platzes mit dem Gedeihen des Hinterlandes zusammenhing. Der schein- bar so glänzende Zustand des Hamburger Handels beruhte keineswegs auf gesunden wirthschaftlichen Verhältnissen. Im transatlantischen Handel stand die Elbestadt unverhältnißmäßig hinter Bremen zurück. Noch im Jahre 1840 gingen nach den Vereinigten Staaten nur 38 Schiffe aus Hamburg ab, darunter 22 nordamerikanische und 11 hamburgische, wäh- rend ihrer 70 einliefen. Ungleich stärker war der Verkehr mit Frankreich, aber auch dorthin die Ausfuhr mäßig, bedeutend nur die Einfuhr, zumal der Bordeauxweine, die erst seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch die Hamburger Kaufleute in Deutschland bekannt geworden waren und allmählich den spanischen wie den Rhein-Wein aus unserem Norden fast verdrängt hatten. Aber der weitaus größte Theil der Hamburgischen Einfuhr kam aus England. Von da liefen im Jahre 1840: 1610 Schiffe in Hamburg ein, worunter 826 englische, 151 hamburgische. Nach Eng- land gingen nur 1190 Schiffe -- eine bedenklich niedrige Ziffer, da min- destens neun Zehntel der deutschen Ausfuhr nach Großbritannien den Weg über Hamburg und Altona nahmen. Der in Süddeutschland übliche Vorwurf, die Hanseaten seien nur englische Agenten, war Hamburg gegen- über damals nicht ganz unbegründet. Mancher Hamburger Kaufherr hatte es kein Hehl, daß er das Erstarken des deutschen Gewerbfleißes nicht wünsche, weil er die gewohnte englische Einfuhr zu verlieren fürchte. Erst die Zukunft sollte zeigen, wie kurzsichtig solche Berechnungen waren. Erst durch die Segnungen des Zollvereins, durch die wachsende Ausfuhr deut- scher Industriewaaren ist Hamburg in den Stand gesetzt worden, seinen transatlantischen Verkehr zu erweitern.
Neben den beiden glücklichen Schwesterstädten erschien das ehrwürdige Lübeck starr und todt. Von ihrer Bevölkerung hatte die Königin der Ostsee wohl zwei Drittel, von ihrem Handel an fünf Sechstel verloren. Die Thurmpaare des Domes und der Marienkirche ragten noch weithin sichtbar über die wagrische Bucht, aber die alten Landmarken wurden nicht mehr wie sonst von siegreich heimkehrenden Orlogsflotten jubelnd begrüßt. Die Nationen des Nordens, welche Lübeck einst mit seinen Waffen und seinem Capitale beherrschte, waren längst mündig und seine baltische See seit dem Aufblühen des oceanischen Handels längst ein bescheidenes Binnen- meer geworden. Die hundert Städte des deutschen Reichs, die einst an der Trave ihren Oberhof gehabt, hatten in ihrem Rechtsleben neue Bahnen eingeschlagen. Auch hier wurde die aristokratische alte Verfassung von 1669 wieder eingeführt, und auch hier versuchte der Rath vergeblich die Bürgerschaft zu einigen bescheidenen Reformen zu bewegen. Lübeck be- saß an dem Syndicus K. Georg Curtius und dem Senator Hach treff- liche Staatsmänner, denen der Wahlspruch der Väter "holt Mate, kant wol halten" unvergessen blieb. Doch obwohl ein Grundstock des althan- sischen Wohlstandes sich immer noch erhielt, das Hospital zum Heiligen
Lübeck.
platzes mit dem Gedeihen des Hinterlandes zuſammenhing. Der ſchein- bar ſo glänzende Zuſtand des Hamburger Handels beruhte keineswegs auf geſunden wirthſchaftlichen Verhältniſſen. Im transatlantiſchen Handel ſtand die Elbeſtadt unverhältnißmäßig hinter Bremen zurück. Noch im Jahre 1840 gingen nach den Vereinigten Staaten nur 38 Schiffe aus Hamburg ab, darunter 22 nordamerikaniſche und 11 hamburgiſche, wäh- rend ihrer 70 einliefen. Ungleich ſtärker war der Verkehr mit Frankreich, aber auch dorthin die Ausfuhr mäßig, bedeutend nur die Einfuhr, zumal der Bordeauxweine, die erſt ſeit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch die Hamburger Kaufleute in Deutſchland bekannt geworden waren und allmählich den ſpaniſchen wie den Rhein-Wein aus unſerem Norden faſt verdrängt hatten. Aber der weitaus größte Theil der Hamburgiſchen Einfuhr kam aus England. Von da liefen im Jahre 1840: 1610 Schiffe in Hamburg ein, worunter 826 engliſche, 151 hamburgiſche. Nach Eng- land gingen nur 1190 Schiffe — eine bedenklich niedrige Ziffer, da min- deſtens neun Zehntel der deutſchen Ausfuhr nach Großbritannien den Weg über Hamburg und Altona nahmen. Der in Süddeutſchland übliche Vorwurf, die Hanſeaten ſeien nur engliſche Agenten, war Hamburg gegen- über damals nicht ganz unbegründet. Mancher Hamburger Kaufherr hatte es kein Hehl, daß er das Erſtarken des deutſchen Gewerbfleißes nicht wünſche, weil er die gewohnte engliſche Einfuhr zu verlieren fürchte. Erſt die Zukunft ſollte zeigen, wie kurzſichtig ſolche Berechnungen waren. Erſt durch die Segnungen des Zollvereins, durch die wachſende Ausfuhr deut- ſcher Induſtriewaaren iſt Hamburg in den Stand geſetzt worden, ſeinen transatlantiſchen Verkehr zu erweitern.
Neben den beiden glücklichen Schweſterſtädten erſchien das ehrwürdige Lübeck ſtarr und todt. Von ihrer Bevölkerung hatte die Königin der Oſtſee wohl zwei Drittel, von ihrem Handel an fünf Sechſtel verloren. Die Thurmpaare des Domes und der Marienkirche ragten noch weithin ſichtbar über die wagriſche Bucht, aber die alten Landmarken wurden nicht mehr wie ſonſt von ſiegreich heimkehrenden Orlogsflotten jubelnd begrüßt. Die Nationen des Nordens, welche Lübeck einſt mit ſeinen Waffen und ſeinem Capitale beherrſchte, waren längſt mündig und ſeine baltiſche See ſeit dem Aufblühen des oceaniſchen Handels längſt ein beſcheidenes Binnen- meer geworden. Die hundert Städte des deutſchen Reichs, die einſt an der Trave ihren Oberhof gehabt, hatten in ihrem Rechtsleben neue Bahnen eingeſchlagen. Auch hier wurde die ariſtokratiſche alte Verfaſſung von 1669 wieder eingeführt, und auch hier verſuchte der Rath vergeblich die Bürgerſchaft zu einigen beſcheidenen Reformen zu bewegen. Lübeck be- ſaß an dem Syndicus K. Georg Curtius und dem Senator Hach treff- liche Staatsmänner, denen der Wahlſpruch der Väter „holt Mate, kant wol halten“ unvergeſſen blieb. Doch obwohl ein Grundſtock des althan- ſiſchen Wohlſtandes ſich immer noch erhielt, das Hospital zum Heiligen
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[585/0601]
Lübeck.
platzes mit dem Gedeihen des Hinterlandes zuſammenhing. Der ſchein-
bar ſo glänzende Zuſtand des Hamburger Handels beruhte keineswegs
auf geſunden wirthſchaftlichen Verhältniſſen. Im transatlantiſchen Handel
ſtand die Elbeſtadt unverhältnißmäßig hinter Bremen zurück. Noch im
Jahre 1840 gingen nach den Vereinigten Staaten nur 38 Schiffe aus
Hamburg ab, darunter 22 nordamerikaniſche und 11 hamburgiſche, wäh-
rend ihrer 70 einliefen. Ungleich ſtärker war der Verkehr mit Frankreich,
aber auch dorthin die Ausfuhr mäßig, bedeutend nur die Einfuhr, zumal
der Bordeauxweine, die erſt ſeit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts
durch die Hamburger Kaufleute in Deutſchland bekannt geworden waren
und allmählich den ſpaniſchen wie den Rhein-Wein aus unſerem Norden
faſt verdrängt hatten. Aber der weitaus größte Theil der Hamburgiſchen
Einfuhr kam aus England. Von da liefen im Jahre 1840: 1610 Schiffe
in Hamburg ein, worunter 826 engliſche, 151 hamburgiſche. Nach Eng-
land gingen nur 1190 Schiffe — eine bedenklich niedrige Ziffer, da min-
deſtens neun Zehntel der deutſchen Ausfuhr nach Großbritannien den
Weg über Hamburg und Altona nahmen. Der in Süddeutſchland übliche
Vorwurf, die Hanſeaten ſeien nur engliſche Agenten, war Hamburg gegen-
über damals nicht ganz unbegründet. Mancher Hamburger Kaufherr hatte
es kein Hehl, daß er das Erſtarken des deutſchen Gewerbfleißes nicht
wünſche, weil er die gewohnte engliſche Einfuhr zu verlieren fürchte. Erſt
die Zukunft ſollte zeigen, wie kurzſichtig ſolche Berechnungen waren. Erſt
durch die Segnungen des Zollvereins, durch die wachſende Ausfuhr deut-
ſcher Induſtriewaaren iſt Hamburg in den Stand geſetzt worden, ſeinen
transatlantiſchen Verkehr zu erweitern.
Neben den beiden glücklichen Schweſterſtädten erſchien das ehrwürdige
Lübeck ſtarr und todt. Von ihrer Bevölkerung hatte die Königin der
Oſtſee wohl zwei Drittel, von ihrem Handel an fünf Sechſtel verloren.
Die Thurmpaare des Domes und der Marienkirche ragten noch weithin
ſichtbar über die wagriſche Bucht, aber die alten Landmarken wurden nicht
mehr wie ſonſt von ſiegreich heimkehrenden Orlogsflotten jubelnd begrüßt.
Die Nationen des Nordens, welche Lübeck einſt mit ſeinen Waffen und
ſeinem Capitale beherrſchte, waren längſt mündig und ſeine baltiſche See
ſeit dem Aufblühen des oceaniſchen Handels längſt ein beſcheidenes Binnen-
meer geworden. Die hundert Städte des deutſchen Reichs, die einſt an
der Trave ihren Oberhof gehabt, hatten in ihrem Rechtsleben neue Bahnen
eingeſchlagen. Auch hier wurde die ariſtokratiſche alte Verfaſſung von
1669 wieder eingeführt, und auch hier verſuchte der Rath vergeblich die
Bürgerſchaft zu einigen beſcheidenen Reformen zu bewegen. Lübeck be-
ſaß an dem Syndicus K. Georg Curtius und dem Senator Hach treff-
liche Staatsmänner, denen der Wahlſpruch der Väter „holt Mate, kant
wol halten“ unvergeſſen blieb. Doch obwohl ein Grundſtock des althan-
ſiſchen Wohlſtandes ſich immer noch erhielt, das Hospital zum Heiligen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/601>, abgerufen am 01.07.2024.
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