Liberalen, weil er voraussah, daß Oesterreich vielleicht bald alle seine Kraft wider die Revolution in Südeuropa werde verwenden müssen, und hielt darum für nöthig, den reaktionären Eifer des Freundes zu be- sänftigen.
In einer langen salbungsvollen Denkschrift (4. Mai) wiederholte er dem Badener zunächst seine alte Lieblingslehre, daß in so stürmischen Tagen die Erhaltung des Bestehenden das Ziel aller Wohlgesinnten sei, und reihte daran den geistreichen Satz: "in diesem Punkte, mit welchem Alles gerettet, ja selbst das Verlorene zum Theil noch wiedergewonnen werden kann, müssen alle Anstrengungen zusammentreffen." Auf diese Axiome, welche der gesammten diplomatischen Welt schon längst als eisernes Inventar der k. k. Kanzleisprache wohlbekannt waren, folgten jedoch die in Metternich's Munde unerhörten Worte: "Wir begreifen aber darunter nicht blos die alte, nur in wenig Staaten unberührt ge- bliebene Ordnung im engeren Sinne des Worts, sondern auch neu ein- geführte Institutionen, sobald sie einmal verfassungsmäßige Kraft haben. In Zeiten wie die jetzigen sind, ist der Uebergang vom Alten zum Neuen kaum mit größeren Gefahren verbunden, als die Rückkehr vom Neuen zu dem bereits erloschenen Alten. Der eine Versuch kann wie der an- dere materielle Unruhen herbeiführen, die heute um jeden Preis ver- mieden werden müssen. Den Einwurf, daß es unter den in Deutschland bisher eingeführten Verfassungen solche gebe, die gar keine Basis und folglich auch keinen Anhaltspunkt gewährten, betrachten wir als unge- gründet. Jede einmal bestehende Ordnung -- sie müßte denn, wie etwa die Constitution der Cortes von 1812, das Werk reiner Willkür und unsinniger Verblendung sein -- enthält Stoff zu einem besseren System." Darauf erinnert er die kleinen Höfe an die Eintracht der großen Mächte, an die soeben in Wien neu befestigte Vereinigung zwischen den deutschen Bundesstaaten, und ermahnt sie schließlich zu einem streng gesetzlichen, ver- fassungsmäßigen Regimente. Im Nothfalle bleibe ihnen noch "die Appellation an die Hilfe der Gesammtheit. Wenn Oesterreich, in seinem Innern unbewegt, noch eine ansehnliche Masse moralischer Kräfte und materieller Mittel besitzt, so wird es beide auch für seine Bundesgenossen zu verwenden bereit sein."*) Also kein Wort mehr von der Wiederher- stellung der alten Landstände; dieselben süddeutschen Verfassungen, welche Metternich in Karlsbad als demagogisch verdammt hatte, erkannte er jetzt als einen unantastbaren Rechtsboden an.
*) Der Abdruck der Note vom 4. Mai 1820 bei Welcker, wichtige Urkunden S. 335, stimmt -- bis auf mehrere, offenbar verlesene oder verschriebene Wörter -- vollständig überein mit dem Originale, das sich zu Karlsruhe im Archiv des Min. d. a. A. befindet. Die im Wortlaute stark abweichende Denkschrift, welche in Metternich's hinterlassenen Papieren III. 372 abgedruckt ist, kann mithin, gleich vielen anderen Aktenstücken dieser Sammlung, nur ein Concept sein.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Liberalen, weil er vorausſah, daß Oeſterreich vielleicht bald alle ſeine Kraft wider die Revolution in Südeuropa werde verwenden müſſen, und hielt darum für nöthig, den reaktionären Eifer des Freundes zu be- ſänftigen.
In einer langen ſalbungsvollen Denkſchrift (4. Mai) wiederholte er dem Badener zunächſt ſeine alte Lieblingslehre, daß in ſo ſtürmiſchen Tagen die Erhaltung des Beſtehenden das Ziel aller Wohlgeſinnten ſei, und reihte daran den geiſtreichen Satz: „in dieſem Punkte, mit welchem Alles gerettet, ja ſelbſt das Verlorene zum Theil noch wiedergewonnen werden kann, müſſen alle Anſtrengungen zuſammentreffen.“ Auf dieſe Axiome, welche der geſammten diplomatiſchen Welt ſchon längſt als eiſernes Inventar der k. k. Kanzleiſprache wohlbekannt waren, folgten jedoch die in Metternich’s Munde unerhörten Worte: „Wir begreifen aber darunter nicht blos die alte, nur in wenig Staaten unberührt ge- bliebene Ordnung im engeren Sinne des Worts, ſondern auch neu ein- geführte Inſtitutionen, ſobald ſie einmal verfaſſungsmäßige Kraft haben. In Zeiten wie die jetzigen ſind, iſt der Uebergang vom Alten zum Neuen kaum mit größeren Gefahren verbunden, als die Rückkehr vom Neuen zu dem bereits erloſchenen Alten. Der eine Verſuch kann wie der an- dere materielle Unruhen herbeiführen, die heute um jeden Preis ver- mieden werden müſſen. Den Einwurf, daß es unter den in Deutſchland bisher eingeführten Verfaſſungen ſolche gebe, die gar keine Baſis und folglich auch keinen Anhaltspunkt gewährten, betrachten wir als unge- gründet. Jede einmal beſtehende Ordnung — ſie müßte denn, wie etwa die Conſtitution der Cortes von 1812, das Werk reiner Willkür und unſinniger Verblendung ſein — enthält Stoff zu einem beſſeren Syſtem.“ Darauf erinnert er die kleinen Höfe an die Eintracht der großen Mächte, an die ſoeben in Wien neu befeſtigte Vereinigung zwiſchen den deutſchen Bundesſtaaten, und ermahnt ſie ſchließlich zu einem ſtreng geſetzlichen, ver- faſſungsmäßigen Regimente. Im Nothfalle bleibe ihnen noch „die Appellation an die Hilfe der Geſammtheit. Wenn Oeſterreich, in ſeinem Innern unbewegt, noch eine anſehnliche Maſſe moraliſcher Kräfte und materieller Mittel beſitzt, ſo wird es beide auch für ſeine Bundesgenoſſen zu verwenden bereit ſein.“*) Alſo kein Wort mehr von der Wiederher- ſtellung der alten Landſtände; dieſelben ſüddeutſchen Verfaſſungen, welche Metternich in Karlsbad als demagogiſch verdammt hatte, erkannte er jetzt als einen unantaſtbaren Rechtsboden an.
*) Der Abdruck der Note vom 4. Mai 1820 bei Welcker, wichtige Urkunden S. 335, ſtimmt — bis auf mehrere, offenbar verleſene oder verſchriebene Wörter — vollſtändig überein mit dem Originale, das ſich zu Karlsruhe im Archiv des Min. d. a. A. befindet. Die im Wortlaute ſtark abweichende Denkſchrift, welche in Metternich’s hinterlaſſenen Papieren III. 372 abgedruckt iſt, kann mithin, gleich vielen anderen Aktenſtücken dieſer Sammlung, nur ein Concept ſein.
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hielt darum für nöthig, den reaktionären Eifer des Freundes zu be-
ſänftigen.
In einer langen ſalbungsvollen Denkſchrift (4. Mai) wiederholte er
dem Badener zunächſt ſeine alte Lieblingslehre, daß in ſo ſtürmiſchen
Tagen die Erhaltung des Beſtehenden das Ziel aller Wohlgeſinnten ſei,
und reihte daran den geiſtreichen Satz: „in dieſem Punkte, mit welchem
Alles gerettet, ja ſelbſt das Verlorene zum Theil noch wiedergewonnen
werden kann, müſſen alle Anſtrengungen zuſammentreffen.“ Auf dieſe
Axiome, welche der geſammten diplomatiſchen Welt ſchon längſt als
eiſernes Inventar der k. k. Kanzleiſprache wohlbekannt waren, folgten
jedoch die in Metternich’s Munde unerhörten Worte: „Wir begreifen
aber darunter nicht blos die alte, nur in wenig Staaten unberührt ge-
bliebene Ordnung im engeren Sinne des Worts, ſondern auch neu ein-
geführte Inſtitutionen, ſobald ſie einmal verfaſſungsmäßige Kraft haben.
In Zeiten wie die jetzigen ſind, iſt der Uebergang vom Alten zum Neuen
kaum mit größeren Gefahren verbunden, als die Rückkehr vom Neuen
zu dem bereits erloſchenen Alten. Der eine Verſuch kann wie der an-
dere materielle Unruhen herbeiführen, die heute um jeden Preis ver-
mieden werden müſſen. Den Einwurf, daß es unter den in Deutſchland
bisher eingeführten Verfaſſungen ſolche gebe, die gar keine Baſis und
folglich auch keinen Anhaltspunkt gewährten, betrachten wir als unge-
gründet. Jede einmal beſtehende Ordnung — ſie müßte denn, wie etwa
die Conſtitution der Cortes von 1812, das Werk reiner Willkür und
unſinniger Verblendung ſein — enthält Stoff zu einem beſſeren Syſtem.“
Darauf erinnert er die kleinen Höfe an die Eintracht der großen Mächte,
an die ſoeben in Wien neu befeſtigte Vereinigung zwiſchen den deutſchen
Bundesſtaaten, und ermahnt ſie ſchließlich zu einem ſtreng geſetzlichen, ver-
faſſungsmäßigen Regimente. Im Nothfalle bleibe ihnen noch „die
Appellation an die Hilfe der Geſammtheit. Wenn Oeſterreich, in ſeinem
Innern unbewegt, noch eine anſehnliche Maſſe moraliſcher Kräfte und
materieller Mittel beſitzt, ſo wird es beide auch für ſeine Bundesgenoſſen
zu verwenden bereit ſein.“ *) Alſo kein Wort mehr von der Wiederher-
ſtellung der alten Landſtände; dieſelben ſüddeutſchen Verfaſſungen, welche
Metternich in Karlsbad als demagogiſch verdammt hatte, erkannte er jetzt
als einen unantaſtbaren Rechtsboden an.
*) Der Abdruck der Note vom 4. Mai 1820 bei Welcker, wichtige Urkunden S. 335,
ſtimmt — bis auf mehrere, offenbar verleſene oder verſchriebene Wörter — vollſtändig
überein mit dem Originale, das ſich zu Karlsruhe im Archiv des Min. d. a. A. befindet.
Die im Wortlaute ſtark abweichende Denkſchrift, welche in Metternich’s hinterlaſſenen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/64>, abgerufen am 21.11.2024.
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