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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Verkauf von Lichtenberg.
und während der nächsten zwei Jahre wagte nur noch ein einziges Blatt,
Mathy's "Zeitgeist", die Gedanken des Liberalismus unerschrocken zu ver-
theidigen. Die erste Nummer erschien wenige Wochen bevor die junge
badische Preßfreiheit wieder beseitigt wurde, und alltäglich mußte Mathy
nunmehr den kleinen Krieg führen wider die kindische Aengstlichkeit einer
willkürlichen Censur. Ihm war nie wohler als wenn er allein auf der
Bresche stand und Andere verzagten. Da er selbst das gesetzlich vorge-
schriebene Alter noch nicht erreicht hatte, so unterzeichnete sein Ausläufer
Erasmus Bartlin als Herausgeber, und es war ein Genuß, den biederen
Bartlin zu sehen, wenn er Abends den "Zeitgeist" selber zum Censor
trug und stolz sagte: hier bringe ich mein Blatt. Obwohl nicht ganz frei
von den fanatischen Uebertreibungen und den tönenden Schlagworten des
jungen Liberalismus bewies die Zeitung doch durch ihren gesunden Ge-
schäftsverstand, durch ihre knappe, gedrungene, immer sachlich belehrende
Sprache, daß die Opposition schon einzelne regierungsfähige Talente be-
saß. Die volkswirthschaftliche Ueberlegenheit des Nordens gestand Mathy
unbefangen zu, und in der preußischen Handelspolitik erkannte er bald
den ersten Keim der wirksamen deutschen Einheit. Sein nächstes Ziel
blieb natürlich die Preßfreiheit, oder, wie er bitter sagte "die Herstellung
des natürlichen und durch das Grundgesetz verheißenen Rechtes des freien
Menschen, sich von dem Thiere und dem Sklaven unterscheiden zu dürfen,
indem er auf eigene Gefahr und Verantwortung hin seine Gedanken
ausspricht."

Den Badenern raubte die hereinbrechende Reaction die freie Presse,
dem unzufriedenen Völkchen des Fürstenthums Lichtenberg brachte sie ein
unerwartetes Glück: die Einverleibung in den preußischen Staat. Da die
Unruhen in St. Wendel gar kein Ende nahmen, so mußte der Herzog
von Coburg nochmals um Preußens Hilfe bitten, und abermals stellten
preußische Truppen ohne Kampf die Ordnung her. Wie viele Mühe hatten
die Coburger einst zur Zeit der Wiener Verträge aufgewendet, um durch
die Gunst der großen Mächte eine Gebietsvergrößerung, die ihnen von
Rechtswegen durchaus nicht gebührte, zu erlangen, und wie hart war ihre
Ländergier bestraft worden. Jetzt sah Herzog Ernst endlich ein, daß er sich
dieses entlegenen Besitzthums entledigen mußte. Er gestand dem Könige
von Preußen (18. Juni 1832), aus eigener Kraft könne er weder die
Ruhestörungen noch den Schmuggel verhindern, und erbot sich daher das
Fürstenthum an Preußen abzutreten. Gewitzigt durch frühere Erfahrungen
wagte er aber dem Könige nicht wieder einen Ländertausch zuzumuthen,*)
sondern verlangte eine Entschädigung durch preußische Domänen. Weil er
des Erfolges sicher zu sein wähnte, so besichtigte er bereits einige Staatsgüter
in der Goldenen Aue, die er zu einer stattlichen Standesherrschaft abzu-

*) Vgl. II. 480.

Verkauf von Lichtenberg.
und während der nächſten zwei Jahre wagte nur noch ein einziges Blatt,
Mathy’s „Zeitgeiſt“, die Gedanken des Liberalismus unerſchrocken zu ver-
theidigen. Die erſte Nummer erſchien wenige Wochen bevor die junge
badiſche Preßfreiheit wieder beſeitigt wurde, und alltäglich mußte Mathy
nunmehr den kleinen Krieg führen wider die kindiſche Aengſtlichkeit einer
willkürlichen Cenſur. Ihm war nie wohler als wenn er allein auf der
Breſche ſtand und Andere verzagten. Da er ſelbſt das geſetzlich vorge-
ſchriebene Alter noch nicht erreicht hatte, ſo unterzeichnete ſein Ausläufer
Erasmus Bartlin als Herausgeber, und es war ein Genuß, den biederen
Bartlin zu ſehen, wenn er Abends den „Zeitgeiſt“ ſelber zum Cenſor
trug und ſtolz ſagte: hier bringe ich mein Blatt. Obwohl nicht ganz frei
von den fanatiſchen Uebertreibungen und den tönenden Schlagworten des
jungen Liberalismus bewies die Zeitung doch durch ihren geſunden Ge-
ſchäftsverſtand, durch ihre knappe, gedrungene, immer ſachlich belehrende
Sprache, daß die Oppoſition ſchon einzelne regierungsfähige Talente be-
ſaß. Die volkswirthſchaftliche Ueberlegenheit des Nordens geſtand Mathy
unbefangen zu, und in der preußiſchen Handelspolitik erkannte er bald
den erſten Keim der wirkſamen deutſchen Einheit. Sein nächſtes Ziel
blieb natürlich die Preßfreiheit, oder, wie er bitter ſagte „die Herſtellung
des natürlichen und durch das Grundgeſetz verheißenen Rechtes des freien
Menſchen, ſich von dem Thiere und dem Sklaven unterſcheiden zu dürfen,
indem er auf eigene Gefahr und Verantwortung hin ſeine Gedanken
ausſpricht.“

Den Badenern raubte die hereinbrechende Reaction die freie Preſſe,
dem unzufriedenen Völkchen des Fürſtenthums Lichtenberg brachte ſie ein
unerwartetes Glück: die Einverleibung in den preußiſchen Staat. Da die
Unruhen in St. Wendel gar kein Ende nahmen, ſo mußte der Herzog
von Coburg nochmals um Preußens Hilfe bitten, und abermals ſtellten
preußiſche Truppen ohne Kampf die Ordnung her. Wie viele Mühe hatten
die Coburger einſt zur Zeit der Wiener Verträge aufgewendet, um durch
die Gunſt der großen Mächte eine Gebietsvergrößerung, die ihnen von
Rechtswegen durchaus nicht gebührte, zu erlangen, und wie hart war ihre
Ländergier beſtraft worden. Jetzt ſah Herzog Ernſt endlich ein, daß er ſich
dieſes entlegenen Beſitzthums entledigen mußte. Er geſtand dem Könige
von Preußen (18. Juni 1832), aus eigener Kraft könne er weder die
Ruheſtörungen noch den Schmuggel verhindern, und erbot ſich daher das
Fürſtenthum an Preußen abzutreten. Gewitzigt durch frühere Erfahrungen
wagte er aber dem Könige nicht wieder einen Ländertauſch zuzumuthen,*)
ſondern verlangte eine Entſchädigung durch preußiſche Domänen. Weil er
des Erfolges ſicher zu ſein wähnte, ſo beſichtigte er bereits einige Staatsgüter
in der Goldenen Aue, die er zu einer ſtattlichen Standesherrſchaft abzu-

*) Vgl. II. 480.
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[283/0297] Verkauf von Lichtenberg. und während der nächſten zwei Jahre wagte nur noch ein einziges Blatt, Mathy’s „Zeitgeiſt“, die Gedanken des Liberalismus unerſchrocken zu ver- theidigen. Die erſte Nummer erſchien wenige Wochen bevor die junge badiſche Preßfreiheit wieder beſeitigt wurde, und alltäglich mußte Mathy nunmehr den kleinen Krieg führen wider die kindiſche Aengſtlichkeit einer willkürlichen Cenſur. Ihm war nie wohler als wenn er allein auf der Breſche ſtand und Andere verzagten. Da er ſelbſt das geſetzlich vorge- ſchriebene Alter noch nicht erreicht hatte, ſo unterzeichnete ſein Ausläufer Erasmus Bartlin als Herausgeber, und es war ein Genuß, den biederen Bartlin zu ſehen, wenn er Abends den „Zeitgeiſt“ ſelber zum Cenſor trug und ſtolz ſagte: hier bringe ich mein Blatt. Obwohl nicht ganz frei von den fanatiſchen Uebertreibungen und den tönenden Schlagworten des jungen Liberalismus bewies die Zeitung doch durch ihren geſunden Ge- ſchäftsverſtand, durch ihre knappe, gedrungene, immer ſachlich belehrende Sprache, daß die Oppoſition ſchon einzelne regierungsfähige Talente be- ſaß. Die volkswirthſchaftliche Ueberlegenheit des Nordens geſtand Mathy unbefangen zu, und in der preußiſchen Handelspolitik erkannte er bald den erſten Keim der wirkſamen deutſchen Einheit. Sein nächſtes Ziel blieb natürlich die Preßfreiheit, oder, wie er bitter ſagte „die Herſtellung des natürlichen und durch das Grundgeſetz verheißenen Rechtes des freien Menſchen, ſich von dem Thiere und dem Sklaven unterſcheiden zu dürfen, indem er auf eigene Gefahr und Verantwortung hin ſeine Gedanken ausſpricht.“ Den Badenern raubte die hereinbrechende Reaction die freie Preſſe, dem unzufriedenen Völkchen des Fürſtenthums Lichtenberg brachte ſie ein unerwartetes Glück: die Einverleibung in den preußiſchen Staat. Da die Unruhen in St. Wendel gar kein Ende nahmen, ſo mußte der Herzog von Coburg nochmals um Preußens Hilfe bitten, und abermals ſtellten preußiſche Truppen ohne Kampf die Ordnung her. Wie viele Mühe hatten die Coburger einſt zur Zeit der Wiener Verträge aufgewendet, um durch die Gunſt der großen Mächte eine Gebietsvergrößerung, die ihnen von Rechtswegen durchaus nicht gebührte, zu erlangen, und wie hart war ihre Ländergier beſtraft worden. Jetzt ſah Herzog Ernſt endlich ein, daß er ſich dieſes entlegenen Beſitzthums entledigen mußte. Er geſtand dem Könige von Preußen (18. Juni 1832), aus eigener Kraft könne er weder die Ruheſtörungen noch den Schmuggel verhindern, und erbot ſich daher das Fürſtenthum an Preußen abzutreten. Gewitzigt durch frühere Erfahrungen wagte er aber dem Könige nicht wieder einen Ländertauſch zuzumuthen, *) ſondern verlangte eine Entſchädigung durch preußiſche Domänen. Weil er des Erfolges ſicher zu ſein wähnte, ſo beſichtigte er bereits einige Staatsgüter in der Goldenen Aue, die er zu einer ſtattlichen Standesherrſchaft abzu- *) Vgl. II. 480.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/297>, abgerufen am 24.11.2024.