feurigen Liede, wie der Siegeswagen vom Brandenburger Thor durch Land und Volk dahinfuhr; er sah "das Scepter Karls des Großen in Friedrich Wilhelms Hand" und hörte den alten Blücher sprechen:
Es möge sterben Was nicht zu leben weiß. Und fragt ihr nach dem Erben? Das junge Preußen sei's!
Bei solcher Gesinnung vermochten die constitutionellen Kämpfe der klei- nen Staaten nur wenig Theilnahme zu erwecken, und die Süddeutschen klagten bitterlich über die politische Unreife der preußischen Nachbarn. Aller- dings nahm die Sorge um Haus und Wirthschaft in dem langsam wieder aufblühenden verarmten Lande noch immer die besten Kräfte der Männer in Anspruch, die praktischen Fragen der Steuervertheilung und der Orts- verwaltung standen diesem hart arbeitenden Geschlechte weit näher als der Gedanke an die verheißenen Reichsstände. Der eigentliche Grund der un- wandelbar ruhigen Haltung des Landes lag jedoch in der kräftigen Staats- gesinnung, welche dies Volk vor den anderen Deutschen voraus hatte. Zwei Jahre lang blieben die Preußen in der Erwartung eines Weltkrieges; sie wußten, daß sie fast allein diesen Kampf würden entscheiden müssen, denn auf die Kriegsmacht ihrer kleinen deutschen Bundesgenossen blickten sie mit wohlberechtigter Geringschätzung. Sie trugen ohne Murren die schwere Einquartierung und alle die anderen drückenden Lasten des bewaff- neten Friedens. Wie hätte ein kriegerisch erzogenes Volk den Gedanken fassen sollen, in so drangvoller Zeit, gleichsam im Angesichte des Feindes, die Krone mit Bitten zu bestürmen, welche doch nicht durch drängende Noth geboten waren?
Fast kindlich harmlos zeigte sich diese Königstreue auf dem West- phälischen Landtage. Dort war unter Stein's Leitung das ständische Leben immer rege geblieben, und im December 1830 beschloß der Landtag den König um die Berufung des Reichstages zu bitten, der "die verschiedenen Provinzen mit einem neuen geistigen Bande umschlingen", die erkaltete Theilnahme an den Landständen allenthalben beleben werde. Aber Stein selbst, der Landtagsmarschall, hegte jetzt Zweifel, ob der Antrag in solchen Tagen der Gährung und der Kriegsgefahr nicht unzart oder unzeitgemäß erscheinen werde; er übernahm es endlich den Gouverneur um seine Ver- mittlung zu bitten, und als Prinz Wilhelm, auf einen Wink aus Berlin, sich bedenklich äußerte, gaben die Stände gehorsam ihr Vorhaben auf. Stein erwähnte des Antrags im Landtagsberichte und erinnerte den König an "das schöne Lob seines Ahnherrn Wilhelm von Cleve: sein Wort das war sein Siegel;" doch auf die Vorstellungen des Oberpräsidenten Vincke strich er diese Sätze wieder, und des ganzen Vorfalls, der bei Hofe lebhafte Besorgnisse erregt hatte, ward amtlich mit keinem Worte mehr gedacht. In den übrigen Provinziallandtagen war von den verheißenen Reichs-
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
feurigen Liede, wie der Siegeswagen vom Brandenburger Thor durch Land und Volk dahinfuhr; er ſah „das Scepter Karls des Großen in Friedrich Wilhelms Hand“ und hörte den alten Blücher ſprechen:
Es möge ſterben Was nicht zu leben weiß. Und fragt ihr nach dem Erben? Das junge Preußen ſei’s!
Bei ſolcher Geſinnung vermochten die conſtitutionellen Kämpfe der klei- nen Staaten nur wenig Theilnahme zu erwecken, und die Süddeutſchen klagten bitterlich über die politiſche Unreife der preußiſchen Nachbarn. Aller- dings nahm die Sorge um Haus und Wirthſchaft in dem langſam wieder aufblühenden verarmten Lande noch immer die beſten Kräfte der Männer in Anſpruch, die praktiſchen Fragen der Steuervertheilung und der Orts- verwaltung ſtanden dieſem hart arbeitenden Geſchlechte weit näher als der Gedanke an die verheißenen Reichsſtände. Der eigentliche Grund der un- wandelbar ruhigen Haltung des Landes lag jedoch in der kräftigen Staats- geſinnung, welche dies Volk vor den anderen Deutſchen voraus hatte. Zwei Jahre lang blieben die Preußen in der Erwartung eines Weltkrieges; ſie wußten, daß ſie faſt allein dieſen Kampf würden entſcheiden müſſen, denn auf die Kriegsmacht ihrer kleinen deutſchen Bundesgenoſſen blickten ſie mit wohlberechtigter Geringſchätzung. Sie trugen ohne Murren die ſchwere Einquartierung und alle die anderen drückenden Laſten des bewaff- neten Friedens. Wie hätte ein kriegeriſch erzogenes Volk den Gedanken faſſen ſollen, in ſo drangvoller Zeit, gleichſam im Angeſichte des Feindes, die Krone mit Bitten zu beſtürmen, welche doch nicht durch drängende Noth geboten waren?
Faſt kindlich harmlos zeigte ſich dieſe Königstreue auf dem Weſt- phäliſchen Landtage. Dort war unter Stein’s Leitung das ſtändiſche Leben immer rege geblieben, und im December 1830 beſchloß der Landtag den König um die Berufung des Reichstages zu bitten, der „die verſchiedenen Provinzen mit einem neuen geiſtigen Bande umſchlingen“, die erkaltete Theilnahme an den Landſtänden allenthalben beleben werde. Aber Stein ſelbſt, der Landtagsmarſchall, hegte jetzt Zweifel, ob der Antrag in ſolchen Tagen der Gährung und der Kriegsgefahr nicht unzart oder unzeitgemäß erſcheinen werde; er übernahm es endlich den Gouverneur um ſeine Ver- mittlung zu bitten, und als Prinz Wilhelm, auf einen Wink aus Berlin, ſich bedenklich äußerte, gaben die Stände gehorſam ihr Vorhaben auf. Stein erwähnte des Antrags im Landtagsberichte und erinnerte den König an „das ſchöne Lob ſeines Ahnherrn Wilhelm von Cleve: ſein Wort das war ſein Siegel;“ doch auf die Vorſtellungen des Oberpräſidenten Vincke ſtrich er dieſe Sätze wieder, und des ganzen Vorfalls, der bei Hofe lebhafte Beſorgniſſe erregt hatte, ward amtlich mit keinem Worte mehr gedacht. In den übrigen Provinziallandtagen war von den verheißenen Reichs-
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feurigen Liede, wie der Siegeswagen vom Brandenburger Thor durch
Land und Volk dahinfuhr; er ſah „das Scepter Karls des Großen in
Friedrich Wilhelms Hand“ und hörte den alten Blücher ſprechen:
Es möge ſterben
Was nicht zu leben weiß.
Und fragt ihr nach dem Erben?
Das junge Preußen ſei’s!
Bei ſolcher Geſinnung vermochten die conſtitutionellen Kämpfe der klei-
nen Staaten nur wenig Theilnahme zu erwecken, und die Süddeutſchen
klagten bitterlich über die politiſche Unreife der preußiſchen Nachbarn. Aller-
dings nahm die Sorge um Haus und Wirthſchaft in dem langſam wieder
aufblühenden verarmten Lande noch immer die beſten Kräfte der Männer
in Anſpruch, die praktiſchen Fragen der Steuervertheilung und der Orts-
verwaltung ſtanden dieſem hart arbeitenden Geſchlechte weit näher als der
Gedanke an die verheißenen Reichsſtände. Der eigentliche Grund der un-
wandelbar ruhigen Haltung des Landes lag jedoch in der kräftigen Staats-
geſinnung, welche dies Volk vor den anderen Deutſchen voraus hatte.
Zwei Jahre lang blieben die Preußen in der Erwartung eines Weltkrieges;
ſie wußten, daß ſie faſt allein dieſen Kampf würden entſcheiden müſſen,
denn auf die Kriegsmacht ihrer kleinen deutſchen Bundesgenoſſen blickten
ſie mit wohlberechtigter Geringſchätzung. Sie trugen ohne Murren die
ſchwere Einquartierung und alle die anderen drückenden Laſten des bewaff-
neten Friedens. Wie hätte ein kriegeriſch erzogenes Volk den Gedanken
faſſen ſollen, in ſo drangvoller Zeit, gleichſam im Angeſichte des Feindes,
die Krone mit Bitten zu beſtürmen, welche doch nicht durch drängende
Noth geboten waren?
Faſt kindlich harmlos zeigte ſich dieſe Königstreue auf dem Weſt-
phäliſchen Landtage. Dort war unter Stein’s Leitung das ſtändiſche Leben
immer rege geblieben, und im December 1830 beſchloß der Landtag den
König um die Berufung des Reichstages zu bitten, der „die verſchiedenen
Provinzen mit einem neuen geiſtigen Bande umſchlingen“, die erkaltete
Theilnahme an den Landſtänden allenthalben beleben werde. Aber Stein
ſelbſt, der Landtagsmarſchall, hegte jetzt Zweifel, ob der Antrag in ſolchen
Tagen der Gährung und der Kriegsgefahr nicht unzart oder unzeitgemäß
erſcheinen werde; er übernahm es endlich den Gouverneur um ſeine Ver-
mittlung zu bitten, und als Prinz Wilhelm, auf einen Wink aus Berlin,
ſich bedenklich äußerte, gaben die Stände gehorſam ihr Vorhaben auf.
Stein erwähnte des Antrags im Landtagsberichte und erinnerte den König
an „das ſchöne Lob ſeines Ahnherrn Wilhelm von Cleve: ſein Wort das
war ſein Siegel;“ doch auf die Vorſtellungen des Oberpräſidenten Vincke
ſtrich er dieſe Sätze wieder, und des ganzen Vorfalls, der bei Hofe lebhafte
Beſorgniſſe erregt hatte, ward amtlich mit keinem Worte mehr gedacht.
In den übrigen Provinziallandtagen war von den verheißenen Reichs-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/200>, abgerufen am 29.11.2024.
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