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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Schlacht von Navarin.
Sie stellten außer Zweifel, daß Kaiser Franz, Metternich, Gentz durchaus
türkisch gesinnt und ihre Vermittlungsversuche in Konstantinopel nimmer-
mehr ehrlich gemeint waren. Noch werthvoller waren Maltzahn's Mit-
theilungen über Oesterreichs Staatshaushalt und Heerwesen; hier lag
der Schlüssel zum Verständniß der haltlosen Wiener Politik. Dieser
Staat, der so lange den Schiedsrichter Europas gespielt, befand sich ganz
außer Stande einen ernsthaften Krieg zu führen. Um die ungeheuren
Kosten der geheimen Polizei zu erschwingen, hatte man das Heer arg ver-
nachlässigt; in Wien selbst fehlten einzelnen Reiterregimentern 300 Pferde
und mehr, viele Compagnien, die man für vollzählig ausgab, zählten nur
60 Mann. Dazu die Verwirrung in den Finanzen und der Charakter
des Kaisers Franz, der in seinen jungen Jahren manchen leichtsinnigen
Krieg geführt hatte, jetzt aber zu keinem kühnen Enschlusse mehr zu brin-
gen war.*)

Mit einem so unzuverlässigen und zugleich so schwachen Hofe konnte
eine rechtschaffene Regierung nicht gemeinsame Sache machen. Der preu-
ßische Gesandte in Konstantinopel ward daher angewiesen, unbekümmert
um den k. k. Internuntius die Friedensvorschläge des Dreibundes nach-
drücklich zu unterstützen, und im Spätjahr hatte sich Bernstorff den drei
verbündeten Mächten schon soweit angenähert, daß er den Gesandtschaften
kurzweg schreiben konnte: "Obgleich unser Hof weder bei dem Londoner
Vertrage mitgewirkt hat, noch ihm beigetreten ist, so billigt er doch ohne
Rückhalt dessen Grundsätze und Ziele."**) Das Verhältniß zu Osterreich
ward sichtlich kühler, um so freundlicher das Einvernehmen mit Frankreich
und Rußland. Metternich aber konnte sich Preußens selbstständige Hal-
tung nur aus der baaren Thorheit erklären und schmähte hinterrücks auf
die Unfähigkeit des Commis Bernstorff.

Mittlerweile erwiesen sich die Berechnungen des östereichischen Staats-
mannes nochmals als irrig. Der Dreibund, dessen Zerfall man in Wien
erwartete, hielt vorerst noch zusammen. Da der Sultan den Waffenstill-
stand ablehnte, so erhielten die drei Admirale Befehl, die Einstellung der
Feindseligkeiten auf Morea nöthigenfalls zu erzwingen. Sie verstanden
die Weisung nach handfester Seemannsart. Als Ibrahim Pascha der
Aufforderung nicht unzweideutig nachkam, wurde die prächtige Flotte des
Sultans am 20. Okt. 1827 in der Bucht von Navarin vernichtet. Froh-
lockend begrüßte die öffentliche Meinung des Festlandes die gänzlich uner-
wartete Nachricht; es schien wie eine Naturnothwendigkeit, daß die seit Jahren
schon geballte Faust der empörten Christenheit nun doch endlich schmetternd
niedergefallen war, und nicht ohne Grund schrieben sich die Philhellenen
einigen Antheil an diesem Siege zu, der von den Cabinetten nicht gewollt,

*) Maltzahn's Berichte, 1. 25. Mai 1827 ff.
**) Bernstorff, Weisung an Jordan, 30. Dec. 1827.

Schlacht von Navarin.
Sie ſtellten außer Zweifel, daß Kaiſer Franz, Metternich, Gentz durchaus
türkiſch geſinnt und ihre Vermittlungsverſuche in Konſtantinopel nimmer-
mehr ehrlich gemeint waren. Noch werthvoller waren Maltzahn’s Mit-
theilungen über Oeſterreichs Staatshaushalt und Heerweſen; hier lag
der Schlüſſel zum Verſtändniß der haltloſen Wiener Politik. Dieſer
Staat, der ſo lange den Schiedsrichter Europas geſpielt, befand ſich ganz
außer Stande einen ernſthaften Krieg zu führen. Um die ungeheuren
Koſten der geheimen Polizei zu erſchwingen, hatte man das Heer arg ver-
nachläſſigt; in Wien ſelbſt fehlten einzelnen Reiterregimentern 300 Pferde
und mehr, viele Compagnien, die man für vollzählig ausgab, zählten nur
60 Mann. Dazu die Verwirrung in den Finanzen und der Charakter
des Kaiſers Franz, der in ſeinen jungen Jahren manchen leichtſinnigen
Krieg geführt hatte, jetzt aber zu keinem kühnen Enſchluſſe mehr zu brin-
gen war.*)

Mit einem ſo unzuverläſſigen und zugleich ſo ſchwachen Hofe konnte
eine rechtſchaffene Regierung nicht gemeinſame Sache machen. Der preu-
ßiſche Geſandte in Konſtantinopel ward daher angewieſen, unbekümmert
um den k. k. Internuntius die Friedensvorſchläge des Dreibundes nach-
drücklich zu unterſtützen, und im Spätjahr hatte ſich Bernſtorff den drei
verbündeten Mächten ſchon ſoweit angenähert, daß er den Geſandtſchaften
kurzweg ſchreiben konnte: „Obgleich unſer Hof weder bei dem Londoner
Vertrage mitgewirkt hat, noch ihm beigetreten iſt, ſo billigt er doch ohne
Rückhalt deſſen Grundſätze und Ziele.“**) Das Verhältniß zu Oſterreich
ward ſichtlich kühler, um ſo freundlicher das Einvernehmen mit Frankreich
und Rußland. Metternich aber konnte ſich Preußens ſelbſtſtändige Hal-
tung nur aus der baaren Thorheit erklären und ſchmähte hinterrücks auf
die Unfähigkeit des Commis Bernſtorff.

Mittlerweile erwieſen ſich die Berechnungen des öſtereichiſchen Staats-
mannes nochmals als irrig. Der Dreibund, deſſen Zerfall man in Wien
erwartete, hielt vorerſt noch zuſammen. Da der Sultan den Waffenſtill-
ſtand ablehnte, ſo erhielten die drei Admirale Befehl, die Einſtellung der
Feindſeligkeiten auf Morea nöthigenfalls zu erzwingen. Sie verſtanden
die Weiſung nach handfeſter Seemannsart. Als Ibrahim Paſcha der
Aufforderung nicht unzweideutig nachkam, wurde die prächtige Flotte des
Sultans am 20. Okt. 1827 in der Bucht von Navarin vernichtet. Froh-
lockend begrüßte die öffentliche Meinung des Feſtlandes die gänzlich uner-
wartete Nachricht; es ſchien wie eine Naturnothwendigkeit, daß die ſeit Jahren
ſchon geballte Fauſt der empörten Chriſtenheit nun doch endlich ſchmetternd
niedergefallen war, und nicht ohne Grund ſchrieben ſich die Philhellenen
einigen Antheil an dieſem Siege zu, der von den Cabinetten nicht gewollt,

*) Maltzahn’s Berichte, 1. 25. Mai 1827 ff.
**) Bernſtorff, Weiſung an Jordan, 30. Dec. 1827.
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[735/0751] Schlacht von Navarin. Sie ſtellten außer Zweifel, daß Kaiſer Franz, Metternich, Gentz durchaus türkiſch geſinnt und ihre Vermittlungsverſuche in Konſtantinopel nimmer- mehr ehrlich gemeint waren. Noch werthvoller waren Maltzahn’s Mit- theilungen über Oeſterreichs Staatshaushalt und Heerweſen; hier lag der Schlüſſel zum Verſtändniß der haltloſen Wiener Politik. Dieſer Staat, der ſo lange den Schiedsrichter Europas geſpielt, befand ſich ganz außer Stande einen ernſthaften Krieg zu führen. Um die ungeheuren Koſten der geheimen Polizei zu erſchwingen, hatte man das Heer arg ver- nachläſſigt; in Wien ſelbſt fehlten einzelnen Reiterregimentern 300 Pferde und mehr, viele Compagnien, die man für vollzählig ausgab, zählten nur 60 Mann. Dazu die Verwirrung in den Finanzen und der Charakter des Kaiſers Franz, der in ſeinen jungen Jahren manchen leichtſinnigen Krieg geführt hatte, jetzt aber zu keinem kühnen Enſchluſſe mehr zu brin- gen war. *) Mit einem ſo unzuverläſſigen und zugleich ſo ſchwachen Hofe konnte eine rechtſchaffene Regierung nicht gemeinſame Sache machen. Der preu- ßiſche Geſandte in Konſtantinopel ward daher angewieſen, unbekümmert um den k. k. Internuntius die Friedensvorſchläge des Dreibundes nach- drücklich zu unterſtützen, und im Spätjahr hatte ſich Bernſtorff den drei verbündeten Mächten ſchon ſoweit angenähert, daß er den Geſandtſchaften kurzweg ſchreiben konnte: „Obgleich unſer Hof weder bei dem Londoner Vertrage mitgewirkt hat, noch ihm beigetreten iſt, ſo billigt er doch ohne Rückhalt deſſen Grundſätze und Ziele.“ **) Das Verhältniß zu Oſterreich ward ſichtlich kühler, um ſo freundlicher das Einvernehmen mit Frankreich und Rußland. Metternich aber konnte ſich Preußens ſelbſtſtändige Hal- tung nur aus der baaren Thorheit erklären und ſchmähte hinterrücks auf die Unfähigkeit des Commis Bernſtorff. Mittlerweile erwieſen ſich die Berechnungen des öſtereichiſchen Staats- mannes nochmals als irrig. Der Dreibund, deſſen Zerfall man in Wien erwartete, hielt vorerſt noch zuſammen. Da der Sultan den Waffenſtill- ſtand ablehnte, ſo erhielten die drei Admirale Befehl, die Einſtellung der Feindſeligkeiten auf Morea nöthigenfalls zu erzwingen. Sie verſtanden die Weiſung nach handfeſter Seemannsart. Als Ibrahim Paſcha der Aufforderung nicht unzweideutig nachkam, wurde die prächtige Flotte des Sultans am 20. Okt. 1827 in der Bucht von Navarin vernichtet. Froh- lockend begrüßte die öffentliche Meinung des Feſtlandes die gänzlich uner- wartete Nachricht; es ſchien wie eine Naturnothwendigkeit, daß die ſeit Jahren ſchon geballte Fauſt der empörten Chriſtenheit nun doch endlich ſchmetternd niedergefallen war, und nicht ohne Grund ſchrieben ſich die Philhellenen einigen Antheil an dieſem Siege zu, der von den Cabinetten nicht gewollt, *) Maltzahn’s Berichte, 1. 25. Mai 1827 ff. **) Bernſtorff, Weiſung an Jordan, 30. Dec. 1827.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 735. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/751>, abgerufen am 21.11.2024.