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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Preußens zuwartende Haltung.
müssen, erst in Wien, dann in Dresden! Nach so niederschlagenden Er-
fahrungen faßte man in Berlin den verständigen Entschluß, fortan keine
Einladungen mehr ergehen zu lassen, sondern gelassen zu warten, bis die
Noth den kleinen Nachbarn die Augen öffne. In diesem Sinne erging
an sämmtliche Gesandten in Deutschland die gemessene Weisung, sich
streng zurückzuhalten und auf alle handelspolitischen Anfragen lediglich
zu antworten: der König habe schon im Jahre 1818 sich zu Verhand-
lungen bereit erklärt, er hege noch immer den Wunsch, andere deutsche
Staaten mit seinem Zollsysteme zu verbinden, jetzt sei es an den Nach-
barn, dem guten Willen entgegen zu kommen. Eichhorn begründete diesen
Entschluß mit der Erwägung, daß die Eifersucht der Dynastien durch
Einladungen erfahrungsmäßig nur gereizt würde: "Solche Anträge konnten
zugleich als Aufforderungen zur Aenderung ihrer inneren Staatsgesetz-
gebung und als ihre Selbständigkeit gefährdende Anmuthungen mißdeutet
werden."*) Gegen das tief eingewurzelte Mißtrauen der kleinen Höfe
wirkte nur eine Waffe: ruhiger Gleichmuth, der die Natur der Dinge für
sich wirken ließ. Was verschlug es auch, wenn die Presse unablässig
über Preußens selbstsüchtige Sonderstellung Wehe rief? Von der öffent-
lichen Meinung, die sich noch weit verblendeter zeigte als die Höfe, hatte
die Handelseinheit des Vaterlandes nichts zu erwarten; Preußens bester
Bundesgenosse war die wachsende Finanznoth der kleinen Staaten. --


Die Bevollmächtigten der constitutionellen Staaten trugen aus Wien
die Gewißheit heim, daß ihre Verfassungen vorläufig vom Bunde nichts
zu fürchten hatten. Während Zentner dies Ergebniß als einen Sieg be-
trachtete, war Berstett voll Unmuths. Er hatte so sicher erwartet, daß
die Wiener Versammlung seinen unruhigen Karlsruher Landtag zu Paaren
treiben würde, und mußte nun mit leeren Häuden heimkehren. Beim
Schluß der Conferenzen richtete er noch einmal eine dringende Bitte an
Metternich: jetzt da der politische Meuchelmord in Frankreich rase, sei es
doch hohe Zeit, daß alle europäischen Mächte einander den Bestand der
monarchischen Principien feierlich verbürgten. "Mit einer Declaration
der Rechte der Völker hat der Turnus der Revolutionen begonnen.
Könnte er nicht mit einer Declaration der Rechte der Throne beschlossen
werden?" Dem österreichischen Staatsmanne kam diese Aufforderung
im Augenblicke sehr ungelegen. Er brauchte für jetzt Ruhe in Deutsch-
land, selbst um den Preis eines Waffenstillstands mit den verabscheuten

*) Weisungen an Otterstedt, 2. Nov. 1822, 20. Febr. 1825 u. s. w. Eichhorn's
Gutachten, 21. April 1824. Weisung an die Gesandtschaften, 25. März 1828.

Preußens zuwartende Haltung.
müſſen, erſt in Wien, dann in Dresden! Nach ſo niederſchlagenden Er-
fahrungen faßte man in Berlin den verſtändigen Entſchluß, fortan keine
Einladungen mehr ergehen zu laſſen, ſondern gelaſſen zu warten, bis die
Noth den kleinen Nachbarn die Augen öffne. In dieſem Sinne erging
an ſämmtliche Geſandten in Deutſchland die gemeſſene Weiſung, ſich
ſtreng zurückzuhalten und auf alle handelspolitiſchen Anfragen lediglich
zu antworten: der König habe ſchon im Jahre 1818 ſich zu Verhand-
lungen bereit erklärt, er hege noch immer den Wunſch, andere deutſche
Staaten mit ſeinem Zollſyſteme zu verbinden, jetzt ſei es an den Nach-
barn, dem guten Willen entgegen zu kommen. Eichhorn begründete dieſen
Entſchluß mit der Erwägung, daß die Eiferſucht der Dynaſtien durch
Einladungen erfahrungsmäßig nur gereizt würde: „Solche Anträge konnten
zugleich als Aufforderungen zur Aenderung ihrer inneren Staatsgeſetz-
gebung und als ihre Selbſtändigkeit gefährdende Anmuthungen mißdeutet
werden.“*) Gegen das tief eingewurzelte Mißtrauen der kleinen Höfe
wirkte nur eine Waffe: ruhiger Gleichmuth, der die Natur der Dinge für
ſich wirken ließ. Was verſchlug es auch, wenn die Preſſe unabläſſig
über Preußens ſelbſtſüchtige Sonderſtellung Wehe rief? Von der öffent-
lichen Meinung, die ſich noch weit verblendeter zeigte als die Höfe, hatte
die Handelseinheit des Vaterlandes nichts zu erwarten; Preußens beſter
Bundesgenoſſe war die wachſende Finanznoth der kleinen Staaten. —


Die Bevollmächtigten der conſtitutionellen Staaten trugen aus Wien
die Gewißheit heim, daß ihre Verfaſſungen vorläufig vom Bunde nichts
zu fürchten hatten. Während Zentner dies Ergebniß als einen Sieg be-
trachtete, war Berſtett voll Unmuths. Er hatte ſo ſicher erwartet, daß
die Wiener Verſammlung ſeinen unruhigen Karlsruher Landtag zu Paaren
treiben würde, und mußte nun mit leeren Häuden heimkehren. Beim
Schluß der Conferenzen richtete er noch einmal eine dringende Bitte an
Metternich: jetzt da der politiſche Meuchelmord in Frankreich raſe, ſei es
doch hohe Zeit, daß alle europäiſchen Mächte einander den Beſtand der
monarchiſchen Principien feierlich verbürgten. „Mit einer Declaration
der Rechte der Völker hat der Turnus der Revolutionen begonnen.
Könnte er nicht mit einer Declaration der Rechte der Throne beſchloſſen
werden?“ Dem öſterreichiſchen Staatsmanne kam dieſe Aufforderung
im Augenblicke ſehr ungelegen. Er brauchte für jetzt Ruhe in Deutſch-
land, ſelbſt um den Preis eines Waffenſtillſtands mit den verabſcheuten

*) Weiſungen an Otterſtedt, 2. Nov. 1822, 20. Febr. 1825 u. ſ. w. Eichhorn’s
Gutachten, 21. April 1824. Weiſung an die Geſandtſchaften, 25. März 1828.
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[47/0063] Preußens zuwartende Haltung. müſſen, erſt in Wien, dann in Dresden! Nach ſo niederſchlagenden Er- fahrungen faßte man in Berlin den verſtändigen Entſchluß, fortan keine Einladungen mehr ergehen zu laſſen, ſondern gelaſſen zu warten, bis die Noth den kleinen Nachbarn die Augen öffne. In dieſem Sinne erging an ſämmtliche Geſandten in Deutſchland die gemeſſene Weiſung, ſich ſtreng zurückzuhalten und auf alle handelspolitiſchen Anfragen lediglich zu antworten: der König habe ſchon im Jahre 1818 ſich zu Verhand- lungen bereit erklärt, er hege noch immer den Wunſch, andere deutſche Staaten mit ſeinem Zollſyſteme zu verbinden, jetzt ſei es an den Nach- barn, dem guten Willen entgegen zu kommen. Eichhorn begründete dieſen Entſchluß mit der Erwägung, daß die Eiferſucht der Dynaſtien durch Einladungen erfahrungsmäßig nur gereizt würde: „Solche Anträge konnten zugleich als Aufforderungen zur Aenderung ihrer inneren Staatsgeſetz- gebung und als ihre Selbſtändigkeit gefährdende Anmuthungen mißdeutet werden.“ *) Gegen das tief eingewurzelte Mißtrauen der kleinen Höfe wirkte nur eine Waffe: ruhiger Gleichmuth, der die Natur der Dinge für ſich wirken ließ. Was verſchlug es auch, wenn die Preſſe unabläſſig über Preußens ſelbſtſüchtige Sonderſtellung Wehe rief? Von der öffent- lichen Meinung, die ſich noch weit verblendeter zeigte als die Höfe, hatte die Handelseinheit des Vaterlandes nichts zu erwarten; Preußens beſter Bundesgenoſſe war die wachſende Finanznoth der kleinen Staaten. — Die Bevollmächtigten der conſtitutionellen Staaten trugen aus Wien die Gewißheit heim, daß ihre Verfaſſungen vorläufig vom Bunde nichts zu fürchten hatten. Während Zentner dies Ergebniß als einen Sieg be- trachtete, war Berſtett voll Unmuths. Er hatte ſo ſicher erwartet, daß die Wiener Verſammlung ſeinen unruhigen Karlsruher Landtag zu Paaren treiben würde, und mußte nun mit leeren Häuden heimkehren. Beim Schluß der Conferenzen richtete er noch einmal eine dringende Bitte an Metternich: jetzt da der politiſche Meuchelmord in Frankreich raſe, ſei es doch hohe Zeit, daß alle europäiſchen Mächte einander den Beſtand der monarchiſchen Principien feierlich verbürgten. „Mit einer Declaration der Rechte der Völker hat der Turnus der Revolutionen begonnen. Könnte er nicht mit einer Declaration der Rechte der Throne beſchloſſen werden?“ Dem öſterreichiſchen Staatsmanne kam dieſe Aufforderung im Augenblicke ſehr ungelegen. Er brauchte für jetzt Ruhe in Deutſch- land, ſelbſt um den Preis eines Waffenſtillſtands mit den verabſcheuten *) Weiſungen an Otterſtedt, 2. Nov. 1822, 20. Febr. 1825 u. ſ. w. Eichhorn’s Gutachten, 21. April 1824. Weiſung an die Geſandtſchaften, 25. März 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/63>, abgerufen am 21.11.2024.