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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Einbruch des Judenthums.

Ein rühriger Bundesgenosse erwuchs dem neuen Radicalismus in
der jungen Macht des literarischen Judenthums. Die moderne Juden-
schaft besaß schon längst nicht mehr die geistige Kraft um aus sich heraus
eine gesunde eigenartige Bildung zu erzeugen, wie vor Zeiten inmitten der
orientalischen Cultur des spanischen Maurenreichs. In den alten Cultur-
völkern Westeuropas stand die nationale Gesittung so fest, daß die Juden
dort gar nicht wagen durften, in Politik und Literatur als eine selbständige
Macht aufzutreten. Auch der erste deutsche Jude, der in unserer Lite-
ratur Ansehen errang, Moses Mendelssohn, folgte dem Strome unseres
nationalen Lebens, half redlich mit an der Gedankenarbeit der deutschen
Aufklärungsphilosophie; wenn er den Glauben seiner Väter, wie sein gutes
Recht war, gegen Lavater vertheidigte, so war er doch keineswegs gemeint,
die deutsche Welt mit jüdischen Ideen zu durchtränken, er bemühte sich
vielmehr seine Stammgenossen für die deutsche Bildung zu gewinnen.
Mittlerweile war seine Saat aufgegangen, ein Theil der Judenschaft hatte
sich mehr oder minder germanisirt, in der Presse wirkten schon mehrere
jüdische Schriftsteller, aber bald regte sich in diesen Kreisen ein gefähr-
licher Geist der Absonderung und der Anmaßung. Die Judenschaft war
in Deutschland weit zahlreicher als in den westlichen Nachbarlanden, und
da der deutsch-polnische Judenstamm sich von jeher schwerer an das abend-
ländische Wesen gewöhnt hatte als die spanischen Juden, die in England
und Frankreich damals noch überwogen, so geschah es, daß in Deutsch-
land -- und hier allein -- eine eigenthümliche halb-jüdische Literatur auf-
kam, welche ihre orientalische Weltanschauung, ihren ererbten Christenhaß
in abendländische Formen hüllte. Ein durchgebildeter Nationalstolz, der
solche Versuche von Haus aus verhindert hätte, war hier nicht vorhanden;
dieser geduldige deutsche Boden hatte schon allen Nationen Europas zum
Tummelplatze gedient, hier durfte auch das Judenthum noch sein Glück
versuchen.

Die edleren und ernsteren Männer der deutschen Judenschaft hatten
längst eingesehen, daß ihr Stamm nur dann die bürgerliche Gleichberech-
tigung beanspruchen durfte, wenn er selber seine Sonderstellung aufgab
und ohne Vorbehalt im deutschen Leben aufging. Wenige Jahrzehnte nach-
dem Moses Mendelssohn seinen Weckruf hatte erscheinen lassen, wirkten
schon überall in Kunst und Wissenschaft begabte Männer jüdischer Ab-
stammung, getaufte und ungetaufte, die sich ganz als Deutsche fühlten
und in ihren Werken durchaus deutsche Züge zeigten: in der Musik Felix
Mendelssohn-Bartholdy, in der Malerei Veit, in der Theologie der kind-
lich gläubige Neander. Die schnellfertigen jüdischen Talente dagegen, welche
in der Tagespresse das Wort führten, trugen ihre jüdische Sonderart hoch-
müthig zur Schau und verlangten gleichwohl als Wortführer der deut-
schen öffentlichen Meinung geachtet zu werden. Dies vaterlandslose Juden-
thum, das sich als Nation innerhalb der Nation gebärdete, wirkte auf

Einbruch des Judenthums.

Ein rühriger Bundesgenoſſe erwuchs dem neuen Radicalismus in
der jungen Macht des literariſchen Judenthums. Die moderne Juden-
ſchaft beſaß ſchon längſt nicht mehr die geiſtige Kraft um aus ſich heraus
eine geſunde eigenartige Bildung zu erzeugen, wie vor Zeiten inmitten der
orientaliſchen Cultur des ſpaniſchen Maurenreichs. In den alten Cultur-
völkern Weſteuropas ſtand die nationale Geſittung ſo feſt, daß die Juden
dort gar nicht wagen durften, in Politik und Literatur als eine ſelbſtändige
Macht aufzutreten. Auch der erſte deutſche Jude, der in unſerer Lite-
ratur Anſehen errang, Moſes Mendelsſohn, folgte dem Strome unſeres
nationalen Lebens, half redlich mit an der Gedankenarbeit der deutſchen
Aufklärungsphiloſophie; wenn er den Glauben ſeiner Väter, wie ſein gutes
Recht war, gegen Lavater vertheidigte, ſo war er doch keineswegs gemeint,
die deutſche Welt mit jüdiſchen Ideen zu durchtränken, er bemühte ſich
vielmehr ſeine Stammgenoſſen für die deutſche Bildung zu gewinnen.
Mittlerweile war ſeine Saat aufgegangen, ein Theil der Judenſchaft hatte
ſich mehr oder minder germaniſirt, in der Preſſe wirkten ſchon mehrere
jüdiſche Schriftſteller, aber bald regte ſich in dieſen Kreiſen ein gefähr-
licher Geiſt der Abſonderung und der Anmaßung. Die Judenſchaft war
in Deutſchland weit zahlreicher als in den weſtlichen Nachbarlanden, und
da der deutſch-polniſche Judenſtamm ſich von jeher ſchwerer an das abend-
ländiſche Weſen gewöhnt hatte als die ſpaniſchen Juden, die in England
und Frankreich damals noch überwogen, ſo geſchah es, daß in Deutſch-
land — und hier allein — eine eigenthümliche halb-jüdiſche Literatur auf-
kam, welche ihre orientaliſche Weltanſchauung, ihren ererbten Chriſtenhaß
in abendländiſche Formen hüllte. Ein durchgebildeter Nationalſtolz, der
ſolche Verſuche von Haus aus verhindert hätte, war hier nicht vorhanden;
dieſer geduldige deutſche Boden hatte ſchon allen Nationen Europas zum
Tummelplatze gedient, hier durfte auch das Judenthum noch ſein Glück
verſuchen.

Die edleren und ernſteren Männer der deutſchen Judenſchaft hatten
längſt eingeſehen, daß ihr Stamm nur dann die bürgerliche Gleichberech-
tigung beanſpruchen durfte, wenn er ſelber ſeine Sonderſtellung aufgab
und ohne Vorbehalt im deutſchen Leben aufging. Wenige Jahrzehnte nach-
dem Moſes Mendelsſohn ſeinen Weckruf hatte erſcheinen laſſen, wirkten
ſchon überall in Kunſt und Wiſſenſchaft begabte Männer jüdiſcher Ab-
ſtammung, getaufte und ungetaufte, die ſich ganz als Deutſche fühlten
und in ihren Werken durchaus deutſche Züge zeigten: in der Muſik Felix
Mendelsſohn-Bartholdy, in der Malerei Veit, in der Theologie der kind-
lich gläubige Neander. Die ſchnellfertigen jüdiſchen Talente dagegen, welche
in der Tagespreſſe das Wort führten, trugen ihre jüdiſche Sonderart hoch-
müthig zur Schau und verlangten gleichwohl als Wortführer der deut-
ſchen öffentlichen Meinung geachtet zu werden. Dies vaterlandsloſe Juden-
thum, das ſich als Nation innerhalb der Nation gebärdete, wirkte auf

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[703/0719] Einbruch des Judenthums. Ein rühriger Bundesgenoſſe erwuchs dem neuen Radicalismus in der jungen Macht des literariſchen Judenthums. Die moderne Juden- ſchaft beſaß ſchon längſt nicht mehr die geiſtige Kraft um aus ſich heraus eine geſunde eigenartige Bildung zu erzeugen, wie vor Zeiten inmitten der orientaliſchen Cultur des ſpaniſchen Maurenreichs. In den alten Cultur- völkern Weſteuropas ſtand die nationale Geſittung ſo feſt, daß die Juden dort gar nicht wagen durften, in Politik und Literatur als eine ſelbſtändige Macht aufzutreten. Auch der erſte deutſche Jude, der in unſerer Lite- ratur Anſehen errang, Moſes Mendelsſohn, folgte dem Strome unſeres nationalen Lebens, half redlich mit an der Gedankenarbeit der deutſchen Aufklärungsphiloſophie; wenn er den Glauben ſeiner Väter, wie ſein gutes Recht war, gegen Lavater vertheidigte, ſo war er doch keineswegs gemeint, die deutſche Welt mit jüdiſchen Ideen zu durchtränken, er bemühte ſich vielmehr ſeine Stammgenoſſen für die deutſche Bildung zu gewinnen. Mittlerweile war ſeine Saat aufgegangen, ein Theil der Judenſchaft hatte ſich mehr oder minder germaniſirt, in der Preſſe wirkten ſchon mehrere jüdiſche Schriftſteller, aber bald regte ſich in dieſen Kreiſen ein gefähr- licher Geiſt der Abſonderung und der Anmaßung. Die Judenſchaft war in Deutſchland weit zahlreicher als in den weſtlichen Nachbarlanden, und da der deutſch-polniſche Judenſtamm ſich von jeher ſchwerer an das abend- ländiſche Weſen gewöhnt hatte als die ſpaniſchen Juden, die in England und Frankreich damals noch überwogen, ſo geſchah es, daß in Deutſch- land — und hier allein — eine eigenthümliche halb-jüdiſche Literatur auf- kam, welche ihre orientaliſche Weltanſchauung, ihren ererbten Chriſtenhaß in abendländiſche Formen hüllte. Ein durchgebildeter Nationalſtolz, der ſolche Verſuche von Haus aus verhindert hätte, war hier nicht vorhanden; dieſer geduldige deutſche Boden hatte ſchon allen Nationen Europas zum Tummelplatze gedient, hier durfte auch das Judenthum noch ſein Glück verſuchen. Die edleren und ernſteren Männer der deutſchen Judenſchaft hatten längſt eingeſehen, daß ihr Stamm nur dann die bürgerliche Gleichberech- tigung beanſpruchen durfte, wenn er ſelber ſeine Sonderſtellung aufgab und ohne Vorbehalt im deutſchen Leben aufging. Wenige Jahrzehnte nach- dem Moſes Mendelsſohn ſeinen Weckruf hatte erſcheinen laſſen, wirkten ſchon überall in Kunſt und Wiſſenſchaft begabte Männer jüdiſcher Ab- ſtammung, getaufte und ungetaufte, die ſich ganz als Deutſche fühlten und in ihren Werken durchaus deutſche Züge zeigten: in der Muſik Felix Mendelsſohn-Bartholdy, in der Malerei Veit, in der Theologie der kind- lich gläubige Neander. Die ſchnellfertigen jüdiſchen Talente dagegen, welche in der Tagespreſſe das Wort führten, trugen ihre jüdiſche Sonderart hoch- müthig zur Schau und verlangten gleichwohl als Wortführer der deut- ſchen öffentlichen Meinung geachtet zu werden. Dies vaterlandsloſe Juden- thum, das ſich als Nation innerhalb der Nation gebärdete, wirkte auf

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/719>, abgerufen am 25.11.2024.