Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
worden; man hat nur Anträge und Vorschläge, welche von der groß-
herzoglichen Regierung ausgingen, entgegengenommen."*)

Der neue Zollverein sollte bis zum 31. Decbr. 1834 dauern und
dann, sofern keine Kündigung erfolge, auf weitere sechs Jahre verlängert
werden. Das Recht der Kündigung blieb, wie schon die Sotzmann'sche
Denkschrift vorausgesagt, die einzige Waffe, um Preußen sicherzustellen
gegen den Mißbrauch des gleichen Stimmrechts. Handelsverträge schloß
Preußen allein -- denn der Zusatz "unter Mitwirkung und Zustimmung
Darmstadts" war praktisch werthlos. In allem Uebrigen bestand voll-
ständige Gleichheit der Rechte.

Auch um diesen Vertrag hat sich ein zielloser Prioritätsstreit erhoben.
Der partikularistische Neid will die Thatsache nicht zugeben, daß die Ver-
fassung des Zollvereins in Berlin ersonnen wurde. Man behauptet, der
preußisch-hessische Verein sei lediglich dem bairisch-württembergischen Ver-
eine nachgebildet worden, welcher einige Wochen vorher, am 18. Jan. 1828,
zu Stande kam und ebenfalls das gleiche Stimmrecht, die selbständige Zoll-
verwaltung der Bundesgenossen anerkannte. Ein Blick auf die Tages-
und Jahreszahlen genügt, um dies Märchen zu widerlegen. Der Fun-
damentalsatz der Zollvereinsverfassung, die Parität und Unabhängigkeit
der Bundesgenossen, wurde in der Conferenz vom 11. Januar zwischen
Preußen und Darmstadt vereinbart, acht Tage bevor der bairisch-würt-
tembergische Vertrag abgeschlossen wurde -- in einem Augenblicke, da man
zu Berlin den Gang der Münchener Verhandlungen noch nicht näher
kannte. Die neueste aus München eingelaufene Nachricht sagte nur: noch
bleibe zweifelhaft, ob der süddeutsche Verein gemeinsame oder getrennte
Zollverwaltung haben solle, das Letztere sei allerdings wahrscheinlicher.**)
Der Gedanke lag eben in der Luft, er ergab sich mit Nothwendigkeit aus den
fruchtlosen Zollverhandlungen der jüngsten Jahre, er wurde von den nord-
deutschen und von den süddeutschen Zollverbündeten gleichzeitig angenom-
men, ohne daß sie von einander wußten. Im Grunde ist der ganze Streit
müßig. Der Entschluß, von dem die Zukunft deutscher Handelspolitik
abhing, konnte nur in Berlin gefaßt werden. Ob Baiern und Würt-
temberg einander die Parität zugestanden, war gleichgiltig. Doch ob die
norddeutsche Großmacht die unerhörte Selbstverleugnung finden würde,
mit einem Staate dritten Ranges sich bescheiden auf eine Linie zu stellen --
an dieser Frage hing Alles. Sobald Preußen diesen Entschluß faßte, war
dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe der letzte Vorwand genommen
und die Bahn gebrochen für Deutschlands Handelseinheit. Dem gewissen-
haften Notizensammler soll unvergessen bleiben, daß Baiern und Würt-
temberg den "ersten" Zollverein in Deutschland gründeten, ihre Verhand-

*) Eichhorn's Bericht an den König, 21. Febr. 1828.
**) Küster's Bericht, 10. Dec. 1827.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
worden; man hat nur Anträge und Vorſchläge, welche von der groß-
herzoglichen Regierung ausgingen, entgegengenommen.“*)

Der neue Zollverein ſollte bis zum 31. Decbr. 1834 dauern und
dann, ſofern keine Kündigung erfolge, auf weitere ſechs Jahre verlängert
werden. Das Recht der Kündigung blieb, wie ſchon die Sotzmann’ſche
Denkſchrift vorausgeſagt, die einzige Waffe, um Preußen ſicherzuſtellen
gegen den Mißbrauch des gleichen Stimmrechts. Handelsverträge ſchloß
Preußen allein — denn der Zuſatz „unter Mitwirkung und Zuſtimmung
Darmſtadts“ war praktiſch werthlos. In allem Uebrigen beſtand voll-
ſtändige Gleichheit der Rechte.

Auch um dieſen Vertrag hat ſich ein zielloſer Prioritätsſtreit erhoben.
Der partikulariſtiſche Neid will die Thatſache nicht zugeben, daß die Ver-
faſſung des Zollvereins in Berlin erſonnen wurde. Man behauptet, der
preußiſch-heſſiſche Verein ſei lediglich dem bairiſch-württembergiſchen Ver-
eine nachgebildet worden, welcher einige Wochen vorher, am 18. Jan. 1828,
zu Stande kam und ebenfalls das gleiche Stimmrecht, die ſelbſtändige Zoll-
verwaltung der Bundesgenoſſen anerkannte. Ein Blick auf die Tages-
und Jahreszahlen genügt, um dies Märchen zu widerlegen. Der Fun-
damentalſatz der Zollvereinsverfaſſung, die Parität und Unabhängigkeit
der Bundesgenoſſen, wurde in der Conferenz vom 11. Januar zwiſchen
Preußen und Darmſtadt vereinbart, acht Tage bevor der bairiſch-würt-
tembergiſche Vertrag abgeſchloſſen wurde — in einem Augenblicke, da man
zu Berlin den Gang der Münchener Verhandlungen noch nicht näher
kannte. Die neueſte aus München eingelaufene Nachricht ſagte nur: noch
bleibe zweifelhaft, ob der ſüddeutſche Verein gemeinſame oder getrennte
Zollverwaltung haben ſolle, das Letztere ſei allerdings wahrſcheinlicher.**)
Der Gedanke lag eben in der Luft, er ergab ſich mit Nothwendigkeit aus den
fruchtloſen Zollverhandlungen der jüngſten Jahre, er wurde von den nord-
deutſchen und von den ſüddeutſchen Zollverbündeten gleichzeitig angenom-
men, ohne daß ſie von einander wußten. Im Grunde iſt der ganze Streit
müßig. Der Entſchluß, von dem die Zukunft deutſcher Handelspolitik
abhing, konnte nur in Berlin gefaßt werden. Ob Baiern und Würt-
temberg einander die Parität zugeſtanden, war gleichgiltig. Doch ob die
norddeutſche Großmacht die unerhörte Selbſtverleugnung finden würde,
mit einem Staate dritten Ranges ſich beſcheiden auf eine Linie zu ſtellen —
an dieſer Frage hing Alles. Sobald Preußen dieſen Entſchluß faßte, war
dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe der letzte Vorwand genommen
und die Bahn gebrochen für Deutſchlands Handelseinheit. Dem gewiſſen-
haften Notizenſammler ſoll unvergeſſen bleiben, daß Baiern und Würt-
temberg den „erſten“ Zollverein in Deutſchland gründeten, ihre Verhand-

*) Eichhorn’s Bericht an den König, 21. Febr. 1828.
**) Küſter’s Bericht, 10. Dec. 1827.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0652" n="636"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 8. Der Zollkrieg und die er&#x017F;ten Zollvereine.</fw><lb/>
worden; man hat nur Anträge und Vor&#x017F;chläge, welche von der groß-<lb/>
herzoglichen Regierung ausgingen, entgegengenommen.&#x201C;<note place="foot" n="*)">Eichhorn&#x2019;s Bericht an den König, 21. Febr. 1828.</note></p><lb/>
          <p>Der neue Zollverein &#x017F;ollte bis zum 31. Decbr. 1834 dauern und<lb/>
dann, &#x017F;ofern keine Kündigung erfolge, auf weitere &#x017F;echs Jahre verlängert<lb/>
werden. Das Recht der Kündigung blieb, wie &#x017F;chon die Sotzmann&#x2019;&#x017F;che<lb/>
Denk&#x017F;chrift vorausge&#x017F;agt, die einzige Waffe, um Preußen &#x017F;icherzu&#x017F;tellen<lb/>
gegen den Mißbrauch des gleichen Stimmrechts. Handelsverträge &#x017F;chloß<lb/>
Preußen allein &#x2014; denn der Zu&#x017F;atz &#x201E;unter Mitwirkung und Zu&#x017F;timmung<lb/>
Darm&#x017F;tadts&#x201C; war prakti&#x017F;ch werthlos. In allem Uebrigen be&#x017F;tand voll-<lb/>
&#x017F;tändige Gleichheit der Rechte.</p><lb/>
          <p>Auch um die&#x017F;en Vertrag hat &#x017F;ich ein ziello&#x017F;er Prioritäts&#x017F;treit erhoben.<lb/>
Der partikulari&#x017F;ti&#x017F;che Neid will die That&#x017F;ache nicht zugeben, daß die Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung des Zollvereins in Berlin er&#x017F;onnen wurde. Man behauptet, der<lb/>
preußi&#x017F;ch-he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Verein &#x017F;ei lediglich dem bairi&#x017F;ch-württembergi&#x017F;chen Ver-<lb/>
eine nachgebildet worden, welcher einige Wochen vorher, am 18. Jan. 1828,<lb/>
zu Stande kam und ebenfalls das gleiche Stimmrecht, die &#x017F;elb&#x017F;tändige Zoll-<lb/>
verwaltung der Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en anerkannte. Ein Blick auf die Tages-<lb/>
und Jahreszahlen genügt, um dies Märchen zu widerlegen. Der Fun-<lb/>
damental&#x017F;atz der Zollvereinsverfa&#x017F;&#x017F;ung, die Parität und Unabhängigkeit<lb/>
der Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en, wurde in der Conferenz vom 11. Januar zwi&#x017F;chen<lb/>
Preußen und Darm&#x017F;tadt vereinbart, acht Tage bevor der bairi&#x017F;ch-würt-<lb/>
tembergi&#x017F;che Vertrag abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wurde &#x2014; in einem Augenblicke, da man<lb/>
zu Berlin den Gang der Münchener Verhandlungen noch nicht näher<lb/>
kannte. Die neue&#x017F;te aus München eingelaufene Nachricht &#x017F;agte nur: noch<lb/>
bleibe zweifelhaft, ob der &#x017F;üddeut&#x017F;che Verein gemein&#x017F;ame oder getrennte<lb/>
Zollverwaltung haben &#x017F;olle, das Letztere &#x017F;ei allerdings wahr&#x017F;cheinlicher.<note place="foot" n="**)">&#x017F;ter&#x2019;s Bericht, 10. Dec. 1827.</note><lb/>
Der Gedanke lag eben in der Luft, er ergab &#x017F;ich mit Nothwendigkeit aus den<lb/>
fruchtlo&#x017F;en Zollverhandlungen der jüng&#x017F;ten Jahre, er wurde von den nord-<lb/>
deut&#x017F;chen und von den &#x017F;üddeut&#x017F;chen Zollverbündeten gleichzeitig angenom-<lb/>
men, ohne daß &#x017F;ie von einander wußten. Im Grunde i&#x017F;t der ganze Streit<lb/>
müßig. Der Ent&#x017F;chluß, von dem die Zukunft deut&#x017F;cher Handelspolitik<lb/>
abhing, konnte nur in Berlin gefaßt werden. Ob Baiern und Würt-<lb/>
temberg einander die Parität zuge&#x017F;tanden, war gleichgiltig. Doch ob die<lb/>
norddeut&#x017F;che Großmacht die unerhörte Selb&#x017F;tverleugnung finden würde,<lb/>
mit einem Staate dritten Ranges &#x017F;ich be&#x017F;cheiden auf eine Linie zu &#x017F;tellen &#x2014;<lb/>
an die&#x017F;er Frage hing Alles. Sobald Preußen die&#x017F;en Ent&#x017F;chluß faßte, war<lb/>
dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe der letzte Vorwand genommen<lb/>
und die Bahn gebrochen für Deut&#x017F;chlands Handelseinheit. Dem gewi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
haften Notizen&#x017F;ammler &#x017F;oll unverge&#x017F;&#x017F;en bleiben, daß Baiern und Würt-<lb/>
temberg den &#x201E;er&#x017F;ten&#x201C; Zollverein in Deut&#x017F;chland gründeten, ihre Verhand-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[636/0652] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. worden; man hat nur Anträge und Vorſchläge, welche von der groß- herzoglichen Regierung ausgingen, entgegengenommen.“ *) Der neue Zollverein ſollte bis zum 31. Decbr. 1834 dauern und dann, ſofern keine Kündigung erfolge, auf weitere ſechs Jahre verlängert werden. Das Recht der Kündigung blieb, wie ſchon die Sotzmann’ſche Denkſchrift vorausgeſagt, die einzige Waffe, um Preußen ſicherzuſtellen gegen den Mißbrauch des gleichen Stimmrechts. Handelsverträge ſchloß Preußen allein — denn der Zuſatz „unter Mitwirkung und Zuſtimmung Darmſtadts“ war praktiſch werthlos. In allem Uebrigen beſtand voll- ſtändige Gleichheit der Rechte. Auch um dieſen Vertrag hat ſich ein zielloſer Prioritätsſtreit erhoben. Der partikulariſtiſche Neid will die Thatſache nicht zugeben, daß die Ver- faſſung des Zollvereins in Berlin erſonnen wurde. Man behauptet, der preußiſch-heſſiſche Verein ſei lediglich dem bairiſch-württembergiſchen Ver- eine nachgebildet worden, welcher einige Wochen vorher, am 18. Jan. 1828, zu Stande kam und ebenfalls das gleiche Stimmrecht, die ſelbſtändige Zoll- verwaltung der Bundesgenoſſen anerkannte. Ein Blick auf die Tages- und Jahreszahlen genügt, um dies Märchen zu widerlegen. Der Fun- damentalſatz der Zollvereinsverfaſſung, die Parität und Unabhängigkeit der Bundesgenoſſen, wurde in der Conferenz vom 11. Januar zwiſchen Preußen und Darmſtadt vereinbart, acht Tage bevor der bairiſch-würt- tembergiſche Vertrag abgeſchloſſen wurde — in einem Augenblicke, da man zu Berlin den Gang der Münchener Verhandlungen noch nicht näher kannte. Die neueſte aus München eingelaufene Nachricht ſagte nur: noch bleibe zweifelhaft, ob der ſüddeutſche Verein gemeinſame oder getrennte Zollverwaltung haben ſolle, das Letztere ſei allerdings wahrſcheinlicher. **) Der Gedanke lag eben in der Luft, er ergab ſich mit Nothwendigkeit aus den fruchtloſen Zollverhandlungen der jüngſten Jahre, er wurde von den nord- deutſchen und von den ſüddeutſchen Zollverbündeten gleichzeitig angenom- men, ohne daß ſie von einander wußten. Im Grunde iſt der ganze Streit müßig. Der Entſchluß, von dem die Zukunft deutſcher Handelspolitik abhing, konnte nur in Berlin gefaßt werden. Ob Baiern und Würt- temberg einander die Parität zugeſtanden, war gleichgiltig. Doch ob die norddeutſche Großmacht die unerhörte Selbſtverleugnung finden würde, mit einem Staate dritten Ranges ſich beſcheiden auf eine Linie zu ſtellen — an dieſer Frage hing Alles. Sobald Preußen dieſen Entſchluß faßte, war dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe der letzte Vorwand genommen und die Bahn gebrochen für Deutſchlands Handelseinheit. Dem gewiſſen- haften Notizenſammler ſoll unvergeſſen bleiben, daß Baiern und Würt- temberg den „erſten“ Zollverein in Deutſchland gründeten, ihre Verhand- *) Eichhorn’s Bericht an den König, 21. Febr. 1828. **) Küſter’s Bericht, 10. Dec. 1827.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/652
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/652>, abgerufen am 22.11.2024.