auf das erneute Drängen seines Ministers gestand er dem Ueberraschten endlich: er selber sei der Verfasser des Manuscripts, er habe das Ge- rippe, Lindner nur die Füllung der Arbeit gegeben.*) Durch solche Mittel also hatte König Wilhelm sich für seine Wiener Demüthigung zu rächen versucht! Der Graf verhehlte seinem Herrn nicht, daß er die Kosten eines Auswärtigen Amtes für das kleine Württemberg nicht mehr zu rechtfertigen wisse, wenn man sich so muthwillig das Vertrauen der großen Mächte verscherze. Gleichwohl blieb er im Amte. Das Bewußtsein einer eigenen politischen Verantworlichkeit war den deutschen Ministern damals noch fremd; sie betrachteten sich fast allesammt nur als Diener ihrer Fürsten. Wintzingerode hielt es für unritterlich den König in einem Augenblicke der Bedrängniß zu verlassen und mußte nun wohl oder über durch unwahre Betheuerungen den Argwohn der deutschen Höfe zu be- schwichtigen suchen. Vergebliche Mühe. Der Scharfsinn F. Gentz's, der in literarischen Dingen fast immer das Rechte traf, hatte den Urheber des Manuscripts sofort erkannt.
Die Nichtigkeit der württembergischen Triaspläne wurde nirgends schärfer verurtheilt als an dem Hofe, welchem Lindner die Führung seines Sonderbundes zugedacht hatte. In der bairischen Presse waren vor fünf Jahren die Triasgedanken zuerst aufgetaucht; aber die Regierung blieb ihnen jetzt wie damals unzugänglich. Der bairische Staat war doch zu groß, seine Dynastie zu stolz um so luftigen Traumbildern nachzugehen. Wie glücklich fühlte sich König Max Joseph, da er nun wieder drei Jahre lang vor seinen getreuen Landständen Ruhe hatte. Die durch Zentner's Klugheit herbeigeführte Versöhnung mit den beiden Groß- mächten that dem Herzen des gutmüthigen Herrn wohl. Sein Miß- trauen gegen die Liberalen verstärkte sich noch, seit die Revolution in Südeuropa immer weiter um sich griff und im Laufe des Sommers sogar nach Italien hinüberschlug. Als Gentz im August nach München kam, fand der König kaum Worte genug, um dem Wiener Hofe seine Anhänglichkeit zu betheuern. Er liebe, so gestand er, die Constitutionen ebenso wenig wie Kaiser Franz, und ohne den unglücklichen Wiener Con- greß wäre er gewiß nie so weit gegangen; indessen sei er Gottlob mit einem blauen Auge davongekommen, und nun solle ihn auch der Teufel keinen Schritt weiter führen. An dem gewohnten bureaukratischen Re- gimente ward durch die parlamentarischen Institutionen nichts geändert. Selbst die den Kammern versprochene Neugestaltung des Heerwesens unterblieb, obgleich zwei der tüchtigsten Generale, Raglovich und Baur schon seit Jahren die Einführung eines Landwehrsystems, nach der Art des preußischen, befürwortet hatten. Der liberale Lerchenfeld sah sich ganz auf sein Finanzfach beschränkt, und hier gelang es seiner ausdauern-
*) Wintzingerode, Graf H. L. Wintzingerode, S. 69.
Baiern. Zentner.
auf das erneute Drängen ſeines Miniſters geſtand er dem Ueberraſchten endlich: er ſelber ſei der Verfaſſer des Manuſcripts, er habe das Ge- rippe, Lindner nur die Füllung der Arbeit gegeben.*) Durch ſolche Mittel alſo hatte König Wilhelm ſich für ſeine Wiener Demüthigung zu rächen verſucht! Der Graf verhehlte ſeinem Herrn nicht, daß er die Koſten eines Auswärtigen Amtes für das kleine Württemberg nicht mehr zu rechtfertigen wiſſe, wenn man ſich ſo muthwillig das Vertrauen der großen Mächte verſcherze. Gleichwohl blieb er im Amte. Das Bewußtſein einer eigenen politiſchen Verantworlichkeit war den deutſchen Miniſtern damals noch fremd; ſie betrachteten ſich faſt alleſammt nur als Diener ihrer Fürſten. Wintzingerode hielt es für unritterlich den König in einem Augenblicke der Bedrängniß zu verlaſſen und mußte nun wohl oder über durch unwahre Betheuerungen den Argwohn der deutſchen Höfe zu be- ſchwichtigen ſuchen. Vergebliche Mühe. Der Scharfſinn F. Gentz’s, der in literariſchen Dingen faſt immer das Rechte traf, hatte den Urheber des Manuſcripts ſofort erkannt.
Die Nichtigkeit der württembergiſchen Triaspläne wurde nirgends ſchärfer verurtheilt als an dem Hofe, welchem Lindner die Führung ſeines Sonderbundes zugedacht hatte. In der bairiſchen Preſſe waren vor fünf Jahren die Triasgedanken zuerſt aufgetaucht; aber die Regierung blieb ihnen jetzt wie damals unzugänglich. Der bairiſche Staat war doch zu groß, ſeine Dynaſtie zu ſtolz um ſo luftigen Traumbildern nachzugehen. Wie glücklich fühlte ſich König Max Joſeph, da er nun wieder drei Jahre lang vor ſeinen getreuen Landſtänden Ruhe hatte. Die durch Zentner’s Klugheit herbeigeführte Verſöhnung mit den beiden Groß- mächten that dem Herzen des gutmüthigen Herrn wohl. Sein Miß- trauen gegen die Liberalen verſtärkte ſich noch, ſeit die Revolution in Südeuropa immer weiter um ſich griff und im Laufe des Sommers ſogar nach Italien hinüberſchlug. Als Gentz im Auguſt nach München kam, fand der König kaum Worte genug, um dem Wiener Hofe ſeine Anhänglichkeit zu betheuern. Er liebe, ſo geſtand er, die Conſtitutionen ebenſo wenig wie Kaiſer Franz, und ohne den unglücklichen Wiener Con- greß wäre er gewiß nie ſo weit gegangen; indeſſen ſei er Gottlob mit einem blauen Auge davongekommen, und nun ſolle ihn auch der Teufel keinen Schritt weiter führen. An dem gewohnten bureaukratiſchen Re- gimente ward durch die parlamentariſchen Inſtitutionen nichts geändert. Selbſt die den Kammern verſprochene Neugeſtaltung des Heerweſens unterblieb, obgleich zwei der tüchtigſten Generale, Raglovich und Baur ſchon ſeit Jahren die Einführung eines Landwehrſyſtems, nach der Art des preußiſchen, befürwortet hatten. Der liberale Lerchenfeld ſah ſich ganz auf ſein Finanzfach beſchränkt, und hier gelang es ſeiner ausdauern-
*) Wintzingerode, Graf H. L. Wintzingerode, S. 69.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0075"n="59"/><fwplace="top"type="header">Baiern. Zentner.</fw><lb/>
auf das erneute Drängen ſeines Miniſters geſtand er dem Ueberraſchten<lb/>
endlich: er ſelber ſei der Verfaſſer des Manuſcripts, er habe das Ge-<lb/>
rippe, Lindner nur die Füllung der Arbeit gegeben.<noteplace="foot"n="*)">Wintzingerode, Graf H. L. Wintzingerode, S. 69.</note> Durch ſolche Mittel<lb/>
alſo hatte König Wilhelm ſich für ſeine Wiener Demüthigung zu rächen<lb/>
verſucht! Der Graf verhehlte ſeinem Herrn nicht, daß er die Koſten<lb/>
eines Auswärtigen Amtes für das kleine Württemberg nicht mehr zu<lb/>
rechtfertigen wiſſe, wenn man ſich ſo muthwillig das Vertrauen der großen<lb/>
Mächte verſcherze. Gleichwohl blieb er im Amte. Das Bewußtſein einer<lb/>
eigenen politiſchen Verantworlichkeit war den deutſchen Miniſtern damals<lb/>
noch fremd; ſie betrachteten ſich faſt alleſammt nur als Diener ihrer<lb/>
Fürſten. Wintzingerode hielt es für unritterlich den König in einem<lb/>
Augenblicke der Bedrängniß zu verlaſſen und mußte nun wohl oder über<lb/>
durch unwahre Betheuerungen den Argwohn der deutſchen Höfe zu be-<lb/>ſchwichtigen ſuchen. Vergebliche Mühe. Der Scharfſinn F. Gentz’s, der<lb/>
in literariſchen Dingen faſt immer das Rechte traf, hatte den Urheber<lb/>
des Manuſcripts ſofort erkannt.</p><lb/><p>Die Nichtigkeit der württembergiſchen Triaspläne wurde nirgends<lb/>ſchärfer verurtheilt als an dem Hofe, welchem Lindner die Führung ſeines<lb/>
Sonderbundes zugedacht hatte. In der bairiſchen Preſſe waren vor fünf<lb/>
Jahren die Triasgedanken zuerſt aufgetaucht; aber die Regierung blieb<lb/>
ihnen jetzt wie damals unzugänglich. Der bairiſche Staat war doch zu<lb/>
groß, ſeine Dynaſtie zu ſtolz um ſo luftigen Traumbildern nachzugehen.<lb/>
Wie glücklich fühlte ſich König Max Joſeph, da er nun wieder drei<lb/>
Jahre lang vor ſeinen getreuen Landſtänden Ruhe hatte. Die durch<lb/>
Zentner’s Klugheit herbeigeführte Verſöhnung mit den beiden Groß-<lb/>
mächten that dem Herzen des gutmüthigen Herrn wohl. Sein Miß-<lb/>
trauen gegen die Liberalen verſtärkte ſich noch, ſeit die Revolution in<lb/>
Südeuropa immer weiter um ſich griff und im Laufe des Sommers<lb/>ſogar nach Italien hinüberſchlug. Als Gentz im Auguſt nach München<lb/>
kam, fand der König kaum Worte genug, um dem Wiener Hofe ſeine<lb/>
Anhänglichkeit zu betheuern. Er liebe, ſo geſtand er, die Conſtitutionen<lb/>
ebenſo wenig wie Kaiſer Franz, und ohne den unglücklichen Wiener Con-<lb/>
greß wäre er gewiß nie ſo weit gegangen; indeſſen ſei er Gottlob mit<lb/>
einem blauen Auge davongekommen, und nun ſolle ihn auch der Teufel<lb/>
keinen Schritt weiter führen. An dem gewohnten bureaukratiſchen Re-<lb/>
gimente ward durch die parlamentariſchen Inſtitutionen nichts geändert.<lb/>
Selbſt die den Kammern verſprochene Neugeſtaltung des Heerweſens<lb/>
unterblieb, obgleich zwei der tüchtigſten Generale, Raglovich und Baur<lb/>ſchon ſeit Jahren die Einführung eines Landwehrſyſtems, nach der Art<lb/>
des preußiſchen, befürwortet hatten. Der liberale Lerchenfeld ſah ſich<lb/>
ganz auf ſein Finanzfach beſchränkt, und hier gelang es ſeiner ausdauern-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[59/0075]
Baiern. Zentner.
auf das erneute Drängen ſeines Miniſters geſtand er dem Ueberraſchten
endlich: er ſelber ſei der Verfaſſer des Manuſcripts, er habe das Ge-
rippe, Lindner nur die Füllung der Arbeit gegeben. *) Durch ſolche Mittel
alſo hatte König Wilhelm ſich für ſeine Wiener Demüthigung zu rächen
verſucht! Der Graf verhehlte ſeinem Herrn nicht, daß er die Koſten
eines Auswärtigen Amtes für das kleine Württemberg nicht mehr zu
rechtfertigen wiſſe, wenn man ſich ſo muthwillig das Vertrauen der großen
Mächte verſcherze. Gleichwohl blieb er im Amte. Das Bewußtſein einer
eigenen politiſchen Verantworlichkeit war den deutſchen Miniſtern damals
noch fremd; ſie betrachteten ſich faſt alleſammt nur als Diener ihrer
Fürſten. Wintzingerode hielt es für unritterlich den König in einem
Augenblicke der Bedrängniß zu verlaſſen und mußte nun wohl oder über
durch unwahre Betheuerungen den Argwohn der deutſchen Höfe zu be-
ſchwichtigen ſuchen. Vergebliche Mühe. Der Scharfſinn F. Gentz’s, der
in literariſchen Dingen faſt immer das Rechte traf, hatte den Urheber
des Manuſcripts ſofort erkannt.
Die Nichtigkeit der württembergiſchen Triaspläne wurde nirgends
ſchärfer verurtheilt als an dem Hofe, welchem Lindner die Führung ſeines
Sonderbundes zugedacht hatte. In der bairiſchen Preſſe waren vor fünf
Jahren die Triasgedanken zuerſt aufgetaucht; aber die Regierung blieb
ihnen jetzt wie damals unzugänglich. Der bairiſche Staat war doch zu
groß, ſeine Dynaſtie zu ſtolz um ſo luftigen Traumbildern nachzugehen.
Wie glücklich fühlte ſich König Max Joſeph, da er nun wieder drei
Jahre lang vor ſeinen getreuen Landſtänden Ruhe hatte. Die durch
Zentner’s Klugheit herbeigeführte Verſöhnung mit den beiden Groß-
mächten that dem Herzen des gutmüthigen Herrn wohl. Sein Miß-
trauen gegen die Liberalen verſtärkte ſich noch, ſeit die Revolution in
Südeuropa immer weiter um ſich griff und im Laufe des Sommers
ſogar nach Italien hinüberſchlug. Als Gentz im Auguſt nach München
kam, fand der König kaum Worte genug, um dem Wiener Hofe ſeine
Anhänglichkeit zu betheuern. Er liebe, ſo geſtand er, die Conſtitutionen
ebenſo wenig wie Kaiſer Franz, und ohne den unglücklichen Wiener Con-
greß wäre er gewiß nie ſo weit gegangen; indeſſen ſei er Gottlob mit
einem blauen Auge davongekommen, und nun ſolle ihn auch der Teufel
keinen Schritt weiter führen. An dem gewohnten bureaukratiſchen Re-
gimente ward durch die parlamentariſchen Inſtitutionen nichts geändert.
Selbſt die den Kammern verſprochene Neugeſtaltung des Heerweſens
unterblieb, obgleich zwei der tüchtigſten Generale, Raglovich und Baur
ſchon ſeit Jahren die Einführung eines Landwehrſyſtems, nach der Art
des preußiſchen, befürwortet hatten. Der liberale Lerchenfeld ſah ſich
ganz auf ſein Finanzfach beſchränkt, und hier gelang es ſeiner ausdauern-
*) Wintzingerode, Graf H. L. Wintzingerode, S. 69.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/75>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.