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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Burschenschaft und die Unbedingten.
vorsichtig benutzen, da der heißblütige Mann über die Jugendideale, mit denen er so
gänzlich gebrochen hatte, zwar mit cynischer Aufrichtigkeit, aber nicht immer unbefangen
spricht. Mindestens ebenso lehrreich wie diese und die übrigen hier einschlagenden neueren
Schriften von Menzel, Henke, Simon, Clöter u. A. war mir die längst verschollene ältere
Literatur, welche Baumgarten nicht näher zu kennen scheint, so Jarcke's Schrift über Sand
-- eine scharfsinnige und stoffreiche criminalistische Untersuchung, deren auch R. v. Mohl,
ein politischer Gegner Jarcke's, mit gerechtem Lobe gedenkt, so Hohnhorst's Bericht über
Sand's Proceß, so vor Allem die eigenen Schriftstücke der Unbedingten, namentlich das
Große Lied von Karl Follen.

Zu den Bruchstücken dieses Liedes, welche ich bereits im 2. Bande mitgetheilt, füge
ich hier noch einige weitere Proben hinzu, damit der Leser selber urtheile. Da heißt es:

Brüder, so kann's nicht gehn!
Laßt uns zusammenstehn,
Duldet's nicht mehr!
Freiheit, dein Baum fault ab.
Jeder am Bettelstab
Beißt bald in's Hungergrab.
Volk in's Gewehr!
Brüder in Gold und Seid',
Brüder im Bauernkleid,
Reicht Euch die Hand!
Allen ruft Teutschlands Noth,
Allen des Herrn Gebot:
Schlagt Eure Plager todt,
Rettet das Land!
Dann wird's, dann bleibt's nur gut,
Wenn Du an Gut und Blut
Wagst Blut und Gut,
Wenn Du Gewehr und Axt,
Schlachtbeil und Sense packst,
Zwingherrn den Kopf abhackst!
Brenn', alter Muth!

Und weiter:

Auf, auf, mein Volk, Gott schuf dich frei,
Ruft dich aus der Knechtschaft Wüstenei
Zu der Freiheit Heimathsgestaden.
Mußt wandeln durch ein rothes Meer,
Durch deiner Söhne Opferblut.
Das tilgt die Pharaonenbrut
Mit Roß und Troß, mit Kron' und Heer.

Und so fort, mehr als einen Druckbogen lang.

Wenn das nicht heißt Mord und Aufruhr predigen, dann hat die deutsche Sprache
keinen Sinn mehr. Und diese Verse stammen nicht aus der Feder eines thörichten Pol-
terers; sie rühren her von einem Manne, der, nach der übereinstimmenden Aussage von
Freund und Feind, frühreif und kalt verständig, jedes seiner Worte besonnen abwog.
Es ist nicht anders, die ersten Keime jenes wüsten Radicalismus, der ein Menschenalter
später über unsere Fluren dahinraste, zeigen sich leider schon in der Burschenschaft, nicht
in ihrer ehrenwerthen Gesammtheit, aber in einer kleinen extremen Sekte. Und das
Haupt dieser Sekte war Karl Follen. Das lehrt, neben so vielen anderen Zeugnissen,
die Haltung Sand's in seinen Verhören; wenn es galt Karl Follen zu decken, dann
scheute Sand kein Mittel der Lüge, dann klagte er sogar seinen Herzensfreund Asmis
fälschlich an.

48*

Die Burſchenſchaft und die Unbedingten.
vorſichtig benutzen, da der heißblütige Mann über die Jugendideale, mit denen er ſo
gänzlich gebrochen hatte, zwar mit cyniſcher Aufrichtigkeit, aber nicht immer unbefangen
ſpricht. Mindeſtens ebenſo lehrreich wie dieſe und die übrigen hier einſchlagenden neueren
Schriften von Menzel, Henke, Simon, Clöter u. A. war mir die längſt verſchollene ältere
Literatur, welche Baumgarten nicht näher zu kennen ſcheint, ſo Jarcke’s Schrift über Sand
— eine ſcharfſinnige und ſtoffreiche criminaliſtiſche Unterſuchung, deren auch R. v. Mohl,
ein politiſcher Gegner Jarcke’s, mit gerechtem Lobe gedenkt, ſo Hohnhorſt’s Bericht über
Sand’s Proceß, ſo vor Allem die eigenen Schriftſtücke der Unbedingten, namentlich das
Große Lied von Karl Follen.

Zu den Bruchſtücken dieſes Liedes, welche ich bereits im 2. Bande mitgetheilt, füge
ich hier noch einige weitere Proben hinzu, damit der Leſer ſelber urtheile. Da heißt es:

Brüder, ſo kann’s nicht gehn!
Laßt uns zuſammenſtehn,
Duldet’s nicht mehr!
Freiheit, dein Baum fault ab.
Jeder am Bettelſtab
Beißt bald in’s Hungergrab.
Volk in’s Gewehr!
Brüder in Gold und Seid’,
Brüder im Bauernkleid,
Reicht Euch die Hand!
Allen ruft Teutſchlands Noth,
Allen des Herrn Gebot:
Schlagt Eure Plager todt,
Rettet das Land!
Dann wird’s, dann bleibt’s nur gut,
Wenn Du an Gut und Blut
Wagſt Blut und Gut,
Wenn Du Gewehr und Axt,
Schlachtbeil und Senſe packſt,
Zwingherrn den Kopf abhackſt!
Brenn’, alter Muth!

Und weiter:

Auf, auf, mein Volk, Gott ſchuf dich frei,
Ruft dich aus der Knechtſchaft Wüſtenei
Zu der Freiheit Heimathsgeſtaden.
Mußt wandeln durch ein rothes Meer,
Durch deiner Söhne Opferblut.
Das tilgt die Pharaonenbrut
Mit Roß und Troß, mit Kron’ und Heer.

Und ſo fort, mehr als einen Druckbogen lang.

Wenn das nicht heißt Mord und Aufruhr predigen, dann hat die deutſche Sprache
keinen Sinn mehr. Und dieſe Verſe ſtammen nicht aus der Feder eines thörichten Pol-
terers; ſie rühren her von einem Manne, der, nach der übereinſtimmenden Ausſage von
Freund und Feind, frühreif und kalt verſtändig, jedes ſeiner Worte beſonnen abwog.
Es iſt nicht anders, die erſten Keime jenes wüſten Radicalismus, der ein Menſchenalter
ſpäter über unſere Fluren dahinraſte, zeigen ſich leider ſchon in der Burſchenſchaft, nicht
in ihrer ehrenwerthen Geſammtheit, aber in einer kleinen extremen Sekte. Und das
Haupt dieſer Sekte war Karl Follen. Das lehrt, neben ſo vielen anderen Zeugniſſen,
die Haltung Sand’s in ſeinen Verhören; wenn es galt Karl Follen zu decken, dann
ſcheute Sand kein Mittel der Lüge, dann klagte er ſogar ſeinen Herzensfreund Asmis
fälſchlich an.

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[755/0771] Die Burſchenſchaft und die Unbedingten. vorſichtig benutzen, da der heißblütige Mann über die Jugendideale, mit denen er ſo gänzlich gebrochen hatte, zwar mit cyniſcher Aufrichtigkeit, aber nicht immer unbefangen ſpricht. Mindeſtens ebenſo lehrreich wie dieſe und die übrigen hier einſchlagenden neueren Schriften von Menzel, Henke, Simon, Clöter u. A. war mir die längſt verſchollene ältere Literatur, welche Baumgarten nicht näher zu kennen ſcheint, ſo Jarcke’s Schrift über Sand — eine ſcharfſinnige und ſtoffreiche criminaliſtiſche Unterſuchung, deren auch R. v. Mohl, ein politiſcher Gegner Jarcke’s, mit gerechtem Lobe gedenkt, ſo Hohnhorſt’s Bericht über Sand’s Proceß, ſo vor Allem die eigenen Schriftſtücke der Unbedingten, namentlich das Große Lied von Karl Follen. Zu den Bruchſtücken dieſes Liedes, welche ich bereits im 2. Bande mitgetheilt, füge ich hier noch einige weitere Proben hinzu, damit der Leſer ſelber urtheile. Da heißt es: Brüder, ſo kann’s nicht gehn! Laßt uns zuſammenſtehn, Duldet’s nicht mehr! Freiheit, dein Baum fault ab. Jeder am Bettelſtab Beißt bald in’s Hungergrab. Volk in’s Gewehr! Brüder in Gold und Seid’, Brüder im Bauernkleid, Reicht Euch die Hand! Allen ruft Teutſchlands Noth, Allen des Herrn Gebot: Schlagt Eure Plager todt, Rettet das Land! Dann wird’s, dann bleibt’s nur gut, Wenn Du an Gut und Blut Wagſt Blut und Gut, Wenn Du Gewehr und Axt, Schlachtbeil und Senſe packſt, Zwingherrn den Kopf abhackſt! Brenn’, alter Muth! Und weiter: Auf, auf, mein Volk, Gott ſchuf dich frei, Ruft dich aus der Knechtſchaft Wüſtenei Zu der Freiheit Heimathsgeſtaden. Mußt wandeln durch ein rothes Meer, Durch deiner Söhne Opferblut. Das tilgt die Pharaonenbrut Mit Roß und Troß, mit Kron’ und Heer. Und ſo fort, mehr als einen Druckbogen lang. Wenn das nicht heißt Mord und Aufruhr predigen, dann hat die deutſche Sprache keinen Sinn mehr. Und dieſe Verſe ſtammen nicht aus der Feder eines thörichten Pol- terers; ſie rühren her von einem Manne, der, nach der übereinſtimmenden Ausſage von Freund und Feind, frühreif und kalt verſtändig, jedes ſeiner Worte beſonnen abwog. Es iſt nicht anders, die erſten Keime jenes wüſten Radicalismus, der ein Menſchenalter ſpäter über unſere Fluren dahinraſte, zeigen ſich leider ſchon in der Burſchenſchaft, nicht in ihrer ehrenwerthen Geſammtheit, aber in einer kleinen extremen Sekte. Und das Haupt dieſer Sekte war Karl Follen. Das lehrt, neben ſo vielen anderen Zeugniſſen, die Haltung Sand’s in ſeinen Verhören; wenn es galt Karl Follen zu decken, dann ſcheute Sand kein Mittel der Lüge, dann klagte er ſogar ſeinen Herzensfreund Asmis fälſchlich an. 48*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/771>, abgerufen am 21.11.2024.