wie Börne und mit feinerem Verständniß, und auch er überhäufte das Land seiner Liebe unaufhörlich mit den Schmähreden jüdischen Hohnes. Die radicale Jugend fand es witzig, wenn er ihr die freche Albernheit ins Gesicht warf: der Engländer liebe die Freiheit wie sein rechtmäßiges Weib, der Franzose wie seine Braut, der Deutsche wie seine alte Groß- mutter.
Wie Börne ließ auch Heine sich taufen, aus verächtlichen Gründen und ohne jeden Erfolg; die duldsame öffentliche Meinung aber ließ es sich wohl gefallen, daß diese beiden abtrünnigen Juden mit ihrem "großen Judenschmerze" prunkten. Heine haßte das Christenthum noch weit ingrim- miger als Börne. "Es giebt schmutzige Ideenfamilien -- schrieb er einmal. Zertritt man eine dieser Ideenwanzen, so läßt sie einen Gestank zurück, der jahrtausendelang riechbar ist. Eine solche ist das Christenthum, das schon vor achtzehnhundert Jahren zertreten worden und das uns armen Juden seit der Zeit noch immer die Luft verpestet." Und doch empfand er zuweilen die Macht der christlichen Liebe und den künstlerischen Reiz des katholischen Cultus; das himmlische Lächeln eines Madonnenbildes konnte ihn ebenso entzücken wie das geheimnißvolle Licht der Sabbath- lampe. Während große Künstler mit den Jahren sich läutern, sank er, haltlos und friedlos, immer tiefer herab zur gemeinen Spötterei. Sein Evangelium der Lebenslust, das er in seiner Jugend noch durch den Cultus der Schönheit geadelt hatte, verflachte und vergröberte sich zu einer schmutzigen und prosaischen Religion des Fleisches, und bald setzte er seiner Selbstverhöhnung die Krone auf durch das behagliche Geständniß
Selten habt Ihr mich verstanden, Selten auch verstand ich Euch. Nur wo wir im Koth uns fanden, Da verstanden wir uns gleich!
Mit Börne und Heine, mit dem Einbruch des Judenthums, kündigte sich eine neue literarische Epoche an, die zum Glück nicht lange währen sollte, die häßlichste und unfruchtbarste Zeit unserer neuen Literaturge- schichte. Seit Lessing's Tagen hat keine deutsche Dichterschule so viel Un- frieden gesät und so wenig Dauerndes geschaffen wie die radicale Feuil- leton-Poesie der dreißiger Jahre. --
Auf diese Welt der Kämpfe und der Gegensätze fiel noch der prächtige Abendsonnenschein unserer alten Philosophie. Durch anderthalb Jahr- zehnte, vom Ende der zwanziger bis zum Anfang der vierziger Jahre, behauptete die Schule Hegel's im deutschen Leben eine Macht wie nur die Sophisten in Athen; bis zum Uebermaße erfüllte sich was Stein vor Jahren als die nothwendige Folge der politischen Unfreiheit vorausgesagt: die speculativen Wissenschaften erlangten einen usurpirten Werth. Aber
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
wie Börne und mit feinerem Verſtändniß, und auch er überhäufte das Land ſeiner Liebe unaufhörlich mit den Schmähreden jüdiſchen Hohnes. Die radicale Jugend fand es witzig, wenn er ihr die freche Albernheit ins Geſicht warf: der Engländer liebe die Freiheit wie ſein rechtmäßiges Weib, der Franzoſe wie ſeine Braut, der Deutſche wie ſeine alte Groß- mutter.
Wie Börne ließ auch Heine ſich taufen, aus verächtlichen Gründen und ohne jeden Erfolg; die duldſame öffentliche Meinung aber ließ es ſich wohl gefallen, daß dieſe beiden abtrünnigen Juden mit ihrem „großen Judenſchmerze“ prunkten. Heine haßte das Chriſtenthum noch weit ingrim- miger als Börne. „Es giebt ſchmutzige Ideenfamilien — ſchrieb er einmal. Zertritt man eine dieſer Ideenwanzen, ſo läßt ſie einen Geſtank zurück, der jahrtauſendelang riechbar iſt. Eine ſolche iſt das Chriſtenthum, das ſchon vor achtzehnhundert Jahren zertreten worden und das uns armen Juden ſeit der Zeit noch immer die Luft verpeſtet.“ Und doch empfand er zuweilen die Macht der chriſtlichen Liebe und den künſtleriſchen Reiz des katholiſchen Cultus; das himmliſche Lächeln eines Madonnenbildes konnte ihn ebenſo entzücken wie das geheimnißvolle Licht der Sabbath- lampe. Während große Künſtler mit den Jahren ſich läutern, ſank er, haltlos und friedlos, immer tiefer herab zur gemeinen Spötterei. Sein Evangelium der Lebensluſt, das er in ſeiner Jugend noch durch den Cultus der Schönheit geadelt hatte, verflachte und vergröberte ſich zu einer ſchmutzigen und proſaiſchen Religion des Fleiſches, und bald ſetzte er ſeiner Selbſtverhöhnung die Krone auf durch das behagliche Geſtändniß
Selten habt Ihr mich verſtanden, Selten auch verſtand ich Euch. Nur wo wir im Koth uns fanden, Da verſtanden wir uns gleich!
Mit Börne und Heine, mit dem Einbruch des Judenthums, kündigte ſich eine neue literariſche Epoche an, die zum Glück nicht lange währen ſollte, die häßlichſte und unfruchtbarſte Zeit unſerer neuen Literaturge- ſchichte. Seit Leſſing’s Tagen hat keine deutſche Dichterſchule ſo viel Un- frieden geſät und ſo wenig Dauerndes geſchaffen wie die radicale Feuil- leton-Poeſie der dreißiger Jahre. —
Auf dieſe Welt der Kämpfe und der Gegenſätze fiel noch der prächtige Abendſonnenſchein unſerer alten Philoſophie. Durch anderthalb Jahr- zehnte, vom Ende der zwanziger bis zum Anfang der vierziger Jahre, behauptete die Schule Hegel’s im deutſchen Leben eine Macht wie nur die Sophiſten in Athen; bis zum Uebermaße erfüllte ſich was Stein vor Jahren als die nothwendige Folge der politiſchen Unfreiheit vorausgeſagt: die ſpeculativen Wiſſenſchaften erlangten einen uſurpirten Werth. Aber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0730"n="714"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.</fw><lb/>
wie Börne und mit feinerem Verſtändniß, und auch er überhäufte das<lb/>
Land ſeiner Liebe unaufhörlich mit den Schmähreden jüdiſchen Hohnes.<lb/>
Die radicale Jugend fand es witzig, wenn er ihr die freche Albernheit<lb/>
ins Geſicht warf: der Engländer liebe die Freiheit wie ſein rechtmäßiges<lb/>
Weib, der Franzoſe wie ſeine Braut, der Deutſche wie ſeine alte Groß-<lb/>
mutter.</p><lb/><p>Wie Börne ließ auch Heine ſich taufen, aus verächtlichen Gründen<lb/>
und ohne jeden Erfolg; die duldſame öffentliche Meinung aber ließ es ſich<lb/>
wohl gefallen, daß dieſe beiden abtrünnigen Juden mit ihrem „großen<lb/>
Judenſchmerze“ prunkten. Heine haßte das Chriſtenthum noch weit ingrim-<lb/>
miger als Börne. „Es giebt ſchmutzige Ideenfamilien —ſchrieb er einmal.<lb/>
Zertritt man eine dieſer Ideenwanzen, ſo läßt ſie einen Geſtank zurück,<lb/>
der jahrtauſendelang riechbar iſt. Eine ſolche iſt das Chriſtenthum, das<lb/>ſchon vor achtzehnhundert Jahren zertreten worden und das uns armen<lb/>
Juden ſeit der Zeit noch immer die Luft verpeſtet.“ Und doch empfand<lb/>
er zuweilen die Macht der chriſtlichen Liebe und den künſtleriſchen Reiz<lb/>
des katholiſchen Cultus; das himmliſche Lächeln eines Madonnenbildes<lb/>
konnte ihn ebenſo entzücken wie das geheimnißvolle Licht der Sabbath-<lb/>
lampe. Während große Künſtler mit den Jahren ſich läutern, ſank er,<lb/>
haltlos und friedlos, immer tiefer herab zur gemeinen Spötterei. Sein<lb/>
Evangelium der Lebensluſt, das er in ſeiner Jugend noch durch den Cultus<lb/>
der Schönheit geadelt hatte, verflachte und vergröberte ſich zu einer<lb/>ſchmutzigen und proſaiſchen Religion des Fleiſches, und bald ſetzte er<lb/>ſeiner Selbſtverhöhnung die Krone auf durch das behagliche Geſtändniß</p><lb/><lgtype="poem"><l>Selten habt Ihr mich verſtanden,</l><lb/><l>Selten auch verſtand ich Euch.</l><lb/><l>Nur wo wir im Koth uns fanden,</l><lb/><l>Da verſtanden wir uns gleich!</l></lg><lb/><p>Mit Börne und Heine, mit dem Einbruch des Judenthums, kündigte<lb/>ſich eine neue literariſche Epoche an, die zum Glück nicht lange währen<lb/>ſollte, die häßlichſte und unfruchtbarſte Zeit unſerer neuen Literaturge-<lb/>ſchichte. Seit Leſſing’s Tagen hat keine deutſche Dichterſchule ſo viel Un-<lb/>
frieden geſät und ſo wenig Dauerndes geſchaffen wie die radicale Feuil-<lb/>
leton-Poeſie der dreißiger Jahre. —</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Auf dieſe Welt der Kämpfe und der Gegenſätze fiel noch der prächtige<lb/>
Abendſonnenſchein unſerer alten Philoſophie. Durch anderthalb Jahr-<lb/>
zehnte, vom Ende der zwanziger bis zum Anfang der vierziger Jahre,<lb/>
behauptete die Schule Hegel’s im deutſchen Leben eine Macht wie nur die<lb/>
Sophiſten in Athen; bis zum Uebermaße erfüllte ſich was Stein vor<lb/>
Jahren als die nothwendige Folge der politiſchen Unfreiheit vorausgeſagt:<lb/>
die ſpeculativen Wiſſenſchaften erlangten einen uſurpirten Werth. Aber<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[714/0730]
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
wie Börne und mit feinerem Verſtändniß, und auch er überhäufte das
Land ſeiner Liebe unaufhörlich mit den Schmähreden jüdiſchen Hohnes.
Die radicale Jugend fand es witzig, wenn er ihr die freche Albernheit
ins Geſicht warf: der Engländer liebe die Freiheit wie ſein rechtmäßiges
Weib, der Franzoſe wie ſeine Braut, der Deutſche wie ſeine alte Groß-
mutter.
Wie Börne ließ auch Heine ſich taufen, aus verächtlichen Gründen
und ohne jeden Erfolg; die duldſame öffentliche Meinung aber ließ es ſich
wohl gefallen, daß dieſe beiden abtrünnigen Juden mit ihrem „großen
Judenſchmerze“ prunkten. Heine haßte das Chriſtenthum noch weit ingrim-
miger als Börne. „Es giebt ſchmutzige Ideenfamilien — ſchrieb er einmal.
Zertritt man eine dieſer Ideenwanzen, ſo läßt ſie einen Geſtank zurück,
der jahrtauſendelang riechbar iſt. Eine ſolche iſt das Chriſtenthum, das
ſchon vor achtzehnhundert Jahren zertreten worden und das uns armen
Juden ſeit der Zeit noch immer die Luft verpeſtet.“ Und doch empfand
er zuweilen die Macht der chriſtlichen Liebe und den künſtleriſchen Reiz
des katholiſchen Cultus; das himmliſche Lächeln eines Madonnenbildes
konnte ihn ebenſo entzücken wie das geheimnißvolle Licht der Sabbath-
lampe. Während große Künſtler mit den Jahren ſich läutern, ſank er,
haltlos und friedlos, immer tiefer herab zur gemeinen Spötterei. Sein
Evangelium der Lebensluſt, das er in ſeiner Jugend noch durch den Cultus
der Schönheit geadelt hatte, verflachte und vergröberte ſich zu einer
ſchmutzigen und proſaiſchen Religion des Fleiſches, und bald ſetzte er
ſeiner Selbſtverhöhnung die Krone auf durch das behagliche Geſtändniß
Selten habt Ihr mich verſtanden,
Selten auch verſtand ich Euch.
Nur wo wir im Koth uns fanden,
Da verſtanden wir uns gleich!
Mit Börne und Heine, mit dem Einbruch des Judenthums, kündigte
ſich eine neue literariſche Epoche an, die zum Glück nicht lange währen
ſollte, die häßlichſte und unfruchtbarſte Zeit unſerer neuen Literaturge-
ſchichte. Seit Leſſing’s Tagen hat keine deutſche Dichterſchule ſo viel Un-
frieden geſät und ſo wenig Dauerndes geſchaffen wie die radicale Feuil-
leton-Poeſie der dreißiger Jahre. —
Auf dieſe Welt der Kämpfe und der Gegenſätze fiel noch der prächtige
Abendſonnenſchein unſerer alten Philoſophie. Durch anderthalb Jahr-
zehnte, vom Ende der zwanziger bis zum Anfang der vierziger Jahre,
behauptete die Schule Hegel’s im deutſchen Leben eine Macht wie nur die
Sophiſten in Athen; bis zum Uebermaße erfüllte ſich was Stein vor
Jahren als die nothwendige Folge der politiſchen Unfreiheit vorausgeſagt:
die ſpeculativen Wiſſenſchaften erlangten einen uſurpirten Werth. Aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/730>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.