der Ostmächte: die drei Höfe müßten ihren Entschluß "das göttliche Recht aufrechtzuhalten" feierlich vor der Welt beweisen. Preußen erwiderte (Jan. 1833): das alte Bündniß stehe fester denn je, seine förmliche Erneuerung sei überflüssig, ja gefährlich, denn sie könne nur bewirken, daß die Westmächte sich noch enger an einander schlössen und also der Zwiespalt der Staaten- gesellschaft sich verschärfte. Nach langen Bemühungen erreichte Rußland nur, daß am 9. März 1833 in Berlin ein unschädlicher, nahezu inhalt- loser Vertrag zwischen den Ostmächten unterzeichnet wurde: die drei Höfe verpflichteten sich lediglich, die belgische Frage auf Grund der 24 Artikel, also im Einverständniß mit den Westmächten, zum Abschluß zu bringen, und versprachen dem König der Niederlande Schutz gegen weitere Angriffe -- Angriffe, welche zur Zeit Niemand beabsichtigte.
Während also Preußen sich gegen die Petersburger Politik spröde ver- hielt, kam ihr die Hofburg dienstfertig entgegen. Seit der Julirevolution bewarb sich Metternich um die russische Freundschaft, unaufhörlich und mit wenig Würde. Er hoffte, die Vertrauensstellung, welche Preußen in Petersburg so lange behauptet hatte, nunmehr dem österreichischen Hofe zu verschaffen, und reizte den verhaltenen Groll des Czaren beständig durch Verleumdung der preußischen Staatsmänner, durch mehr oder minder deutliche Klagen über die Berliner Feigheit. Sein Vertrauter, der Ge- sandte Graf Ficquelmont, einer der feinsten Diplomaten aus der Schule des Staatskanzlers, hörte ehrfurchtsvoll die legitimistischen Zornreden des Selbstherrschers und bekräftigte sie stets mit einem herzerfreuenden sol- datischen Biedersinne. Von kriegerischen Absichten blieb Metternich's Aengst- lichkeit nach wie vor weit entfernt, allein er fürchtete die Revolution in Italien. Seine wiederholten Bemühungen um die Bildung eines italieni- schen Fürstenbundes waren an dem particularistischen Stolze der Bour- bonen von Neapel gescheitert, und die Nachrichten von den Unruhen in Piemont lauteten hochbedenklich; in den Reihen der Verschworenen fanden sich schon die furchtbaren Namen Gioberti, Mazzini, Garibaldi. Wie bald konnte Oesterreich sich genöthigt sehen, seine Truppen nach Turin zu senden und dadurch den Einmarsch der Franzosen, den allgemeinen Krieg herbei- zuführen! Für solchen Fall mußte die Hofburg auf Rußlands Beistand rechnen; war dieser gesichert, so schien nach österreichischer Anschauung auch Preußens Heeresfolge unausbleiblich. Auf die Gefühle des nord- deutschen Verbündeten zarte Rücksichten zu nehmen hielt Metternich für überflüssig; denn eben in dieser Zeit that der Berliner Hof wieder einen mächtigen Schritt zur Lösung des deutschen Dualismus, Schlag auf Schlag kamen die Nachrichten von Preußens Zollverträgen, und obwohl der öster- reichische Staatsmann die langnachwirkenden Folgen dieser Verhandlungen keineswegs klar erkannte, so ahnte er doch in dem werdenden Deutschen Zollvereine eine feindliche Macht. Also geschah es, daß der Wiener Hof sich jetzt mit jedem Mittel das russische Bündniß zu sichern trachtete, und
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
der Oſtmächte: die drei Höfe müßten ihren Entſchluß „das göttliche Recht aufrechtzuhalten“ feierlich vor der Welt beweiſen. Preußen erwiderte (Jan. 1833): das alte Bündniß ſtehe feſter denn je, ſeine förmliche Erneuerung ſei überflüſſig, ja gefährlich, denn ſie könne nur bewirken, daß die Weſtmächte ſich noch enger an einander ſchlöſſen und alſo der Zwieſpalt der Staaten- geſellſchaft ſich verſchärfte. Nach langen Bemühungen erreichte Rußland nur, daß am 9. März 1833 in Berlin ein unſchädlicher, nahezu inhalt- loſer Vertrag zwiſchen den Oſtmächten unterzeichnet wurde: die drei Höfe verpflichteten ſich lediglich, die belgiſche Frage auf Grund der 24 Artikel, alſo im Einverſtändniß mit den Weſtmächten, zum Abſchluß zu bringen, und verſprachen dem König der Niederlande Schutz gegen weitere Angriffe — Angriffe, welche zur Zeit Niemand beabſichtigte.
Während alſo Preußen ſich gegen die Petersburger Politik ſpröde ver- hielt, kam ihr die Hofburg dienſtfertig entgegen. Seit der Julirevolution bewarb ſich Metternich um die ruſſiſche Freundſchaft, unaufhörlich und mit wenig Würde. Er hoffte, die Vertrauensſtellung, welche Preußen in Petersburg ſo lange behauptet hatte, nunmehr dem öſterreichiſchen Hofe zu verſchaffen, und reizte den verhaltenen Groll des Czaren beſtändig durch Verleumdung der preußiſchen Staatsmänner, durch mehr oder minder deutliche Klagen über die Berliner Feigheit. Sein Vertrauter, der Ge- ſandte Graf Ficquelmont, einer der feinſten Diplomaten aus der Schule des Staatskanzlers, hörte ehrfurchtsvoll die legitimiſtiſchen Zornreden des Selbſtherrſchers und bekräftigte ſie ſtets mit einem herzerfreuenden ſol- datiſchen Biederſinne. Von kriegeriſchen Abſichten blieb Metternich’s Aengſt- lichkeit nach wie vor weit entfernt, allein er fürchtete die Revolution in Italien. Seine wiederholten Bemühungen um die Bildung eines italieni- ſchen Fürſtenbundes waren an dem particulariſtiſchen Stolze der Bour- bonen von Neapel geſcheitert, und die Nachrichten von den Unruhen in Piemont lauteten hochbedenklich; in den Reihen der Verſchworenen fanden ſich ſchon die furchtbaren Namen Gioberti, Mazzini, Garibaldi. Wie bald konnte Oeſterreich ſich genöthigt ſehen, ſeine Truppen nach Turin zu ſenden und dadurch den Einmarſch der Franzoſen, den allgemeinen Krieg herbei- zuführen! Für ſolchen Fall mußte die Hofburg auf Rußlands Beiſtand rechnen; war dieſer geſichert, ſo ſchien nach öſterreichiſcher Anſchauung auch Preußens Heeresfolge unausbleiblich. Auf die Gefühle des nord- deutſchen Verbündeten zarte Rückſichten zu nehmen hielt Metternich für überflüſſig; denn eben in dieſer Zeit that der Berliner Hof wieder einen mächtigen Schritt zur Löſung des deutſchen Dualismus, Schlag auf Schlag kamen die Nachrichten von Preußens Zollverträgen, und obwohl der öſter- reichiſche Staatsmann die langnachwirkenden Folgen dieſer Verhandlungen keineswegs klar erkannte, ſo ahnte er doch in dem werdenden Deutſchen Zollvereine eine feindliche Macht. Alſo geſchah es, daß der Wiener Hof ſich jetzt mit jedem Mittel das ruſſiſche Bündniß zu ſichern trachtete, und
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der Oſtmächte: die drei Höfe müßten ihren Entſchluß „das göttliche Recht
aufrechtzuhalten“ feierlich vor der Welt beweiſen. Preußen erwiderte (Jan.
1833): das alte Bündniß ſtehe feſter denn je, ſeine förmliche Erneuerung ſei
überflüſſig, ja gefährlich, denn ſie könne nur bewirken, daß die Weſtmächte
ſich noch enger an einander ſchlöſſen und alſo der Zwieſpalt der Staaten-
geſellſchaft ſich verſchärfte. Nach langen Bemühungen erreichte Rußland
nur, daß am 9. März 1833 in Berlin ein unſchädlicher, nahezu inhalt-
loſer Vertrag zwiſchen den Oſtmächten unterzeichnet wurde: die drei Höfe
verpflichteten ſich lediglich, die belgiſche Frage auf Grund der 24 Artikel,
alſo im Einverſtändniß mit den Weſtmächten, zum Abſchluß zu bringen,
und verſprachen dem König der Niederlande Schutz gegen weitere Angriffe
— Angriffe, welche zur Zeit Niemand beabſichtigte.
Während alſo Preußen ſich gegen die Petersburger Politik ſpröde ver-
hielt, kam ihr die Hofburg dienſtfertig entgegen. Seit der Julirevolution
bewarb ſich Metternich um die ruſſiſche Freundſchaft, unaufhörlich und
mit wenig Würde. Er hoffte, die Vertrauensſtellung, welche Preußen in
Petersburg ſo lange behauptet hatte, nunmehr dem öſterreichiſchen Hofe
zu verſchaffen, und reizte den verhaltenen Groll des Czaren beſtändig
durch Verleumdung der preußiſchen Staatsmänner, durch mehr oder minder
deutliche Klagen über die Berliner Feigheit. Sein Vertrauter, der Ge-
ſandte Graf Ficquelmont, einer der feinſten Diplomaten aus der Schule
des Staatskanzlers, hörte ehrfurchtsvoll die legitimiſtiſchen Zornreden des
Selbſtherrſchers und bekräftigte ſie ſtets mit einem herzerfreuenden ſol-
datiſchen Biederſinne. Von kriegeriſchen Abſichten blieb Metternich’s Aengſt-
lichkeit nach wie vor weit entfernt, allein er fürchtete die Revolution in
Italien. Seine wiederholten Bemühungen um die Bildung eines italieni-
ſchen Fürſtenbundes waren an dem particulariſtiſchen Stolze der Bour-
bonen von Neapel geſcheitert, und die Nachrichten von den Unruhen in
Piemont lauteten hochbedenklich; in den Reihen der Verſchworenen fanden
ſich ſchon die furchtbaren Namen Gioberti, Mazzini, Garibaldi. Wie bald
konnte Oeſterreich ſich genöthigt ſehen, ſeine Truppen nach Turin zu ſenden
und dadurch den Einmarſch der Franzoſen, den allgemeinen Krieg herbei-
zuführen! Für ſolchen Fall mußte die Hofburg auf Rußlands Beiſtand
rechnen; war dieſer geſichert, ſo ſchien nach öſterreichiſcher Anſchauung
auch Preußens Heeresfolge unausbleiblich. Auf die Gefühle des nord-
deutſchen Verbündeten zarte Rückſichten zu nehmen hielt Metternich für
überflüſſig; denn eben in dieſer Zeit that der Berliner Hof wieder einen
mächtigen Schritt zur Löſung des deutſchen Dualismus, Schlag auf Schlag
kamen die Nachrichten von Preußens Zollverträgen, und obwohl der öſter-
reichiſche Staatsmann die langnachwirkenden Folgen dieſer Verhandlungen
keineswegs klar erkannte, ſo ahnte er doch in dem werdenden Deutſchen
Zollvereine eine feindliche Macht. Alſo geſchah es, daß der Wiener Hof
ſich jetzt mit jedem Mittel das ruſſiſche Bündniß zu ſichern trachtete, und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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