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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
Regierung nach Cassel und Bonn gesendet worden, um nochmals eine
Beilegung des ehelichen Zwistes im kurfürstlichen Hause zu versuchen.
Er hatte sich des undankbaren Auftrags mit erstaunlichem Ungeschick ent-
ledigt, bei Hruby, dem grimmigen Feinde Preußens, sich belehren lassen
über die Lage. Das Ende war, daß die beiden Gatten unversöhnlicher
denn je einander gegenüberstanden, und der Kurfürst in schäumender Wuth
seinem königlichen Schwager Rache schwur. So geschah es, daß das längst
verlorene Spiel der Mitteldeutschen noch durch einige Jahre fortgesetzt
wurde, bis Preußen den Gegnern auch den letzten Stein aus dem Brette
geschlagen hatte.

Seit dem Juni 1829 tagte in Cassel abermals der Congreß der Mittel-
deutschen -- ein Bild vollendeter Rathlosigkeit, ohnmächtigen Grolles.
Alles tobte wider die Verräther in Meiningen und Gotha, die dem Ver-
eine "ein wichtiges Objekt" geraubt hatten; man sendete Commissäre hin-
über, um die beiden Herzöge zu verwarnen. Alles zitterte vor der freien
preußischen Handelsstraße Hamburg-Nürnberg. Selbst die patriotische Hoff-
nung, daß Dänemark vielleicht den Bau jener Straße hindern werde, bot
keinen Trost; denn das kleine Stück holsteinischen Gebiets zwischen Hamburg
und der mecklenburgischen Grenze konnte leider auf der Elbe umgangen wer-
den! Der nassauische Bevollmächtigte Röntgen pflegte auch dem befreundeten
badischen Hofe Bericht zu erstatten über den Gang der Verhandlungen.
Diese Berichte wurden von Karlsruhe getreulich der preußischen Regierung
mitgetheilt; man kannte also in Berlin aus erster Quelle die rettungs-
lose Verwirrung des feindlichen Lagers. Schon in einer der ersten Sitzun-
gen warf ein Bevollmächtigter die wohlberechtigte naive Frage auf: "worin
denn eigentlich das materielle Wesen des Vereins bestehe?"*) Man fühlte,
daß man "eine Gesammt-Autonomie gründen müsse, um die eigene Auto-
nomie zu bewahren." Man verlangte nach einem "Gemeingute", das als
Unterhandlungsmittel gegen Preußen dienen solle. Die Lächerlichkeit eines
Zollvereins ohne gemeinsame Zölle begann zwar Einzelnen einzuleuchten;
selbst Nassau meinte, die Vortheile des freien Binnenhandels überwögen
unendlich jede Erleichterung des ausländischen Verkehrs. Aber, hieß es
dawider, "würde der Verein ein wirklicher Mauthverband, so müßten wir
schließlich doch preußische Farbe annehmen!" Sechs Commissionen wurden
gebildet, um im Stile des Bundestags über alle erdenklichen Fragen der
Verkehrspolitik hin und her zu reden. Absonderliche patriotische Freude
erregte der Vorschlag, den 21 Guldenfuß anzunehmen und also "das preu-
ßische Geld zu verdrängen".

Von Neuem tauchte der Gedanke auf, mehrere Bünde im Bunde zu
bilden -- zwei, drei oder vier, was verschlug es? Diese politischen Mol-
lusken ließen sich doch in jede beliebige Form pressen. Hannover wünschte

*) Röntgen's Bericht, 6. Aug. 1829.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Regierung nach Caſſel und Bonn geſendet worden, um nochmals eine
Beilegung des ehelichen Zwiſtes im kurfürſtlichen Hauſe zu verſuchen.
Er hatte ſich des undankbaren Auftrags mit erſtaunlichem Ungeſchick ent-
ledigt, bei Hruby, dem grimmigen Feinde Preußens, ſich belehren laſſen
über die Lage. Das Ende war, daß die beiden Gatten unverſöhnlicher
denn je einander gegenüberſtanden, und der Kurfürſt in ſchäumender Wuth
ſeinem königlichen Schwager Rache ſchwur. So geſchah es, daß das längſt
verlorene Spiel der Mitteldeutſchen noch durch einige Jahre fortgeſetzt
wurde, bis Preußen den Gegnern auch den letzten Stein aus dem Brette
geſchlagen hatte.

Seit dem Juni 1829 tagte in Caſſel abermals der Congreß der Mittel-
deutſchen — ein Bild vollendeter Rathloſigkeit, ohnmächtigen Grolles.
Alles tobte wider die Verräther in Meiningen und Gotha, die dem Ver-
eine „ein wichtiges Objekt“ geraubt hatten; man ſendete Commiſſäre hin-
über, um die beiden Herzöge zu verwarnen. Alles zitterte vor der freien
preußiſchen Handelsſtraße Hamburg-Nürnberg. Selbſt die patriotiſche Hoff-
nung, daß Dänemark vielleicht den Bau jener Straße hindern werde, bot
keinen Troſt; denn das kleine Stück holſteiniſchen Gebiets zwiſchen Hamburg
und der mecklenburgiſchen Grenze konnte leider auf der Elbe umgangen wer-
den! Der naſſauiſche Bevollmächtigte Röntgen pflegte auch dem befreundeten
badiſchen Hofe Bericht zu erſtatten über den Gang der Verhandlungen.
Dieſe Berichte wurden von Karlsruhe getreulich der preußiſchen Regierung
mitgetheilt; man kannte alſo in Berlin aus erſter Quelle die rettungs-
loſe Verwirrung des feindlichen Lagers. Schon in einer der erſten Sitzun-
gen warf ein Bevollmächtigter die wohlberechtigte naive Frage auf: „worin
denn eigentlich das materielle Weſen des Vereins beſtehe?“*) Man fühlte,
daß man „eine Geſammt-Autonomie gründen müſſe, um die eigene Auto-
nomie zu bewahren.“ Man verlangte nach einem „Gemeingute“, das als
Unterhandlungsmittel gegen Preußen dienen ſolle. Die Lächerlichkeit eines
Zollvereins ohne gemeinſame Zölle begann zwar Einzelnen einzuleuchten;
ſelbſt Naſſau meinte, die Vortheile des freien Binnenhandels überwögen
unendlich jede Erleichterung des ausländiſchen Verkehrs. Aber, hieß es
dawider, „würde der Verein ein wirklicher Mauthverband, ſo müßten wir
ſchließlich doch preußiſche Farbe annehmen!“ Sechs Commiſſionen wurden
gebildet, um im Stile des Bundestags über alle erdenklichen Fragen der
Verkehrspolitik hin und her zu reden. Abſonderliche patriotiſche Freude
erregte der Vorſchlag, den 21 Guldenfuß anzunehmen und alſo „das preu-
ßiſche Geld zu verdrängen“.

Von Neuem tauchte der Gedanke auf, mehrere Bünde im Bunde zu
bilden — zwei, drei oder vier, was verſchlug es? Dieſe politiſchen Mol-
lusken ließen ſich doch in jede beliebige Form preſſen. Hannover wünſchte

*) Röntgen’s Bericht, 6. Aug. 1829.
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[676/0692] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. Regierung nach Caſſel und Bonn geſendet worden, um nochmals eine Beilegung des ehelichen Zwiſtes im kurfürſtlichen Hauſe zu verſuchen. Er hatte ſich des undankbaren Auftrags mit erſtaunlichem Ungeſchick ent- ledigt, bei Hruby, dem grimmigen Feinde Preußens, ſich belehren laſſen über die Lage. Das Ende war, daß die beiden Gatten unverſöhnlicher denn je einander gegenüberſtanden, und der Kurfürſt in ſchäumender Wuth ſeinem königlichen Schwager Rache ſchwur. So geſchah es, daß das längſt verlorene Spiel der Mitteldeutſchen noch durch einige Jahre fortgeſetzt wurde, bis Preußen den Gegnern auch den letzten Stein aus dem Brette geſchlagen hatte. Seit dem Juni 1829 tagte in Caſſel abermals der Congreß der Mittel- deutſchen — ein Bild vollendeter Rathloſigkeit, ohnmächtigen Grolles. Alles tobte wider die Verräther in Meiningen und Gotha, die dem Ver- eine „ein wichtiges Objekt“ geraubt hatten; man ſendete Commiſſäre hin- über, um die beiden Herzöge zu verwarnen. Alles zitterte vor der freien preußiſchen Handelsſtraße Hamburg-Nürnberg. Selbſt die patriotiſche Hoff- nung, daß Dänemark vielleicht den Bau jener Straße hindern werde, bot keinen Troſt; denn das kleine Stück holſteiniſchen Gebiets zwiſchen Hamburg und der mecklenburgiſchen Grenze konnte leider auf der Elbe umgangen wer- den! Der naſſauiſche Bevollmächtigte Röntgen pflegte auch dem befreundeten badiſchen Hofe Bericht zu erſtatten über den Gang der Verhandlungen. Dieſe Berichte wurden von Karlsruhe getreulich der preußiſchen Regierung mitgetheilt; man kannte alſo in Berlin aus erſter Quelle die rettungs- loſe Verwirrung des feindlichen Lagers. Schon in einer der erſten Sitzun- gen warf ein Bevollmächtigter die wohlberechtigte naive Frage auf: „worin denn eigentlich das materielle Weſen des Vereins beſtehe?“ *) Man fühlte, daß man „eine Geſammt-Autonomie gründen müſſe, um die eigene Auto- nomie zu bewahren.“ Man verlangte nach einem „Gemeingute“, das als Unterhandlungsmittel gegen Preußen dienen ſolle. Die Lächerlichkeit eines Zollvereins ohne gemeinſame Zölle begann zwar Einzelnen einzuleuchten; ſelbſt Naſſau meinte, die Vortheile des freien Binnenhandels überwögen unendlich jede Erleichterung des ausländiſchen Verkehrs. Aber, hieß es dawider, „würde der Verein ein wirklicher Mauthverband, ſo müßten wir ſchließlich doch preußiſche Farbe annehmen!“ Sechs Commiſſionen wurden gebildet, um im Stile des Bundestags über alle erdenklichen Fragen der Verkehrspolitik hin und her zu reden. Abſonderliche patriotiſche Freude erregte der Vorſchlag, den 21 Guldenfuß anzunehmen und alſo „das preu- ßiſche Geld zu verdrängen“. Von Neuem tauchte der Gedanke auf, mehrere Bünde im Bunde zu bilden — zwei, drei oder vier, was verſchlug es? Dieſe politiſchen Mol- lusken ließen ſich doch in jede beliebige Form preſſen. Hannover wünſchte *) Röntgen’s Bericht, 6. Aug. 1829.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/692>, abgerufen am 22.11.2024.