Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. Wunsch, den Verkehr im Lande zu halten, blieb ja der höchste Gedanke,dessen die Handelspolitik der Kleinstaaten jener Tage fähig war. Wie oft sind die Staatsmänner der Ernestiner nach München oder Berlin geeilt um durch dringende Bitten den Bau einer Umgehungsstraße zu verhindern; wie jammerte Frankfurt, da im Frühjahr 1829 ein Spediteur Waaren aus der Schweiz nach Leipzig über Nürnberg sendete und billigere Fracht berechnete als seine Frankfurter Concurrenten. Diese Straßenpolitik war das beste Rüstzeug des mitteldeutschen Vereins, und Motz beschloß die Verbündeten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Er eröffnete Ver- handlungen mit Meiningen und Gotha, noch bevor der bairische Vertrag abgeschlossen war. Der Herzog von Coburg kam selbst nach Berlin. Am 3. Juli 1829 wurde mit Meiningen, Tags darauf mit Gotha ein Ver- trag geschlossen "um die Hindernisse zu beseitigen, die vorzüglich durch örtliche Verhältnisse dem Handel und gewerblichen Verkehr entgegenstehen." Die drei Staaten verpflichteten sich gemeinsam einen großen Straßenzug zu bauen von Langensalza über Gotha nach Zelle, von da über Meinin- gen nach Würzburg und über Suhl, Hildburghausen, Lichtenfels nach Bamberg. Preußen schoß den kleinen Herren die Gelder vor. Der Durch- fuhrhandel auf den neuen Straßen wurde völlig freigegeben. Dazu mehr- fache Zollerleichterungen und freier nachbarlicher Verkehr zwischen Mei- ningen, Gotha und Preußens thüringischen Enclaven. Es war dieselbe Straße quer über den Kamm des Thüringer Waldes, die nachher in der Eisenbahnpolitik des Deutschen Reiches noch einmal eine bedeutsame Rolle spielen sollte. Diese beiden unscheinbaren Verträge haben in Wahrheit den mittel- III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. Wunſch, den Verkehr im Lande zu halten, blieb ja der höchſte Gedanke,deſſen die Handelspolitik der Kleinſtaaten jener Tage fähig war. Wie oft ſind die Staatsmänner der Erneſtiner nach München oder Berlin geeilt um durch dringende Bitten den Bau einer Umgehungsſtraße zu verhindern; wie jammerte Frankfurt, da im Frühjahr 1829 ein Spediteur Waaren aus der Schweiz nach Leipzig über Nürnberg ſendete und billigere Fracht berechnete als ſeine Frankfurter Concurrenten. Dieſe Straßenpolitik war das beſte Rüſtzeug des mitteldeutſchen Vereins, und Motz beſchloß die Verbündeten mit ihren eigenen Waffen zu ſchlagen. Er eröffnete Ver- handlungen mit Meiningen und Gotha, noch bevor der bairiſche Vertrag abgeſchloſſen war. Der Herzog von Coburg kam ſelbſt nach Berlin. Am 3. Juli 1829 wurde mit Meiningen, Tags darauf mit Gotha ein Ver- trag geſchloſſen „um die Hinderniſſe zu beſeitigen, die vorzüglich durch örtliche Verhältniſſe dem Handel und gewerblichen Verkehr entgegenſtehen.“ Die drei Staaten verpflichteten ſich gemeinſam einen großen Straßenzug zu bauen von Langenſalza über Gotha nach Zelle, von da über Meinin- gen nach Würzburg und über Suhl, Hildburghauſen, Lichtenfels nach Bamberg. Preußen ſchoß den kleinen Herren die Gelder vor. Der Durch- fuhrhandel auf den neuen Straßen wurde völlig freigegeben. Dazu mehr- fache Zollerleichterungen und freier nachbarlicher Verkehr zwiſchen Mei- ningen, Gotha und Preußens thüringiſchen Enclaven. Es war dieſelbe Straße quer über den Kamm des Thüringer Waldes, die nachher in der Eiſenbahnpolitik des Deutſchen Reiches noch einmal eine bedeutſame Rolle ſpielen ſollte. 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III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Wunſch, den Verkehr im Lande zu halten, blieb ja der höchſte Gedanke,
deſſen die Handelspolitik der Kleinſtaaten jener Tage fähig war. Wie oft
ſind die Staatsmänner der Erneſtiner nach München oder Berlin geeilt
um durch dringende Bitten den Bau einer Umgehungsſtraße zu verhindern;
wie jammerte Frankfurt, da im Frühjahr 1829 ein Spediteur Waaren
aus der Schweiz nach Leipzig über Nürnberg ſendete und billigere Fracht
berechnete als ſeine Frankfurter Concurrenten. Dieſe Straßenpolitik war
das beſte Rüſtzeug des mitteldeutſchen Vereins, und Motz beſchloß die
Verbündeten mit ihren eigenen Waffen zu ſchlagen. Er eröffnete Ver-
handlungen mit Meiningen und Gotha, noch bevor der bairiſche Vertrag
abgeſchloſſen war. Der Herzog von Coburg kam ſelbſt nach Berlin. Am
3. Juli 1829 wurde mit Meiningen, Tags darauf mit Gotha ein Ver-
trag geſchloſſen „um die Hinderniſſe zu beſeitigen, die vorzüglich durch
örtliche Verhältniſſe dem Handel und gewerblichen Verkehr entgegenſtehen.“
Die drei Staaten verpflichteten ſich gemeinſam einen großen Straßenzug
zu bauen von Langenſalza über Gotha nach Zelle, von da über Meinin-
gen nach Würzburg und über Suhl, Hildburghauſen, Lichtenfels nach
Bamberg. Preußen ſchoß den kleinen Herren die Gelder vor. Der Durch-
fuhrhandel auf den neuen Straßen wurde völlig freigegeben. Dazu mehr-
fache Zollerleichterungen und freier nachbarlicher Verkehr zwiſchen Mei-
ningen, Gotha und Preußens thüringiſchen Enclaven. Es war dieſelbe
Straße quer über den Kamm des Thüringer Waldes, die nachher in der
Eiſenbahnpolitik des Deutſchen Reiches noch einmal eine bedeutſame Rolle
ſpielen ſollte.
Dieſe beiden unſcheinbaren Verträge haben in Wahrheit den mittel-
deutſchen Verein vernichtet. Denn jetzt erſt erhielt der preußiſch-bairiſche
Vertrag praktiſchen Werth. Motz eilte ſelbſt nach Thüringen, um den raſchen
Ausbau der Straßen zu fördern. Sobald dieſer zollfreie Straßenzug
vollendet war, ſtanden die beiden verbündeten Zollvereine in geſicherter
geographiſcher Verbindung, ihre völlige Verſchmelzung blieb nur noch eine
Frage der Zeit. Zugleich hatte das Berliner Cabinet mit Mecklenburg
den Bau einer neuen Straße von Hamburg nach Magdeburg verabredet.
Der mächtige Waarenzug zwiſchen der Nordſee und der Schweiz ward von
Hannover, Caſſel und Frankfurt hinweggelenkt auf die Straße Magdeburg-
Nürnberg. Der mitteldeutſche Verein, der Baiern und Preußen ausein-
ander halten ſollte, wurde durch einen Meiſterſtreich der preußiſchen Diplomatie
ſelber in der Mitte zerſpalten. Immer wieder drängt ſich der Gedanke
auf, wie viel langſamer der Knoten ſich hätte entwirren laſſen, wenn ein
Reichstag die diplomatiſche Action des Berliner Hofes lähmte. Wer dieſe
unterirdiſche Arbeit auf ihren verſchlungenen Wegen verfolgt, der muß
wo nicht billigen ſo doch verſtehen, daß ein freier Geiſt wie Trendelen-
burg damals den preußiſchen Abſolutismus als einen Segen für Deutſch-
land pries.
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