Der alte Rothschild erschien bei Otterstedt um verbindlich anzufragen, ob nicht auch Frankfurt mit Preußen einen ähnlichen Vertrag schließen könne. Nun wußte alle Welt, daß die Handelspolitik dieser Republik lediglich in einer systematischen Pflege des Schmuggels bestand. Der Fühler hatte also nur den Zweck, den Senat über die Bedingungen des preußisch-hes- sischen Vertrags zu unterrichten, damit die Frankfurter Schmuggler sich darauf einrichten konnten. Selbstverständlich wurde der diplomatische Bör- senfürst mit einigen allgemeinen Redensarten heimgeschickt.*)
Unter den deutschen Höfen war nur einer, der den preußisch-hessi- schen Verein mit Freude begrüßte: der badische Hof. Allein durch Preu- ßens Beistand konnte Großherzog Ludwig hoffen, seine Pfalz gegen Baiern zu behaupten; daher schrieb er an Blittersdorff: "ich freue mich, einen Einfluß vermehrt zu sehen, dem ich, besonders im gegenwärtigen Augen- blicke, so viel verdanke." Zugleich hoffte man in Karlsruhe, die Absichten der badischen Handelspolitik nunmehr in Süddeutschland durchzusetzen, denn seit Darmstadt zu Preußen übergetreten, bildete Baden allein die für Baiern unentbehrliche Verbindung zwischen Franken und der Pfalz.
Alle anderen Höfe vernahmen die erste unsichere Kunde aus Berlin mit unbeschreiblichem Schrecken; die Nachricht fiel wie eine Bombe in die diplomatische Welt. Selbst Blittersdorff, der doch die entgegengesetzten Ansichten seines Souveräns kannte, enthielt sich nicht zu jammern über "dies Unglück, diesen neuen Beweis preußischer Selbstsucht": es sei ja klar, Preußen wolle nur den hessischen Markt für seine Fabrikate aus- beuten, und glaube selber nicht an die Dauer der Verbindung. Was der Heißsporn also herauspolterte, war nur der Wiederhall der erregten Reden der österreichischen Partei am Bundestage. Münch und Langenau ver- sicherten entrüstet: jetzt endlich sei Preußens maßlose Herrschsucht entlarvt. Vor Kurzem noch hatten sie auf den preußischen Hochmuth gescholten, der jede Verständigung mit den Nachbarn abweise. Am Lautesten lärmte Marschall über diesen "Unterwerfungsvertrag", den er ebenso wenig ge- lesen hatte wie die Anderen aus der österreichischen Sippe. Er traf so- gleich Anstalten zur Begünstigung des Schmuggels in Bieberich und den anderen Rheinhäfen. Der Gedanke, daß Nassau jetzt wie Anhalt zur preu- ßischen Enclave werden solle, war seinem Nationalstolze schrecklich. Dann ließ er durch die getreue Oberpostamtszeitung die Lüge verbreiten, Preußen habe auch Nassau zum Beitritt eingeladen, sei aber stolz zurückgewiesen worden. Der unterthänige Landtag stimmte der Ansicht des Ministers zu, als dieser erklärte: eine Erhöhung der Staatseinnahmen sei überflüssig; für Nassaus europäische Politik wie für seine Volkswirthschaft könne der Anschluß an Preußen nur gefährlich werden.
Daß Münch und Langenau nicht ohne geheime Weisungen handelten,
*) Otterstedt's Bericht, 29. Febr. 1828.
Meininger Straßendünkel. Die Kleinſtaaten.
Der alte Rothſchild erſchien bei Otterſtedt um verbindlich anzufragen, ob nicht auch Frankfurt mit Preußen einen ähnlichen Vertrag ſchließen könne. Nun wußte alle Welt, daß die Handelspolitik dieſer Republik lediglich in einer ſyſtematiſchen Pflege des Schmuggels beſtand. Der Fühler hatte alſo nur den Zweck, den Senat über die Bedingungen des preußiſch-heſ- ſiſchen Vertrags zu unterrichten, damit die Frankfurter Schmuggler ſich darauf einrichten konnten. Selbſtverſtändlich wurde der diplomatiſche Bör- ſenfürſt mit einigen allgemeinen Redensarten heimgeſchickt.*)
Unter den deutſchen Höfen war nur einer, der den preußiſch-heſſi- ſchen Verein mit Freude begrüßte: der badiſche Hof. Allein durch Preu- ßens Beiſtand konnte Großherzog Ludwig hoffen, ſeine Pfalz gegen Baiern zu behaupten; daher ſchrieb er an Blittersdorff: „ich freue mich, einen Einfluß vermehrt zu ſehen, dem ich, beſonders im gegenwärtigen Augen- blicke, ſo viel verdanke.“ Zugleich hoffte man in Karlsruhe, die Abſichten der badiſchen Handelspolitik nunmehr in Süddeutſchland durchzuſetzen, denn ſeit Darmſtadt zu Preußen übergetreten, bildete Baden allein die für Baiern unentbehrliche Verbindung zwiſchen Franken und der Pfalz.
Alle anderen Höfe vernahmen die erſte unſichere Kunde aus Berlin mit unbeſchreiblichem Schrecken; die Nachricht fiel wie eine Bombe in die diplomatiſche Welt. Selbſt Blittersdorff, der doch die entgegengeſetzten Anſichten ſeines Souveräns kannte, enthielt ſich nicht zu jammern über „dies Unglück, dieſen neuen Beweis preußiſcher Selbſtſucht“: es ſei ja klar, Preußen wolle nur den heſſiſchen Markt für ſeine Fabrikate aus- beuten, und glaube ſelber nicht an die Dauer der Verbindung. Was der Heißſporn alſo herauspolterte, war nur der Wiederhall der erregten Reden der öſterreichiſchen Partei am Bundestage. Münch und Langenau ver- ſicherten entrüſtet: jetzt endlich ſei Preußens maßloſe Herrſchſucht entlarvt. Vor Kurzem noch hatten ſie auf den preußiſchen Hochmuth geſcholten, der jede Verſtändigung mit den Nachbarn abweiſe. Am Lauteſten lärmte Marſchall über dieſen „Unterwerfungsvertrag“, den er ebenſo wenig ge- leſen hatte wie die Anderen aus der öſterreichiſchen Sippe. Er traf ſo- gleich Anſtalten zur Begünſtigung des Schmuggels in Bieberich und den anderen Rheinhäfen. Der Gedanke, daß Naſſau jetzt wie Anhalt zur preu- ßiſchen Enclave werden ſolle, war ſeinem Nationalſtolze ſchrecklich. Dann ließ er durch die getreue Oberpoſtamtszeitung die Lüge verbreiten, Preußen habe auch Naſſau zum Beitritt eingeladen, ſei aber ſtolz zurückgewieſen worden. Der unterthänige Landtag ſtimmte der Anſicht des Miniſters zu, als dieſer erklärte: eine Erhöhung der Staatseinnahmen ſei überflüſſig; für Naſſaus europäiſche Politik wie für ſeine Volkswirthſchaft könne der Anſchluß an Preußen nur gefährlich werden.
Daß Münch und Langenau nicht ohne geheime Weiſungen handelten,
*) Otterſtedt’s Bericht, 29. Febr. 1828.
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Meininger Straßendünkel. Die Kleinſtaaten.
Der alte Rothſchild erſchien bei Otterſtedt um verbindlich anzufragen, ob
nicht auch Frankfurt mit Preußen einen ähnlichen Vertrag ſchließen könne.
Nun wußte alle Welt, daß die Handelspolitik dieſer Republik lediglich in
einer ſyſtematiſchen Pflege des Schmuggels beſtand. Der Fühler hatte
alſo nur den Zweck, den Senat über die Bedingungen des preußiſch-heſ-
ſiſchen Vertrags zu unterrichten, damit die Frankfurter Schmuggler ſich
darauf einrichten konnten. Selbſtverſtändlich wurde der diplomatiſche Bör-
ſenfürſt mit einigen allgemeinen Redensarten heimgeſchickt. *)
Unter den deutſchen Höfen war nur einer, der den preußiſch-heſſi-
ſchen Verein mit Freude begrüßte: der badiſche Hof. Allein durch Preu-
ßens Beiſtand konnte Großherzog Ludwig hoffen, ſeine Pfalz gegen Baiern
zu behaupten; daher ſchrieb er an Blittersdorff: „ich freue mich, einen
Einfluß vermehrt zu ſehen, dem ich, beſonders im gegenwärtigen Augen-
blicke, ſo viel verdanke.“ Zugleich hoffte man in Karlsruhe, die Abſichten
der badiſchen Handelspolitik nunmehr in Süddeutſchland durchzuſetzen,
denn ſeit Darmſtadt zu Preußen übergetreten, bildete Baden allein die
für Baiern unentbehrliche Verbindung zwiſchen Franken und der Pfalz.
Alle anderen Höfe vernahmen die erſte unſichere Kunde aus Berlin
mit unbeſchreiblichem Schrecken; die Nachricht fiel wie eine Bombe in die
diplomatiſche Welt. Selbſt Blittersdorff, der doch die entgegengeſetzten
Anſichten ſeines Souveräns kannte, enthielt ſich nicht zu jammern über
„dies Unglück, dieſen neuen Beweis preußiſcher Selbſtſucht“: es ſei ja
klar, Preußen wolle nur den heſſiſchen Markt für ſeine Fabrikate aus-
beuten, und glaube ſelber nicht an die Dauer der Verbindung. Was der
Heißſporn alſo herauspolterte, war nur der Wiederhall der erregten Reden
der öſterreichiſchen Partei am Bundestage. Münch und Langenau ver-
ſicherten entrüſtet: jetzt endlich ſei Preußens maßloſe Herrſchſucht entlarvt.
Vor Kurzem noch hatten ſie auf den preußiſchen Hochmuth geſcholten, der
jede Verſtändigung mit den Nachbarn abweiſe. Am Lauteſten lärmte
Marſchall über dieſen „Unterwerfungsvertrag“, den er ebenſo wenig ge-
leſen hatte wie die Anderen aus der öſterreichiſchen Sippe. Er traf ſo-
gleich Anſtalten zur Begünſtigung des Schmuggels in Bieberich und den
anderen Rheinhäfen. Der Gedanke, daß Naſſau jetzt wie Anhalt zur preu-
ßiſchen Enclave werden ſolle, war ſeinem Nationalſtolze ſchrecklich. Dann
ließ er durch die getreue Oberpoſtamtszeitung die Lüge verbreiten, Preußen
habe auch Naſſau zum Beitritt eingeladen, ſei aber ſtolz zurückgewieſen
worden. Der unterthänige Landtag ſtimmte der Anſicht des Miniſters
zu, als dieſer erklärte: eine Erhöhung der Staatseinnahmen ſei überflüſſig;
für Naſſaus europäiſche Politik wie für ſeine Volkswirthſchaft könne der
Anſchluß an Preußen nur gefährlich werden.
Daß Münch und Langenau nicht ohne geheime Weiſungen handelten,
*) Otterſtedt’s Bericht, 29. Febr. 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/655>, abgerufen am 24.11.2024.
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