dies in Wien der fanatische Feudale Prinz Constantin Löwenstein das Wort für seine Standesgenossen. Er versicherte ungescheut: wenn in dem Gebiete eines mediatisirten Herrn noch die Folter bestünde, so könnte sie durch ein Gesetz des neuen Landesfürsten nicht aufgehoben werden -- und brachte durch seine maßlosen Ansprüche selbst die wohlgesinnten Minister in Har- nisch. Nach lebhaften Verhandlungen, die namentlich den alten Haß Nassaus gegen die Mediatisirten wieder offenbarten, beschloß die Conferenz, die ganze Frage unerledigt zu lassen und verwies die Klagenden an den Bundestag. Also ward der alte Reichsadel durch eigene Schuld und durch die Wortbrüchigkeit der süddeutschen Staaten immer tiefer in seine un- natürliche Winkelstellung hineingedrängt.
Die Ergebnisse der Berathungen wurden endlich in einem Schluß- Protokoll von 60 Artikeln zusammengefaßt. Der liberale Luftzug wehte aber schon so schneidend durch die Welt, daß man nicht mehr wagte, dies Protokoll, wie einst die Karlsbader Beschlüsse, zu veröffentlichen. Nur einzelne Artikel sollten in Frankfurt als Bundesbeschlüsse verkündet werden; die übrigen, und vornehmlich jene gefährlichen Verabredungen über die Rechte der Landtage, blieben geheim. Die Regierungen verpflichteten sich insgeheim, auch diese geheimen Artikel ebenso unverbrüchlich zu befolgen "als wenn dieselben zu förmlichen Bundesbeschlüssen erhoben worden wären".
Da drohte das Schiff dicht vor dem Hafen noch zu stranden. Der Münchener Hof, dessen Wünschen die Conferenz stets bereitwillig entgegen- gekommen war, erhob plötzlich Einspruch, und mit gutem Grunde meinte Türckheim, dahinter verberge sich nur "das dünkelhafte Princip der Iso- lirung und eine mehr der Aengstlichkeit als aufrichtigem Liberalismus zu- zuschreibende Besorgniß".*) König Ludwig war augenblicklich mit seinem neuen Landtage zufrieden; auch fand er es unwürdig, sein Reich einem förmlichen Beschlusse der Bundesgenossen zu unterwerfen. Höchstens einem freien Vertrage wollte er sich anschließen, und sein vertrauter Minister Fürst Wallerstein, der gern den Liberalen spielte, bestärkte ihn in seinen Bedenken gegen das Bundesschiedsgericht.**) Die Bestürzung in Wien war groß. Ancillon hielt für nöthig sein grobes Geschütz aufzufahren, und sendete nach München einen von Schmeicheleien und Mahnungen überströmenden Erlaß: "Wir waren überzeugt, die Einheit Deutschlands fester und folglich stärker gemacht zu haben. Wie wäre es möglich, daß der Fürst, dem Deutschland großentheils das schöne Werk des Zollvereins verdankt, und der darin immer ein Unterpfand der Eintracht und eine neue Stütze der Einheit gesehen hat, jetzt diese Einheit durch Trennung von seinen Bundes- genossen schwächen oder bloßstellen könnte, jetzt da es sich darum handelt
*) Türckheim an Blittersdorff, 14. Juni 1834.
**) Dönhoff's Berichte, 31. Mai, 19. Juni 1834.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
dies in Wien der fanatiſche Feudale Prinz Conſtantin Löwenſtein das Wort für ſeine Standesgenoſſen. Er verſicherte ungeſcheut: wenn in dem Gebiete eines mediatiſirten Herrn noch die Folter beſtünde, ſo könnte ſie durch ein Geſetz des neuen Landesfürſten nicht aufgehoben werden — und brachte durch ſeine maßloſen Anſprüche ſelbſt die wohlgeſinnten Miniſter in Har- niſch. Nach lebhaften Verhandlungen, die namentlich den alten Haß Naſſaus gegen die Mediatiſirten wieder offenbarten, beſchloß die Conferenz, die ganze Frage unerledigt zu laſſen und verwies die Klagenden an den Bundestag. Alſo ward der alte Reichsadel durch eigene Schuld und durch die Wortbrüchigkeit der ſüddeutſchen Staaten immer tiefer in ſeine un- natürliche Winkelſtellung hineingedrängt.
Die Ergebniſſe der Berathungen wurden endlich in einem Schluß- Protokoll von 60 Artikeln zuſammengefaßt. Der liberale Luftzug wehte aber ſchon ſo ſchneidend durch die Welt, daß man nicht mehr wagte, dies Protokoll, wie einſt die Karlsbader Beſchlüſſe, zu veröffentlichen. Nur einzelne Artikel ſollten in Frankfurt als Bundesbeſchlüſſe verkündet werden; die übrigen, und vornehmlich jene gefährlichen Verabredungen über die Rechte der Landtage, blieben geheim. Die Regierungen verpflichteten ſich insgeheim, auch dieſe geheimen Artikel ebenſo unverbrüchlich zu befolgen „als wenn dieſelben zu förmlichen Bundesbeſchlüſſen erhoben worden wären“.
Da drohte das Schiff dicht vor dem Hafen noch zu ſtranden. Der Münchener Hof, deſſen Wünſchen die Conferenz ſtets bereitwillig entgegen- gekommen war, erhob plötzlich Einſpruch, und mit gutem Grunde meinte Türckheim, dahinter verberge ſich nur „das dünkelhafte Princip der Iſo- lirung und eine mehr der Aengſtlichkeit als aufrichtigem Liberalismus zu- zuſchreibende Beſorgniß“.*) König Ludwig war augenblicklich mit ſeinem neuen Landtage zufrieden; auch fand er es unwürdig, ſein Reich einem förmlichen Beſchluſſe der Bundesgenoſſen zu unterwerfen. Höchſtens einem freien Vertrage wollte er ſich anſchließen, und ſein vertrauter Miniſter Fürſt Wallerſtein, der gern den Liberalen ſpielte, beſtärkte ihn in ſeinen Bedenken gegen das Bundesſchiedsgericht.**) Die Beſtürzung in Wien war groß. Ancillon hielt für nöthig ſein grobes Geſchütz aufzufahren, und ſendete nach München einen von Schmeicheleien und Mahnungen überſtrömenden Erlaß: „Wir waren überzeugt, die Einheit Deutſchlands feſter und folglich ſtärker gemacht zu haben. Wie wäre es möglich, daß der Fürſt, dem Deutſchland großentheils das ſchöne Werk des Zollvereins verdankt, und der darin immer ein Unterpfand der Eintracht und eine neue Stütze der Einheit geſehen hat, jetzt dieſe Einheit durch Trennung von ſeinen Bundes- genoſſen ſchwächen oder bloßſtellen könnte, jetzt da es ſich darum handelt
*) Türckheim an Blittersdorff, 14. Juni 1834.
**) Dönhoff’s Berichte, 31. Mai, 19. Juni 1834.
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dies in Wien der fanatiſche Feudale Prinz Conſtantin Löwenſtein das Wort
für ſeine Standesgenoſſen. Er verſicherte ungeſcheut: wenn in dem Gebiete
eines mediatiſirten Herrn noch die Folter beſtünde, ſo könnte ſie durch ein
Geſetz des neuen Landesfürſten nicht aufgehoben werden — und brachte
durch ſeine maßloſen Anſprüche ſelbſt die wohlgeſinnten Miniſter in Har-
niſch. Nach lebhaften Verhandlungen, die namentlich den alten Haß
Naſſaus gegen die Mediatiſirten wieder offenbarten, beſchloß die Conferenz,
die ganze Frage unerledigt zu laſſen und verwies die Klagenden an den
Bundestag. Alſo ward der alte Reichsadel durch eigene Schuld und durch
die Wortbrüchigkeit der ſüddeutſchen Staaten immer tiefer in ſeine un-
natürliche Winkelſtellung hineingedrängt.
Die Ergebniſſe der Berathungen wurden endlich in einem Schluß-
Protokoll von 60 Artikeln zuſammengefaßt. Der liberale Luftzug wehte
aber ſchon ſo ſchneidend durch die Welt, daß man nicht mehr wagte, dies
Protokoll, wie einſt die Karlsbader Beſchlüſſe, zu veröffentlichen. Nur
einzelne Artikel ſollten in Frankfurt als Bundesbeſchlüſſe verkündet werden;
die übrigen, und vornehmlich jene gefährlichen Verabredungen über die
Rechte der Landtage, blieben geheim. Die Regierungen verpflichteten ſich
insgeheim, auch dieſe geheimen Artikel ebenſo unverbrüchlich zu befolgen
„als wenn dieſelben zu förmlichen Bundesbeſchlüſſen erhoben worden
wären“.
Da drohte das Schiff dicht vor dem Hafen noch zu ſtranden. Der
Münchener Hof, deſſen Wünſchen die Conferenz ſtets bereitwillig entgegen-
gekommen war, erhob plötzlich Einſpruch, und mit gutem Grunde meinte
Türckheim, dahinter verberge ſich nur „das dünkelhafte Princip der Iſo-
lirung und eine mehr der Aengſtlichkeit als aufrichtigem Liberalismus zu-
zuſchreibende Beſorgniß“. *) König Ludwig war augenblicklich mit ſeinem
neuen Landtage zufrieden; auch fand er es unwürdig, ſein Reich einem
förmlichen Beſchluſſe der Bundesgenoſſen zu unterwerfen. Höchſtens einem
freien Vertrage wollte er ſich anſchließen, und ſein vertrauter Miniſter
Fürſt Wallerſtein, der gern den Liberalen ſpielte, beſtärkte ihn in ſeinen
Bedenken gegen das Bundesſchiedsgericht. **) Die Beſtürzung in Wien war
groß. Ancillon hielt für nöthig ſein grobes Geſchütz aufzufahren, und ſendete
nach München einen von Schmeicheleien und Mahnungen überſtrömenden
Erlaß: „Wir waren überzeugt, die Einheit Deutſchlands feſter und folglich
ſtärker gemacht zu haben. Wie wäre es möglich, daß der Fürſt, dem
Deutſchland großentheils das ſchöne Werk des Zollvereins verdankt, und
der darin immer ein Unterpfand der Eintracht und eine neue Stütze der
Einheit geſehen hat, jetzt dieſe Einheit durch Trennung von ſeinen Bundes-
genoſſen ſchwächen oder bloßſtellen könnte, jetzt da es ſich darum handelt
*) Türckheim an Blittersdorff, 14. Juni 1834.
**) Dönhoff’s Berichte, 31. Mai, 19. Juni 1834.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/360>, abgerufen am 24.11.2024.
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