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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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H. Heine.

Sein Buch der Lieder brachte neben vielen leeren Nachahmungen auch
einige Gedichte, welche den besten Werken der deutschen Romantik nicht
nachstanden. Denn Heine war nicht nur ein unvergleichlich reicherer
Geist als Börne, der allen Wein des Lebens in die Schläuche der Politik
füllte, sondern auch weit mehr ein Deutscher als sein Frankfurter Stamm-
genosse. In den Stunden, da er ein Dichter war, empfand er ganz
deutsch. Deutsches Gemüth sprach aus der kleinen Zahl seiner wirklich
erlebten Liebesgedichte, aus seinen Frühlingsliedern, auch aus dem Liede
vom Fichtenbaum und der Palme, das für die Wandersehnsucht der
Germanen sinnige Worte fand und nur durch die übermäßige Wieder-
holung seinen Zauber verloren hat. Und wenn er als ein geschickter
Macher das Lied von der Loreley, die glückliche Erfindung Clemens
Brentano's, neu gestaltete, so durfte er sich doch rühmen, daß er einem
schönen Stoffe die der nationalen Empfindung entsprechende Form gegeben
und sein Eigenthum genommen habe wo er es gefunden.

Jenes unwillkürliche, freudige Verständniß, das große Dichter bei
ihrem Volke zu erwecken wissen, hat Heine nie gefunden. Die Deutschen
kamen mit ihm niemals recht ins Reine, sie nahmen ihn stets zu ernst.
Der lose Schalk wollte unterhalten, rühren, verblüffen und vor Allem
gefallen; auf den Inhalt seiner Worte gab er nichts. Er spielte von
früh auf den politischen Märtyrer, obgleich ihm noch Niemand ein Haar
krümmte und die vereinzelten Verbote seiner Schriften nur die gewöhn-
liche Wirkung hatten, den Absatz der Bücher zu vermehren. In Wahr-
heit betrachtete er, nach dem guten Rechte des Humoristen, alle Politik nur
als ein Mittel für seine literarischen Zwecke; das hohle politische Ge-
schwätz, das er in seine Schriften einflocht, sollte blos blenden und kitzeln,
während Börne im ganzen Ernst politische Zwecke zu verfolgen glaubte
und nur nicht fähig war einen politischen Gedanken zu finden. Seine
Schuld war es nicht, daß die Leser in den Witzen einen tiefen Sinn
suchten. Der einzige politische Gedanke, den er sein Lebelang treulich fest-
hielt, war der Todhaß gegen Preußen, und dieser Haß war nicht ganz
frivol, nicht ohne naturwüchsige Kraft; in ihm verrieth sich der Rheinländer.
Wenn Heine über die preußischen Soldaten spottete: "der Zopf, der eh-
mals hinten hing, der hängt jetzt unter der Nase", so meinte man einen
Düsseldorfer Gassenbuben oder einen Kölnischen Carnevals-Gecken zu hören
und erkannte beruhigt, daß dieser Deutsch-Jude doch eine Heimath hatte.
Im Uebrigen ward sein politisches Urtheil lediglich durch die Launen des
Augenblicks und durch ästhetische Neigungen bestimmt. Nach Byron's
Vorbild suchte er die Blüthe der Menschheit auf den Höhen oder in den
Tiefen der Gesellschaft; das Bürgerthum, in dem die neue deutsche Literatur
ihre Wurzeln hatte, war ihm lächerlich und langweilig, unter bürgerlicher
Tugend verstand er die zahlungsfähige Moral seiner Hamburger Börsen-
männer. Auch er liebte Deutschland auf seine Weise, ebenso aufrichtig

H. Heine.

Sein Buch der Lieder brachte neben vielen leeren Nachahmungen auch
einige Gedichte, welche den beſten Werken der deutſchen Romantik nicht
nachſtanden. Denn Heine war nicht nur ein unvergleichlich reicherer
Geiſt als Börne, der allen Wein des Lebens in die Schläuche der Politik
füllte, ſondern auch weit mehr ein Deutſcher als ſein Frankfurter Stamm-
genoſſe. In den Stunden, da er ein Dichter war, empfand er ganz
deutſch. Deutſches Gemüth ſprach aus der kleinen Zahl ſeiner wirklich
erlebten Liebesgedichte, aus ſeinen Frühlingsliedern, auch aus dem Liede
vom Fichtenbaum und der Palme, das für die Wanderſehnſucht der
Germanen ſinnige Worte fand und nur durch die übermäßige Wieder-
holung ſeinen Zauber verloren hat. Und wenn er als ein geſchickter
Macher das Lied von der Loreley, die glückliche Erfindung Clemens
Brentano’s, neu geſtaltete, ſo durfte er ſich doch rühmen, daß er einem
ſchönen Stoffe die der nationalen Empfindung entſprechende Form gegeben
und ſein Eigenthum genommen habe wo er es gefunden.

Jenes unwillkürliche, freudige Verſtändniß, das große Dichter bei
ihrem Volke zu erwecken wiſſen, hat Heine nie gefunden. Die Deutſchen
kamen mit ihm niemals recht ins Reine, ſie nahmen ihn ſtets zu ernſt.
Der loſe Schalk wollte unterhalten, rühren, verblüffen und vor Allem
gefallen; auf den Inhalt ſeiner Worte gab er nichts. Er ſpielte von
früh auf den politiſchen Märtyrer, obgleich ihm noch Niemand ein Haar
krümmte und die vereinzelten Verbote ſeiner Schriften nur die gewöhn-
liche Wirkung hatten, den Abſatz der Bücher zu vermehren. In Wahr-
heit betrachtete er, nach dem guten Rechte des Humoriſten, alle Politik nur
als ein Mittel für ſeine literariſchen Zwecke; das hohle politiſche Ge-
ſchwätz, das er in ſeine Schriften einflocht, ſollte blos blenden und kitzeln,
während Börne im ganzen Ernſt politiſche Zwecke zu verfolgen glaubte
und nur nicht fähig war einen politiſchen Gedanken zu finden. Seine
Schuld war es nicht, daß die Leſer in den Witzen einen tiefen Sinn
ſuchten. Der einzige politiſche Gedanke, den er ſein Lebelang treulich feſt-
hielt, war der Todhaß gegen Preußen, und dieſer Haß war nicht ganz
frivol, nicht ohne naturwüchſige Kraft; in ihm verrieth ſich der Rheinländer.
Wenn Heine über die preußiſchen Soldaten ſpottete: „der Zopf, der eh-
mals hinten hing, der hängt jetzt unter der Naſe“, ſo meinte man einen
Düſſeldorfer Gaſſenbuben oder einen Kölniſchen Carnevals-Gecken zu hören
und erkannte beruhigt, daß dieſer Deutſch-Jude doch eine Heimath hatte.
Im Uebrigen ward ſein politiſches Urtheil lediglich durch die Launen des
Augenblicks und durch äſthetiſche Neigungen beſtimmt. Nach Byron’s
Vorbild ſuchte er die Blüthe der Menſchheit auf den Höhen oder in den
Tiefen der Geſellſchaft; das Bürgerthum, in dem die neue deutſche Literatur
ihre Wurzeln hatte, war ihm lächerlich und langweilig, unter bürgerlicher
Tugend verſtand er die zahlungsfähige Moral ſeiner Hamburger Börſen-
männer. Auch er liebte Deutſchland auf ſeine Weiſe, ebenſo aufrichtig

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[713/0729] H. Heine. Sein Buch der Lieder brachte neben vielen leeren Nachahmungen auch einige Gedichte, welche den beſten Werken der deutſchen Romantik nicht nachſtanden. Denn Heine war nicht nur ein unvergleichlich reicherer Geiſt als Börne, der allen Wein des Lebens in die Schläuche der Politik füllte, ſondern auch weit mehr ein Deutſcher als ſein Frankfurter Stamm- genoſſe. In den Stunden, da er ein Dichter war, empfand er ganz deutſch. Deutſches Gemüth ſprach aus der kleinen Zahl ſeiner wirklich erlebten Liebesgedichte, aus ſeinen Frühlingsliedern, auch aus dem Liede vom Fichtenbaum und der Palme, das für die Wanderſehnſucht der Germanen ſinnige Worte fand und nur durch die übermäßige Wieder- holung ſeinen Zauber verloren hat. Und wenn er als ein geſchickter Macher das Lied von der Loreley, die glückliche Erfindung Clemens Brentano’s, neu geſtaltete, ſo durfte er ſich doch rühmen, daß er einem ſchönen Stoffe die der nationalen Empfindung entſprechende Form gegeben und ſein Eigenthum genommen habe wo er es gefunden. Jenes unwillkürliche, freudige Verſtändniß, das große Dichter bei ihrem Volke zu erwecken wiſſen, hat Heine nie gefunden. Die Deutſchen kamen mit ihm niemals recht ins Reine, ſie nahmen ihn ſtets zu ernſt. Der loſe Schalk wollte unterhalten, rühren, verblüffen und vor Allem gefallen; auf den Inhalt ſeiner Worte gab er nichts. Er ſpielte von früh auf den politiſchen Märtyrer, obgleich ihm noch Niemand ein Haar krümmte und die vereinzelten Verbote ſeiner Schriften nur die gewöhn- liche Wirkung hatten, den Abſatz der Bücher zu vermehren. In Wahr- heit betrachtete er, nach dem guten Rechte des Humoriſten, alle Politik nur als ein Mittel für ſeine literariſchen Zwecke; das hohle politiſche Ge- ſchwätz, das er in ſeine Schriften einflocht, ſollte blos blenden und kitzeln, während Börne im ganzen Ernſt politiſche Zwecke zu verfolgen glaubte und nur nicht fähig war einen politiſchen Gedanken zu finden. Seine Schuld war es nicht, daß die Leſer in den Witzen einen tiefen Sinn ſuchten. Der einzige politiſche Gedanke, den er ſein Lebelang treulich feſt- hielt, war der Todhaß gegen Preußen, und dieſer Haß war nicht ganz frivol, nicht ohne naturwüchſige Kraft; in ihm verrieth ſich der Rheinländer. Wenn Heine über die preußiſchen Soldaten ſpottete: „der Zopf, der eh- mals hinten hing, der hängt jetzt unter der Naſe“, ſo meinte man einen Düſſeldorfer Gaſſenbuben oder einen Kölniſchen Carnevals-Gecken zu hören und erkannte beruhigt, daß dieſer Deutſch-Jude doch eine Heimath hatte. Im Uebrigen ward ſein politiſches Urtheil lediglich durch die Launen des Augenblicks und durch äſthetiſche Neigungen beſtimmt. Nach Byron’s Vorbild ſuchte er die Blüthe der Menſchheit auf den Höhen oder in den Tiefen der Geſellſchaft; das Bürgerthum, in dem die neue deutſche Literatur ihre Wurzeln hatte, war ihm lächerlich und langweilig, unter bürgerlicher Tugend verſtand er die zahlungsfähige Moral ſeiner Hamburger Börſen- männer. Auch er liebte Deutſchland auf ſeine Weiſe, ebenſo aufrichtig

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/729>, abgerufen am 22.11.2024.