Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des souveränen Volks hättenden König frei gewählt obgleich er ein Bourbone sei; und in der That hatte er die Volkssouveränität anerkannt und feierlich ausgesprochen, daß er einen Vertrag, un pacte d'alliance mit der Nation geschlossen habe. Die neu- gestaltete Verfassung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur einer friedlich auf seinem Throne gestorben war, hatte diese Vorschrift blos noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte ausdrücklich "dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und aller französischen Bürger anvertraut" -- das will sagen: dieser König war verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das souveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er besaß die höchste Gewalt nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchischen Prunkes der ihn umgab; darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beste der Republiken. In so schiefer Stellung konnte selbst ein Fürst von schlichtem Grad- *) An diesen Vorfall, dessen auch Du Casse (Memoires du prince Eugene, X, 285)
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des ſouveränen Volks hättenden König frei gewählt obgleich er ein Bourbone ſei; und in der That hatte er die Volksſouveränität anerkannt und feierlich ausgeſprochen, daß er einen Vertrag, un pacte d’alliance mit der Nation geſchloſſen habe. Die neu- geſtaltete Verfaſſung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur einer friedlich auf ſeinem Throne geſtorben war, hatte dieſe Vorſchrift blos noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte ausdrücklich „dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und aller franzöſiſchen Bürger anvertraut“ — das will ſagen: dieſer König war verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das ſouveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er beſaß die höchſte Gewalt nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchiſchen Prunkes der ihn umgab; darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beſte der Republiken. In ſo ſchiefer Stellung konnte ſelbſt ein Fürſt von ſchlichtem Grad- *) An dieſen Vorfall, deſſen auch Du Caſſe (Mémoires du prince Eugène, X, 285)
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.</fw><lb/> näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des ſouveränen Volks hätten<lb/> den König frei gewählt obgleich er ein Bourbone ſei; und in der That hatte<lb/> er die Volksſouveränität anerkannt und feierlich ausgeſprochen, daß er einen<lb/> Vertrag, <hi rendition="#aq">un pacte d’alliance</hi> mit der Nation geſchloſſen habe. Die neu-<lb/> geſtaltete Verfaſſung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit<lb/> der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur<lb/> einer friedlich auf ſeinem Throne geſtorben war, hatte dieſe Vorſchrift blos<lb/> noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte<lb/> ausdrücklich „dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und<lb/> aller franzöſiſchen Bürger anvertraut“ — das will ſagen: dieſer König war<lb/> verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das<lb/> ſouveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er beſaß die höchſte Gewalt<lb/> nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchiſchen Prunkes der ihn umgab;<lb/> darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beſte der Republiken.</p><lb/> <p>In ſo ſchiefer Stellung konnte ſelbſt ein Fürſt von ſchlichtem Grad-<lb/> ſinn und reinem Namen dem Rufe der Zweizüngigkeit kaum entgehen;<lb/> wie viel weniger dieſer vielgewandte Orleans, an deſſen Hauſe noch der<lb/> ſchlimme Leumund des nichtswürdigen Regenten und des Bürgers Philipp<lb/> Egalit<hi rendition="#aq">é</hi> haftete. Ludwig Philipp war in den Grundſätzen der wiſſens-<lb/> ſtolzen Aufklärung erzogen und hatte nachher als General der Republik an<lb/> der Schlacht von Jemappes theilgenommen. Als er dann auswanderte,<lb/> da fügte es ſein gutes Glück, daß er trotz wiederholter Bemühungen doch<lb/> keinen Einlaß in die Heere der Verbündeten erhielt; ſo konnte er ſich mit<lb/> einigem Scheine ſpäterhin rühmen niemals im Lager der Feinde Frank-<lb/> reichs gefochten zu haben. In den Jahren der Verbannung ſammelte er<lb/> auf weiten Wanderfahrten eine mannichfaltige Welt- und Menſchenkennt-<lb/> niß, aber er entwuchs auch gänzlich den Ueberlieferungen des königlichen<lb/> Hauſes. Der Stolz des franzöſiſchen Prinzen blieb ihm ebenſo fremd<lb/> wie das dynaſtiſche Pflichtgefühl; die Macht der Geſchichte, das tauſend-<lb/> jährige Recht der Capetinger erweckte in dieſer trockenen Seele gar keine<lb/> Ehrfurcht. Sobald die Stunde der Rückkehr ſchlug, war er als ſorgſamer<lb/> Hausvater zunächſt darauf bedacht, das ungeheuere Hausvermögen der<lb/> Orleans, das gutentheils aus den Miethen der Spielhöllen im Palais<lb/> Royal entſtanden war, zurückzugewinnen und ſeiner Familie auf alle Fälle<lb/> ein ruhiges Hausweſen zu ſichern. Darum wendete er ſich im Jahre 1821<lb/> insgeheim an Eugen Beauharnais und ließ ihm einen gegenſeitigen Ver-<lb/> trag vorſchlagen, kraft deſſen Jeder von Beiden, falls ihn bei einer neuen<lb/> Revolution das Glück begünſtigte, dem Anderen ungeſtörten Aufenthalt<lb/> in Frankreich verſprechen ſollte; der Napoleonide zeigte ſich jedoch ritter-<lb/> licher als der Bourbone, er lehnte ab, weil er gegebenen Falls nur die<lb/> Herrſchaft Napoleon’s <hi rendition="#aq">II.</hi> ausrufen, alſo keine bindende Zuſage geben könne.<note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="*)">An dieſen Vorfall, deſſen auch Du Caſſe (<hi rendition="#aq">Mémoires du prince Eugène, X,</hi> 285)</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0032]
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
näckig betheuerten die Radicalen, die Vertreter des ſouveränen Volks hätten
den König frei gewählt obgleich er ein Bourbone ſei; und in der That hatte
er die Volksſouveränität anerkannt und feierlich ausgeſprochen, daß er einen
Vertrag, un pacte d’alliance mit der Nation geſchloſſen habe. Die neu-
geſtaltete Verfaſſung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit
der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur
einer friedlich auf ſeinem Throne geſtorben war, hatte dieſe Vorſchrift blos
noch den Werth einer Redensart, und zum Ueberfluß wurde die Charte
ausdrücklich „dem Muthe und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und
aller franzöſiſchen Bürger anvertraut“ — das will ſagen: dieſer König war
verantwortlich und konnte von Rechtswegen entthront werden falls das
ſouveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er beſaß die höchſte Gewalt
nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchiſchen Prunkes der ihn umgab;
darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beſte der Republiken.
In ſo ſchiefer Stellung konnte ſelbſt ein Fürſt von ſchlichtem Grad-
ſinn und reinem Namen dem Rufe der Zweizüngigkeit kaum entgehen;
wie viel weniger dieſer vielgewandte Orleans, an deſſen Hauſe noch der
ſchlimme Leumund des nichtswürdigen Regenten und des Bürgers Philipp
Egalité haftete. Ludwig Philipp war in den Grundſätzen der wiſſens-
ſtolzen Aufklärung erzogen und hatte nachher als General der Republik an
der Schlacht von Jemappes theilgenommen. Als er dann auswanderte,
da fügte es ſein gutes Glück, daß er trotz wiederholter Bemühungen doch
keinen Einlaß in die Heere der Verbündeten erhielt; ſo konnte er ſich mit
einigem Scheine ſpäterhin rühmen niemals im Lager der Feinde Frank-
reichs gefochten zu haben. In den Jahren der Verbannung ſammelte er
auf weiten Wanderfahrten eine mannichfaltige Welt- und Menſchenkennt-
niß, aber er entwuchs auch gänzlich den Ueberlieferungen des königlichen
Hauſes. Der Stolz des franzöſiſchen Prinzen blieb ihm ebenſo fremd
wie das dynaſtiſche Pflichtgefühl; die Macht der Geſchichte, das tauſend-
jährige Recht der Capetinger erweckte in dieſer trockenen Seele gar keine
Ehrfurcht. Sobald die Stunde der Rückkehr ſchlug, war er als ſorgſamer
Hausvater zunächſt darauf bedacht, das ungeheuere Hausvermögen der
Orleans, das gutentheils aus den Miethen der Spielhöllen im Palais
Royal entſtanden war, zurückzugewinnen und ſeiner Familie auf alle Fälle
ein ruhiges Hausweſen zu ſichern. Darum wendete er ſich im Jahre 1821
insgeheim an Eugen Beauharnais und ließ ihm einen gegenſeitigen Ver-
trag vorſchlagen, kraft deſſen Jeder von Beiden, falls ihn bei einer neuen
Revolution das Glück begünſtigte, dem Anderen ungeſtörten Aufenthalt
in Frankreich verſprechen ſollte; der Napoleonide zeigte ſich jedoch ritter-
licher als der Bourbone, er lehnte ab, weil er gegebenen Falls nur die
Herrſchaft Napoleon’s II. ausrufen, alſo keine bindende Zuſage geben könne. *)
*) An dieſen Vorfall, deſſen auch Du Caſſe (Mémoires du prince Eugène, X, 285)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |