geblüht in den unwirthlichen Jurabergen; droben im rauhen Hochthale von La Chaux de Fonds, wo kaum das Korn reifte, lag jetzt eine große Gewerbstadt, die ihre Uhren in alle Welt versendete, und mit dem Reich- thum der Pourtales oder Pury konnte sich manches Fürstenhaus nicht messen.
Alle diese Segnungen der guten alten Zeit schienen jetzt zurückzu- kehren als die Hohenzollern wieder einzogen. Der König bestätigte von Neuem die alten Landesrechte und verstärkte sie noch indem er den seit Jahr- hunderten eingeschlummerten Landtag der Trois Etats wieder ins Leben rief. Der Gewerbfleiß nahm einen neuen Aufschwung, da Preußen und seine Zollverbündeten den neuenburgischen Waaren große Begünstigungen gewährten. Schon begann die gebildete Jugend sich den deutschen Hoch- schulen zuzuwenden; auch die neue Akademie der kleinen Hauptstadt folgte, trotz der französischen Lehrsprache, den Bahnen deutscher Wissenschaft. Die Söhne der vornehmen Geschlechter, der Pourtales, Sandoz, Rougemont, Crousaz dienten häufig im Heere oder am Hofe ihres Königs. Auch für die altschweizerische Reisläuferlust des kleinen Mannes war gesorgt durch die Augenweide der Berliner Straßenjugend, das Gardeschützenbataillon, das auf Grund einer vereinbarten Capitulation in Neuenburg angeworben und gleich den Schweizerregimentern des Papstes oder des Königs von Neapel als eine Schaar freiwilliger ausländischer Söldner behandelt wurde.
Gleichwohl zeigten sich bald die Keime inneren Unfriedens, weil das Verhältniß des Fürstenthums zur Eidgenossenschaft sich gänzlich verschoben hatte. Dieser winzige Hausbesitz, der für den preußischen Staat gar nichts leistete, sondern lediglich Wohlthaten von den Hohenzollern empfing, be- reitete den Staatsmännern Preußens beständig Verlegenheiten, und nicht lange, so konnte man im Berliner Auswärtigen Amte, das die neuen- burgischen wie alle anderen auswärtigen Angelegenheiten bearbeitete, schon die ärgerliche Aeußerung hören: wenn der Canton nur in seinen See versänke! Im achtzehnten Jahrhundert war Neuenburg nur ein zuge- wandter Ort der Schweiz, ohne Stimme auf der Tagsatzung, der König selbst ein Schweizerbürger und als "lieber treuer Eidgenosse" gleich allen seinen Neuenburgern dem Schweizer Bunde persönlich verpflichtet. In- zwischen hatte die Revolution alle die anderen zugewandten Orte hinweg- gefegt, die neue Schweiz bestand nur noch aus gleichberechtigten Cantonen, und als das Fürstenthum im Mai 1815 in die Eidgenossenschaft wieder aufgenommen wurde, war der neue Canton die einzige Monarchie in einem Bunde kleiner Republiken. Hardenberg fühlte, welche peinliche Rolle ein königlicher Gesandter auf der Tagsatzung inmitten der republikanischen Amtsgenossen spielen müßte. Um die Reibung zu mindern, bedang er sich daher aus, daß die Verpflichtungen des Fürstenthums gegen die Schweiz allein durch die Neuenburger Regierung, den Staatsrath, ohne Mitwirkung des Königs erfüllt werden sollten. Das wohlgemeinte Auskunftsmittel erwies
Parteikampf in Neuenburg.
geblüht in den unwirthlichen Jurabergen; droben im rauhen Hochthale von La Chaux de Fonds, wo kaum das Korn reifte, lag jetzt eine große Gewerbſtadt, die ihre Uhren in alle Welt verſendete, und mit dem Reich- thum der Pourtalès oder Pury konnte ſich manches Fürſtenhaus nicht meſſen.
Alle dieſe Segnungen der guten alten Zeit ſchienen jetzt zurückzu- kehren als die Hohenzollern wieder einzogen. Der König beſtätigte von Neuem die alten Landesrechte und verſtärkte ſie noch indem er den ſeit Jahr- hunderten eingeſchlummerten Landtag der Trois Etats wieder ins Leben rief. Der Gewerbfleiß nahm einen neuen Aufſchwung, da Preußen und ſeine Zollverbündeten den neuenburgiſchen Waaren große Begünſtigungen gewährten. Schon begann die gebildete Jugend ſich den deutſchen Hoch- ſchulen zuzuwenden; auch die neue Akademie der kleinen Hauptſtadt folgte, trotz der franzöſiſchen Lehrſprache, den Bahnen deutſcher Wiſſenſchaft. Die Söhne der vornehmen Geſchlechter, der Pourtalès, Sandoz, Rougemont, Crouſaz dienten häufig im Heere oder am Hofe ihres Königs. Auch für die altſchweizeriſche Reisläuferluſt des kleinen Mannes war geſorgt durch die Augenweide der Berliner Straßenjugend, das Gardeſchützenbataillon, das auf Grund einer vereinbarten Capitulation in Neuenburg angeworben und gleich den Schweizerregimentern des Papſtes oder des Königs von Neapel als eine Schaar freiwilliger ausländiſcher Söldner behandelt wurde.
Gleichwohl zeigten ſich bald die Keime inneren Unfriedens, weil das Verhältniß des Fürſtenthums zur Eidgenoſſenſchaft ſich gänzlich verſchoben hatte. Dieſer winzige Hausbeſitz, der für den preußiſchen Staat gar nichts leiſtete, ſondern lediglich Wohlthaten von den Hohenzollern empfing, be- reitete den Staatsmännern Preußens beſtändig Verlegenheiten, und nicht lange, ſo konnte man im Berliner Auswärtigen Amte, das die neuen- burgiſchen wie alle anderen auswärtigen Angelegenheiten bearbeitete, ſchon die ärgerliche Aeußerung hören: wenn der Canton nur in ſeinen See verſänke! Im achtzehnten Jahrhundert war Neuenburg nur ein zuge- wandter Ort der Schweiz, ohne Stimme auf der Tagſatzung, der König ſelbſt ein Schweizerbürger und als „lieber treuer Eidgenoſſe“ gleich allen ſeinen Neuenburgern dem Schweizer Bunde perſönlich verpflichtet. In- zwiſchen hatte die Revolution alle die anderen zugewandten Orte hinweg- gefegt, die neue Schweiz beſtand nur noch aus gleichberechtigten Cantonen, und als das Fürſtenthum im Mai 1815 in die Eidgenoſſenſchaft wieder aufgenommen wurde, war der neue Canton die einzige Monarchie in einem Bunde kleiner Republiken. Hardenberg fühlte, welche peinliche Rolle ein königlicher Geſandter auf der Tagſatzung inmitten der republikaniſchen Amtsgenoſſen ſpielen müßte. Um die Reibung zu mindern, bedang er ſich daher aus, daß die Verpflichtungen des Fürſtenthums gegen die Schweiz allein durch die Neuenburger Regierung, den Staatsrath, ohne Mitwirkung des Königs erfüllt werden ſollten. Das wohlgemeinte Auskunftsmittel erwies
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[181/0195]
Parteikampf in Neuenburg.
geblüht in den unwirthlichen Jurabergen; droben im rauhen Hochthale
von La Chaux de Fonds, wo kaum das Korn reifte, lag jetzt eine große
Gewerbſtadt, die ihre Uhren in alle Welt verſendete, und mit dem Reich-
thum der Pourtalès oder Pury konnte ſich manches Fürſtenhaus nicht
meſſen.
Alle dieſe Segnungen der guten alten Zeit ſchienen jetzt zurückzu-
kehren als die Hohenzollern wieder einzogen. Der König beſtätigte von
Neuem die alten Landesrechte und verſtärkte ſie noch indem er den ſeit Jahr-
hunderten eingeſchlummerten Landtag der Trois Etats wieder ins Leben
rief. Der Gewerbfleiß nahm einen neuen Aufſchwung, da Preußen und
ſeine Zollverbündeten den neuenburgiſchen Waaren große Begünſtigungen
gewährten. Schon begann die gebildete Jugend ſich den deutſchen Hoch-
ſchulen zuzuwenden; auch die neue Akademie der kleinen Hauptſtadt folgte,
trotz der franzöſiſchen Lehrſprache, den Bahnen deutſcher Wiſſenſchaft. Die
Söhne der vornehmen Geſchlechter, der Pourtalès, Sandoz, Rougemont,
Crouſaz dienten häufig im Heere oder am Hofe ihres Königs. Auch für
die altſchweizeriſche Reisläuferluſt des kleinen Mannes war geſorgt durch
die Augenweide der Berliner Straßenjugend, das Gardeſchützenbataillon,
das auf Grund einer vereinbarten Capitulation in Neuenburg angeworben
und gleich den Schweizerregimentern des Papſtes oder des Königs von
Neapel als eine Schaar freiwilliger ausländiſcher Söldner behandelt wurde.
Gleichwohl zeigten ſich bald die Keime inneren Unfriedens, weil das
Verhältniß des Fürſtenthums zur Eidgenoſſenſchaft ſich gänzlich verſchoben
hatte. Dieſer winzige Hausbeſitz, der für den preußiſchen Staat gar nichts
leiſtete, ſondern lediglich Wohlthaten von den Hohenzollern empfing, be-
reitete den Staatsmännern Preußens beſtändig Verlegenheiten, und nicht
lange, ſo konnte man im Berliner Auswärtigen Amte, das die neuen-
burgiſchen wie alle anderen auswärtigen Angelegenheiten bearbeitete, ſchon
die ärgerliche Aeußerung hören: wenn der Canton nur in ſeinen See
verſänke! Im achtzehnten Jahrhundert war Neuenburg nur ein zuge-
wandter Ort der Schweiz, ohne Stimme auf der Tagſatzung, der König
ſelbſt ein Schweizerbürger und als „lieber treuer Eidgenoſſe“ gleich allen
ſeinen Neuenburgern dem Schweizer Bunde perſönlich verpflichtet. In-
zwiſchen hatte die Revolution alle die anderen zugewandten Orte hinweg-
gefegt, die neue Schweiz beſtand nur noch aus gleichberechtigten Cantonen,
und als das Fürſtenthum im Mai 1815 in die Eidgenoſſenſchaft wieder
aufgenommen wurde, war der neue Canton die einzige Monarchie in einem
Bunde kleiner Republiken. Hardenberg fühlte, welche peinliche Rolle ein
königlicher Geſandter auf der Tagſatzung inmitten der republikaniſchen
Amtsgenoſſen ſpielen müßte. Um die Reibung zu mindern, bedang er ſich
daher aus, daß die Verpflichtungen des Fürſtenthums gegen die Schweiz
allein durch die Neuenburger Regierung, den Staatsrath, ohne Mitwirkung
des Königs erfüllt werden ſollten. Das wohlgemeinte Auskunftsmittel erwies
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/195>, abgerufen am 29.11.2024.
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