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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.

Unterdessen ward auch der Nassauer Landtag von Stürmen heim-
gesucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer-
guts, der die ganze Verfassungsgeschichte dieses mißhandelten Landes
ausfüllte.*) Herzog Wilhelm nannte sich selbst einen von den Wiener
Grundsätzen durchtränkten Ultraroyalisten, er erklärte es für "eine leere
Floskel", daß die Gesetze regieren sollten, und hoffte auf die Zeit, da
man mit Hilfe des Bundes "ohne Widerstand und mit gutem Gewissen
die modernen Constitutionen Deutschlands aufheben" könne.**) Einer
solchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der sich im Januar
1831 versammelte, wenig ausrichten; er trat bescheiden auf, verwahrte
aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum
nach einigen Monaten vertagt. Selbst der preußische Geschäftsträger
Heinrich von Arnim, ein geistreicher Romantiker aus dem Kreise des
Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verstimmung des Volkes
wesentlich durch den falschen Stolz und den Eigennutz des Herzogs
sowie durch das Pascha-Regiment seines Ministers Marschall verschuldet
war.***)

Sobald die Stände im Herbst sich wieder versammelten, vermehrte
der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von sechs auf siebzehn,
um bei den gemeinsamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit
sicher zu sein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da
sie nicht einmal einen Rechenschaftsbericht über die Einnahmen des Kammer-
gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöst, und als der neugewählte
Landtag im April 1832 zusammentrat, wußte er sich gegen den bösen Willen
der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten
Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge-
treue Marschall's blieben auf ihren Plätzen, und diese Fünfmännerschaft
hatte den verzweifelten Muth, das von dem Minister vorgelegte Budget bis
auf wenige Abstriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden
und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrschte,
wie Arnim selbst gestand, "allgemeine Empörung". Ein so persönlicher
Streit zwischen der Habgier des Fürstenhauses und dem Rechtsbewußtsein
des Landes mußte selbst dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das
allmächtige Beamtenthum konnte sich der wohlberechtigten Aufregung des
Volkes nicht entziehen.+) Gehässige Untersuchungen, welche Marschall gegen
den wackeren Kammer-Präsidenten Herber und die anderen ausgetretenen
Abgeordneten einleiten ließ, gossen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be-
lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, schalt auf sein unge-

*) Vgl. II. 373.
**) Witzleben's Tagebuch, 12. September 1825. Arnim's Bericht, 18. Septem-
ber 1832.
***) Arnim's Berichte, 13. Mai 1831 ff.
+) Arnim's Berichte, 16. 17. Mai, 19. Juni, 2. Sept. 1832.
IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.

Unterdeſſen ward auch der Naſſauer Landtag von Stürmen heim-
geſucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer-
guts, der die ganze Verfaſſungsgeſchichte dieſes mißhandelten Landes
ausfüllte.*) Herzog Wilhelm nannte ſich ſelbſt einen von den Wiener
Grundſätzen durchtränkten Ultraroyaliſten, er erklärte es für „eine leere
Floskel“, daß die Geſetze regieren ſollten, und hoffte auf die Zeit, da
man mit Hilfe des Bundes „ohne Widerſtand und mit gutem Gewiſſen
die modernen Conſtitutionen Deutſchlands aufheben“ könne.**) Einer
ſolchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der ſich im Januar
1831 verſammelte, wenig ausrichten; er trat beſcheiden auf, verwahrte
aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum
nach einigen Monaten vertagt. Selbſt der preußiſche Geſchäftsträger
Heinrich von Arnim, ein geiſtreicher Romantiker aus dem Kreiſe des
Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verſtimmung des Volkes
weſentlich durch den falſchen Stolz und den Eigennutz des Herzogs
ſowie durch das Paſcha-Regiment ſeines Miniſters Marſchall verſchuldet
war.***)

Sobald die Stände im Herbſt ſich wieder verſammelten, vermehrte
der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von ſechs auf ſiebzehn,
um bei den gemeinſamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit
ſicher zu ſein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da
ſie nicht einmal einen Rechenſchaftsbericht über die Einnahmen des Kammer-
gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöſt, und als der neugewählte
Landtag im April 1832 zuſammentrat, wußte er ſich gegen den böſen Willen
der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten
Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge-
treue Marſchall’s blieben auf ihren Plätzen, und dieſe Fünfmännerſchaft
hatte den verzweifelten Muth, das von dem Miniſter vorgelegte Budget bis
auf wenige Abſtriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden
und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrſchte,
wie Arnim ſelbſt geſtand, „allgemeine Empörung“. Ein ſo perſönlicher
Streit zwiſchen der Habgier des Fürſtenhauſes und dem Rechtsbewußtſein
des Landes mußte ſelbſt dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das
allmächtige Beamtenthum konnte ſich der wohlberechtigten Aufregung des
Volkes nicht entziehen.†) Gehäſſige Unterſuchungen, welche Marſchall gegen
den wackeren Kammer-Präſidenten Herber und die anderen ausgetretenen
Abgeordneten einleiten ließ, goſſen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be-
lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, ſchalt auf ſein unge-

*) Vgl. II. 373.
**) Witzleben’s Tagebuch, 12. September 1825. Arnim’s Bericht, 18. Septem-
ber 1832.
***) Arnim’s Berichte, 13. Mai 1831 ff.
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[238/0252] IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland. Unterdeſſen ward auch der Naſſauer Landtag von Stürmen heim- geſucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigenthum des Kammer- guts, der die ganze Verfaſſungsgeſchichte dieſes mißhandelten Landes ausfüllte. *) Herzog Wilhelm nannte ſich ſelbſt einen von den Wiener Grundſätzen durchtränkten Ultraroyaliſten, er erklärte es für „eine leere Floskel“, daß die Geſetze regieren ſollten, und hoffte auf die Zeit, da man mit Hilfe des Bundes „ohne Widerſtand und mit gutem Gewiſſen die modernen Conſtitutionen Deutſchlands aufheben“ könne. **) Einer ſolchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der ſich im Januar 1831 verſammelte, wenig ausrichten; er trat beſcheiden auf, verwahrte aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum nach einigen Monaten vertagt. Selbſt der preußiſche Geſchäftsträger Heinrich von Arnim, ein geiſtreicher Romantiker aus dem Kreiſe des Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verſtimmung des Volkes weſentlich durch den falſchen Stolz und den Eigennutz des Herzogs ſowie durch das Paſcha-Regiment ſeines Miniſters Marſchall verſchuldet war. ***) Sobald die Stände im Herbſt ſich wieder verſammelten, vermehrte der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrencurie von ſechs auf ſiebzehn, um bei den gemeinſamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit ſicher zu ſein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da ſie nicht einmal einen Rechenſchaftsbericht über die Einnahmen des Kammer- gutes mitgetheilt erhielt. Sie wurde aufgelöſt, und als der neugewählte Landtag im April 1832 zuſammentrat, wußte er ſich gegen den böſen Willen der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge- treue Marſchall’s blieben auf ihren Plätzen, und dieſe Fünfmännerſchaft hatte den verzweifelten Muth, das von dem Miniſter vorgelegte Budget bis auf wenige Abſtriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrſchte, wie Arnim ſelbſt geſtand, „allgemeine Empörung“. Ein ſo perſönlicher Streit zwiſchen der Habgier des Fürſtenhauſes und dem Rechtsbewußtſein des Landes mußte ſelbſt dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das allmächtige Beamtenthum konnte ſich der wohlberechtigten Aufregung des Volkes nicht entziehen. †) Gehäſſige Unterſuchungen, welche Marſchall gegen den wackeren Kammer-Präſidenten Herber und die anderen ausgetretenen Abgeordneten einleiten ließ, goſſen nur Oel ins Feuer. Der Herzog be- lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrencurie, ſchalt auf ſein unge- *) Vgl. II. 373. **) Witzleben’s Tagebuch, 12. September 1825. Arnim’s Bericht, 18. Septem- ber 1832. ***) Arnim’s Berichte, 13. Mai 1831 ff. †) Arnim’s Berichte, 16. 17. Mai, 19. Juni, 2. Sept. 1832.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/252>, abgerufen am 24.11.2024.