lungen etwas früher beendigten als Preußen und Darmstadt. Für den Historiker hat die Thatsache geringen Werth. Denn der süddeutsche Verein erwies sich als ein verfehlter Versuch und ging bald zu Grunde; der preußisch-hessische Verein bewährte sich und wuchs. Aus diesem, nicht aus jenem, ist der große deutsche Zollverein hervorgegangen.
Eichhorn fühlte, daß die Dinge endlich in Fluß kamen. Voll froher Zuversicht richtete er im März an die Gesandtschaften in Deutschland eine eingehende Instruction. Er schildert darin den Gang der preußischen Han- delspolitik, das System des bewußten, berechneten Abwartens, das so gute Früchte getragen habe. Er zeigt sodann, wie mit dem Darmstädter Ver- trage die entscheidende Wendung eingetreten sei: diese Verhandlungen waren besonders darum nützlich, weil sie "die Möglichkeit eines gemein- schaftlichen Zollsystems für Staaten, die geographisch unabhängig sind, erwiesen. An die Stelle eines dunklen Gefühls, welches früherhin eine Vereinigung in einer unbestimmten Richtung suchte, ist eine klare Erkenntniß getreten." Man sieht heute in der Aufnahme der staatswirthschaftlichen Grundsätze eines anderen Staats nicht mehr eine Verleugnung der Sou- veränität. Nichtsdestoweniger soll die Diplomatie nach wie vor eine ruhig zuwartende Haltung behaupten. Ebenso zuversichtlich schrieb Eich- horn an Motz: Unsere Handelspolitik hat sich bewährt und wird noch größere Erfolge erringen, wenn wir die Anfragen anderer Staaten ge- duldig abwarten. Der bairisch-württembergische Verein ist lose und wird noch lockerer werden, wenn er wider Erwarten neue Bundesgenossen finden sollte.*)
In der That erwies sich in Hessen wie einst in den Enclaven sehr rasch der Segen der preußischen Gesetze. Im ersten Augenblicke war die Stimmung im Lande noch getheilt. Das Starkenburger Land sah den gewohnten kleinen Verkehr mit dem Frankfurter Markte mannichfach be- lästigt, und in der Kammer klagten nach deutschem Brauche einzelne Pa- trioten beweglich über den "Löwenvertrag", welchen Preußens Schlauheit der hessischen Unschuld auferlegte. Der Handelsstand in Mainz und Offen- bach dagegen sprach der Regierung seinen Dank aus, und bald regte sich überall im Lande ein neues Leben. Vor Kurzem noch hatte man in Berlin geplant, eine Messe in Köln zu errichten, die dem Mainzer und Frank- furter Verkehre das Gegengewicht halten sollte: jetzt entstand in Offen- bach ein schwunghafter Meßverkehr, der namentlich im Ledergeschäfte das reiche Frankfurt zu überflügeln begann. Die beiden Verbündeten bauten eine große Straße von Paderborn über Biedenkopf nach Gießen und weiter südwärts, so daß ein fast zollfreier Straßenzug den Neckar mit der Ostsee verband. Nach zwei Jahren war die handelspolitische Opposition in den
*) Eichhorn, Weisung an die Gesandtschaften, 25. März. Eichhorn an Motz, 30. März 1828.
Wirkungen des Zollvereins.
lungen etwas früher beendigten als Preußen und Darmſtadt. Für den Hiſtoriker hat die Thatſache geringen Werth. Denn der ſüddeutſche Verein erwies ſich als ein verfehlter Verſuch und ging bald zu Grunde; der preußiſch-heſſiſche Verein bewährte ſich und wuchs. Aus dieſem, nicht aus jenem, iſt der große deutſche Zollverein hervorgegangen.
Eichhorn fühlte, daß die Dinge endlich in Fluß kamen. Voll froher Zuverſicht richtete er im März an die Geſandtſchaften in Deutſchland eine eingehende Inſtruction. Er ſchildert darin den Gang der preußiſchen Han- delspolitik, das Syſtem des bewußten, berechneten Abwartens, das ſo gute Früchte getragen habe. Er zeigt ſodann, wie mit dem Darmſtädter Ver- trage die entſcheidende Wendung eingetreten ſei: dieſe Verhandlungen waren beſonders darum nützlich, weil ſie „die Möglichkeit eines gemein- ſchaftlichen Zollſyſtems für Staaten, die geographiſch unabhängig ſind, erwieſen. An die Stelle eines dunklen Gefühls, welches früherhin eine Vereinigung in einer unbeſtimmten Richtung ſuchte, iſt eine klare Erkenntniß getreten.“ Man ſieht heute in der Aufnahme der ſtaatswirthſchaftlichen Grundſätze eines anderen Staats nicht mehr eine Verleugnung der Sou- veränität. Nichtsdeſtoweniger ſoll die Diplomatie nach wie vor eine ruhig zuwartende Haltung behaupten. Ebenſo zuverſichtlich ſchrieb Eich- horn an Motz: Unſere Handelspolitik hat ſich bewährt und wird noch größere Erfolge erringen, wenn wir die Anfragen anderer Staaten ge- duldig abwarten. Der bairiſch-württembergiſche Verein iſt loſe und wird noch lockerer werden, wenn er wider Erwarten neue Bundesgenoſſen finden ſollte.*)
In der That erwies ſich in Heſſen wie einſt in den Enclaven ſehr raſch der Segen der preußiſchen Geſetze. Im erſten Augenblicke war die Stimmung im Lande noch getheilt. Das Starkenburger Land ſah den gewohnten kleinen Verkehr mit dem Frankfurter Markte mannichfach be- läſtigt, und in der Kammer klagten nach deutſchem Brauche einzelne Pa- trioten beweglich über den „Löwenvertrag“, welchen Preußens Schlauheit der heſſiſchen Unſchuld auferlegte. Der Handelsſtand in Mainz und Offen- bach dagegen ſprach der Regierung ſeinen Dank aus, und bald regte ſich überall im Lande ein neues Leben. Vor Kurzem noch hatte man in Berlin geplant, eine Meſſe in Köln zu errichten, die dem Mainzer und Frank- furter Verkehre das Gegengewicht halten ſollte: jetzt entſtand in Offen- bach ein ſchwunghafter Meßverkehr, der namentlich im Ledergeſchäfte das reiche Frankfurt zu überflügeln begann. Die beiden Verbündeten bauten eine große Straße von Paderborn über Biedenkopf nach Gießen und weiter ſüdwärts, ſo daß ein faſt zollfreier Straßenzug den Neckar mit der Oſtſee verband. Nach zwei Jahren war die handelspolitiſche Oppoſition in den
*) Eichhorn, Weiſung an die Geſandtſchaften, 25. März. Eichhorn an Motz, 30. März 1828.
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Wirkungen des Zollvereins.
lungen etwas früher beendigten als Preußen und Darmſtadt. Für den
Hiſtoriker hat die Thatſache geringen Werth. Denn der ſüddeutſche Verein
erwies ſich als ein verfehlter Verſuch und ging bald zu Grunde; der
preußiſch-heſſiſche Verein bewährte ſich und wuchs. Aus dieſem, nicht
aus jenem, iſt der große deutſche Zollverein hervorgegangen.
Eichhorn fühlte, daß die Dinge endlich in Fluß kamen. Voll froher
Zuverſicht richtete er im März an die Geſandtſchaften in Deutſchland eine
eingehende Inſtruction. Er ſchildert darin den Gang der preußiſchen Han-
delspolitik, das Syſtem des bewußten, berechneten Abwartens, das ſo gute
Früchte getragen habe. Er zeigt ſodann, wie mit dem Darmſtädter Ver-
trage die entſcheidende Wendung eingetreten ſei: dieſe Verhandlungen
waren beſonders darum nützlich, weil ſie „die Möglichkeit eines gemein-
ſchaftlichen Zollſyſtems für Staaten, die geographiſch unabhängig ſind,
erwieſen. An die Stelle eines dunklen Gefühls, welches früherhin eine
Vereinigung in einer unbeſtimmten Richtung ſuchte, iſt eine klare Erkenntniß
getreten.“ Man ſieht heute in der Aufnahme der ſtaatswirthſchaftlichen
Grundſätze eines anderen Staats nicht mehr eine Verleugnung der Sou-
veränität. Nichtsdeſtoweniger ſoll die Diplomatie nach wie vor eine
ruhig zuwartende Haltung behaupten. Ebenſo zuverſichtlich ſchrieb Eich-
horn an Motz: Unſere Handelspolitik hat ſich bewährt und wird noch
größere Erfolge erringen, wenn wir die Anfragen anderer Staaten ge-
duldig abwarten. Der bairiſch-württembergiſche Verein iſt loſe und wird
noch lockerer werden, wenn er wider Erwarten neue Bundesgenoſſen finden
ſollte. *)
In der That erwies ſich in Heſſen wie einſt in den Enclaven ſehr
raſch der Segen der preußiſchen Geſetze. Im erſten Augenblicke war die
Stimmung im Lande noch getheilt. Das Starkenburger Land ſah den
gewohnten kleinen Verkehr mit dem Frankfurter Markte mannichfach be-
läſtigt, und in der Kammer klagten nach deutſchem Brauche einzelne Pa-
trioten beweglich über den „Löwenvertrag“, welchen Preußens Schlauheit
der heſſiſchen Unſchuld auferlegte. Der Handelsſtand in Mainz und Offen-
bach dagegen ſprach der Regierung ſeinen Dank aus, und bald regte ſich
überall im Lande ein neues Leben. Vor Kurzem noch hatte man in Berlin
geplant, eine Meſſe in Köln zu errichten, die dem Mainzer und Frank-
furter Verkehre das Gegengewicht halten ſollte: jetzt entſtand in Offen-
bach ein ſchwunghafter Meßverkehr, der namentlich im Ledergeſchäfte das
reiche Frankfurt zu überflügeln begann. Die beiden Verbündeten bauten
eine große Straße von Paderborn über Biedenkopf nach Gießen und weiter
ſüdwärts, ſo daß ein faſt zollfreier Straßenzug den Neckar mit der Oſtſee
verband. Nach zwei Jahren war die handelspolitiſche Oppoſition in den
*) Eichhorn, Weiſung an die Geſandtſchaften, 25. März. Eichhorn an Motz,
30. März 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/653>, abgerufen am 21.11.2024.
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