treues Volk und drohte die Hilfe des Bundestags anzurufen. Da er indessen kein gutes Gewissen hatte, so wagte er die Drohung nicht aus- zuführen und rächte sich nur durch kleinliche polizeiliche Quälereien. Ein Verein in Wiesbaden, der den Armen bis zur nächsten Ernte billiges Brot verschaffen wollte, wurde kurzerhand verboten, weil ein Theil seiner Mit- glieder der liberalen Partei angehörte; und Arnim schrieb traurig: "Mit welchen Gefühlen gegen seine Regierung, deren Motive er nicht durch- schauen kann, soll jetzt der arme Tagelöhner sein ihm absichtlich ver- theuertes Kummerbrot verzehren!" So flammte hier, dicht vor den Thoren des Bundestages, ein gefährliches Feuer auf. --
Württemberg blieb von parlamentarischen Kämpfen vorerst noch ver- schont, obwohl der scharfe Luftzug der neuen Zeit auch hier bald empfunden wurde. Der Landtag war erst im Frühjahr 1830 auseinandergegangen und brauchte, nach der Verfassung, erst in drei Jahren wieder einberufen zu werden. König Wilhelm, der sich jetzt für immer einer streng conservativen Richtung zugewendet hatte, trug auch kein Verlangen diese Frist zu verkürzen. Nachdrücklich sprach er aus, daß er die Zeit der allgemeinen Erregung erst vorübergehen lassen wolle, da das Budget genehmigt, der Staatshaushalt unter der umsichtigen Leitung des Freiherrn v. Varn- büler in guter Ordnung war und auch sonst kein Anlaß zu eiligen Ar- beiten der Gesetzgebung vorlag. Für den Fall eines plötzlichen Angriffs der Franzosen hatte er schon beschlossen, die zu öffentlichen Bauten be- willigten Gelder zu benutzen.*) So ließ er denn die Verwaltung ruhig die laufenden Geschäfte erledigen und erfreute sein Land nur einmal durch eine wohlthätige Neuerung. Im April 1831 wurde jene unselige Verordnung vom Jahre 1829, welche der Landesuniversität ihre alte Freiheit genommen hatte, aufgehoben: Tübingen erhielt wieder das Recht, seinen Rector und seine Decane zu wählen, eine verständige neue Ver- fassung stellte die Universität den anderen deutschen Hochschulen gleich. Durch den heftigen Federkrieg der beleidigten deutschen Professorenwelt und die Vorstellungen seines Landtags war der König des begangenen Irrthums inne geworden, und er stand nicht an, den Mißgriff zurück- zunehmen.**)
Mit solchen Zugeständnissen ward die Gährung keineswegs beschwich- tigt. Ueberall im Lande erklang der Ruf nach schleuniger Einberufung der Stände. Einen bestimmten Zweck verfolgten die Unzufriedenen freilich nicht; sie wünschten nur daß die übervollen Herzen sich irgendwie aussprechen sollten. Der Wahlkampf, sonst so harmlos, ward diesmal sehr heftig; ein Netz von liberalen Wahlvereinen überspannte das Land. Wie Pilze schossen die Zeitungen aus der Erde; in Stuttgart allein erschienen ihrer
*) Salviati's Berichte, 5. April, 29. September 1831, 5. Mai 1832.
**) Vgl. III. 351.
Naſſau. Gährung in Württemberg.
treues Volk und drohte die Hilfe des Bundestags anzurufen. Da er indeſſen kein gutes Gewiſſen hatte, ſo wagte er die Drohung nicht aus- zuführen und rächte ſich nur durch kleinliche polizeiliche Quälereien. Ein Verein in Wiesbaden, der den Armen bis zur nächſten Ernte billiges Brot verſchaffen wollte, wurde kurzerhand verboten, weil ein Theil ſeiner Mit- glieder der liberalen Partei angehörte; und Arnim ſchrieb traurig: „Mit welchen Gefühlen gegen ſeine Regierung, deren Motive er nicht durch- ſchauen kann, ſoll jetzt der arme Tagelöhner ſein ihm abſichtlich ver- theuertes Kummerbrot verzehren!“ So flammte hier, dicht vor den Thoren des Bundestages, ein gefährliches Feuer auf. —
Württemberg blieb von parlamentariſchen Kämpfen vorerſt noch ver- ſchont, obwohl der ſcharfe Luftzug der neuen Zeit auch hier bald empfunden wurde. Der Landtag war erſt im Frühjahr 1830 auseinandergegangen und brauchte, nach der Verfaſſung, erſt in drei Jahren wieder einberufen zu werden. König Wilhelm, der ſich jetzt für immer einer ſtreng conſervativen Richtung zugewendet hatte, trug auch kein Verlangen dieſe Friſt zu verkürzen. Nachdrücklich ſprach er aus, daß er die Zeit der allgemeinen Erregung erſt vorübergehen laſſen wolle, da das Budget genehmigt, der Staatshaushalt unter der umſichtigen Leitung des Freiherrn v. Varn- büler in guter Ordnung war und auch ſonſt kein Anlaß zu eiligen Ar- beiten der Geſetzgebung vorlag. Für den Fall eines plötzlichen Angriffs der Franzoſen hatte er ſchon beſchloſſen, die zu öffentlichen Bauten be- willigten Gelder zu benutzen.*) So ließ er denn die Verwaltung ruhig die laufenden Geſchäfte erledigen und erfreute ſein Land nur einmal durch eine wohlthätige Neuerung. Im April 1831 wurde jene unſelige Verordnung vom Jahre 1829, welche der Landesuniverſität ihre alte Freiheit genommen hatte, aufgehoben: Tübingen erhielt wieder das Recht, ſeinen Rector und ſeine Decane zu wählen, eine verſtändige neue Ver- faſſung ſtellte die Univerſität den anderen deutſchen Hochſchulen gleich. Durch den heftigen Federkrieg der beleidigten deutſchen Profeſſorenwelt und die Vorſtellungen ſeines Landtags war der König des begangenen Irrthums inne geworden, und er ſtand nicht an, den Mißgriff zurück- zunehmen.**)
Mit ſolchen Zugeſtändniſſen ward die Gährung keineswegs beſchwich- tigt. Ueberall im Lande erklang der Ruf nach ſchleuniger Einberufung der Stände. Einen beſtimmten Zweck verfolgten die Unzufriedenen freilich nicht; ſie wünſchten nur daß die übervollen Herzen ſich irgendwie ausſprechen ſollten. Der Wahlkampf, ſonſt ſo harmlos, ward diesmal ſehr heftig; ein Netz von liberalen Wahlvereinen überſpannte das Land. Wie Pilze ſchoſſen die Zeitungen aus der Erde; in Stuttgart allein erſchienen ihrer
*) Salviati’s Berichte, 5. April, 29. September 1831, 5. Mai 1832.
**) Vgl. III. 351.
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Naſſau. Gährung in Württemberg.
treues Volk und drohte die Hilfe des Bundestags anzurufen. Da er
indeſſen kein gutes Gewiſſen hatte, ſo wagte er die Drohung nicht aus-
zuführen und rächte ſich nur durch kleinliche polizeiliche Quälereien. Ein
Verein in Wiesbaden, der den Armen bis zur nächſten Ernte billiges Brot
verſchaffen wollte, wurde kurzerhand verboten, weil ein Theil ſeiner Mit-
glieder der liberalen Partei angehörte; und Arnim ſchrieb traurig: „Mit
welchen Gefühlen gegen ſeine Regierung, deren Motive er nicht durch-
ſchauen kann, ſoll jetzt der arme Tagelöhner ſein ihm abſichtlich ver-
theuertes Kummerbrot verzehren!“ So flammte hier, dicht vor den Thoren
des Bundestages, ein gefährliches Feuer auf. —
Württemberg blieb von parlamentariſchen Kämpfen vorerſt noch ver-
ſchont, obwohl der ſcharfe Luftzug der neuen Zeit auch hier bald empfunden
wurde. Der Landtag war erſt im Frühjahr 1830 auseinandergegangen und
brauchte, nach der Verfaſſung, erſt in drei Jahren wieder einberufen zu
werden. König Wilhelm, der ſich jetzt für immer einer ſtreng conſervativen
Richtung zugewendet hatte, trug auch kein Verlangen dieſe Friſt zu
verkürzen. Nachdrücklich ſprach er aus, daß er die Zeit der allgemeinen
Erregung erſt vorübergehen laſſen wolle, da das Budget genehmigt, der
Staatshaushalt unter der umſichtigen Leitung des Freiherrn v. Varn-
büler in guter Ordnung war und auch ſonſt kein Anlaß zu eiligen Ar-
beiten der Geſetzgebung vorlag. Für den Fall eines plötzlichen Angriffs
der Franzoſen hatte er ſchon beſchloſſen, die zu öffentlichen Bauten be-
willigten Gelder zu benutzen. *) So ließ er denn die Verwaltung ruhig
die laufenden Geſchäfte erledigen und erfreute ſein Land nur einmal
durch eine wohlthätige Neuerung. Im April 1831 wurde jene unſelige
Verordnung vom Jahre 1829, welche der Landesuniverſität ihre alte
Freiheit genommen hatte, aufgehoben: Tübingen erhielt wieder das Recht,
ſeinen Rector und ſeine Decane zu wählen, eine verſtändige neue Ver-
faſſung ſtellte die Univerſität den anderen deutſchen Hochſchulen gleich.
Durch den heftigen Federkrieg der beleidigten deutſchen Profeſſorenwelt
und die Vorſtellungen ſeines Landtags war der König des begangenen
Irrthums inne geworden, und er ſtand nicht an, den Mißgriff zurück-
zunehmen. **)
Mit ſolchen Zugeſtändniſſen ward die Gährung keineswegs beſchwich-
tigt. Ueberall im Lande erklang der Ruf nach ſchleuniger Einberufung der
Stände. Einen beſtimmten Zweck verfolgten die Unzufriedenen freilich nicht;
ſie wünſchten nur daß die übervollen Herzen ſich irgendwie ausſprechen
ſollten. Der Wahlkampf, ſonſt ſo harmlos, ward diesmal ſehr heftig;
ein Netz von liberalen Wahlvereinen überſpannte das Land. Wie Pilze
ſchoſſen die Zeitungen aus der Erde; in Stuttgart allein erſchienen ihrer
*) Salviati’s Berichte, 5. April, 29. September 1831, 5. Mai 1832.
**) Vgl. III. 351.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/253>, abgerufen am 24.11.2024.
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