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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
ließ sich leicht errathen. Zum Ueberfluß sprach Fürst Metternich selbst
seine Bestürzung in sauersüßen Worten aus. Der preußische Gesandte
theilte dem österreichischen Staatskanzler eine Denkschrift mit, die sich aus-
führlich über Preußens bisherige Handelspolitik verbreitete. Darauf er-
widerte der Fürst: "Der Darmstädter Vertrag hat großes Aufsehen erregt,
wie ja Alles in Deutschland mißdeutet wird. Doch ist uns lieb, daß
Preußen sich so offen ausspricht; mit der Denkschrift bin ich im Wesent-
lichen einverstanden. Baiern hat uns kürzlich aufgefordert den preußisch-
hessischen Vertrag zu hintertreiben. Wir lehnten ab, da solche Verträge
eine Consequenz der Souveränität sind. Ich kann aber nicht verhehlen,
daß, sobald dergleichen Verbindungen aufhören blos aus dem administra-
tiven Gesichtspunkte betrachtet zu werden und ihnen eine politische Tendenz
zu Grunde gelegt wird, die Grundgesetze des Bundes ihnen entgegen-
stehen." Darauf empfahl er dem preußischen Hofe abermals, wie einst
auf dem Aachener Congresse, die Vorzüge der k. k. Provinzialmauthen:
wenn man in Preußen Provinzialzölle einführte, so würde man der lästigen
Zollverträge nicht bedürfen! Mit Entzücken vernahm Motz diese Orakel-
sprüche und schrieb an Eichhorn: "Von den Finanzansichten des Fürsten
v. Metternich werden wir wohl keinen Gebrauch machen können. Da-
gegen wollen wir nicht bestreiten, daß es in vieler Beziehung für uns
ohne Nachtheil sein wird, wenn er für Oesterreich bei seinen erleuchteten
Ansichten beharrt."*) Zudem wußte Eichhorn, wie eifrig der k. k. Ge-
sandte in Darmstadt der Ratification des Vertrags entgegengewirkt hatte;
noch im Februar war Otterstedt von Karlsruhe hinübergeeilt, um dem
österreichischen Einfluß die Wage zu halten.

Auch jenes deutsche Cabinet, das damals dem Berliner Hofe am
nächsten stand, auch Hannover, überraschte durch auffällige Ungezogenheit.
Der König wollte nicht, daß das befreundete Nachbarland aus dem neuen
Vereine Besorgniß schöpfe. Er befahl daher eine Ausnahme zu machen
von der Regel, wonach Preußen sich aller handelspolitischen Anerbietungen
enthalten sollte, und ließ in Hannover einige neue Straßenzüge und be-
deutende Zollerleichterungen vorschlagen, da nach den Grundsätzen der han-
noverschen Politik ein wirklicher Zollverein doch nicht zu erwarten stand.
Aber diese Eröffnungen blieben unerwidert. Das war mehr als Ver-
stimmung; das deutete auf feindselige Pläne, die im Dunkeln sich vor-
bereiteten.

Die öffentliche Meinung zeigte sich, wie immer in der Geschichte des
Zollvereins, noch verblendeter als die Cabinette, und die Hofburg ver-
stand, trotz ihres Hasses gegen den Liberalismus, den liberalen Unverstand
vortrefflich auszubeuten. In Frankfurt arbeitete unter Münch's Augen
eine k. k. Correspondenzenfabrik: mit merkwürdiger Uebereinstimmung er-

*) Maltzan's Bericht, 14. April. Motz an Eichhorn, 21. April 1828.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ließ ſich leicht errathen. Zum Ueberfluß ſprach Fürſt Metternich ſelbſt
ſeine Beſtürzung in ſauerſüßen Worten aus. Der preußiſche Geſandte
theilte dem öſterreichiſchen Staatskanzler eine Denkſchrift mit, die ſich aus-
führlich über Preußens bisherige Handelspolitik verbreitete. Darauf er-
widerte der Fürſt: „Der Darmſtädter Vertrag hat großes Aufſehen erregt,
wie ja Alles in Deutſchland mißdeutet wird. Doch iſt uns lieb, daß
Preußen ſich ſo offen ausſpricht; mit der Denkſchrift bin ich im Weſent-
lichen einverſtanden. Baiern hat uns kürzlich aufgefordert den preußiſch-
heſſiſchen Vertrag zu hintertreiben. Wir lehnten ab, da ſolche Verträge
eine Conſequenz der Souveränität ſind. Ich kann aber nicht verhehlen,
daß, ſobald dergleichen Verbindungen aufhören blos aus dem adminiſtra-
tiven Geſichtspunkte betrachtet zu werden und ihnen eine politiſche Tendenz
zu Grunde gelegt wird, die Grundgeſetze des Bundes ihnen entgegen-
ſtehen.“ Darauf empfahl er dem preußiſchen Hofe abermals, wie einſt
auf dem Aachener Congreſſe, die Vorzüge der k. k. Provinzialmauthen:
wenn man in Preußen Provinzialzölle einführte, ſo würde man der läſtigen
Zollverträge nicht bedürfen! Mit Entzücken vernahm Motz dieſe Orakel-
ſprüche und ſchrieb an Eichhorn: „Von den Finanzanſichten des Fürſten
v. Metternich werden wir wohl keinen Gebrauch machen können. Da-
gegen wollen wir nicht beſtreiten, daß es in vieler Beziehung für uns
ohne Nachtheil ſein wird, wenn er für Oeſterreich bei ſeinen erleuchteten
Anſichten beharrt.“*) Zudem wußte Eichhorn, wie eifrig der k. k. Ge-
ſandte in Darmſtadt der Ratification des Vertrags entgegengewirkt hatte;
noch im Februar war Otterſtedt von Karlsruhe hinübergeeilt, um dem
öſterreichiſchen Einfluß die Wage zu halten.

Auch jenes deutſche Cabinet, das damals dem Berliner Hofe am
nächſten ſtand, auch Hannover, überraſchte durch auffällige Ungezogenheit.
Der König wollte nicht, daß das befreundete Nachbarland aus dem neuen
Vereine Beſorgniß ſchöpfe. Er befahl daher eine Ausnahme zu machen
von der Regel, wonach Preußen ſich aller handelspolitiſchen Anerbietungen
enthalten ſollte, und ließ in Hannover einige neue Straßenzüge und be-
deutende Zollerleichterungen vorſchlagen, da nach den Grundſätzen der han-
noverſchen Politik ein wirklicher Zollverein doch nicht zu erwarten ſtand.
Aber dieſe Eröffnungen blieben unerwidert. Das war mehr als Ver-
ſtimmung; das deutete auf feindſelige Pläne, die im Dunkeln ſich vor-
bereiteten.

Die öffentliche Meinung zeigte ſich, wie immer in der Geſchichte des
Zollvereins, noch verblendeter als die Cabinette, und die Hofburg ver-
ſtand, trotz ihres Haſſes gegen den Liberalismus, den liberalen Unverſtand
vortrefflich auszubeuten. In Frankfurt arbeitete unter Münch’s Augen
eine k. k. Correſpondenzenfabrik: mit merkwürdiger Uebereinſtimmung er-

*) Maltzan’s Bericht, 14. April. Motz an Eichhorn, 21. April 1828.
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[640/0656] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. ließ ſich leicht errathen. Zum Ueberfluß ſprach Fürſt Metternich ſelbſt ſeine Beſtürzung in ſauerſüßen Worten aus. Der preußiſche Geſandte theilte dem öſterreichiſchen Staatskanzler eine Denkſchrift mit, die ſich aus- führlich über Preußens bisherige Handelspolitik verbreitete. Darauf er- widerte der Fürſt: „Der Darmſtädter Vertrag hat großes Aufſehen erregt, wie ja Alles in Deutſchland mißdeutet wird. Doch iſt uns lieb, daß Preußen ſich ſo offen ausſpricht; mit der Denkſchrift bin ich im Weſent- lichen einverſtanden. Baiern hat uns kürzlich aufgefordert den preußiſch- heſſiſchen Vertrag zu hintertreiben. Wir lehnten ab, da ſolche Verträge eine Conſequenz der Souveränität ſind. Ich kann aber nicht verhehlen, daß, ſobald dergleichen Verbindungen aufhören blos aus dem adminiſtra- tiven Geſichtspunkte betrachtet zu werden und ihnen eine politiſche Tendenz zu Grunde gelegt wird, die Grundgeſetze des Bundes ihnen entgegen- ſtehen.“ Darauf empfahl er dem preußiſchen Hofe abermals, wie einſt auf dem Aachener Congreſſe, die Vorzüge der k. k. Provinzialmauthen: wenn man in Preußen Provinzialzölle einführte, ſo würde man der läſtigen Zollverträge nicht bedürfen! Mit Entzücken vernahm Motz dieſe Orakel- ſprüche und ſchrieb an Eichhorn: „Von den Finanzanſichten des Fürſten v. Metternich werden wir wohl keinen Gebrauch machen können. Da- gegen wollen wir nicht beſtreiten, daß es in vieler Beziehung für uns ohne Nachtheil ſein wird, wenn er für Oeſterreich bei ſeinen erleuchteten Anſichten beharrt.“ *) Zudem wußte Eichhorn, wie eifrig der k. k. Ge- ſandte in Darmſtadt der Ratification des Vertrags entgegengewirkt hatte; noch im Februar war Otterſtedt von Karlsruhe hinübergeeilt, um dem öſterreichiſchen Einfluß die Wage zu halten. Auch jenes deutſche Cabinet, das damals dem Berliner Hofe am nächſten ſtand, auch Hannover, überraſchte durch auffällige Ungezogenheit. Der König wollte nicht, daß das befreundete Nachbarland aus dem neuen Vereine Beſorgniß ſchöpfe. Er befahl daher eine Ausnahme zu machen von der Regel, wonach Preußen ſich aller handelspolitiſchen Anerbietungen enthalten ſollte, und ließ in Hannover einige neue Straßenzüge und be- deutende Zollerleichterungen vorſchlagen, da nach den Grundſätzen der han- noverſchen Politik ein wirklicher Zollverein doch nicht zu erwarten ſtand. Aber dieſe Eröffnungen blieben unerwidert. Das war mehr als Ver- ſtimmung; das deutete auf feindſelige Pläne, die im Dunkeln ſich vor- bereiteten. Die öffentliche Meinung zeigte ſich, wie immer in der Geſchichte des Zollvereins, noch verblendeter als die Cabinette, und die Hofburg ver- ſtand, trotz ihres Haſſes gegen den Liberalismus, den liberalen Unverſtand vortrefflich auszubeuten. In Frankfurt arbeitete unter Münch’s Augen eine k. k. Correſpondenzenfabrik: mit merkwürdiger Uebereinſtimmung er- *) Maltzan’s Bericht, 14. April. Motz an Eichhorn, 21. April 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/656>, abgerufen am 21.11.2024.