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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
grüßte das Ultra-Ministerium mit Freuden, weil Polignac ein erklärter
Freund Englands war. Von einem Staatsstreich jedoch wollte keine der
großen Mächte etwas hören, sie alle ohne Ausnahme warnten den Tuilerien-
hof vor unbesonnenen Gewaltthaten. Aber wann hätte der Fanatismus
die Stimme der Vernunft gehört? Der Staatsstreich kam und mit ihm
die Revolution. Sie erschütterte das System der Wiener Verträge in
seinen Grundfesten, denn auf der Restauration der Bourbonen ruhte der
ganze kunstvolle Bau; aber sie hob auch wieder das tief gesunkene An-
sehen Oesterreichs. Die gemeinsame Gefahr führte die drei Ostmächte
nach langer Entfremdung wieder zum festen Bunde zusammen.

Glücklicher als die fünf ersten Friedensjahre endete dies Jahrzehnt
deutscher Geschichte. Die Tage der Seelenangst und der blinden Partei-
politik gingen zu Ende. Die Monarchie der Hohenzollern stand wieder
auf eigenen Füßen. Sie wahrte fest und umsichtig dem Vaterlande den
Frieden, sie begann der wirthschaftlichen Macht und Selbstständigkeit der
Nation eine neue Laufbahn zu eröffnen, und schon ließ sich die Zeit
ahnen, da aus dem Chaos deutscher Staaten endlich der deutsche Staat
emporsteigen mußte.


III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage.
grüßte das Ultra-Miniſterium mit Freuden, weil Polignac ein erklärter
Freund Englands war. Von einem Staatsſtreich jedoch wollte keine der
großen Mächte etwas hören, ſie alle ohne Ausnahme warnten den Tuilerien-
hof vor unbeſonnenen Gewaltthaten. Aber wann hätte der Fanatismus
die Stimme der Vernunft gehört? Der Staatsſtreich kam und mit ihm
die Revolution. Sie erſchütterte das Syſtem der Wiener Verträge in
ſeinen Grundfeſten, denn auf der Reſtauration der Bourbonen ruhte der
ganze kunſtvolle Bau; aber ſie hob auch wieder das tief geſunkene An-
ſehen Oeſterreichs. Die gemeinſame Gefahr führte die drei Oſtmächte
nach langer Entfremdung wieder zum feſten Bunde zuſammen.

Glücklicher als die fünf erſten Friedensjahre endete dies Jahrzehnt
deutſcher Geſchichte. Die Tage der Seelenangſt und der blinden Partei-
politik gingen zu Ende. Die Monarchie der Hohenzollern ſtand wieder
auf eigenen Füßen. Sie wahrte feſt und umſichtig dem Vaterlande den
Frieden, ſie begann der wirthſchaftlichen Macht und Selbſtſtändigkeit der
Nation eine neue Laufbahn zu eröffnen, und ſchon ließ ſich die Zeit
ahnen, da aus dem Chaos deutſcher Staaten endlich der deutſche Staat
emporſteigen mußte.


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[748/0764] III. 10. Preußen und die orientaliſche Frage. grüßte das Ultra-Miniſterium mit Freuden, weil Polignac ein erklärter Freund Englands war. Von einem Staatsſtreich jedoch wollte keine der großen Mächte etwas hören, ſie alle ohne Ausnahme warnten den Tuilerien- hof vor unbeſonnenen Gewaltthaten. Aber wann hätte der Fanatismus die Stimme der Vernunft gehört? Der Staatsſtreich kam und mit ihm die Revolution. Sie erſchütterte das Syſtem der Wiener Verträge in ſeinen Grundfeſten, denn auf der Reſtauration der Bourbonen ruhte der ganze kunſtvolle Bau; aber ſie hob auch wieder das tief geſunkene An- ſehen Oeſterreichs. Die gemeinſame Gefahr führte die drei Oſtmächte nach langer Entfremdung wieder zum feſten Bunde zuſammen. Glücklicher als die fünf erſten Friedensjahre endete dies Jahrzehnt deutſcher Geſchichte. Die Tage der Seelenangſt und der blinden Partei- politik gingen zu Ende. Die Monarchie der Hohenzollern ſtand wieder auf eigenen Füßen. Sie wahrte feſt und umſichtig dem Vaterlande den Frieden, ſie begann der wirthſchaftlichen Macht und Selbſtſtändigkeit der Nation eine neue Laufbahn zu eröffnen, und ſchon ließ ſich die Zeit ahnen, da aus dem Chaos deutſcher Staaten endlich der deutſche Staat emporſteigen mußte.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/764>, abgerufen am 21.11.2024.