Von König Karls europäischer Politik erwartete Metternich Anfangs das Beste. Bald nach der Thronbesteigung ging er selbst nach Paris, wo er von der "reinen Partei" mit offenen Armen empfangen und auch bei Hofe vielfach ausgezeichnet wurde. Aber seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Der greise König hegte gegen den Oesterreicher ein Mißtrauen, das durch die Zweizüngigkeit der Hofburg von Jahr zu Jahr gesteigert wurde; er sah nach alt-bourbonischer Ueberlieferung in dem Wiener Hofe den natürlichen Nebenbuhler des Hauses Frankreich und theilte mit der großen Mehrheit seiner Nation die philhellenische Gesinnung, da er die Griechen als die Vorkämpfer des Kreuzes wider den Halbmond bewun- derte. So geschah es, daß Metternich's persönlicher und politischer Feind Pozzo di Borgo in den Tuilerien bald wieder fast ebenso mächtig wurde, wie in den ersten Jahren der Restauration. Auch das Verhältniß zu Preußen gestaltete sich über alle Erwartung freundlich, zumal unter dem Ministerium Martignac. Der Berliner Hof erschrak zwar über "die Nie- derlage des Thrones", welche der Bildung dieses Cabinets vorherging, und äußerte sich zuweilen besorgt über die Schwäche der Regierung;*) aber der neue Minister des Auswärtigen Graf La Ferronays besaß seit dem Troppauer Congresse das persönliche Vertrauen König Friedrich Wilhelms, und der Gesandte Frhr. v. Werther, ein feiner, kluger Beobachter, der sich über Metternich's Charakter nicht täuschte, that das Seine, um die Freund- schaft zwischen Preußen, Frankreich und Rußland zu befestigen. In allen den kleinen deutschen Händeln, welche für Frankreich keinen Werth hatten, suchte sich der Tuilerienhof dem preußischen Cabinet gefällig zu erweisen. Als Karl von Braunschweig um die Hilfe der Bourbonen bat, wurde er zur Nachgiebigkeit ermahnt. Markgraf Wilhelm von Baden dagegen erhielt die besten Zusagen, da er wegen des Sponheimer Streites nach Paris kam; denn das gute Recht und das befreundete Preußen ständen auf Badens Seite.**)
Noch schneller und stärker veränderte sich die russische Politik. Czar Alexander starb am 1. December 1825, in der Blüthe der Jahre schon lebensmatt und fast erdrückt von der Last seines hohen Amtes. Seine Sterbestunden wurden verklärt durch die Liebe seiner Gemahlin, die er nach langer Entfremdung endlich wieder fand, aber auch verdüstert durch die Entdeckung einer großen Soldatenverschwörung. Nach seinem Tode brachte die seltsame Halbheit, welche fast allen Thaten seiner letzten Jahre anhaftete, noch einmal arge Verwirrung über das Reich. Schon vor zwei Jahren hatte der Thronfolger Großfürst Constantin seine Abdankung in die Hände des Kaisers niedergelegt, Alexander aber hatte diese Urkunde geheim gehalten, obgleich die Erbfolgeordnung der Dynastie erst seit wenigen
*) Bernstorff, Weisungen an Werther. 14. Jan., 25. Juni 1828.
**) Arnim's Berichte, Paris 24., 30. Juni 1829.
Karl X.
Von König Karls europäiſcher Politik erwartete Metternich Anfangs das Beſte. Bald nach der Thronbeſteigung ging er ſelbſt nach Paris, wo er von der „reinen Partei“ mit offenen Armen empfangen und auch bei Hofe vielfach ausgezeichnet wurde. Aber ſeine Hoffnungen erfüllten ſich nicht. Der greiſe König hegte gegen den Oeſterreicher ein Mißtrauen, das durch die Zweizüngigkeit der Hofburg von Jahr zu Jahr geſteigert wurde; er ſah nach alt-bourboniſcher Ueberlieferung in dem Wiener Hofe den natürlichen Nebenbuhler des Hauſes Frankreich und theilte mit der großen Mehrheit ſeiner Nation die philhelleniſche Geſinnung, da er die Griechen als die Vorkämpfer des Kreuzes wider den Halbmond bewun- derte. So geſchah es, daß Metternich’s perſönlicher und politiſcher Feind Pozzo di Borgo in den Tuilerien bald wieder faſt ebenſo mächtig wurde, wie in den erſten Jahren der Reſtauration. Auch das Verhältniß zu Preußen geſtaltete ſich über alle Erwartung freundlich, zumal unter dem Miniſterium Martignac. Der Berliner Hof erſchrak zwar über „die Nie- derlage des Thrones“, welche der Bildung dieſes Cabinets vorherging, und äußerte ſich zuweilen beſorgt über die Schwäche der Regierung;*) aber der neue Miniſter des Auswärtigen Graf La Ferronays beſaß ſeit dem Troppauer Congreſſe das perſönliche Vertrauen König Friedrich Wilhelms, und der Geſandte Frhr. v. Werther, ein feiner, kluger Beobachter, der ſich über Metternich’s Charakter nicht täuſchte, that das Seine, um die Freund- ſchaft zwiſchen Preußen, Frankreich und Rußland zu befeſtigen. In allen den kleinen deutſchen Händeln, welche für Frankreich keinen Werth hatten, ſuchte ſich der Tuilerienhof dem preußiſchen Cabinet gefällig zu erweiſen. Als Karl von Braunſchweig um die Hilfe der Bourbonen bat, wurde er zur Nachgiebigkeit ermahnt. Markgraf Wilhelm von Baden dagegen erhielt die beſten Zuſagen, da er wegen des Sponheimer Streites nach Paris kam; denn das gute Recht und das befreundete Preußen ſtänden auf Badens Seite.**)
Noch ſchneller und ſtärker veränderte ſich die ruſſiſche Politik. Czar Alexander ſtarb am 1. December 1825, in der Blüthe der Jahre ſchon lebensmatt und faſt erdrückt von der Laſt ſeines hohen Amtes. Seine Sterbeſtunden wurden verklärt durch die Liebe ſeiner Gemahlin, die er nach langer Entfremdung endlich wieder fand, aber auch verdüſtert durch die Entdeckung einer großen Soldatenverſchwörung. Nach ſeinem Tode brachte die ſeltſame Halbheit, welche faſt allen Thaten ſeiner letzten Jahre anhaftete, noch einmal arge Verwirrung über das Reich. Schon vor zwei Jahren hatte der Thronfolger Großfürſt Conſtantin ſeine Abdankung in die Hände des Kaiſers niedergelegt, Alexander aber hatte dieſe Urkunde geheim gehalten, obgleich die Erbfolgeordnung der Dynaſtie erſt ſeit wenigen
*) Bernſtorff, Weiſungen an Werther. 14. Jan., 25. Juni 1828.
**) Arnim’s Berichte, Paris 24., 30. Juni 1829.
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Karl X.
Von König Karls europäiſcher Politik erwartete Metternich Anfangs
das Beſte. Bald nach der Thronbeſteigung ging er ſelbſt nach Paris,
wo er von der „reinen Partei“ mit offenen Armen empfangen und auch
bei Hofe vielfach ausgezeichnet wurde. Aber ſeine Hoffnungen erfüllten
ſich nicht. Der greiſe König hegte gegen den Oeſterreicher ein Mißtrauen,
das durch die Zweizüngigkeit der Hofburg von Jahr zu Jahr geſteigert
wurde; er ſah nach alt-bourboniſcher Ueberlieferung in dem Wiener Hofe
den natürlichen Nebenbuhler des Hauſes Frankreich und theilte mit der
großen Mehrheit ſeiner Nation die philhelleniſche Geſinnung, da er die
Griechen als die Vorkämpfer des Kreuzes wider den Halbmond bewun-
derte. So geſchah es, daß Metternich’s perſönlicher und politiſcher Feind
Pozzo di Borgo in den Tuilerien bald wieder faſt ebenſo mächtig wurde,
wie in den erſten Jahren der Reſtauration. Auch das Verhältniß zu
Preußen geſtaltete ſich über alle Erwartung freundlich, zumal unter dem
Miniſterium Martignac. Der Berliner Hof erſchrak zwar über „die Nie-
derlage des Thrones“, welche der Bildung dieſes Cabinets vorherging, und
äußerte ſich zuweilen beſorgt über die Schwäche der Regierung; *) aber
der neue Miniſter des Auswärtigen Graf La Ferronays beſaß ſeit dem
Troppauer Congreſſe das perſönliche Vertrauen König Friedrich Wilhelms,
und der Geſandte Frhr. v. Werther, ein feiner, kluger Beobachter, der ſich
über Metternich’s Charakter nicht täuſchte, that das Seine, um die Freund-
ſchaft zwiſchen Preußen, Frankreich und Rußland zu befeſtigen. In allen
den kleinen deutſchen Händeln, welche für Frankreich keinen Werth hatten,
ſuchte ſich der Tuilerienhof dem preußiſchen Cabinet gefällig zu erweiſen.
Als Karl von Braunſchweig um die Hilfe der Bourbonen bat, wurde er
zur Nachgiebigkeit ermahnt. Markgraf Wilhelm von Baden dagegen erhielt
die beſten Zuſagen, da er wegen des Sponheimer Streites nach Paris
kam; denn das gute Recht und das befreundete Preußen ſtänden auf
Badens Seite. **)
Noch ſchneller und ſtärker veränderte ſich die ruſſiſche Politik. Czar
Alexander ſtarb am 1. December 1825, in der Blüthe der Jahre ſchon
lebensmatt und faſt erdrückt von der Laſt ſeines hohen Amtes. Seine
Sterbeſtunden wurden verklärt durch die Liebe ſeiner Gemahlin, die er
nach langer Entfremdung endlich wieder fand, aber auch verdüſtert durch
die Entdeckung einer großen Soldatenverſchwörung. Nach ſeinem Tode
brachte die ſeltſame Halbheit, welche faſt allen Thaten ſeiner letzten Jahre
anhaftete, noch einmal arge Verwirrung über das Reich. Schon vor zwei
Jahren hatte der Thronfolger Großfürſt Conſtantin ſeine Abdankung in
die Hände des Kaiſers niedergelegt, Alexander aber hatte dieſe Urkunde
geheim gehalten, obgleich die Erbfolgeordnung der Dynaſtie erſt ſeit wenigen
*) Bernſtorff, Weiſungen an Werther. 14. Jan., 25. Juni 1828.
**) Arnim’s Berichte, Paris 24., 30. Juni 1829.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/741>, abgerufen am 22.11.2024.
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