich angethan, draußen vor den Thoren die große
Heerſchau über das Bürgerheer abhielt; nach einem ungeheuren Zechge-
lage wälzten ſich ſchließlich die Bataillone wieder zur Stadt herein, die
meiſten Krieger ſtark angetrunken, manche auch mit einer Marketenderin
am Arme, nebenher die Straßenjugend, die nach der Melodie „bringt dat
Swin na’n Swinmarkt hen“ das ſtolze Nationallied ſang: „De Hambor-
gers hebbt den Sieg gewunnen, ho ho, ho ho!“ Unbedenklich war es doch
nicht, daß in der dritten Stadt des deutſchen Bundes das edle Hand-
werk der Waffen ſo undeutſch, ſo ganz nach der Weiſe der geldſtolzen
Pariſer Bourgeoiſie behandelt wurde: für die Armen der Ernſt und die
Laſt der Landesvertheidigung, für die Wohlhabenden die behagliche Spielerei
der Nationalgarde!
Von Deutſchland war bei dieſen Bürgerfeſten nie die Rede. Und
doch ließ ſich nicht verkennen, wie eng der Reichthum des großen Handels-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/600>, abgerufen am 22.11.2024.
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