Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. runden hoffte. Da schlugen die Pächter und Bauern Lärm, denn derCoburger stand keineswegs in dem Rufe eines milden Grundherrn, und der Merseburger Regierungspräsident v. Rochow erklärte dem Könige frei- müthig: die Abtretung von Domänen werde im Lande allgemeine Unzu- friedenheit erregen. Gleich ihm dachten die Räthe des Finanzministeriums; sie fanden es gar zu großmüthig, daß man mehrere der schönsten Land- güter der Provinz Sachsen dahingeben sollte für "die Lappländer am Hunsrück", wie L. Kühne die armen Lichtenberger nannte; zudem dienten die Domänen als Unterpfand für die Staatsschuld, der Staatshaushalts- plan war auf ihren wachsenden Ertrag berechnet. Auch der Kronprinz schloß sich den Widersprechenden an; von Domänenverkäufen wollte er grundsätzlich nichts hören, da nach der Haller'schen Staatslehre die mon- archische Gewalt auf dem Besitze eines reichen Kammergutes ruhen sollte. Nach langwierigen Verhandlungen erwiderte der König endlich, daß er nur eine sehr hoch bemessene Geldentschädigung leisten könne. Herzog Ernst stimmte zu; nur wünschte er das Geschäft verdeckt zu halten, damit man ihm nicht nachsage, daß er seine Unterthanen für Geld verkaufe.*) Darum erhielt der am 31. Mai 1834 abgeschlossene und im nächsten *) Herzog Ernst an K. Friedrich Wilhelm, 18. Juni 1832. Denkschriften von Präsident v. Rochow, 12. September 1833, von Stägemann, 29. Juni 1834. König Friedrich Wilhelm an Herzog Ernst, 5. März; Antwort 14. April 1834. **) Finanz-Minister Graf Alvensleben an General Thile, 19. Jan. 1841. Denk-
schrift des Finanzministeriums über die coburgische Entschädigung, Juni 1843. Die Erzählung des Herzogs Ernst II. (Aus meinem Leben I. 100) wirft Wahres und Falsches durch einander. IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. runden hoffte. Da ſchlugen die Pächter und Bauern Lärm, denn derCoburger ſtand keineswegs in dem Rufe eines milden Grundherrn, und der Merſeburger Regierungspräſident v. Rochow erklärte dem Könige frei- müthig: die Abtretung von Domänen werde im Lande allgemeine Unzu- friedenheit erregen. Gleich ihm dachten die Räthe des Finanzminiſteriums; ſie fanden es gar zu großmüthig, daß man mehrere der ſchönſten Land- güter der Provinz Sachſen dahingeben ſollte für „die Lappländer am Hunsrück“, wie L. Kühne die armen Lichtenberger nannte; zudem dienten die Domänen als Unterpfand für die Staatsſchuld, der Staatshaushalts- plan war auf ihren wachſenden Ertrag berechnet. Auch der Kronprinz ſchloß ſich den Widerſprechenden an; von Domänenverkäufen wollte er grundſätzlich nichts hören, da nach der Haller’ſchen Staatslehre die mon- archiſche Gewalt auf dem Beſitze eines reichen Kammergutes ruhen ſollte. Nach langwierigen Verhandlungen erwiderte der König endlich, daß er nur eine ſehr hoch bemeſſene Geldentſchädigung leiſten könne. Herzog Ernſt ſtimmte zu; nur wünſchte er das Geſchäft verdeckt zu halten, damit man ihm nicht nachſage, daß er ſeine Unterthanen für Geld verkaufe.*) Darum erhielt der am 31. Mai 1834 abgeſchloſſene und im nächſten *) Herzog Ernſt an K. Friedrich Wilhelm, 18. Juni 1832. Denkſchriften von Präſident v. Rochow, 12. September 1833, von Stägemann, 29. Juni 1834. König Friedrich Wilhelm an Herzog Ernſt, 5. März; Antwort 14. April 1834. **) Finanz-Miniſter Graf Alvensleben an General Thile, 19. Jan. 1841. Denk-
ſchrift des Finanzminiſteriums über die coburgiſche Entſchädigung, Juni 1843. Die Erzählung des Herzogs Ernſt II. (Aus meinem Leben I. 100) wirft Wahres und Falſches durch einander. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0298" n="284"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.</fw><lb/> runden hoffte. Da ſchlugen die Pächter und Bauern Lärm, denn der<lb/> Coburger ſtand keineswegs in dem Rufe eines milden Grundherrn, und<lb/> der Merſeburger Regierungspräſident v. Rochow erklärte dem Könige frei-<lb/> müthig: die Abtretung von Domänen werde im Lande allgemeine Unzu-<lb/> friedenheit erregen. Gleich ihm dachten die Räthe des Finanzminiſteriums;<lb/> ſie fanden es gar zu großmüthig, daß man mehrere der ſchönſten Land-<lb/> güter der Provinz Sachſen dahingeben ſollte für „die Lappländer am<lb/> Hunsrück“, wie L. Kühne die armen Lichtenberger nannte; zudem dienten<lb/> die Domänen als Unterpfand für die Staatsſchuld, der Staatshaushalts-<lb/> plan war auf ihren wachſenden Ertrag berechnet. Auch der Kronprinz<lb/> ſchloß ſich den Widerſprechenden an; von Domänenverkäufen wollte er<lb/> grundſätzlich nichts hören, da nach der Haller’ſchen Staatslehre die mon-<lb/> archiſche Gewalt auf dem Beſitze eines reichen Kammergutes ruhen ſollte.<lb/> Nach langwierigen Verhandlungen erwiderte der König endlich, daß er nur<lb/> eine ſehr hoch bemeſſene Geldentſchädigung leiſten könne. Herzog Ernſt<lb/> ſtimmte zu; nur wünſchte er das Geſchäft verdeckt zu halten, damit man<lb/> ihm nicht nachſage, daß er ſeine Unterthanen für Geld verkaufe.<note place="foot" n="*)">Herzog Ernſt an K. Friedrich Wilhelm, 18. Juni 1832. Denkſchriften von<lb/> Präſident v. Rochow, 12. September 1833, von Stägemann, 29. Juni 1834. König<lb/> Friedrich Wilhelm an Herzog Ernſt, 5. März; Antwort 14. April 1834.</note></p><lb/> <p>Darum erhielt der am 31. Mai 1834 abgeſchloſſene und im nächſten<lb/> Monate von beiden Theilen genehmigte Abtretungsvertrag eine vieldeutige<lb/> Faſſung. Dem Herzog ward eine Entſchädigung zugeſagt, welche ihm nicht<lb/> nur eine Rente von 80000 Thalern gewähren, ſondern ihn „zugleich in<lb/> den Stand ſetzen ſollte, theils durch Uebernahme preußiſcher Domänen<lb/> theils durch Ankauf anderer Güter ein Grundeigenthum zu erwerben“.<lb/> Auf Grund dieſer ſehr unbeſtimmten Zuſage bemühte ſich der Herzog<lb/> nunmehr jahrelang um den Ankauf ſchleſiſcher oder poſenſcher Domänen;<lb/> doch immer wieder trat ihm das preußiſche <choice><sic>Finanzmiſterium</sic><corr>Finanzminiſterium</corr></choice> entgegen.<lb/> Mit dem Tode Friedrich Wilhelm’s <hi rendition="#aq">III.</hi> verſchwand die letzte Ausſicht, da<lb/> ſein Nachfolger den ganzen Handel mißbilligte, und erſt im Jahre 1843<lb/> beruhigte ſich Coburg, nach vollſtändiger Auszahlung des ausbedungenen<lb/> Kaufpreiſes. Kaufmänniſch betrachtet, war das Geſchäft für die welt-<lb/> erfahrenen Verwandten Leopold’s von Belgien recht erfreulich ausgefallen:<lb/> ſie erhielten 2,1 Mill. Thlr. in Staatsſchuldſcheinen für ein Land, deſſen<lb/> bisherigen Ertrag die preußiſchen Finanzbeamten auf 45000 Thlr., einige<lb/> gar nur auf 30000 Thlr. ſchätzten.<note place="foot" n="**)">Finanz-Miniſter Graf Alvensleben an General Thile, 19. Jan. 1841. Denk-<lb/> ſchrift des Finanzminiſteriums über die coburgiſche Entſchädigung, Juni 1843. Die<lb/> Erzählung des Herzogs Ernſt <hi rendition="#aq">II.</hi> (Aus meinem Leben <hi rendition="#aq">I.</hi> 100) wirft Wahres und Falſches<lb/> durch einander.</note> Alſo verſchwand das Fürſtenthum<lb/> Lichtenberg, deſſen nationales Selbſtbeſtimmungsrecht den Polen, Franzoſen<lb/> und Süddeutſchen ſo viel Sorgen bereitet hatte, als Kreis St. Wendel in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [284/0298]
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
runden hoffte. Da ſchlugen die Pächter und Bauern Lärm, denn der
Coburger ſtand keineswegs in dem Rufe eines milden Grundherrn, und
der Merſeburger Regierungspräſident v. Rochow erklärte dem Könige frei-
müthig: die Abtretung von Domänen werde im Lande allgemeine Unzu-
friedenheit erregen. Gleich ihm dachten die Räthe des Finanzminiſteriums;
ſie fanden es gar zu großmüthig, daß man mehrere der ſchönſten Land-
güter der Provinz Sachſen dahingeben ſollte für „die Lappländer am
Hunsrück“, wie L. Kühne die armen Lichtenberger nannte; zudem dienten
die Domänen als Unterpfand für die Staatsſchuld, der Staatshaushalts-
plan war auf ihren wachſenden Ertrag berechnet. Auch der Kronprinz
ſchloß ſich den Widerſprechenden an; von Domänenverkäufen wollte er
grundſätzlich nichts hören, da nach der Haller’ſchen Staatslehre die mon-
archiſche Gewalt auf dem Beſitze eines reichen Kammergutes ruhen ſollte.
Nach langwierigen Verhandlungen erwiderte der König endlich, daß er nur
eine ſehr hoch bemeſſene Geldentſchädigung leiſten könne. Herzog Ernſt
ſtimmte zu; nur wünſchte er das Geſchäft verdeckt zu halten, damit man
ihm nicht nachſage, daß er ſeine Unterthanen für Geld verkaufe. *)
Darum erhielt der am 31. Mai 1834 abgeſchloſſene und im nächſten
Monate von beiden Theilen genehmigte Abtretungsvertrag eine vieldeutige
Faſſung. Dem Herzog ward eine Entſchädigung zugeſagt, welche ihm nicht
nur eine Rente von 80000 Thalern gewähren, ſondern ihn „zugleich in
den Stand ſetzen ſollte, theils durch Uebernahme preußiſcher Domänen
theils durch Ankauf anderer Güter ein Grundeigenthum zu erwerben“.
Auf Grund dieſer ſehr unbeſtimmten Zuſage bemühte ſich der Herzog
nunmehr jahrelang um den Ankauf ſchleſiſcher oder poſenſcher Domänen;
doch immer wieder trat ihm das preußiſche Finanzminiſterium entgegen.
Mit dem Tode Friedrich Wilhelm’s III. verſchwand die letzte Ausſicht, da
ſein Nachfolger den ganzen Handel mißbilligte, und erſt im Jahre 1843
beruhigte ſich Coburg, nach vollſtändiger Auszahlung des ausbedungenen
Kaufpreiſes. Kaufmänniſch betrachtet, war das Geſchäft für die welt-
erfahrenen Verwandten Leopold’s von Belgien recht erfreulich ausgefallen:
ſie erhielten 2,1 Mill. Thlr. in Staatsſchuldſcheinen für ein Land, deſſen
bisherigen Ertrag die preußiſchen Finanzbeamten auf 45000 Thlr., einige
gar nur auf 30000 Thlr. ſchätzten. **) Alſo verſchwand das Fürſtenthum
Lichtenberg, deſſen nationales Selbſtbeſtimmungsrecht den Polen, Franzoſen
und Süddeutſchen ſo viel Sorgen bereitet hatte, als Kreis St. Wendel in
*) Herzog Ernſt an K. Friedrich Wilhelm, 18. Juni 1832. Denkſchriften von
Präſident v. Rochow, 12. September 1833, von Stägemann, 29. Juni 1834. König
Friedrich Wilhelm an Herzog Ernſt, 5. März; Antwort 14. April 1834.
**) Finanz-Miniſter Graf Alvensleben an General Thile, 19. Jan. 1841. Denk-
ſchrift des Finanzminiſteriums über die coburgiſche Entſchädigung, Juni 1843. Die
Erzählung des Herzogs Ernſt II. (Aus meinem Leben I. 100) wirft Wahres und Falſches
durch einander.
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